Verſuch den Gipfel des Chimboraza zu erſteigen. (Von Al. v. Humboldt.) Die höchſten Berggipfel beider Kontinente: im alten der Kintſchinjinga, der Dhawalagiri (weiße Berg) und der Dſchawahir; im neuen der Aconcagua und der Sahama; ſind bisher noch nie von Menſchen erreicht worden. Der höchſte Punkt, zu dem man in beiden Kontinenten auf der Erdoberfläche gelangt iſt, liegt in Südamerika am ſüdöſtlichen Abfall des Chimborazo. Dort ſind Reiſende faſt bis 18,500 pariſer Fuß: nämlich einmal im Junius 1802 bis 3016 Toiſen, ein andermal im December 1831 bis 3080 Toiſen Höhe, über der Meeresfläche gelangt. Barometer-Meſſungen wurden alſo in der Andeskette 3720 Fuß höher als der Gipfel des Montblanc angeſtellt. Die Höhe des Montblanc iſt im Verhältniß der Geſtaltung der Kordilleren ſo unbeträchtlich, daß in dieſen vielbetretene Wege (Päſſe) höher liegen, ja ſelbſt der obere Theil der großen Stadt Potoſt dem Gipfel des Montblanc nur um 323 Toiſen nachſteht. Ich habe es für nöthig gefunden, dieſe wenigen numeriſchen Angaben hier voranzuſchicken, um der Phantaſie beſtimmte Anhaltspunkte für die hypſometriſche, gleichſam plaſtiſche Betrachtung der Erdoberfläche darbieten zu können. Das Erreichen großer Höhen iſt von geringem wiſſenſchaftlichen Intereſſe, wenn dieſelben weit über der Schneegrenze liegen und nur auf wenige Stunden beſucht werden können. Unmittelbare Höhenbeſtimmungen durch das Barometer gewähren zwar den Vortheil ſchnell zu erhaltender Reſultate; doch ſind die Gipfel meiſt nahe mit Hochebenen umgeben, die zu einer trigonometriſchen Operation geeignet ſind, und in denen alle Elemente der Meſſung wiederholt geprüft werden können: während eine einmalige Beſtimmung mittelſt des Barometers, wegen auf- und abſteigender Luftſtröme am Abhange des Gebirgsſtockes und wegen dadurch erzeugter Variation in der Temperatur-Abnahme, beträchtliche Fehler in den Reſultaten erzeugt. Die Natur des Geſteins iſt wegen der ewigen Schneedecke der geognoſtiſchen Beobachtung faſt gänzlich entzogen, da nur einzelne Felsrippen (Grate) mit ſehr verwitterten Schichten hervortreten. Das organiſche Leben iſt in dieſen hohen Einöden der Erdfläche erſtorben. Kaum verirren ſich in die dünnen Schichten des Luftkreiſes der Berggeier (Condor) und geflügelte Inſekten, letztere unwillkürlich von Luftſtrömen gehoben. Wenn jetzt ein ernſtes, wiſſenſchaftliches Intereſſe kaum noch der Bemühung reiſender Phyſiker, welche die höheren Gipfel der Erde zu erſteigen ſtreben, geſchenkt wird; ſo hat ſich dagegen im allgemeinen Volksſinne ein reger Antheil an einer ſolchen Bemühung erhalten. Das, was unerreichbar ſcheint, hat eine geheimnißvolle Ziehkraft; man will, daß alles erſpähet, daß wenigſtens verſucht werde, was nicht errungen werden kann. Der Chimborazo iſt der ermüdende Gegenſtand aller Fragen geweſen, welche ſeit meiner erſten Rückkunft nach Europa an mich gerichtet wurden. Die Ergründung der wichtigſten Naturgeſetze, die lebhafteſte Schilderung der Pflanzenzonen und der, die Objekte des Ackerbaues beſtimmenden Verſchiedenheit der Klimate, welche ſchichtenweiſe über einander liegen: waren ſelten fähig, die Aufmerkſamkeit von dem ſchneebedeckten Gipfel abzulenken, welchen man damals noch (vor Fitz-Roy’s Meſſungen an der ſüdlichen Küſte von Chili und Pentlands Reiſe nach Bolivia) für den Kulminationspunkt der gangartig ausgedehnten Andeskette hielt. Ich werde hier dem noch ungedruckten Theile meiner Tagebücher die einfache Erzählung einer Bergreiſe entlehnen. Die Geſchichte der Erſteigung ſelbſt, die wenig dramatiſches Intereſſe darbieten kann, war dem vierten und letzten Bande meiner Reiſe nach den Aequinoktial-Gegenden vorbehalten. Da aber mein vieljähriger Freund, Herr Bouſſingault, jetzt Mitglied der Akademie der Wiſſenſchaften zu Paris, einer der talentvollſten und gelehrteſten Reiſenden neuerer Zeit, vor Kurzem auf meine Bitte ſein dem meinen ſehr ähnliches Unternehmen in den Annales de Chimie et de Physique beſchrieben hat; ſo kann, weil unſere Beobachtungen ſich gegenſeitig ergänzen, dies einfache Fragment eines Tagebuchs, das ich hier bekannt mache, ſich wohl einer nachſichtsvollen Aufnahme erfreuen. Aller umſtändlicheren geognoſtiſchen und phyſikaliſchen Diskuſſionen werde ich mich enthalten. Den 22. Junius 1799 war ich im Krater des Pic von Teneriffa geweſen; drei Jahre darauf, faſt an demſelben Tage (den 23. Junius 1802), gelangte ich, 6700 Fuß höher, bis nahe an den Gipfel des Chimborazo. Nach einem langen Aufenthalte in dem Hochlande von Quito, einer der wundervollſten und maleriſchſten Gegenden der Erde, unternahmen wir die Reiſe nach den China-Wäldern von Loxa, dem oberen Laufe des Amazonenfluſſes, weſtlich von der berühmten Strom-Enge (Pongo de Manſeriche), und durch die ſandige Wüſte längs dem peruaniſchen Ufer der Südſee nach Lima, wo der Durchgang des Merkur durch die Sonnenſcheibe (am 9. November 1802) beobachtet werden ſollte. Wir genoſſen mehrere Tage lang, auf der mit Bimsſtein bedeckten Ebene, in welcher man (nach dem furchtbaren Erdbeben vom 4. Februar 1797) die neue Stadt Riobamba zu gründen anfing, einer herrlichen Anſicht des glocken- oder domförmigen Gipfels des Chimborazo bei dem heiterſten, eine trigonometriſche Meſſung begünſtigenden Wetter. Durch ein großes Fernrohr hatten wir den noch 15,700 Toiſen entfernten Schneemantel des Berges durchforſcht, und mehrere ganz vegetationsleere Felsgrate entdeckt, die, wie ſchmale, ſchwarze Streifen aus dem ewigen Schnee hervorragend, dem Gipfel zuliefen und uns einige Hoffnung gaben, daß man auf ihnen in der Schneeregion feſten Fuß würde faſſen können. Riobamba Nuevo liegt im Angeſicht des ungeheueren, jetzt zackigen Gebirgsſtocks Capac- Urcu, von den Spaniern el Altar genannt, der (laut einer Tradition der Eingebornen) einſt höher als der Chimborazo war und, nachdem er viele Jahre lang geſpieen, einſtürzte. Dieſes ſchreckenverbreitende Naturereigniß fällt in die Zeit kurz vor der Eroberung von Quito durch den Inca Tupac Yupanqui. Riobamba Nuevo iſt nicht mit dem alten Riobamba der großen Karte von La Condamine und Don Pedro Maldonado zu verwechſeln. Letztere Stadt iſt gänzlich zerſtört worden durch die große Kataſtrophe vom 4. Februar 1797, die in wenigen Minuten über 30,000 Menſchen tödtete. Das neue Riobamba liegt, nach meiner Chronometer-Beſtimmung, 42 Zeitſekunden öſtlicher als das alte Riobamba, aber faſt unter derſelben Breite (1° 41′ 46″ ſüdlich). Wir befanden uns in der Ebene von Tapia, aus der wir am 22. Junius unſere Expedition nach dem Chimborazo antraten, ſchon 8898 pariſer Fuß (1483 Toiſen) hoch über dem Spiegel der Südſee. Dieſe Hochebene, einen Theil des Thalbodens zwiſchen der öſtlichen und weſtlichen Andeskette (der Kette der thätigen Vulkane Cotopaxi und Tungurahua, und der Kette der ruhenden: Iliniza und Chimborazo), verfolgten wir ſanft anſteigend bis an den Fuß des letztern Berges, wo wir im indiſchen Dorfe Calpi übernachten ſollten. Sie iſt ſparſam mit Cactus-Stämmen und Schinus molle, der einer Trauerweide gleicht, bedeckt. Heerden buntgefärbter Lamas ſuchen hier zu Tauſenden eine ſparſame Nahrung. Auf einer ſo großen Höhe ſchadet die ſtarke nächtliche Wärmeſtrahlung des Bodens, bei wolkenloſem Himmel, dem Ackerbau durch Erkaltung der Luft und Erfrieren der reifenden Saaten. Ehe wir Calpi erreichten, beſuchten wir Lican: jetzt ebenfalls ein kleines Dorf, aber vor der Eroberung des Landes durch den eilften Inca (denſelben Tupac Yupanqui, deſſen wohlerhaltenen Körper Garcilaſo de la Vega noch 1559 in der Familiengruft zu Cuzco geſehen hatte) eine beträchtliche Stadt und den Aufenthaltsort des Conchocando oder Fürſten der Puruay. Die Eingebornen glauben, daß die kleine Zahl wilder Lamas, die man am weſtlichen Abfall des Chimborazo findet, nur verwildert ſind und von den, nach der Zerſtörung des alten Lican zerſtreuten und flüchtig gewordenen Heerden abſtammen. Ganz nahe bei Calpi, nordweſtlich von Lican, erhebt ſich in der dürren Hochebene ein kleiner iſolirter Hügel, der ſchwarze Berg, Yana-Urcu, der in geognoſtiſcher Hinſicht viel Aufmerkſamkeit verdient. Der Hügel liegt ſüd-ſüd-öſtlich vom Chimborazo, in weniger als drei Meilen (15 auf 1°) Entfernung, und von jenem Koloſſe nur durch die Hochebene von Luiſa getrennt. Will man in ihm auch nicht einen Seitenausbruch jenes Koloſſes erkennen, ſo iſt der Urſprung dieſes Eruptions-Kegels doch gewiß den unterirdiſchen Mächten zuzuſchreiben, welche unter dem Chimborazo Jahrtauſende lang vergeblich einen Ausweg geſucht haben. Er iſt ſpäteren Urſprungs als die Erhebung des großen, glockenförmigen Berges. Der Yana-Urcu bildet mit dem nördlichen Hügel Naguangachi eine zuſammenhangende Anhöhe, in Form eines Hufeiſens; der Bogen (mehr als Halbzirkel) iſt gegen Oſten geöffnet. Wahrſcheinlich liegt in der Mitte des Hufeiſens der Punkt, aus dem die ſchwarzen Schlacken ausgeſtoßen worden, welche jetzt weit umher verbreitet ſind. Wir fanden dort eine trichterförmige Senkung von etwa 120 Fuß Tiefe, in deren Innerem ein kleiner, runder Hügel ſteht, deſſen Höhe den umgebenden Rand nicht erreicht. Yana-Urcu heißt eigentlich der ſüdliche Kulminationspunkt des alten Kraterrandes, welcher höchſtens 400 Fuß über der Fläche von Calpi erhaben iſt. Naguangachi iſt der Name des nördlichen niederen Abfalls. Die ganze Anhöhe erinnert durch ihre Hufeiſenform, aber nicht durch ihr Geſtein, an den etwas höheren Hügel Javirac (el Panecillo de Quito), der ſich iſolirt am Fuße des Vulkans Pichincha in der Ebene von Turubamba erhebt. Nach der Tradition der Eingebornen und nach vermeintlichen alten Handſchriften, welche der Cazike oder Apu von Lican, ein Abkömmling der alten Fürſten des Landes (der Conchocandi), ſich zu beſitzen rühmte, iſt der vulkaniſche Ausbruch des Yana-Urcu gleich nach dem Tode des Inca Tupac Yupanqui, alſo wohl in der Mitte des 15. Jahrhunderts, erfolgt. Die Tradition ſagt, es ſey eine Feuerkugel oder gar ein Stern vom Himmel gefallen und habe den Berg entzündet. Solche Mythen, welche Aërolithenfälle mit Entzündungen in Verbindung ſetzen, ſind auch unter den mexikaniſchen Völkerſtämmen verbreitet. Das Geſtein des Yana-Urcu iſt eine poröſe, dunkel nelkenbraune, oft ganz ſchwarze, ſchlackige Maſſe, welche man leicht mit poröſem Baſalt verwechſeln kann. Olivin fehlt aber gänzlich darin. Die weißen, ſehr ſparſam darin liegenden Kryſtalle ſind überaus klein und wahrſcheinlich Labrador. Hier und da ſah ich Schwefelkies eingeſprengt. Das Ganze gehört wohl dem ſchwarzen Augit-Porphyr an, wie die ganze Formation des Chimborazo: von der wir unten reden werden, und der ich nicht den Namen Trachyt geben möchte, da ſie keinen Feldſpath (mit etwas Albit), wie unſer Trachyt des Siebengebirges bei Bonn, enthält. Die ſchlackenartigen, durch ein ſehr thätiges Feuer veränderten Maſſen des Yana-Urcu ſind zwar überaus leicht, aber eigentlicher Bimsſtein iſt dort nicht ausgeworfen worden. Der Ausbruch iſt durch eine graue, unregelmäßig geſchichtete Maſſe von Dolerit geſchehen, welcher hier die Hochebene bildet und dem Geſtein von Penipe (am Fuß des Vulkans von Tungurahua) ähnlich iſt, wo Syenit und granathaltiger Glimmerſchiefer von ihm durchbrochen worden ſind. Am öſtlichen Abhange des Yana-Urcu, oder vielmehr am Fuß des Hügels gegen Lican zu, führten uns die Eingebornen an einen vorſpringenden Fels, an dem eine Oeffnung dem Mundloch eines verfallenen Stollens glich. Man hört hier und auch ſchon in 10 Fuß Entfernung ein heftiges unterirdiſches Getöſe, das von einem Luftſtrome oder unterirdiſchen Winde begleitet iſt. Die Luftſtrömung iſt viel zu ſchwach, um ihr allein das Getöſe zuzuſchreiben. Letzteres entſteht gewiß durch einen unterirdiſchen Bach, der in eine tiefere Höhle herabſtürzt und durch ſeinen Fall die Luftbewegung erregt. Ein Mönch, Pfarrer in Calpi, hatte in derſelben Meinung den Stollen auf einer offenen Kluft vor langer Zeit angeſetzt, um ſeinem Dorfe Waſſer zu verſchaffen. Die Härte des ſchwarzen Augitgeſteins hat wahrſcheinlich die Arbeit unterbrochen. Der Chimborazo ſendet, trotz ſeiner ungeheuren Schneemaſſe, ſo waſſerarme Bäche in die Hochebene herab, daß man wohl annehmen kann, der größere Theil ſeiner Waſſer fließe auf Klüften dem Inneren zu. Auch in dem Dorfe Calpi ſelbſt hörte man ehemals ein großes Getöſe unter einem Hauſe, das keine Keller hatte. Vor dem furchtbaren Erdbeben vom 4. Februar 1797 entſprang im Südweſten des Dorfes ein Bach an einem tieferen Punkte. Viele Indianer hielten denſelben für einen Theil der Waſſermaſſe, welche unter dem Yana-Urcu fließt. Seit dem großen Erdbeben aber iſt dieſer Bach wiederum verſchwunden. Nachdem wir die Nacht in Calpi, nach meiner Barometer-Meſſung 9720 Fuß (1620 Toiſen hoch) über dem Meere, zugebracht hatten, begannen wir am 23. Morgens unſere eigentliche Expedition nach dem Chimborazo. Wir verſuchten den Berg von der ſüd-ſüd-öſtlichen Seite zu erſteigen; und die Indianer, welche uns zu Führern dienen ſollten, von denen aber nur wenige je bis zur Grenze des ewigen Schnees gelangt waren, gaben dieſer Richtung des Weges ebenfalls den Vorzug. Wir fanden den Chimborazo mit großen Ebenen, die ſtufenweiſe über einander liegen, umgeben. Zuerſt durchſchritten wir die Llanos de Luiſa; dann, nach einem nicht ſehr ſteilen Anſteigen von kaum 5000 Fuß Länge, gelangten wir in die Hochebene (Llano) von Sisgun. Die erſte Stufe iſt 10,200, die zweite 11,700 Fuß hoch. Dieſe mit Gras bewachſenen Ebenen erreichen alſo, die eine den höchſten Gipfel der Pyrenäen (den Pic Nethou), die andere den Gipfel des Vulkans von Teneriffa. Die vollkommene Söhligkeit (Horizontalität) dieſer Hochebenen läßt auf einen langen Aufenthalt ſtehender Waſſer ſchließen. Man glaubt einen Seeboden zu ſehen. An dem Abhange der ſchweizer Alpen bemerkt man bisweilen auch dies Phänomen ſtufenweiſe über einander liegender kleinen Ebenen, welche, wie abgelaufene Becken von Alpenſeen, jetzt durch enge, offene Päſſe verbunden ſind. Die weit ausgedehnten Grasfluren (los Pajonales) ſind am Chimborazo, wie überall um die hohen Gipfel der Andeskette, ſo einförmig, daß die Familie der Gräſer (Arten von Paspalum, Andropogon, Bromus, Dejeuxia, Stipa) ſelten von Kräutern dikotyledoniſcher Pflanzen unterbrochen wird. Es iſt faſt die Steppennatur, die ich in dem dürren Theile des nördlichen Aſtens geſehen habe. Die Flora des Chimborazo hat uns überhaupt minder reich geſchienen als die Flora der anderen Schneeberge, welche die Stadt Quito umgeben. Nur wenige Calceolarien, Compoſiten (Bidens, Eupatorium, Dumerilia paniculata, Werneria nubigena) und Gentianen, unter denen die ſchöne Gentiana cernua mit purpurrothen Blüthen hervorleuchtet, erheben ſich in der Hochebene von Sisgun zwiſchen den geſellig wachſenden Gräſern. Dieſe gehören, der größten Zahl nach, nord-europaiſchen Geſchlechtern an. Die Luft-Temperatur, welche gewöhnlich in dieſer Region der Alpengräſer (in 1600 und 2000 Toiſen Höhe) herrſcht, ſchwankt bei Tage zwiſchen 4° und 16° C., bei Nacht zwiſchen 0° und 10°. Die mittlere Temperatur des ganzen Jahres ſcheint für die Höhe von 10,800 Fuß, nach den von mir in der Nähe des Aequators geſammelten Beobachtungen, ohngefahr 9° zu ſeyn. In dem Flachlande der temperirten Zone iſt dies die mittlere Temperatur des nördlichen Deutſchlands, z. B. von Lüneburg (Breite 53° 15′): wo aber die Wärme-Vertheilung unter die einzelnen Monate (das wichtigſte Element zur Beſtimmung des Vegetations- Charakters einer Gegend) ſo ungleich iſt, daß der Februar — 1°,8, der Juli + 18° mittlerer Wärme hat. Mein Plan war, in der ſchönen, ganz ebenen Grasflur von Sisgun eine trigonometriſche Operation anzuſtellen. Ich hatte mich vorbereitet, dort eine Standlinie zu meſſen. Die Höhenwinkel wären ſehr beträchtlich ausgefallen, da man dem Gipfel des Chimborazo nahe iſt. Es blieb nur noch eine ſenkrechte Höhe von weniger als 8400 Fuß (eine Höhe wie der Canigou in den Pyrenäen) zu beſtimmen übrig. Bei der ungeheuren Maſſe der einzelnen Berge in der Andeskette iſt leider! nothwendig jede Beſtimmung der Höhe über der Meeresfläche aus einer barometriſchen und trigonometriſchen zuſammengeſetzt. Ich hatte den Sextanten und andere Meßinſtrumente vergeblich mitgenommen: der Gipfel des Chimborazo blieb in dichten Nebel gehüllt. Aus der Hochebene von Sisgun ſteigt man ziemlich ſteil bis zu einem kleinen Alpenſee (Laguna de Yana-Cocha) an. Bis dahin war ich auf dem Maulthiere geblieben, und nur von Zeit zu Zeit abgeſtiegen, um mit meinem Reiſegefährten, Herrn Bonpland, Pflanzen zu ſammeln. Yana-Cocha verdient nicht den Namen eines Sees. Es iſt ein zirkelrundes Becken von kaum 130 Fuß Durchmeſſer. Der Himmel wurde immer trüber, aber zwiſchen und über den Nebelſchichten lagen noch einzelne, deutlich erkennbare Wolkengruppen zerſtreut. Der Gipfel des Chimborazo erſchien auf wenige Augenblicke. Weil in der letzten Nacht viel Schnee gefallen war, ſo verließ ich das Maulthier da, wo wir die untere Grenze dieſes friſchgefallenen Schnees fanden: eine Grenze, die man nicht mit der ewigen Schneegrenze verwechſeln muß. Das Barometer zeigte, daß wir erſt 13,500 Fuß hoch gelangt waren. Auf anderen Bergen habe ich ebenfalls dem Aequator nahe, bis zu 11,200 Fuß Höhe ſchneien ſehen, doch nicht tiefer. Meine Begleiter, Bonpland und Carlos Montufar, ritten noch bis zur perpetuirlichen Schneegrenze, d. i. bis zur Höhe des Montblanc, der bekanntlich unter dieſer Breite (1° 27′ ſüdl.) nicht immer mit Schnee bedeckt ſeyn würde. Dort blieben unſere Pferde und Maulthiere ſtehen, um uns bis zur Rückkunft zu erwarten. Neunhundert Fuß über dem kleinen Waſſerbecken Yana-Cocha ſahen wir endlich anſtehendes nacktes Geſtein. Bis dahin hatte die Grasflur jeder geognoſtiſchen Unterſuchung den Boden entzogen. Große Felsmauern, von Nordoſt nach Südweſt ſtreichend, zum Theil in unförmliche Säulen geſpalten, erhoben ſich aus der ewigen Schneedecke: ein bräunlich ſchwarzes Angitgeſtein, glänzend wie Pechſtein-Porphyr. Die Säulen waren ſehr dünn, wohl 30 — 60 Fuß hoch, faſt wie die Trachyt- Säulen des Tablahuma am Vulkan Pichincha. Eine Gruppe ſtand einzeln, und erinnerte in der Ferne faſt an Maſten und Baumſtämme. Die ſteilen Mauern führten uns, durch die Schneeregion, zu einem gegen den Gipfel gerichteten ſchmalen Grat, einem Felskamm, der es uns allein möglich machte, vorzudringen; denn der Schnee war damals ſo weich, daß man faſt nicht wagen konnte, ſeine Oberfläche zu betreten. Der Kamm beſtand aus ſehr verwittertem, bröckligem Geſtein. Es war oft zellig, wie ein baſaltartiger Mandelſtein. Der Pfad wurde immer ſchmaler und ſteiler. Die Eingeborenen verließen uns alle bis auf einen in der Höhe von 15,600 Fuß. Alle Bitten und Drohungen waren vergeblich. Die Indianer behaupteten von Athemloſigkeit mehr als wir zu leiden. Wir blieben allein: Bonpland; unſer liebenswürdiger Freund, der jüngere Sohn des Marques de Selvalegre, Carlos Montufar, der in dem ſpäteren Freiheitskampfe (auf General Murillo’s Befehl) erſchoſſen wurde; ein Meſtize aus dem nahen Dorfe San Juan und ich. Wir gelangten mit großer Anſtrengung und Geduld höher, als wir hoffen durſten, da wir meiſt ganz in Nebel gehüllt blieben. Der Felskamm (im Spaniſchen ſehr bedeutſam Cuchilla, gleichſam Meſſerrücken, genannt) hatte oft nur die Breite von 8 — 10 Zoll. Zur Linken war der Abſturz mit Schnee bedeckt, deſſen Oberfläche durch Froſt wie verglaſt erſchien. Die dünneiſige Spiegelfläche hatte gegen 30° Neigung. Zur Rechten ſenkte ſich unſer Blick ſchaurig in einen 800 oder 1000 Fuß tiefen Abgrund, aus dem ſchneeloſe Felsmaſſen ſenkrecht hervorragten. Wir hielten den Körper immer mehr nach dieſer Seite hin geneigt; denn der Abſturz zur Linken ſchien noch gefahrdrohender, weil ſich dort keine Gelegenheit darbot, ſich mit den Händen an zackig vorſtehendem Geſteine feſtzuhalten, und weil dazu die dünne Eisrinde nicht vor dem Unterſinken im lockeren Schnee ſicherte. Nur ganz leichte, poröſe Dolerit-Stücke konnten wir auf dieſer Eisrinde herabrollen laſſen. Die geneigte Schneefläche war ſo ausgedehnt, daß wir die Steine früher aus dem Geſichte verloren, als ſie zur Ruhe kamen. Der Mangel an Schnee ſowohl auf dem Grat, der uns leitete, als auf den Felſen zu unſerer Rechten gegen Oſten kann weniger der Steilheit der Geſteinmaſſen und dem Windſtoße, als offenen Klüften zuzuſchreiben ſeyn, welche die warme Luft der tieferen Erdſchichten aushauchen. Bald fanden wir das weitere Steigen dadurch ſchwieriger, daß die Bröcklichkeit des Geſteins beträchtlich zunahm. An einzelnen ſehr ſteilen Staffeln mußte man die Hände und Füße zugleich anwenden, wie dies bei allen Alpenreiſen ſo gewöhnlich iſt. Da das Geſtein ſehr ſcharfkantig war, ſo wurden wir, beſonders an den Händen, ſchmerzhaft verletzt. In noch höherem Maße haben wir, Leopold von Buch und ich, nahe am Krater des obſidianreichen Pics von Teneriffa von dieſen Verletzungen gelitten. Ich hatte dazu (wenn es anders einem Reiſenden erlaubt iſt ſo unwichtige Einzelheiten zu erwähnen) ſeit mehreren Wochen eine Wunde am Fuße, welche durch die Anhäufung der Niguas (Pulex penetrans) veranlaßt und durch feinen Staub von Bimsſtein, bei Meſſungen im Llano de Tapia, ſehr vermehrt worden war. Der geringe Zuſammenhang des Geſteins auf dem Kamm machte nun größere Vorſicht nöthig, da viele Maſſen, welche wir für anſtehend hielten, loſe in Sand gehüllt lagen. Wir ſchritten hinter einander und um ſo langſamer fort, als man die Stellen prüfen mußte, die unſicher ſchienen. Glücklicherweiſe war der Verſuch den Gipfel des Chimborazo zu erreichen die letzte unſerer Bergreiſen in Südamerika, daher die früher geſammelten Erfahrungen uns leiten und mehr Zuverſicht auf unſere Kräfte geben konnten. Es iſt ein eigener Charakter aller Exkurſionen in der Andeskette, daß oberhalb der ewigen Schneegrenze weiße Menſchen ſich dort in den bedenklichſten Lagen ſtets ohne Führer, ja ohne alle Kenntniß der Oertlichkeit befinden. Man iſt hier überall zuerſt. Wir konnten den Gipfel auch auf Augenblicke nicht mehr ſehen, und waren daher doppelt neugierig zu wiſſen, wie viel uns zu erſteigen übrig bleiben möchte. Wir öffneten das Gefäß-Barometer an einem Punkte, wo die Breite des Kamms es erlaubte, daß zwei Perſonen bequem neben einander ſtehen konnten. Wir waren erſt 17,300 Fuß hoch; alſo kaum 200 Fuß höher, als wir drei Monate zuvor, einen ähnlichen Kamm erklimmend, auf dem Antiſana geweſen waren. Es iſt mit Höhenbeſtimmungen bei dem Bergſteigen wie mit Wärme-Beſtimmungen im heißen Sommer: man findet mit Verdruß das Thermometer nicht ſo hoch, den Barometerſtand nicht ſo niedrig, als man es erwartete. Da die Luft, trotz der Höhe, ganz mit Feuchtigkeit geſättigt war, ſo trafen wir nun das loſe Geſtein und den Sand, welcher die Zwiſchenräume deſſelben ausfüllt, überaus naß. Die Luft war noch 2°,8 über dem Gefrierpunkt. Kurz vorher hatten wir an einer trockenen Stelle das Thermometer drei Zoll tief in den Sand eingraben können. Es hielt ſich auf + 5°,8. Das Reſultat dieſer Beobachtung, welche ohngefähr in 17,160 Fuß oder 2860 Toiſen Höhe angeſtellt wurde, iſt ſehr merkwürdig; denn bereits 2400 Fuß tiefer, an der Grenze des ewigen Schnees, iſt nach vielen und ſorgfältig von Bouſſingault und mir geſammelten Beobachtungen die mittlere Wärme der Atmoſphäre nur + 1°,6. Die Temperatur der Erde zu + 5°,8 muß daher der unterirdiſchen Wärme des Doleritberges, ich ſage nicht der ganzen Maſſe, ſondern den aus dem Inneren aufſteigenden Luftſtrömen, zugeſchrieben werden. Nach einer Stunde vorſichtigen Klimmens wurde der Felskamm weniger ſteil, aber leider! blieb der Nebel gleich dick. Wir fingen nun nach und nach an alle an großer Uebelkeit zu leiden. Der Drang zum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbunden, und weit läſtiger als die Schwierigkeit zu athmen. Ein farbiger Menſch (Meſtize aus San Juan) hatte uns bloß aus Gutmüthigkeit, keineswegs aber in eigennütziger Abſicht, nicht verlaſſen wollen. Es war ein kräftiger, armer Landmann, der mehr litt als wir. Wir bluteten aus dem Zahnfleiſch und aus den Lippen. Die Bindehaut (tunica conjunctiva) der Augen war bei allen ebenfalls mit Blut unterlaufen. Dieſe Symptome der Extravaſate in den Augen, des Blutausſchwitzens am Zahnfleiſch und an den Lippen hatten für uns nichts Beunruhigendes, da wir aus mehrmaliger früherer Erfahrung damit bekannt waren. In Europa hat Herr Zumſtein ſchon auf einer weit geringeren Höhe am Monte Roſa zu bluten angefangen. Spaniſche Krieger kamen bei Eroberung der Aequinoktial-Region von Amerika (während der Conquiſta) nicht über die untere Grenze des ewigen Schnees, alſo wenig über die Höhe des Montblanc hinaus; und doch ſpricht ſchon Acoſta in ſeiner Historia natural de las Indias, einer Art phyſiſcher Erdbeſchreibung, die man ein Meiſterwerk des 16. Jahrhunderts nennen kann, umſtändlich von „Uebligkeiten und Magenkrampf“ als ſchmerzhaften Symptomen der Bergkrankheit, welche darin der Seekrankheit analog iſt. Auf dem Vulkan von Pichincha fühlte ich einmal, ohne zu bluten, ein ſo heftiges Magenübel, von Schwindel begleitet, daß ich beſinnungslos auf der Erde gefunden wurde, als ich mich eben auf einer Felsmauer über der Schlucht von Verde-Cuchu von meinen Begleitern getrennt hatte, um elektrometriſche Verſuche an einem recht freien Punkte anzuſtellen. Die Höhe war gering, unter 13,800 Fuß. Am Antiſana aber, auf der beträchtlichen Erhebung von 17,022 Fuß, blutete unſer junger Reiſegefährte Don Carlos Montufar ſehr ſtark aus den Lippen. Alle dieſe Erſcheinungen ſind nach Beſchaffenheit des Alters, der Konſtitution, der Zartheit der Haut, der vorhergegangenen Anſtrengung der Muskelkraft ſehr verſchieden; doch für einzelne Individuen ſind ſie eine Art Maß der Luftverdünnung und abſoluten Höhe, zu welcher man gelangt iſt. Nach meinen Beobachtungen in den Kordilleren zeigen ſie ſich an weißen Menſchen bei einem Barometerſtande zwiſchen 14 Zoll und 15 Zoll 10 Linien. Es iſt bekannt, daß die Angaben der Höhen, zu denen die Luftſchiffer behaupten ſich erhoben zu haben, gewöhnlich wenig Glauben verdienen; und wenn ein ſicherer und überaus genauer Beobachter, Herr Gay-Luſſac, der am 16. September 1804 die ungeheure Höhe von 21,600 Fuß erreichte (alſo zwiſchen den Höhen des Chimborazo und des chileniſchen Aconcagua), kein Bluten erlitt, ſo iſt dies vielleicht dem Mangel an Muskelbewegung zuzuſchreiben. Nach dem jetzigen Stande der Eutiometrie erſcheint die Luft in jenen hohen Regionen ebenſo ſauerſtoffreich als in den unteren; aber da in dieſer dünnen Luft, bei der Hälfte des Barometerdrucks, dem wir gewöhnlich in den Ebenen ausgeſetzt ſind, bei jedem Athemzuge eine geringere Menge Sauerſtoff von dem Blute aufgenommen wird, ſo iſt allerdings begreiflich, wie ein allgemeines Gefühl der Schwäche eintreten kann. Warum dieſe Aſthenie, wie im Schwindel, vorzugsweiſe Uebligkeit und Luſt zum Erbrechen erregt, iſt hier nicht zu erörtern: ſo wenig als zu beweiſen, daß das Ausſchwitzen des Blutes (das Bluten aus Lippen, Zahnfleiſch und Augen), was auch nicht alle Individuen auf ſo großen Höhen erfahren, keineswegs durch Aufhebung eines „mechaniſchen Gegendrucks“ auf das Gefäßſyſtem befriedigend erklärt werden kann. Es wäre vielmehr die Wahrſcheinlichkeit des Einfluſſes zu unterſuchen, welchen ein ſehr verminderter Luftdruck auf Ermüdung bei Bewegung der Beine in ſehr luftdünnen Regionen hervorbringt: da, nach der denkwürdigen Entdeckung zweier geiſtreichen Forſcher, Wilhelm und Eduard Weber, das ſchwebende Bein, am Rumpfe hangend, bloß durch den Druck der atmoſphäriſchen Luft gehalten und getragen wird. Die Nebelſchichten, welche uns hinderten entfernte Gegenſtände zu ſehen, ſchienen plötzlich, trotz der totalen Windſtille, vielleicht durch elektriſche Prozeſſe, zu zerreißen. Wir erkannten einmal wieder, und zwar ganz nahe, den domförmigen Gipfel des Chimborazo. Es war ein ernſter, großartiger Anblick. Die Hoffnung dieſen erſehnten Gipfel zu erreichen belebte unſere Kräfte auf’s Neue. Der Felskamm, welcher nur hier und da mit dünnen Schneeflocken bedeckt war, wurde etwas breiter; wir eilten ſicheren Schrittes vorwärts, als auf einmal eine Art Thalſchlucht von etwa 400 Fuß Tiefe und 60 Fuß Durchmeſſer unſerem Unternehmen eine unüberſteigliche Grenze ſetzte. Wir ſahen deutlich jenſeits des Abgrundes unſern Felskamm in derſelben Richtung fortſetzen; doch zweifle ich, daß er bis zum Gipfel ſelbſt führt. Die Kluft war nicht zu umgehen. Am Antiſana konnte freilich Herr Bonpland nach einer ſehr kalten Nacht eine beträchtliche Strecke des ihn tragenden Schnees durchlaufen. Hier war der Verſuch nicht zu wagen, wegen Lockerheit der Maſſe; auch machte die Form des Abſturzes das Herabklimmen unmöglich. Es war 1 Uhr Mittags. Wir ſtellten mit vieler Sorgfalt das Barometer auf, es zeigte 13 Zoll 112/10 Linien. Die Temperatur der Luft war nun 1°,6 unter dem Gefrierpunkt, aber nach einem mehrjährigen Aufenthalt in den heißeſten Gegenden der Tropenwelt ſchien uns dieſe geringe Kälte erſtarrend. Dazu waren unſere Stiefel ganz von Schneewaſſer durchzogen: denn der Sand, der bisweilen den Grat bedeckte, war mit altem Schnee vermengt. Wir hatten nach der La Place’ſchen Barometer- Formel eine Höhe von 3016 Toiſen, genauer von 18,096 pariſer Fuß, erreicht. Wäre La Condamine’s Angabe der Höhe des Chimborazo, wie ſie auf der noch in Quito, im Jeſuiter-Collegio, aufbewahrten Steintafel aufgezeichnet iſt, die richtige; ſo fehlten uns noch bis zum Gipfel ſenkrecht 1224 Fuß oder die dreimalige Höhe der Peterskirche zu Rom. La Condamine und Bouguer ſagen ausdrücklich, daß ſie am Chimborazo nur bis 14,400 Fuß Höhe gelangt waren; aber am Corazon, einem der maleriſchſten Schneeberge (Nevados) in der nahen Umgebung von Quito, rühmen ſie ſich das Barometer auf 15 Zoll 10 Linien geſehen zu haben. Sie ſagen, dies ſey „ein tieferer Stand, als je ein Menſch bisher habe beobachten können“. An dem oben beſchriebenen Punkte des Chimborazo war der Luftdruck um faſt 2 Zoll geringer; geringer auch als da, wo 16 Jahre ſpäter, 1818, ſich Kapitän Gerard am höchſten im Himalaya-Gebirge, auf dem Tarhigang, erhoben hat. In einer Taucherglocke bin ich in England einem Luftdruck von 45 Zoll faſt eine Stunde lang ausgeſetzt geweſen. Die Flexibilität der menſchlichen Organiſation erträgt demnach Veränderungen im Barometerſtande, die 31 Zoll betragen. Doch ſonderbar möchte die phyſiſche Konſtitution des Menſchengeſchlechts allmählig umgewandelt werden, wenn große kosmiſche Urſachen ſolche Extreme der Luftverdünnung oder Luftverdichtung permanent machten. Wir blieben kurze Zeit in dieſer traurigen Einöde, bald wieder ganz in Nebel gehüllt. Die feuchte Luft war dabei unbewegt. Keine beſtimmte Richtung war in den einzelnen Gruppen dichterer Dunſtbläschen zu bemerken; daher ich nicht ſagen kann, ob auf dieſer Höhe, wie ſo oft auf dem Pic von Teneriffa, der dem tropiſchen Paſſat entgegengeſetzte Weſtwind wehet. Wir ſahen nicht mehr den Gipfel des Chimborazo, keinen der benachbarten Schneeberge, noch weniger die Hochebene von Quito. Wir waren wie in einem Luftballon iſolirt. Nur einige Steinflechten waren uns bis über die Grenze des ewigen Schnees gefolgt. Die letzten kryptogamiſchen Pflänzchen, welche ich ſammelte, waren Lecidea atrovirens (Lichen geographicus Web.) und eine Gyrophora des Acharius, eine neue Species (Gyrophora rugosa), ohngefähr in 16,920 Fuß Höhe. Das letzte Moos, Grimmia longirostris, grünte 2500 Fuß tiefer. Ein Schmetterling (Sphinx) war von Herrn Bonpland in 15,000 Fuß Höhe gefangen worden, eine Fliege ſahen wir noch um 1600 Fuß höher. Den auffallendſten Beweis, daß dieſe Thiere unwillkürlich vom Luftſtrome, der ſich über den erwärmten Ebenen erhebt, in dieſe obere Region der Atmoſphäre gebracht werden, gibt folgende Thatſache. Als Bouſſingault die Silla de Caracas beſtieg, um meine Meſſung des Berges zu wiederholen, ſah er in 8000 Fuß Höhe um Mittag, als dort Weſtwind wehte, von Zeit zu Zeit weißliche Körper die Luft durchſtreichen, die er anfangs für aufſteigende Vögel mit weißem, das Sonnenlicht reflektirendem Gefieder hielt. Dieſe Körper erhoben ſich aus dem Thale von Caracas mit großer Schnelligkeit, und überſtiegen die Gipfel der Silla, indem ſie ſich gegen Nordoſten richteten, wo ſie wahrſcheinlich das Meer erreichten. Einige fielen früher nieder auf den ſüdlichen Abhang der Silla; es waren von der Sonne erleuchtete Grashalme. Bouſſingault ſchickte mir ſolche, die noch Aehren hatten, in einem Briefe nach Paris, wo mein Freund und Mitarbeiter Kunth ſie augenblicklich für die Wilfa tenacissima erkannte, welche im Thal von Caracas wächſt und welche er eben in unſerem Werke: Nova Genera et Species plantarum Americae aequinoctialis, beſchrieben hatte. Ich muß noch bemerken, daß wir keinem Condor auf dem Chimborazo begegneten: dieſem kräftigen Geier, der auf Antiſana und Pichincha ſo häufig iſt und, mit dem Menſchen unbekannt, große Dreiſtigkeit zeigt. Der Condor liebt heitere Luft, um ſeinen Raub oder ſeine Nahrung (denn er gibt todten Thieren den Vorzug) aus der Höhe leichter zu erkennen. Da das Wetter immer trüber und trüber wurde, ſo eilten wir auf demſelben Felsgrate herab, der unſer Aufſteigen begünſtigt hatte. Vorſicht war indeß wegen Unſicherheit des Trittes noch mehr nöthig als im Heraufklimmen. Wir hielten uns nur ſo lange auf, als wir brauchten, Fragmente der Gebirgsart zu ſammeln. Wir ſahen voraus, daß mau uns in Europa oft um „ein kleines Stück vom Chimborazo“ anſprechen würde. Damals war noch keine Gebirgsart in irgend einem Theile von Südamerika benannt worden; man nannte Granit das Geſtein aller hohen Gipfel der Andes. Als wir ungefähr in 17,400 Fuß Höhe waren, fing es an heftig zu hageln. Es waren undurchſichtige, milchweiße Hagelkörner mit koncentriſchen Lagen. Einige ſchienen durch Rotation beträchtlich abgeplattet. Zwanzig Minuten, ehe wir die untere Grenze des ewigen Schnees erreichten, wurde der Hagel durch Schnee erſetzt. Die Flocken waren ſo dicht, daß der Schnee bald viele Zoll tief den Felskamm bedeckte. Wir wären gewiß in große Gefahr gekommen, hätte uns der Schnee auf 18,000 Fuß Höhe überraſcht. Um 2 Uhr und einige Minuten erreichten wir den Punkt, wo unſere Maulthiere ſtanden. Die zurückgebliebenen Eingebornen waren mehr als nöthig um uns beſorgt geweſen. Der Theil unſerer Expedition oberhalb des ewigen Schnees hatte nur 3½ Stunden gedauert, während welcher wir, trotz der Luftverdünnung, nie durch Niederſitzen uns auszuruhen brauchten. Die Dicke des domförmigen Gipfels hat in dieſer Höhe der ewigen Schneegrenze, alſo in 2460 Toiſen Höhe, noch einen Durchmeſſer von 3437 Toiſen, und nahe am höchſten Gipfel, faſt 150 Toiſen unterhalb deſſelben, einen Durchmeſſer von 672 Toiſen. Die letztere Zahl iſt alſo der Durchmeſſer des oberen Theiles des Doms oder der Glocke; die erſtere drückt die Breite aus, in welcher die ganze Schneemaſſe des Chimborazo, in Riobamba Nuevo geſehen, dem Auge erſcheint. Ich habe ſorgfältig mit dem Sextanten die einzelnen Theile des Umriſſes gemeſſen, wie derſelbe ſich in der Hochebene von Tapia gegen das tiefe Blau des Tropenhimmels an einem heitern Tage prachtvoll abhebt. Solche Beſtimmungen dienen dazu, das Volum des Koloſſes zu ergründen, ſo weit es eine Fläche überſteigt, in welcher Bouguer ſeine Verſuche über die Anziehung des Berges gegen das Pendel anſtellte. Ein ausgezeichneter Geognoſt, Herr Pentland, dem wir die geognoſtiſche Kenntniß des Hochlandes von Titicaca verdanken und der, mit vielen trefflichen aſtronomiſchen und phyſikaliſchen Inſtrumenten ausgerüſtet, zweimal das obere Peru (Bolivia) beſuchte, hat mich verſichert, daß mein Bild des Chimborazo gleichſam wiederholt iſt in dem Nevado de Chuquibamba: einem Trachytberge, welcher in der weſtlichen Kordillere, nördlich von Arequipa, 19,680 Fuß (3280 Toiſen) Höhe erreicht. Nächſt dem Himalaya iſt dort, durch die Frequenz hoher Gipfel und durch die Maſſe derſelben, zwiſchen dem 15. und 18. Grade ſüdl. Br., die größte Anſchwellung der uns bekannten Erdoberfläche: ſo weit nämlich dieſe Anſchwellung nicht von der primitiven Form des rotirenden Planeten, ſondern von Erhebung der Bergketten und einzelnen Glocken von Dolerit-, Trachyt- und Albit-Geſtein auf dieſen Bergketten herrührt. Wegen des friſch gefallenen Schnees fanden wir beim Herabſteigen vom Chimborazo die untere Grenze des ewigen Schnees mit den tieferen ſporadiſchen Schneeflecken auf dem nackten, mit Lichenen bedeckten Geſtein und auf der Grasebene (Pajonal) in zufälliger momentaner Verbindung; doch immer war es leicht, die eigentliche perpetuirliche Grenze (damals in 14,820 Fuß oder 2470 Toiſen Höhe) an der Dicke der Schicht und ihrer eigenthümlichen Beſchaffenheit zu erkennen. Ich habe an einem anderen Orte (in einer dem 3. Theile meiner Asie centrale einverleibten Abhandlung über die Urſachen, welche die Krümmung der iſothermen Linien bedingen) gezeigt, daß in der Provinz Quito die Höhen-Unterſchiede der ewigen Schneegrenze an den verſchiedenen Nevados, nach der Geſammtheit meiner Meſſungen, nur um 38 Toiſen oder 228 Fuß ſchwanken; daß die mittlere Höhe ſelbſt zu 14,850 Fuß oder 2475 Toiſen anzurechnen iſt; und daß dieſe Grenze, 16—18° ſüdlicher vom Aequator, in Bolivia, wegen des Verhältniſſes der mittleren Jahres- Temperatur zur mittleren Temperatur der heißeſten Monate, wegen der Maſſe, Ausdehnung und größeren Höhe der umliegenden wärmeſtrahlenden Plateaux, wegen der Trockenheit der Atmoſphäre und wegen des völligen Mangels alles Schneefalles von März bis November, volle 2670 Toiſen hoch liegt. Die untere Grenze des perpethirlichen Schnees, welche keineswegs mit der iſothermen Kurve von 0° zuſammenfällt, ſteigt demnach hier ausnahmsweiſe, ſtatt zu ſinken, indem man ſich vom Aequator entfernt. Aus ganz analogen Urſachen der Wärmeſtrahlung in nahen Hochebenen liegt die Schneegrenze zwiſchen 30°¾ und 31° nördlicher Breite, am nördlichen tübetiſchen Abhange des Himalaya, in 2600 Toiſen Höhe: wenn am ſüdlichen, indiſchen Abhange ſie nur 1950 Toiſen Höhe erreicht. Durch dieſen merkwürdigen Einfluß der Geſtaltung der Erdoberfläche iſt außerhalb der Wendekreiſe ein beträchtlicher Theil von Inner-Aſien von ackerbauenden, mönchiſch regierten, aber doch in Geſittung fortgeſchrittenen Völkern bewohnt, wo unter dem Aequator in Südamerika der Boden mit ewigem Eiſe bedeckt iſt. Wir nahmen unſeren Rückweg nach dem Dorfe Calpi etwas nördlicher als die Lanos de Sisgun, durch den pflanzenreichen Paramo de Pungupala. Schon um 5 Uhr Abends waren wir wieder bei dem freundlichen Pfarrer von Calpi. Wie gewöhnlich, folgte auf den nebelverhüllten Tag der Expedition die heiterſte Witterung. Am 25. Junius erſchien uns in Riobamba Nuevo der Chimborazo in ſeiner ganzen Pracht, ich möchte ſagen in der ſtillen Größe und Hoheit, die der Naturcharakter der tropiſchen Landſchaft iſt. Ein zweiter Verſuch auf dem durch eine Kluft unterbrochenen Kamm wäre gewiß ſo fruchtlos als der erſte ausgefallen, und ſchon war ich mit der trigonometriſchen Meſſung des Vulkans von Tungurahua beſchäftigt. Bouſſingault hat mit ſeinem Freunde, dem engliſchen Obriſt Hall, der bald darauf in Quito ermordet wurde, am 16. December 1831 einen neuen Verſuch gemacht, den Gipfel des Chimborazo zu erreichen: erſt von Mocha und Chillapullu, dann von Arenal aus; alſo auf einem anderen Wege, als den ich mit Bonpland und Don Carlos Montufar betrat. Er mußte das Weiterſteigen aufgeben, als ſein Barometer 13 Zoll 8½ Linien, bei der warmen Luft-Temperatur von + 7°,8, zeigte. Er ſah alſo die unkorrigirte Queckſilberfäule faſt 3 Linien niedriger und war um 64 Toiſen höher als ich gelangt, bis zu 3080 Toiſen. Hören wir ſelbſt dieſen der Andeskette ſo kundigen Reiſenden, der mit großer Kühnheit zuerſt chemiſche Apparate an und in die Krater der Vulkane getragen hat! „Der Weg“, ſagt Bouſſingault, „welchen wir uns in dem letzten Theile unſerer Expedition durch den Schnee bahnten, erlaubte uns nur ſehr langſam vorzuſchreiten; rechts konnten wir uns an einem Felſen feſthalten, links war der Abgrund furchtbar. Wir ſpürten ſchon die Wirkung der Luftverdünnung, und waren gezwungen, uns alle 2—3 Schritte niederzuſetzen. So wie wir uns aber eben geſetzt hatten, ſtanden wir wieder auf; denn unſer Leiden dauerte nur ſo lange, als wir uns bewegten. Der Schnee, den wir betreten mußten, war weich, und lag kaum 3—4 Zoll hoch auf einer ſehr glatten und harten Eisdecke. Wir waren genöthigt Stufen einzuhauen. Ein Neger ging voran, um dieſe Arbeit, die ſeine Kräfte bald erſchöpfte, zu vollziehen. Indem ich bei ihm vorbeigehen wollte, um ihn abzulöſen, glitt ich aus, und wurde glücklicherweiſe von Obriſt Hall und meinem Neger zurückgehalten. Wir befanden uns (ſetzt Herr Bouſſingault hinzu) für einen Augenblick alle drei in der größten Gefahr. Weiterhin ward der Schnee günſtiger; und um 3¾ Uhr Nachmittags ſtanden wir auf dem lang erſehnten Felskamme, der wenige Fuß breit, aber mit Abgründen umgeben war. Hier überzeugten wir uns, daß das Weiterkommen unmöglich ſey. Wir befanden uns an dem Fuße eines Fels-Prismas, deſſen obere Fläche, bedeckt mit einer Kuppe von Schnee, den eigentlichen Gipfel des Chimborazo bildet. Um ſich von der Topographie des ganzen Berges ein richtiges Bild zu machen, denke man ſich eine ungeheure, ſchneebedeckte Felsmaſſe, die von allen Seiten wie durch Strebepfeiler unterſtützt erſcheint. Die Strebepfeiler ſind die Kämme, welche ſich anlegen und (aus dem ewigen Schnee) hervortreten. Der Verluſt eines Phyſikers, wie Bouſſingault, wäre unbeſchreiblich theuer durch den wenigen Gewinn erkauft worden, welchen Unternehmungen dieſer Art den Wiſſenſchaften darbieten können. So lebhaft ich auch vor bereits 30 Jahren den Wunſch ausgeſprochen habe, daß die Höhe des Chimborazo möchte von Neuem ſorgſam trigonometriſch gemeſſen werden, ſo ſchwebt doch noch immer einige Ungewißheit über dem abſoluten Reſultat. Don Jorge Juan und die franzöſiſchen Akademiker geben, nach verſchiedenen Kombinationen derſelben Elemente, oder wenigſtens nach Operationen, die allen gemeinſchaftlich waren, Höhen von 3380 und 3217 Toiſen an: Höhen, welche 978 Fuß, d. i. um 1/20, differiren. Das Ergebniß meiner trigonometriſchen Operation (3350 Toiſen) fällt zwiſchen beide, nähert ſich aber bis auf 1/112 der ſpaniſchen Beſtimmung. Bouguers kleineres Reſultat gründet ſich, theilweiſe wenigſtens, auf die Höhe der Stadt Quito, welche er um 30—40 Toiſen zu gering angibt. Er findet, nach alten Barometer-Formeln ohne Korrektion für die Wärme, 1462 Toiſen: ſtatt 1507 und 1492 Toiſen, die Bouſſingault und ich ſehr übereinſtimmend gefunden haben. Die Höhe, welche ich der Ebene von Tapia gebe, wo ich eine Baſis von 873 Toiſen Länge maß, ſcheint auch ziemlich fehlerfrei zu ſeyn. Ich fand für dieſelbe 1482; und Bouſſingault, in einer ſehr verſchiedenen Jahreszeit, alſo bei anderer Wärme-Abnahme in den auf einander gelagerten Luftſchichten, 1471 Toiſen. Bouguers Operation war dagegen ſehr verwickelt, da er die Höhe der Thalebene zwiſchen der öſtlichen und weſtlichen Andeskette durch ſehr kleine Höhenwinkel der Trachyt-Pyramide von Iliniſſa, in der unteren Küſten-Region bei Nignas gemeſſen, zu ergründen gezwungen war. Der einzige anſehnliche Berg der Erde, für den die Meſſungen jetzt bis [Formel] übereinſtimmen, iſt der Montblanc; denn der Monte Roſa wurde durch vier verſchiedene Reihen von Dreiecken eines vortrefflichen Beobachters, des Aſtronomen Carlini, zu 2319, 2343, 2357 und 2374 Toiſen, von Oriani ebenfalls durch eine Triangulation zu 2390 Toiſen gefunden: Unterſchiede von [Formel] . Die älteſte ausführliche Erwähnung des Chimborazo finde ich bei dem geiſtreichen, etwas ſatyriſchen, italieniſchen Reiſenden Girolamo Benzoni, deſſen Werk 1565 gedruckt ward. Er ſagt, daß ihm die Montagna di Chimbo, welche 40 Miglia hoch ſey, abenteuerlich come una visione erſchien. Die Eingeborenen von Quito wußten lange vor der Ankunft der franzöſiſchen Gradmeſſer, daß der Chimborazo der höchſte aller Schneeberge in der ihnen nahen Gegend ſey. Sie ſahen, daß er am weiteſten über die ewige Schneegrenze hinausreiche. Eben dieſe Betrachtung hatte ſie veranlaßt, den jetzt eingeſtürzten Capac-Urcu für höher als den Chimborazo zu halten. Ueber die geognoſtiſche Beſchaffenheit des Chimborazo füge ich hier nur die allgemeine Bemerkung hinzu, daß, wenn nach den wichtigen Reſultaten, die Leopold von Buch in ſeiner letzten klaſſiſchen Abhandlung über Erhebungs-Krater und Vulkane niedergelegt hat, Trachyt nur feldſpathhaltige, Andeſit nur albithaltende Maſſen genannt werden ſollen, das Geſtein vom Chimborazo beide Namen keineswegs verdient. Daß am Chimborazo Augit die Hornblende erſetze, hat ſchon derſelbe geiſtreiche Geognoſt vor mehr als 20 Jahren bemerkt, als ich ihn aufforderte die von mir heimgebrachten Geſteine der Andeskette genau oryktognoſtiſch zu unterſuchen. Dazu findet mein ſibiriſcher Reiſegefährte, Guſtav Roſe, welcher durch ſeine treffliche Arbeit über die dem Feldſpath verwandten Foſſilien und ihre Aſſociation mit Augit und Hornblende den geognoſtiſchen Unterſuchungen neue Wege geöffnet hat, in allen von mir geſammelten Gebirgsfragmenten des Chimborazo weder Albit, noch Feldſpath. Die ganze Formation dieſes berühmten Gipfels der Andeskette beſteht aus Labrador und Augit: beide Foſſilien in deutlichen Kryſtallen erkennbar. Der Chimborazo iſt, nach der Nomenklatur von Guſtav Roſe, ein Augit- Porphyr, eine Art Dolerit. Auch fehlen ihm Obſidian und Bimsſtein. Hornblende iſt nur ausnahmsweiſe und ſehr ſparſam (in zwei Stücken) erkannt worden. Demnach iſt der Chimborazo, zufolge Leopold von Buchs und Elie de Beaumonts Beſtimmungen, der Gebirgsart des Aetna analog. Neben den Trümmern der alten Stadt Riobamba, drei geographiſche Meilen öſtlich vom Chimborazo, iſt ſchon wahrer Diorit-Porphyr, ein Gemenge von ſchwarzer Hornblende (ohne Augit) und weißem glaſigen Albit anſtehend: ein Geſtein, das an die ſchöne, in Säulen getheilte Maſſe von Piſoje bei Popayan und an den mexikaniſchen Vulkan von Toluca, welchen ich ebenfalls beſtiegen, erinnert. Ein Theil der Stücke von Augit-Porphyr, welche ich am Chimborazo in 18,000 Fuß Höhe auf dem zum Gipfel führenden Felskamm, meiſt in loſen Stücken von 12 — 14 Zoll Durchmeſſer, gefunden habe, iſt kleinzellig porös und von rother Farbe. Dieſe Stücke haben glänzende Zellen. Die ſchwärzeſten ſind bisweilen bimsſteinartig leicht und wie friſch durch Feuer verändert. Sie ſind indeß nicht in Strömen lavaartig gefloſſen, ſondern wahrſcheinlich auf Spalten, an dem Abhange des früher emporgehobenen glockenförmigen Berges, herausgeſchoben. Die ganze Hochebene der Provinz Quito habe ich ſtets als einen einzigen großen vulkaniſchen Herd betrachtet. Tungurahua, Cotopaxi, Pichincha mit ihren Kratern ſind nur verſchiedene Auswege dieſes Herdes. Wenn Vulkanismus im weiteſten Sinn des Wortes alle Erſcheinungen bezeichnet, welche von der Reaktion des Inneren eines Planeten gegen ſeine oxydirte Oberfläche abhangen; ſo iſt dieſer Theil des Hochlandes mehr als irgend ein anderer in der Tropengegend von Südamerika der permanenten Wirkung des Vulkanismus ausgeſetzt. Auch unter den glockenförmigen Augit-Porphyren, welche wie die des Chimboraza keinen Krater haben, toben die vulkaniſchen Mächte. Drei Tage nach unſerer Expedition hörten wir in dem Neuen Riobamba, um 1 Uhr Nachts, ein wüthiges unterirdiſches Krachen (bramido), das von keiner Erſchütterung begleitet war. Erſt drei Stunden ſpäter erfolgte ein heftiges Erdbeben, ohne vorhergehendes Geräuſch. Aehnliche bramidos, — alle, wie man glaubt, vom Chimborazo kommend —, wurden wenige Tage vorher in Calpi vernommen. Dem Bergkoloß noch näher, im Dorfe San Juan, ſind ſie am häufigſten. Solch ein unterirdiſches Krachen erregt die Aufmerkſamkeit der Eingeborenen nicht mehr, als es ein ferner Donner thut aus tiefbewölktem Himmel in unſerer nordiſchen Zone. Dies iſt ein Theil der Beobachtungen, welche ich bei der Beſteigung des Chimborazo geſammelt und aus einem ungedruckten Reiſejournale einfach mitgetheilt habe. Wo die Natur ſo mächtig und groß, und unſer Beſtreben rein wiſſenſchaftlich iſt, kann die Darſtellung jedes Schmuckes der Rede entbehren.