Ueber einen Verſuch, den Gipfel des Chimborazo zu erſteigen. Von Alexander von Humboldt. (Aus: »Kleinere Schriften von Alexander v. Humboldt. Erſter Band.) Die höchſten Berggipfel beider Kontinente: im alten der Kintſchinjinga, der Dhawalagiri (weiße Berg) und der Dſchawahir, im neuen der Aponcagua und der Sahama, ſind bisher von Menſchen erreicht worden. Der höchſte Punkt, zu dem man in beiden Kontinenten auf der Erdoberfläche gelangt iſt, liegt in Südamerika am ſüdöſtlichen Abfalle des Chimborazo; dort ſind Reiſende faſt bis 18.500 Pariſer Fuß, nämlich einmal, im Juni 1802, bis 3016 Toiſen, ein andermal, im Dezember 1831, bis 3080 Toiſen Höhe über der Meeresfläche gelangt. Barometermeſſungen wurden alſo in der Andeskette 3720 Fuß höher als der Gipfel des Montblanc angeſtellt. Die Höhe des Montblanc iſt in Verhältniß zur Geſtaltung der Cordilleren ſo unbeträchtlich, daß in dieſen vielbetretene Wege (Päſſe) höher liegen, ja ſelbſt der obere Theil der großen Stadt Potoſi dem Gipfel des Montblanc nur um 323 Toiſen nachſteht. Ich habe es für nöthig befunden, dieſe wenigen numeriſchen Angaben hier voranzuſchicken, um der Phantaſie beſtimmte Anhaltspunkte für die hypſometriſche plaſtiſche Betrachtung der Erdoberfläche darbieten zu können. Das Erreichen großer Höhen iſt von geringem wiſſenſchaftlichem Intereſſe, wenn dieſelben weit über der Schneegrenze liegen und nur auf wenige Stunden beſucht werden können. Kaum verirren ſich in die dünnen Schichten des Luftkreiſes der Berggeier (Condor) und geflügelte Inſekten, letztere unwillkürlich von Luftſtrömen gehoben. Wenn jetzt ein ernſtes, wiſſenſchaftliches Intereſſe kaum noch der Bemühung reiſender Phyſiker, welche die höhern Gipfel der Erde zu erſteigen ſtreben, geſchenkt wird, ſo hat ſich dagegen im allgemeinen Volksſinne ein reger Antheil an einer ſolchen Bemühung erhalten. Das, was unerreichbar ſcheint, hat eine geheimnißvolle Ziehkraft; man will, daß Alles erſpähet, daß wenigſtens verſucht werde, was nicht errungen werden kann. Der Chimborazo iſt der ermüdende Gegenſtand aller Fragen geweſen, welche ſeit meiner erſten Rückkunft nach Europa an mich gerichtet wurden. Die Ergründung der wichtigſten Naturgeſetze, die lebhafte Schilderung der Pflanzenzonen und der, die Objekte des Ackerbaues beſtimmenden Verſchiedenheit der Klimate, welche ſchichtenweiſe übereinander liegen, waren ſelten fähig, die Aufmerkſamkeit von dem ſchneebedeckten Gipfel abzulenken, welchen man damals (vor Fitz-Roy’s Meſſungen an der ſüdlichen Küſte von Chili und Pentland’s Reiſe nach Bolivia) für den Kulminationspunkt der gangartig ausgedehnten Andeskette hielt. Ich werde hier dem noch ungedruckten Theile meiner Tagebücher die einfache Erzählung einer Bergreiſe entlehnen. Den 22. Juni 1799 war ich im Krater des Pic von Teneriffa geweſen; drei Jahre darauf, faſt an demſelben Tage (den 23. Juni 1802), gelangte ich, 6700 Fuß höher, bis nahe an den Gipfel des Chimborazo. Wir genoſſen mehrere Tage lang auf der mit Bimsſtein bedeckten Ebene, in welcher man (nach dem furchtbaren Erdbeben vom 4. Februar 1797), die neue Stadt Riobamba zu gründen anfing, einer herrlichen Anſicht des glocken- oder domförmigen Gipfels des Chimborazo bei dem heiterſten, eine trigonometriſche Meſſung begünſtigenden Wetter. Durch ein großes Fernrohr hatten wir den noch 15.700 Toiſen entfernten Schneemantel des Berges durchforſcht und mehrere ganz vegetationsleere Felsgrate entdeckt, die, wie ſchmale, ſchwarze Streifen aus dem ewigen Schnee hervorragend, dem Gipfel zuliefen und uns einige Hoffnung gaben, daß man auf ihm in der Schneeregion feſten Fuß würde faſſen können. Riobamba Nuevo liegt im Angeſichte des ungeheuern, jetzt zackigen Gebirgsſtockes Capac-Urcu, von den Spaniern el Altar genannt, der (laut einer Tradition der Eingebornen) einſt höher als der Chimborazo war und nachdem er viele Jahre lang geſpieen, einſtürzte. Dieſes ſchreckenverbreitende Naturereigniß fällt in die Zeit kurz vor der Eroberung von Quito durch den Inca Tupac Yupanqui. Riobamba Nuevo iſt nicht mit dem alten Riobamba der großen Karte von La Condamine und Don Pedro Maldonado zu verwechſeln. Letztere Stadt iſt gänzlich zerſtört worden durch die große Kataſtrophe vom 4. Februar 1797, die in wenigen Minuten über 30.000 Menſchen tödtete. Wir befanden uns in der Ebene von Tapia, aus der wir am 22. Juni unſere Expedition nach dem Chimborazo antraten, ſchon 8898 Pariſer Fuß (1483 Toiſen) hoch über dem Spiegel der Südſee. Dieſe Hochebene, einen Theil des Thalbodens zwiſchen der öſtlichen und weſtlichen Andeskette (der Kette der thätigen Vulkane Cotopari Tungurahua und der Kette der ruhenden: Iliniza und Chimborazo), verfolgten wir ſanft anſteigend bis an den Fuß des letztern Berges, wo wir im indiſchen Dorfe Calpi übernachten ſollten. Sie iſt ſparſam mit Kaktusſtämmen und Pinus mollis, der einer Trauerweide gleicht, bedeckt. Herden buntgefärbter Lamas ſuchen hier zu Tauſenden eine ſparſame Nahrung. Auf einer ſo großen Höhe ſchadet die ſtarke nächtliche Wärmeſtrahlung des Bodens, bei wolkenloſem Himmel, dem Ackerbau durch Erkältung der Luft und Erfrieren der reifenden Saaten. (Fortſetzung folgt.) Ueber einen Verſuch, den Gipfel des Chimborazo zu erſteigen. Von Alexander von Humboldt. (Aus: „Kleinere Schriften von Alexander v Humboldt. Erſter Band.) (Fortſetzung.) Ganz nahe bei Calpi, nordweſtlich von Lican, erhebt ſich in der dürren Hochebene ein kleiner iſolirter Hügel, der ſchwarze Berg, Yana-Urcu. Nach der Tradition der Eingebornen und nach vermeintlichen alten Handſchriften, welche der Cazike oder Apu von Lican, ein Abkömmling der alten Fürſten des Landes (der Conchocandi), ſich zu beſitzen rühmte, iſt der vulkaniſche Ausbruch des Yana-Urcu gleich nach dem Tode des Inca Tupac Yupanqui, alſo wohl in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, erfolgt. Die Tradition ſagt, es ſei eine Feuerkugel oder gar ein Stern vom Himmel gefallen und habe den Berg entzündet. Solche Mythen, welche Aërolithenfälle mit Entzündungen in Verbindung ſetzen, ſind auch unter den mexikaniſchen Völkerſtämmen verbreitet. Der Chimborazo ſendet trotz ſeiner ungeheueren Schneemaſſe ſo waſſerarme Bäche in die Hochebene herab, daß man wohl annehmen kann, der größere Theil ſeiner Waſſer fließe auf Klüften dem Innern zu. Auch in dem Dorfe Calpi ſelbſt hörte man ehedem ein großes Getöſe unter einem Hauſe, das keine Keller hatte. Vor dem furchtbaren Erdbeben vom 4. Februar 1797 entſprang im Südweſten des Dorfes ein Bach an einem tiefern Punkte. Viele Indianer hielten denſelben für einen Theil der Waſſermaſſe, welche unter dem Dana-Urcu fließt. Seit dem großen Erdbeben aber iſt dieſer Bach wiederum verſchwunden. Nachdem wir die Nacht in Calpi, nach meiner Barometermeſſung 9720 Fuß (1620 Toiſen hoch) über dem Meere zugebracht hatten, begannen wir am 23. Morgens unſere eigentliche Expedition nach dem Chimborazo. Wir verſuchten den Berg von der ſüdſüd-öſtlichen Seite zu erſteigen, und die Indianer, welche uns zu Führern dienen ſollten, von denen aber nur wenige je bis zur Grenze des ewigen Schnees gelangt waren, gaben dieſer Richtung des Weges ebenfalls den Vorzug. Wir fanden den Chimborazo mit großen Ebenen, die ſtufenweiſe über einander liegen, umgeben. Zuerſt durchſchnitten wir die Banos de Luiſa; dann, nach einem nicht ſehr ſteilen Anſteigen von kaum 5000 Fuß Länge, gelangten wir in die Hochebene (Llano) vor Gugun. Die erſte Stufe iſt 10.200, die zweite 11.700 Fuß hoch. Dieſe mit Gras bewachſenen Ebenen erreichen alſo, die eine den höchsten Gipfel der Pyrenäen (den Pic Nethou), die andere den Gipfel des Vulkans von Teneriffa. Die vollkommene Göhligkeit (Horizontalität) dieſer Hochebenen läßt auf einen langen Aufenthalt ſtehender Waſſer ſchließen. Man glaubt einen Seeboden zu ſehen. Der Himmel wurde immer trüber, aber zwiſchen und über den Nebelſchichten lagen noch einzelne, deutlich erkennbare Wolkengruppen zerſtreut. Der Gipfel des Chimborazo erſchien auf wenige Augenblicke. Weil in der letzten Nacht viel Schnee gefallen war, ſo verließ ich das Maulthier da, wo wir die untere Grenze dieſes friſchgefallenen Schnees fanden, eine Grenze, die man nicht mit der ewigen Schneegrenze verwechſeln muß. Das Barometer zeigte, daß wir erſt 13.500 Fuß hoch gelangt waren. Auf andern Bergen habe ich, ebenfalls dem Aequator nahe, bis zu 11.200 Fuß Höhe ſchneien ſehen, doch nicht tiefer. Meine Begleiter, Bonpland und Carlos Mentufar, ritten noch bis zur perpetuirlichen Schneegrenze, d. i. bis zur Höhe des Montblanc, der bekanntlich unter dieſer Breite (1° 27′ ſüdl.) nicht immer mit Schnee bedeckt ſein würde. Dort bleiben unſere Pferde und Maulthiere ſtehen, um uns bis zur Rückkunft zu erwarten. Neunhundert Fuß über dem kleinen Waſſerbecken Nana-Cocha ſahen wir endlich anſtehendes nacktes Geſtein. Bis dahin hatte die Grasflur jeder geognoſtiſchen Unterſuchung den Boden entzogen. Große Felsmauern, von Nordoſt nach Südweſt ſtreichend, zum Theil in unförmliche Säulen geſpalten, erhoben ſich aus der ewigen Schneedecke: ein bräunlich ſchwarzes Augitgeſtein, glänzend wie Bechſtein-Porphyr. Die Säulen waren ſehr dünn, wohl 30 bis 60 Fuß hoch, faſt wie die Trachytſäulen des Tablahuma im Vulkan Pichincha. Eine Gruppe ſtand einzeln und erinnerte in der Ferne faſt an Maſten und Baumſtämme. Die ſteilen Mauern führten uns durch die Schneeregion zu einem gegen den Gipfel gerichteten ſchmalen Grat, einem Felskamm, der es uns allein möglich machte, vorzudringen; denn der Schnee war damals ſo weich, daß man faſt nicht wagen konnte, ſeine Oberfläche zu betreten. Der Kamm beſtand aus ſehr verwittertem, bröckligem Geſtein. Er war oft zellig wie ein baſaltartiger Mandelſtein. Der Pfad wurde immer ſchmaler und ſteiler. Die Eingebornen verließen uns alle bis auf einen in der Höhe von 15.600 Fuß. Alle Bitten und Drohungen waren vergeblich. Die Indianer behaupteten, an Athemloſigkeit mehr als wir zu leiden. Wir blieben allein. Bonpland, unſer liebenswürdiger Freund, der jüngere Sohn des Marquis de Selvalegre, Carlos Montufar, der in dem ſpätern Freiheitskampfe (auf General Morillo’s Befehl) erſchoſſen wurde, ein Meſtize aus dem nahen Dorfe San Juan und ich. Wir gelangten mir großer Anſtrengung und Geduld höher als wir hoffen durften, da wir meiſt ganz in Nebel gehüllt blieben. Der Felskamm (im Spaniſchen ſehr bedeutſam Cuchilla, gleichſam Meſſerrücken genannt) hatte oft nur die Breite von 8 bis 10 Zoll. Zur Linken war der Abſturz mit Schnee bedeckt, deſſen Oberfläche durch Froſt wie verglaſt erſchien. Die dünneiſige Spiegelfläche hatte gegen 30° Neigung. Zur Rechten ſenkte ſich unſer Blick ſchaurig in einen 800 oder 1000 Fuß tiefen Abgrund, aus dem ſchneeloſe Felsmaſſen ſenkrecht hervorragten. Wir hielten den Körper immer mehr nach dieſer Seite hin ge- neigt; denn der Abſturz zur Linken ſchien noch gefahrdrohender, weil ſich dort keine Gelegenheit darbot, ſich mit den Händen an zackig vorſtehendem Geſteine feſtzuhalten, und weil dazu die dünne Eisrinde nicht vor dem Unterſinken im lockern Schnee ſicherte. Nur ganz leichte, poröſe Doleritſtücke konnten wir auf dieſer Eisrinde herabrollen laſſen. Die geneigte Schneefläche war ſo ausgedehnt, daß wir die Steine früher aus dem Geſichte verloren, als ſie zur Ruhe kamen. Der Mangel an Schnee ſowohl auf dem Grate, der uns leitete, als auf dem Felſen zu unſerer Rechten gegen Oſten kann weniger der Steilheit der Geſteinmaſſen und dem Windſtoße als offenen Klüften zuzuſchreiben ſein, welche die warme Luft der tiefern Erdſchichten aushauchen. Bald fanden wir das weitere Steigen dadurch ſchwieriger, daß die Bröcklichkeit des Geſteins beträchtlich zunahm. An einzelnen ſehr ſteilen Staffeln mußte man die Hände und Füße zugleich anwenden, wie dies bei allen Alpenreiſen ſo gewöhnlich iſt. Da das Geſtein ſehr ſcharfkantig war, ſo wurden wir, beſonders an den Händen, ſchmerzhaft verletzt. In noch höherm Maße haben wir, Leopold von Buch und ich, nahe am Krater des Obſidianreichen Pics von Teneriffa von dieſen Verletzungen gelitten. Ich hatte dazu (wenn es anders einem Reiſenden erlaubt iſt, ſo unwichtige Einzelheiten zu erwähnen) ſeit mehreren Wochen eine Wunde am Fuße, welche durch die Anhäufung der Niguas (Pulex penetrans) veranlaßt und durch ſeinen Staub von Bimsſtein, bei Meſſungen im Bano de Tapia, ſehr vermehrt worden war. Der geringe Zuſammenhang des Geſteins auf dem Kamme machte nun größere Vorſicht nöthig, da viele Maſſen, welche wir für anſtehend hielten, loſe in Sand gehüllt lagen. Wir ſchritten hintereinander und um ſo langſamer fort, als man die Stellen prüfen mußte, die unſicher ſchienen. Glücklicherweiſe war der Verſuch, den Gipfel des Chimborazo zu erreichen, die letzte unſerer Bergreiſen in Südamerika, daher die früher geſammelten Erfahrungen uns leiten und mehr Zuverſicht auf unſere Kräfte geben konnten. Es iſt ein eigener Charakter aller Exkurſionen in der Andeskette, daß oberhalb der ewigen Schneegrenze weiße Menſchen ſich dort in den bedenklichſten Lagen ſtets ohne Führer, ja ohne alle Kenntniß der Oertlichkeit befinden. Man iſt hier überall zuerſt. (Fortſetzung folgt.) Ueber einen Verſuch, den Gipfel des Chimborazo zu erſteigen. Von Alexander von Humboldt. (Aus: „Kleinere Schriften von Alexander v Humboldt. Erſter Band.) (Fortſetzung.) Wir konnten den Gipfel auch auf Augenblicke nicht mehr ſehen und waren daher doppelt neugierig, zu wiſſen, wie viel uns zu erſteigen übrig bleiben möchte. Wir öffneten das Gefäß-Barometer an einem Punkte, wo die Breite des Kammes es erlaubte, daß zwei Perſonen bequem neben einander ſtehen konnten. Wir waren erſt 17.300 Fuß hoch, alſo kaum 200 Fuß höher, als wir drei Monate zuvor, einen ähnlichen Kamm erklimmend, auf dem Antiſoma geweſen waren. Es iſt mit Höhenbeſtimmungen bei dem Bergſteigen wie mit Wärmebeſtimmungen im heißen Sommer: man findet mit Verdruß das Thermometer nicht ſo hoch, den Barometerſtand nicht ſo niedrig, als man es erwartete. Da die Luft trotz der Höhe ganz mit Feuchtigkeit geſättigt war, ſo trafen wir nun das loſe Geſtein und den Sand, welcher die Zwiſchenräume desſelben ausfüllt, überaus naß. Die Luft war noch 2°,8 über dem Gefrierpunkte. Nach einer Stunde vorſichtigen Klimmens wurde der Felskamm weniger ſteil, aber leider blieb der Nebel gleich dick. Wir fingen nun nach und nach an, Alle an großer Uebelkeit zu leiden. Der Drang zum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbunden und weit läſtiger als die Schwierigkeit zu athmen. Ein farbiger Menſch (Meſtize aus San Juan) hatte uns blos aus Gutmüthigkeit, keineswegs aber in eigennütziger Abſicht nicht verlaſſen wollen. Es war ein kräftiger, armer Landmann, der mehr litt als wir. Wir bluteten aus dem Zahnfleiſche und aus den Lippen. Die Bindehaut (membrana conjunctiva) der Augen war bei Allen ebenfalls mit Blut unterlaufen. Dieſe Symptome der Extravaſate in den Augen, des Blutausſchwitzens am Zahnfleiſche und an den Lippen hatten für uns nichts Beunruhigendes, da wir aus mehrmaliger früherer Erfahrung damit bekannt waren. In Europa hat Herr Zumſtein ſchon auf einer weit geringern Höhe am Monte Roſa zu bluten angefangen. Spaniſche Krieger kamen bei Eroberung der Aequinoktialregion von Amerika (während der Conquiſta) nicht über die untere Grenze des ewigen Schnees, alſo wenig über die Höhe des Montblanc hinaus, und doch ſpricht ſchon Acoſta in ſeiner Historia natural de las Indias, einer Art phyſiſcher Erdbeſchreibung, die man ein Meiſterwerk des ſechzehnten Jahrhunderts nennen kann, umſtändlich von „Ueblichkeiten und Magenkrampf“ als ſchmerzhaften Symptomen der Bergkrankheit, welche darin der Seekrankheit analog iſt. Auf dem Vulkane von Pichincha fühlte ich einmal, ohne zu bluten, ein ſo heftiges Magenübel, von Schwindel begleitet, daß ich beſinnungslos auf der Erde gefunden wurde, als ich mich eben auf einer Felsmauer über der Schlucht von Verde-Cuchu von meinem Begleiter getrennt hatte, um elektrometriſche Verſuche an einem recht freien Punkte anzuſtellen. Die Höhe war gering, unter 13.800 Fuß. Am Antiſana aber, auf der beträchtlichen Erhebung von 17.022 Fuß, blutete unſer junger Reiſegefährte Don Carlos Montufar ſehr ſtark aus den Lippen. Es iſt bekannt, daß die Angaben der Höhen, zu denen die Luftſchiffer behaupten ſich erhoben zu haben, gewöhnlich wenig Glauben verdienen; und wenn ein ſicherer und überaus genauer Beobachter, Herr Gay-Luſſac, der am 16. September 1802 die ungeheuere Höhe von 21.600 Fuß erreichte (alſo zwiſchen den Höhen des Chimborazo und des chileniſchen Aconcagu), kein Bluten erlitt, ſo iſt dies vielleicht dem Mangel an Muskelbewegung zuzuſchreiben. (Schluß folgt.) Ueber einen Verſuch, den Gipfel des Chimborazo zu erſteigen. Von Alexander von Humboldt. (Aus: „Kleinere Schriften von Alexander v Humboldt. Erſter Band.) (Schluß.) Die Nebelſchichten, welche uns hinderten, entfernte Gegenſtände zu ſehen, ſchienen plötzlich trotz der totalen Windſtille, vielleicht durch elektriſche Prozeſſe, zu zerreißen. Wir erkannten einmal wieder, und zwar ganz nahe, den domförmigen Gipfel des Chimborazo. Es war ein ernſter, großartiger Anblick. Die Hoffnung, dieſen erſehnten Gipfel zu erreichen, belebte unſere Kräfte aufs neue. Der Felskamm, welcher nur hie und da mit dünnen Schneeflocken bedeckt war, wurde etwas breiter; wir eilten ſichern Schrittes vorwärts, als auf einmal eine Art Thalſchlucht von etwa 400 Fuß Tiefe und 60 Fuß Durchmeſſer unſerm Unternehmen eine unüberſteigliche Grenze ſetzte. Wir ſahen deutlich jenſeits des Abgrundes unſern Felskamm in derſelben Richtung fortſetzen; doch zweifle ich, daß er bis zum Gipfel ſelbſt führt. Die Kluft war nicht zu umgehen. Es war 1 Uhr Mittags. Wir ſtellten mit vieler Sorgfalt das Barometer auf, es zeigte 13 Zoll 11 [Formel] Linien. Die Temperatur der Luft war nun 1°.6 unter dem Gefrierpunkte, aber nach einem mehrjährigen Aufenthalte in den heißeſten Gegenden der Tropenwelt ſchien uns dieſe geringe Kälte erſtarrend. Dazu waren unſere Stiefel ganz von Schneewaſſer durchzogen; denn der Sand, der bisweilen den Grat bedeckte, war mit altem Schnee vermengt. Wir hatten nach der La Place’ſchen Barometerformel eine Höhe von 3016 Toiſen, genauer von 18.096 Pariſer Fuß, erreicht. Wäre La Condamine’s Angabe der Höhe des Chimborazo, wie ſie auf der noch in Quito im Jeſuiten-Kollegium aufbewahrten Steintafel aufgezeichnet iſt, die richtige, ſo fehlten uns noch bis zum Gipfel ſenkrecht 1224 Fuß oder die dreimalige Höhe der Peterskirche zu Rom. Die Flexibilität der menſchlichen Organiſation erträgt demnach Veränderungen im Barometerſtande, die 13 Zoll betragen. Doch ſonderbar möchte die phyſiſche Konſtitution des Menſchengeſchlechts allmälig umgewandelt werden, wenn große kosmiſche Urſachen ſolche Extreme der Luftverdünnung oder Luftverdichtung permanent machten. Wir blieben kurze Zeit in dieſer traurigen Einöde, bald wieder ganz in Nebel gehüllt. Die feuchte Luft war dabei unbewegt. Keine beſtimmte Richtung war in den einzelnen Gruppen dichterer Dunſtbläschen zu bemerken, daher ich nicht ſagen kann, ob auf dieſer Höhe, wie ſo oft auf dem Pic von Teneriffa, der dem tropiſchen Paſſat entgegengeſetzte Weſtwind weht. Wir ſahen nicht mehr den Gipfel des Chimborazo, keinen der benachbarten Schneeberge, noch weniger die Hochebene von Quito. Wir waren wie in einem Luftballon iſolirt. Nur einige Steinflechten waren uns bis über die Grenze des ewigen Schnees gefolgt. Die letzten kryptogamiſchen Pflänzchen, welche ich ſammelte, waren Leeidea atrovirens (Lichen geographicus). Ein Schmetterling (Sphinx) war von Herrn Bonpland in 15.000 Fuß Höhe gefangen worden, eine Fliege ſahen wir noch um 1600 Fuß höher. Den auffallendſten Beweis, daß dieſe Thiere unwillkürlich vom Luftſtrome, der ſich über den erwärmten Ebenen erhebt, in dieſe obere Region der Atmoſphäre gebracht werden, gibt folgende Thatſache: Als Bouſſingault die Silla de Caracas beſtieg, um meine Meſſung des Berges zu wiederholen, ſah er in 8000 Fuß Höhe um Mittag, als dort Weſtwind wehte, von Zeit zu Zeit weißliche Körper die Luft durchſtreichen, die er anfangs für aufſteigende Vögel mit weißem, das Sonnenlicht reflektirendem Gefieder hielt. Dieſe Körper erhoben ſich aus dem Thale von Caracas mit großer Schnelligkeit und überſtiegen die Gipfel der Silla, indem ſie ſich gegen Nordoſten richteten, wo ſie wahrſcheinlich das Meer erreichten. Einige fielen früher nieder auf den ſüdlichen Abhang der Silla; es waren von der Sonne erleuchtete Grashalme. Bouſſingault ſchickte mir ſolche, die noch Aehren hatten, in einem Briefe nach Paris. Ich muß noch bemerken, daß wir keinem Condor auf dem Chimborazo begegneten, dieſem kräftigen Geier, der auf Antiſana und Pichincha ſo häufig iſt und, mit dem Menſchen unbekannt, große Dreiſtigkeit zeigt. Der Condor liebt heitere Luft, um ſeinen Raub oder ſeine Nahrung (denn er gibt todten Thieren den Vorzug) aus der Höhe leichter zu erkennen. Da das Wetter immer trüber und trüber wurde, ſo eilten wir auf demſelben Felsgrate herab, der unſer Aufſteigen begünſtigt hatte. Vorſicht war indeß wegen Unſicherheit des Trittes noch mehr nöthig als im Heraufklimmen. Wir hielten uns nur ſo lange auf als wir brauchten, Fragmente der Gebirgsart zu ſammeln. Wir ſahen voraus, daß man uns in Europa oft um „ein kleines Stück vom Chimborazo“ anſprechen würde. Damals war noch keine Gebirgsart in irgend einem Theile von Südamerika benannt worden; man nannte Granit das Geſtein aller hohen Gipfel des Andes. Als wir ungefähr in 17.400 Fuß Höhe waren, fing es an heftig zu hageln. Es waren undurchſichtige, milchweiße Hagelkörner mit concentriſchen Lagen. Einige ſchienen durch Rotation beträchtlich abgeplattet. Zwanzig Minuten, ehe wir die untere Grenze des ewigen Schnees erreichten, wurde der Hagel durch Schnee erſetzt. Die Flocken waren ſo dicht, daß der Schnee bald viele Zoll tief den Felskamm bedeckte. Wir wären gewiß in große Gefahr gekommen, hätte uns der Schnee auf 18.000 Fuß Höhe überraſcht. Um zwei Uhr und einige Minuten erreichten wir den Punkt, wo unſere Maulthiere ſtanden. Die zurückgebliebenen Eingebornen waren mehr als nöthig um uns beſorgt geweſen. Der Theil unſerer Expedition oberhalb des ewigen Schnees hatte nur 3½ Stunden gedauert, während welcher wir trotz der Luftveränderung nie durch Niederſitzen uns auszuruhen brauchten. Die Dicke des domförmigen Gipfels hat in dieſer Höhe der ewigen Schneegrenze, alſo in 2460 Toiſen Höhe, noch einen Durchmeſſer von 3437 Toiſen und nahe am höchſten Gipfel, faſt 150 Toiſen unterhalb desſelben, einen Durchmeſſer von 672 Toiſen. Ein ausgezeichneter Geognoſt, Herr Pentland, dem wir die geognoſtiſche Kenntniß des Hochlandes von Titicaca verdanken, und der, mit vielen trefflichen aſtronomiſchen und phyſikaliſchen Inſtrumenten ausgerüſtet, zweimal das obere Peru (Bolivia) beſuchte, hat mich verſichert, daß mein Bild des Chimborazo gleichſam wiederholt iſt in dem Nerado de Chuguibamba, einem Trachytberge, welcher in der weſtlichen Kordillere, nördlich von Arequipa, 19.680 Fuß (3280 Toiſen) Höhe erreicht. Nächſt dem Himalaya iſt dort, durch die Frequenz hoher Gipfel und durch die Maſſe derſelben, zwiſchen dem 15. und 18. Grade ſüdlicher Breite, die größte Anſchwellung der uns bekannten Erdoberfläche, ſo weit nämlich dieſe Anſchwellung nicht von der primitiven Form des rotirenden Planeten, ſondern von Erhebung der Bergketten und einzelnen Glocken von Dolerit-, Trachyt- und Albitgeſtein auf dieſen Bergketten herrührt. Wir nahmen unſern Rückweg nach dem Dorfe Calpi etwas nördlicher als die Llanos de Sisgun, durch den pflanzenreichen Paramo de Pungupala. Schon um fünf Uhr Abends waren wir wieder bei dem freundlichen Pfarrer von Calpi. Wie gewöhnlich folgte auf den nebelverhüllten Tag der Expedition die heiterſte Witterung. Am 25. Juni erſchien uns in Riobamba Nuevo der Chimborazo in ſeiner ganzen Pracht, ich möchte ſagen in der ſtillen Größe und Hoheit, die der Naturcharakter der tropiſchen Landſchaft iſt. Ein zweiter Verſuch auf dem durch eine Kluft unterbrochenen Kamme wäre gewiß ſo fruchtlos als der erſte ausgefallen und ſchon war ich mit der trigonometriſchen Meſſung des Vulkans von Tungurahua beſchäftigt. Bouſſingault hat mit ſeinem Freunde, dem Engliſchen Oberſt Hall, der bald darauf in Quito ermordet wurde, am 16. Dezember 1831 einen neuen Verſuch gemacht, den Gipfel des Chimborazo zu erreichen; erſt von Mocha und Chillapullu, dann von Arenal aus, alſo auf einem anderen Wege, als den ich mit Bonpland und Don Carlos Mentufar betrat. Er mußte das Weiterſteigen aufgeben, als ſein Barometer 13 Zoll 8½ Linie, bei der warmen Lufttemperatur von — 7°.8, zeigte. Er ſah alſo die unkorrigirte Queckſilberſäule faſt 3 Linien niedriger und war um 64 Toiſen höher als ich gelangt, bis zu 3080 Toiſen. Hören wir ſelbſt dieſen der Andeskette ſo kundigen Reiſenden, der mit großer Kühnheit zuerſt chemiſche Apparate an und in die Krater der Vulkane getragen hat: „Der Weg,“ ſagt Bouſſingault, „welchen wir uns in dem letzten Theile unſer Expedition durch den Schnee bahnten, erlaubte uns nur ſehr langſam vorzuſchreiten: rechts konnten wir uns an einen Felſen feſthalten, links war der Abgrund furchtbar. Wir ſpürten ſchon die Wirkung der Luftverdünnung und waren gezwungen, uns alle zwei bis drei Schritte niederzuſetzen. So wie wir uns aber eben geſetzt hatten, ſtanden wir wieder auf; denn unſer Leiden dauerte nur ſo lange, als wir uns bewegten. Der Schnee, den wir betreten mußten, war weich und lag kaum 3 bis 4 Zoll auf einer ſehr glatten und harten Eisdecke. Wir waren genöthigt, Stufen einzuhauen. Ein Neger ging voran, um dieſe Arbeit, die ſeine Kräfte bald erſchöpfte, zu vollziehen. Indem ich bei ihm vorbeigehen wollte, um ihn abzulöſen, glitt ich aus und wurde glücklicherweiſe von Oberſt Hall und meinem Neger zurückgehalten. Wir befanden uns (ſetzt Herr Bouſſingault hinzu) für einen Augenblick alle Drei in der größten Gefahr. Weiterhin war der Schnee günſtiger, und um 3¾ Uhr Nachmittags ſtanden wir auf dem langerſehnten Felskamme, der wenige Fuß breit, aber mit Abgründen umgeben war. Hier überzeugten wir uns, daß das Weiterkommen unmöglich ſei. Wir befanden uns an dem Fuße eines Fels- Prismas, deſſen obere Fläche, bedeckt mit einer Kuppe von Schnee, den eigentlichen Gipfel des Chimborazo bildet. Um ſich von der Topographie des ganzen Berges ein richtiges Bild zu machen, denke man ſich eine ungeheure ſchneebedeckte Felsmaſſe, die von allen Seiten wie durch Strebepfeiler unterſtützt erſcheint. Die Strebepfeiler ſind die Kämme, welche ſich anlegen und (aus dem ewigen Schnee) hervortreten.“ Der Verluſt eines Phyſikers, wie Bouſſingault, wäre unbeſchreiblich theuer durch den wenigen Gewinn erkauft worden, welchen Unternehmungen dieſer Art den Wiſſenſchaften darbieten können. Drei Tage nach unſerer Expedition hörten wir in dem neuen Riobamba, um Ein Uhr Nachts, ein wüthiges, unterirdiſches Krachen (bramido), das von keiner Erſchütterung begleitet war. Erſt drei Stunden ſpäter erfolgte ein heftiges Erdbeben ohne vorhergehendes Geräuſch. Aehnliche bramidos, — alle, wie man glaubt, vom Chimborazo kommend, wurden wenige Tage vorher in Calpi vernommen. Dem Bergkoloß noch näher, im Dorfe San Juan, ſind ſie am häufigſten. Solch ein unterirdiſches Krachen erregt die Aufmerkſamkeit der Eingebornen nicht mehr, als es ein ferner Donner thut aus tiefbewölktem Himmel in unſerer nordiſchen Zone. Dies iſt ein Theil der Beobachtungen, welche ich bei der Beſteigung des Chimborazo geſammelt und aus einem ungedruckten Reiſejournale einfach mitgetheilt habe. Wo die Natur ſo mächtig und groß und unſer Beſtreben rein wiſſenſchaftlich iſt, kann die Darſtellung jedes Schmuckes der Rede entbehren.