Digitale Ausgabe

Download
TEI-XML (Ansicht)
Text (Ansicht)
Text normalisiert (Ansicht)
Ansicht
Textgröße
Originalzeilenfall ein/aus
Zeichen original/normiert
Zitierempfehlung

Alexander von Humboldt: „Zwei Versuche, den Chimborazo zu besteigen“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1837-Ueber_zwei_Versuche-16-neu> [abgerufen am 25.04.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1837-Ueber_zwei_Versuche-16-neu
Die Versionsgeschichte zu diesem Text finden Sie auf github.
Titel Zwei Versuche, den Chimborazo zu besteigen
Jahr 1841
Ort Brünn
Nachweis
in: Jurende’s Vaterländischer Pilger. Geschäfts- und Unterhaltungsbuch für alle Provinzen des österreichischen Kaiserstaates 1842 29 (1841), S. 70–75.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: V.66
Dateiname: 1837-Ueber_zwei_Versuche-16-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 6
Spaltenanzahl: 12
Zeichenanzahl: 30584

Weitere Fassungen
Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen (Stuttgart; Tübingen, 1837, Deutsch)
Über zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen (Berlin, 1836, Deutsch)
On Two Attempts to ascend Chimborazo (Edinburgh, 1837, Englisch)
An account of two attempts to ascend Chimborazo (London, 1837, Englisch)
Mountain Tracks (Birmingham, 1837, Englisch)
[Über zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen] (Leipzig, 1837, Deutsch)
An account of two attempts to ascend Chimborazo (New York City, New York, 1838, Englisch)
An account of two attempts to ascend Chimborazo (New York City, New York, 1838, Englisch)
Two attempts to ascend Chimborazo (London, 1838, Englisch)
Két fölmeneteli próba a’ Chimborazóra (Budapest, 1838, Ungarisch)
Ueber zwei Versuche, den Chimborazo zu besteigen (Stuttgart; Tübingen, 1838, Deutsch)
Notice de deux tentatives d’ascension du Chimborazo (Paris, 1838, Französisch)
Notice sur deux tentatives d’Ascension du Chimborazo (Paris, 1838, Französisch)
Noticia acerca de dos tentativas de subida al monte Chimborazo (Madrid, 1839, Spanisch)
Восхожденiе Александра Гумбольдта на Чимборасо [Voschoždenie Aleksandra Gumbolʹdta na Čimboraso] (Sankt Petersburg, 1840, Russisch)
Zwei Versuche, den Chimborazo zu besteigen (Brünn, 1841, Deutsch)
Ueber einen Versuch, den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen (Wien, 1854, Deutsch)
Versuch den Gipfel des Chimborazo zu ersteingen (Hildburghausen; New York City, New York, 1855, Deutsch)
|70| |Spaltenumbruch|

Zwei Verſuche, den Chimborazo zubeſteigen *).

Die höchſten Berggipfel beider Kontinente, im al-ten der Dhawalagiri (weiße Berg) und der Jawahir(Dſchawahir), im neuen der Sorata und Illimani, ſindbisher noch nie von Menſchen erreicht worden. Derhöchſte Punkt, zu dem man in beiden Kontinenten aufder Erdoberfläche gelangt iſt, liegt in Südamerika amöſtlichen Abfall des Chimborazo. Dort ſind Reiſendefaſt bis 18,500 pariſer Fuß, nämlich einmal im Juni1802 bis 3016 Toiſen (3097 Wien. Klaft.), einander Mal im Dezember 1831 bis 3080 Toiſen(3163 Wien. Klaft.) Höhe über der Meeresfläche ge-langt. Barometermeſſungen wurden alſo in der Andes-kette 3720 Fuß höher, als der Gipfel des Montblancangeſtellt. Die Höhe des Montblanc iſt im Verhältnißder Geſtaltung der Kordilleren ſo unbeträchtlich, daß indieſen vielbetretene Wege (Päſſe) höher liegen, ja ſelbſtder obere Theil der großen Stadt Potoſi dem Gipfeldes Montblanc nur um 323 Toiſen (332 Wien. Klft.)nachſteht. Das Erreichen großer Höhen iſt von geringemwiſſenſchaftlichen Intereſſe, wenn dieſelben weit über derSchneegrenze liegen und nur auf wenige Stunden be-ſucht werden können. Die Natur des Geſteins iſt wegender ewigen Schneedecke der geognoſtiſchen Beobachtungfaſt gänzlich entzogen, da nur einzelne Felsrippen (Gra-the) mit ſehr verwitterten Schichten hervortreten. Dasorganiſche Leben iſt in dieſen hohen Einöden der Erd- |Spaltenumbruch| fläche erſtorben. Kaum verirren ſich in die dünnenSchichten des Luftkreiſes der Berggeier (Coudor) undgeflügelte Inſekten, letztere unwillkürlich von Luftſtrömengehoben. Wenn ein ernſtes, wiſſenſchaftliches Intereſſekaum noch der Bemühung reiſender Phyſiker, welche diehöhern Gipfel der Erde zu erſteigen ſtreben, geſchenktwird, ſo hat ſich dagegen im allgemeinen Volksſinn einreger Antheil an einer ſolchen Bemühung erhalten. Das,was unerreichbar ſcheint, hat eine geheimnißvolle Zieh-kraft; man will, daß Alles erſpähet, daß wenigſtensverſucht werde, was nicht errungen werden kann. DerChimborazo iſt der ermüdende Gegenſtand aller Fragengeweſen, die ſeit meiner erſten Rückkunft nach Europaan mich gerichtet wurden. Die Ergründung der wich-tigſten Naturgeſetze, die lebhafte Schilderung der Pflanzen-zonen und der die Objekte des Ackerbaues beſtimmendenVerſchiedenheit der Klimate, welche ſchichtenweiſe über-einander liegen, waren ſelten fähig, die Aufmerkſamkeitvon dem ſchneebedeckten Gipfel abzulenken, den mandamals für den Kulminationspunkt der gangartig aus-gedehnten Andeskette hielt. Ich werde hier aus dem noch ungedruckten Theilemeiner Tagebücher die einfache Erzählung einer Berg-reiſe ausziehen. Am 22. Juni 1799 war ich im Krater des Pikvon Teneriffa geweſen; drei Jahre darauf, faſt andemſelben Tage (am 23. Juni 1802) gelangte ich6700 Fuß höher, bis nahe an den Gipfel des Chim-borazo. Nach einem langen Aufenthalt in dem Hoch-lande von Quito, einer der wundervollſten und male-riſchſten Gegenden der Erde, unternahmen wir die Reiſenach den Chinawäldern von Loxa, dem obern Laufedes Amazonenſtromes, weſtlich von der berühmten Strom-
*) Schuhmachers aſtronomiſches Jahrbuch, und daraus das Stutt-garter Morgenblatt enthält von Alex. von Humboldt den folgen-den (hier auszugsweiſe mitgetheilten) Aufſatz als Fragment ausſeinen noch ungedruckten Reiſetagebüchern
|71| |Spaltenumbruch| enge (Pongo. de Manſeriche), und durch die ſandigeWüſte längs dem peruaniſchen Ufer der Südſee nachLima, wo der Durchgang des Merkur durch die Sonnen-ſcheibe (am 9. November 1802) beobachtet werdenſollte. Wir genoßen mehre Tage lang auf der mitBimsſtein bedeckten Ebene, in der man (nach dem furcht-baren Erdbeben vom 4. Februar 1797) die neue StadtRiobamba zu gründen anfing, einer herrlichen Anſichtdes glocken- oder domförmigen Gipfels des Chimborazobei dem heiterſten, eine trigonometriſche Meſſung be-günſtigenden Wetter. Durch ein großes Fernrohr hat-ten wir den noch 15,700 Toiſen (16,134 Wien. Kflt.)entfernten Schneemantel des Berges durchforſcht, undmehre Felsgrathe entdeckt, die, wie dürre, ſchwarzeStreifen aus dem ewigen Schnee hervorragend, demGipfel zuliefen und einige Hoffnung gaben, daß manauf ihnen in der Schneeregion feſten Fuß werde faſſenkönnen. Riobamba nuevo liegt im Angeſicht des unge-heuern, jetzt zackigen Gebirgsſtockes Cap ac-Urcu, vonden Spaniern el Altar genannt, der (laut einer Tradi-tion der Eingebornen) einſt höher als der Chimborazowar, und nachdem er viele Jahre lang geſpien, ein-ſtürzte. Wir befanden uns in der Ebene von Tapia,aus der wir am 22. Juni unſere Expedition nach demChimborazo antraten, ſchon 8898 par. Fuß über demSpiegel der Südſee. Dieſe Hochebene, ein Theil desThalbodens zwiſchen der öſtlichen und weſtlichen Andes-kette, verfolgten wir ſanft anſteigend bis an den Fußdes letztern Berges, wo wir im indiſchen Dorfe Calpiübernachten ſollten. Sie iſt ſparſam mit Kakrusſtämmenund Schinus molle, der einer Trauerweide gleicht,bedeckt. Herden buntgefärbter Llamas ſuchen hier zuTauſenden eine ſparſame Nahrung. Auf einer ſo gro-ßen Höhe ſchadet die ſtarke nächtliche Wärme-Ausſtra-lung des Bodens, bei wolkenloſem Himmel, dem Acker-bau durch Erkältung und Froſt.
Der Chimborazo ſendet, trotz ſeiner ungeheuernSchneemaſſe, ſo waſſerarme Bäche in die Hochebeneherab, daß man wohl annehmen kann, der größere Theilſeiner Maſſe fließe auf Klüften dem Innern zu. Auchin dem Dorfe Calpi ſelbſt hörte man ehemals ein gro-ßes Getöſe unter einem Hauſe, das keine Keller hatte.Vor dem berühmten Erdbeben vom 4. Februar 1797entſprang im Südweſten des Dorfes ein Bach an einemtieferen Punkte; ſeit dieſem großen Ereigniß iſt aberdieſer Bach wieder verſchwunden. Nachdem wir dieNacht in Calpi, nach meiner Barometermeſſung 9720Fuß über dem Meere, zugebracht hatten, begannen wiram 23. Morgens unſere eigentliche Expedition nach demChimborazo. Wir verſuchten, den Berg von der ſüd-ſüdöſtlichen Seite zu erſteigen, und die Indianer, dieuns zu Führern dienen ſollten, von denen aber nurwenige je bis zur Grenze des ewigen Schnees gelangt |Spaltenumbruch| waren, gaben dieſer Richtung des Weges ebenfalls denVorzug. Wir fanden den Chimborazo mit großen Ebe-nen, die ſtufenweiſe über einander liegen, umgeben.Zuerſt durchſchritten wir die Llanos de Luiſa, dann,nach einem nicht ſehr ſteilen Anſteigen von kaum 5000Fuß Länge, gelangten wir in die Hochebene (Llano)von Sisgun. Die erſte Stufe iſt 10,200, die zweite11,700 Fuß hoch. Dieſe mit Gras bewachſenen Ebe-nen erreichen alſo die eine den höchſten Gipfel derPyrenäen (den Pik Nethou), die andere den Gipfel desVulkans von Teneriffa. Die vollkommene Söligkeit (Ho-rizontalität) dieſer Hochebenen läßt auf einen langenAufenthalt ſtehender Waſſer ſchließen. Man glaubt, ei-nen Seeboden zu ſehen. An dem Abhange der Schwei-zer Alpen bemerkt man auch bisweilen dieß Phänomenſtufenweiſe über einander liegender kleiner Ebenen, wel-che wie abgelaufene Becken von Alpenſeen jetzt durchenge offene Päſſe verbunden ſind. Die weit ausgedehn-ten Grasfluren ſind am Chimborazo, wie überall um diehohen Gipfel der Andeskette, ſo einförmig, daß die Fa-milie der Gräſer ſelten von Kräutern dikotyledoniſcherPflanzen unterbrochen wird. Es iſt faſt die Steppen-natur, die ich in dem dürren Theile des nördlichen Aſiensgeſehen habe. Die Flora des Chimborazo hat unsüberhaupt minder reich geſchienen, als die Flora derandern Schneeberge, welche die Stadt Quito umgeben. Aus der Hochebene von Sisgun ſteigt man ziem-lich ſteil bis zu einem kleinen Alpenſee (Laguna de Yana-Coche) an. Bis dahin war ich auf dem Maulthiere ge-blieben, und nur von Zeit zu Zeit abgeſtiegen, um mitmeinem Reiſegefährten, Herrn Bonpland, Pflanzenzu ſammeln. Yana-Coche verdient nicht den Namen ei-nes Sees. Es iſt ein zirkelrundes Becken von kaum130 Fuß im Durchmeſſer. Der Himmel wurde immertrüber, aber zwiſchen und über den Nebelſchichten lagennoch einzelne Wolkengruppen zerſtreut. Der Gipfel desChimborazo erſchien auf wenige Augenblicke. Da in derletzten Nacht viel Schnee gefallen war, ſo verließ ichdas Maulthier da, wo wir die untere Grenze dieſesfriſch gefallenen Schnees fanden, eine Grenze, die mannicht mit der ewigen Schneegrenze verwechſeln muß.Das Barometer zeigte, daß wir erſt 13,500 Fuß hochgelangt waren. Auf andern Bergen habe ich, ebenfallsdem Aequator nahe, bis zu 11,200 Fuß Höhe ſchneienſehen, doch nicht tiefer. Meine Begleiter ritten nochbis zur perpetuirlichen Schneegrenze, d. i. bis zur Höhedes Montblanc, der bekanntlich unter dieſer Breite(1° 27′ ſüdl.) nicht immer mit Schnee bedeckt ſeinwürde. Dort blieben unſere Pferde und Maulthiereſtehen, um uns bis zur Rückkunft zu erwarten. 150Toiſen über dem kleinen Waſſerbecken Yana-Coche ſahenwir endlich nacktes Geſtein. Bis dahin hatte die Gras-flur jeder geognoſtiſchen Unterſuchung den Boden entzo- |72| |Spaltenumbruch| gen. Große Felsmauern, von Nordoſt nach Südweſtſtreichend, zum Theil in unförmliche Säulen geſpalten,erhoben ſich aus der ewigen Schneedecke, ein bräunlichſchwarzes Augitgeſtein, glänzend wie Pechſtein-Porphyr.Die Säulen waren ſehr dünn, wohl 30 bis 60 Fußhoch. Eine Gruppe ſtand einzeln und erinnerte in derFerne faſt an Maſten und Baumſtämme. Die ſteilenMauern führten uns durch die Schneeregion zu einemgegen den Gipfel gerichteten ſchmalen Grath, einemFelskamm, der es uns allein möglich machte, vorzudrin-gen, denn der Schnee war damals ſo weich, daß manfaſt nicht wagen konnte, ſeine Oberfläche zu betreten.Der Kamm beſtand aus ſehr verwittertem, bröckligenGeſtein. Es war oft zellig, wie ein baſaltartiger Man-delſtein. Der Pfad wurde immer ſchmaler und ſteiler.Die Eingebornen verließen uns alle bis auf einen inder Höhe von 15,600 Fuß. Alle Bitten und Drohun-gen waren vergeblich. Die Indianer behaupteten, vonAthemloſigkeit mehr als wir zu leiden. Wir bliebenallein; Bonpland, unſer liebenswürdiger Freund, derjüngere Sohn des Marqués de Selvalegre, Carlos Mon-tufar, der in dem ſpätern Freiheitskampfe (auf GeneralMorillos Befehl) erſchoſſen wurde, ein Meſtize aus demnahen Dorfe San Juan und ich. Wir gelangten mitgroßer Anſtrengung und Geduld höher, als wir hoffendurften, da wir meiſt ganz in Nebel gehüllt waren. DerKamm (im Spaniſchen ſehr bedeutſam Chuchilla, gleich-ſam Meſſerrücken, genannt) hatte oft die Breite von 8bis 10 Zoll. Zur Linken war der Abſturz mit Schneebedeckt, deſſen Oberfläche durch Froſt wie verglaſt er-ſchien. Die dünneiſige Spiegelfläche hatte gegen 30 GradNeigung. Zur Rechten ſenkte ſich unſer Blick ſchaurigin einen 800 oder 1000 Fuß tiefen Abgrund, aus demſchneeloſe Felsmaſſen ſenkrecht hervorragten. Wir hiel-ten den Körper immer mehr nach dieſer Seite hin ge-neigt, denn der Abſturz zur Linken ſchien noch gefahr-drohender, weil ſich dort keine Gelegenheit darbot, ſichmit den Händen an zackig vorſtehendem Geſteine feſtzu-halten, und weil dazu die dünne Eisrinde nicht vordem Unterſinken im lockern Schnee ſicherte. Nur gleichleichte, poröſe Doleritſtücke konnten wir auf dieſer Eis-rinde herabrollen laſſen. Die geneigte Schneefläche warſo ausgedehnt, daß wir die Steine früher aus dem Ge-ſichte verloren, als ſie zur Ruhe kamen. Der Mangelan Schnee, ſowohl auf dem Grath, der uns leitete, alsauf den Felſen zu unſerer Rechten gegen Oſten, kannweniger der Steilheit der Geſteinmaſſen und dem Wind-ſtoße, als offenen Klüften zuzuſchreiben ſein, welche diewarme Luft der tieferen Erdſchichten aushauchen. Baldfanden wir das weitere Steigen dadurch ſchwieriger,daß die Bröcklichkeit des Geſteins beträchtlich zunahm.An einzelnen, ſehr ſteilen Staffeln mußte man die Händeund Füße zugleich anwenden, wie dieß bei allen Alpen- |Spaltenumbruch| reiſen ſo gewöhnlich iſt. Da das Geſtein ſehr ſcharf-kantig war, ſo wurden wir beſonders an den Händenſchmerzhaft verletzt. In noch höherem Maße haben wir,Leopold v. Buch und ich, nahe am Krater des obſidi-anreichen Piks von Teneriffa von dieſen Verletzungengelitten. Ich hatte dazu (wenn es anders einem Rei-ſenden erlaubt iſt, ſo unwichtige Einzelnheiten zu erwäh-nen) ſeit mehren Wochen eine Wunde am Fuße, diedurch die Anhäufung der Niguas (Pulex penetrans) *) veranlaßt und durch feinen Staub von Bimsſtein beiMeſſungen im Llano de Tapia ſehr vermehrt wordenwar. Der geringe Zuſammenhang des Geſteins aufdem Kamme machte nun größere Vorſicht nöthig, daviele Maſſen, die wir für anſtehend hielten, loſe in denSand gehüllt lagen. Wir ſchritten hinter einander undum ſo langſamer fort, als man die Stellen prüfenmußte, die unſicher ſchienen. Glücklicherweiſe war derVerſuch, den Gipfel des Chimborazo zu erreichen, dieletzte unſerer Bergreiſen in Südamerika, daher die frü-her geſammelten Erfahrungen uns leiten und mehr Zu-verſicht auf unſere Kräfte geben konnten. Es iſt ein eige-ner Charakter aller Excurſionen in der Andeskette, daßoberhalb der ewigen Schneegrenze weiße Menſchen ſichin den bedenklichſten Lagen ſtets ohne Führer, ja ohnealle Kenntniß der Oertlichkeit befinden. Man iſt hierüberall zuerſt. Wir konnten den Gipfel auch auf Augen-blicke nicht mehr ſehen, und waren daher doppelt neu-gierig, zu wiſſen, wie viel uns zu erſteigen übrig bleibenmöchte. Wir öffneten das Gefäßbarometer an einemPunkte, wo die Breite des Kammes erlaubte, daß zweiPerſonen bequem neben einander ſtehen konnten. Wirwaren erſt 17,300 Fuß hoch, alſo kaum 200 Fußhöher, als wir 3 Monate zuvor, einen ähnlichen Kammerklimmend, auf dem Antiſana geweſen waren. Es iſtmit Höhenbeſtimmungen bei dem Bergſteigen, wie mitWärmebeſtimmungen im heißen Sommer. Man findetmit Verdruß das Thermometer nicht ſo hoch, den Ba-rometerſtand nicht ſo niedrig, als man erwartete. Dadie Luft trotz der Höhe ganz mit Feuchtigkeit geſättigtwar, ſo trafen wir nun das loſe Geſtein und den Sand,der die Zwiſchenräume deſſelben ausfüllt, überaus naß.Die Luft war noch 2,8 Gr. über dem Gefrierpunkt. Kurzvorber hatten wir an einer trockenen Stelle das Ther-mometer 3 Zoll tief in den Sand eingraben können.Es hielt ſich auf † 5,8 Gr. Das Reſultat dieſer Beob-achtung, die ungefähr in 2860 Toiſen Höhe angeſtelltwurde, iſt ſehr merkwürdig, denn bereits 400 Toiſentiefer, an der Grenze des ewigen Schnees, iſt nach vie-len und ſorgfältig von Bouſſingault und mir geſammel-
*) Der Sandfloh, la Chique, der franzöſiſchen Koloniſten von Weſt-indien, ein Inſekt, das ſich unter der Haut des Menſchen ein-gräbt, und da der Eierſack der befruchteten Weibchen beträchtlichanſchwillt, Entzündung erregt.
|73| |Spaltenumbruch| ten Beobachtungen die mittlere Wärme der Atmoſphärenur † 1,6 Gr. Die Temperatur der Erde zu † 5,8 Gr.muß daher der unterirdiſchen Wärme des Doleritberges,ich ſage nicht der ganzen Maſſe, ſondern den aus demInnern aufſteigenden Luftſtrömen zugeſchrieben werden.Nach einer Stunde vorſichtigen Klimmens wurde derFelskamm weniger ſteil, aber leider blieb der Nebelgleich dick. Wir fingen nun nach und nach an, Alle angroßer Uebelkeit zu leiden. Der Drang zum Erbrechenwar mit etwas Schwindel verbunden, und weit läſtiger,als die Schwierigkeit zu athmen. Ein farbiger Menſch(Meſtize aus San Juan) hatte uns bloß aus Gutmü-tigkeit, keineswegs aber in eigennütziger Abſicht, nichtverlaſſen wollen. Er war ein kräftiger, armer Land-mann, der mehr litt, als wir. Wir bluteten aus demZahnfleiſch und aus den Lippen. Die Bindehaut (tunicaconjunctiva) der Augen war bei Allen ebenfalls mitBlut unterlaufen. Dieſe Symptome des Blutaustretensin den Augen, des Blutausſchwitzens am Zahnfleiſch undan den Lippen hatten für uns nichts Beunruhigendes,da wir aus mehrmaliger früherer Erfahrung damit be-kannt waren. In Europa hat Herr Zumſtein ſchonauf einer weit geringern Höhe am Monte Roſa zu blu-ten angefangen. Spaniſche Krieger waren bei Erobe-rung der Aequinoktial-Region von Amerika (während derConquiſta) nicht über die untere Grenze des ewigenSchnees, alſo wenig über die Höhe des Montblanc hin-aus, und doch ſpricht ſchon Acoſta in ſeiner Historianatural de las Indias, einer Art phyſiſcher Erdbe-ſchreibung, umſtändlich von Uebelkeiten und Magenkrampf,als ſchmerzhaften Symptomen der Bergkrankheit, die darinder Seekrankheit analog iſt. Auf dem Vulkan Pichinchafühlte ich einmal, ohne zu bluten, ein ſo heftiges Ma-genübel, von Schwindel begleitet, daß ich beſinnungslosauf der Erde gefunden wurde, als ich mich eben aufeiner Felsmauer über der Schlucht von Verde-Cuchuvon meinen Begleitern getrennt hatte, um elektrometriſcheVerſuche an einem recht freien Punkte anzuſtellen. DieHöhe war gering, unter 13,800 Fuß. Am Antiſana,auf der beträchtlichen Erhebung von 17,022 Fuß aber,blutete unſer junger Reiſegefährte, Don Carlos Montu-far, ſehr ſtark aus den Lippen. Alle dieſe Erſcheinungenſind nach Beſchaffenheit des Alters, der Conſtitution, derZartheit der Haut, der vorhergegangenen Anſtrengungder Muskelkraft ſehr verſchieden, doch für einzelne In-dividuen ſind ſie eine Art Maß der Luftverdünnung undabſoluter Höhe, zu welcher man gelangt iſt. Nach mei-nen Beobachtungen in den Kordilleren zeigen ſie ſich anweißen Menſchen bei einem Barometerſtande zwiſchen14 Zoll und 15 Zoll 10 Lin. Es iſt bekannt, daß dieAngaben der Höhen, zu denen die Luftſchiffer behaupten,ſich erhoben zu haben, gewöhnlich wenig Glauben ver-dienen, und wenn ein ſicherer und überaus genauer |Spaltenumbruch| Beobachter, Herr Gay-Luſſac, der am 16. September1804 die ungeheure Höhe von 21,600 Fuß erreichte(alſo zwiſchen den Höhen des Chimborazo und Illimani),kein Bluten erlitt, ſo iſt dieß vielleicht dem Mangel anMuskelbewegung zuzuſchreiben. Nach dem jetzigen Standeder Eudiometrie erſcheint die Luft in jenen hohen Re-gionen eben ſo ſauerſtoffreich, als in den untern; aberda in dieſer dünnen Luft, bei der Hälfte des Barome-terdrucks, dem wir gewöhnlich in den Ebenen ausgeſetztſind, bei jedem Athemzuge eine geringere Menge Sauer-ſtoff von dem Blute aufgenommen wird, ſo iſt allerdingsbegreiflich, wie ein allgemeines Gefühl der Schwäche eintre-ten kann. Warum dieſe Aſthenie (Schwäche), wie im Schwin-del, vorzugsweiſe Uebelkeit und Luſt zum Erbrechen er-regt, iſt hier nicht zu erörtern, ſo wenig, als zu bewei-ſen, daß das Ausſchwitzen des Blutes (das Bluten ausLippen, Zahnfleiſch und Augen), was auch nicht alleIndividuen auf ſo großen Höhen erfahren, keineswegsdurch Aufhebung eines mechaniſchen Gegendrucks auf dasGefäßſyſtem befriedigend erklärt werden kann. Es wärevielmehr die Wahrſcheinlichkeit des Einfluſſes eines ver-minderten Luftdrucks auf Ermüdung bei Bewegung derBeine in ſehr luftdünnen Regionen zu unterſuchen, da,nach der denkwürdigen Entdeckung zweier geiſtreichen For-ſcher, Wilhelm und Eduard Weber, *) das ſchwebendeBein, am Rumpfe hangend, bloß durch den Druck deratmoſphäriſchen Luft gehalten und getragen wird. — DieNebelſchichten, die uns hinderten, entfernte Gegenſtändezu ſehen, ſchienen plötzlich, trotz der totalen Windſtille,vielleicht durch elektriſche Prozeſſe, zu zerreißen. Wir er-kannten einmal wieder, und zwar ganz nahe, den dom-förmigen Gipfel des Chimborazo. Es war ein ernſter,großartiger Anblick. Die Hoffnung, dieſen erſehnten Gipfelzu erreichen, belebte unſere Kräfte aufs Neue. Der Fels-kamm, der nur hie und da mit dünnen Schneeflocken be-deckt war, wurde etwas breiter, wir eilten ſichern Schrit-tes vorwärts, als auf einmal eine Art Thalſchlucht vonetwa 400 Fuß Tiefe und 60 Fuß Durchmeſſer unſeremUnternehmen eine unüberſteigliche Grenze ſetzte. Wirſahen deutlich jenſeits des Abgrundes unſern Felskammin derſelben Richtung fortſetzen, doch zweifle ich, daß erbis zum Gipfel ſelbſt führt. Die Kluft war nicht zuumgehen. Es war 1 Uhr Mittags. Wir ſtellten mitvieler Sorgfalt das Barometer auf, es zeigte 13 Zoll11\( \frac{2}{10} \) Lin. Die Temperatur der Luft war nur 1,6 Gr.unter dem Gefrierpunkt, aber nach einem mehrjährigenAufenthalt in den heißeſten Gegenden der Tropenweltſchien uns dieſe geringe Kälte erſtarrend. Dazu waren
*) Mechanik der menſchlichen Gehwerkzeuge 1836, § 64, S. 147—160. Neuere, von den Gebrüdern Weber zu Berlin angeſtellteVerſuche haben den Satz: daß das Bein in der Beckenpfannevon dem Druck der atmoſphäriſchen Luft getragen wird, vollkom-men beſtätigt.
|74| |Spaltenumbruch| unſere Stiefeln ganz von Schneewaſſer durchzogen, dennder Sand, der bisweilen den Grath bedeckte, war mitaltem Schnee vermengt. Wir hatten nach der la Place-ſchen Barometer-Formel eine Höhe von 18,097 pariſerFuß (3099 ½ Wien. Klafter) erreicht. Wäre La Con-damine’s Angabe der Höhe des Chimborazo, wie ſie aufder noch in Quito, im Jeſuiten-Collegio, aufbewahrtenSteintafel aufgezeichnet iſt, die richtige, ſo fehlten unsbis zum Gipfel ſenkrecht noch 1224 Fuß oder die drei-malige Höhe der Peterskirche zu Rom. La Condamineund Bouguer ſagen ausdrücklich, daß ſie am Chimborazonur bis zu 2400 Toiſen (2466 Wien. Klaft.) Höhegelangt waren, aber am Corazon, einem der male-riſchſten Schneeberge (Nevados) in der nahen Umgebungvon Quito, rühmen ſie ſich, das Barometer auf 15 Zoll10 Lin. geſehen zu haben. Sie ſagen, dieß ſei ein tie-ferer Stand, als je ein Menſch bisher habe beobachtenkönnen. An dem oben beſchriebenen Punkte des Chim-borazo war der Luftdruck um faſt 2 Zoll geringer, ge-ringer auch, als da, wo 16 Jahre ſpäter, 1818, ſichKapitän Gerard am höchſten im Himalaiagebirge, aufdem Tarhigang, erhoben hat. In einer Taucherglockebin ich in England einem Luftdruck von 45 Zoll faſteine Stunde lang ausgeſetzt geweſen. Die Flexibilitätder menſchlichen Organiſation erträgt demnach Verände-rungen im Barometerſtande, die 31 Zoll betragen. Dochſonderbar möchte die phyſiſche Konſtitution des Men-ſchengeſchlechts allmälich umgewandelt werden, wenngroße kosmiſche Urſachen ſolche Extreme der Luftverdün-nung oder Luftverdichtung permanent machten. Wir blie-ben kurze Zeit in dieſer traurigen Einöde, bald wiederganz in Nebel gehüllt. Die feuchte Luft war dabei un-bewegt. Keine beſtimmte Richtung war in den einzelnenGruppen dichterer Dunſtbläschen zu bemerken. Wirſahen nicht mehr den Gipfel des Chimborazo, keinender benachbarten Schneeberge, noch weniger die Hochebenevon Quito. Wir waren wie in einem Luftballon iſolirt.Nur einige Steinflechten waren uns bis über die Grenzedes ewigen Schnees gefolgt. Die letzten kryptogamiſchenPflänzchen, die ich ſammelte, waren Lecida atrovi-rens (Lichen geographicus, Wrb.) und eine Gy-rophora des Acharius, eine neue Species (Gyrophorarugosa), ungefähr in 2820 Toiſen (2898 Wien. Klaft.)Höhe. Das letzte Moos, Grimmia longirostris, grünte 400 Toiſen tiefer. Ein Schmetterling Sphinx, war von Herrn Bonpland in 15,000 Fuß Höhe gefan-gen worden; ein Fliege ſahen wir noch um 1600 Fußhöher. Den auffallendſten Beweis, daß dieſe Thiere un-willkürlich vom Luftſtrome, der ſich über den erwärmtenBoden erhebt, in dieſe obere Region der Atmoſphäregebracht werden, gibt folgende Thatſache. Als Bouſſin-gault die Silla de Caraccas beſtieg, um meine Meſſungdes Berges zu wiederholen, ſah er in 8000 Fuß Höhe, |Spaltenumbruch| um Mittag, als dort Weſtwind wehte, von Zeit zu Zeitweißliche Körper die Luft durchſtreichen, die er Anfangsfür aufſteigende Vögel mit weißem, das Sonnenlicht re-flektirenden Gefieder hielt. Dieſe Körper erhoben ſichaus dem Thale von Caraccas mit großer Schnelligkeit,und überſtiegen die Gipfel der Silla, indem ſie ſichgegen Nordoſt richteten, wo ſie wahrſcheinlich das Meererreichten. Einige fielen früher nieder auf den ſüdlichenAbhang der Silla; es waren von der Sonne erleuchteteGrashalme. Bouſſingault ſchickte mir ſolche, die nochAehren hatten, in einem Briefe nach Paris, wo meinFreund und Mitarbeiter, Kunth, ſie augenblicklich fürdie Wilfa tenacissima erkannte, welche im Thalvon Caraccas wächſt. Ich muß noch bemerken, daß wirkeinem Condor auf dem Chimborazo begegneten, dieſemkräftigen Geier, der auf dem Antiſana und Pichinchaſo häufig iſt und, mit dem Menſchen unbekannt, großeDreiſtigkeit zeigt. Der Condor liebt heitere Luft, umſeinen Raub oder ſeine Nahrung (denn er gibt todtenThieren den Vorzug) aus der Höhe leichter zu erken-nen. — Da das Wetter immer trüber und trüber wurde,ſo eilten wir auf demſelben Felsgrathe herab, der unſerAufſteigen begünſtigt hatte. Vorſicht war indeß wegenUnſicherheit des Trittes noch mehr nöthig, als im Her-aufklimmen. Wir hielten uns nur ſo lange auf, als wirbrauchten, Fragmente der Gebirgsart zu ſammeln. Wirſahen voraus, daß man uns in Europa oft um ein klei-nes Stück vom Chimborazo anſprechen würde. Als wirungefähr in 17,400 Fuß Höhe waren, fing es an, hef-tig zu hageln. Es waren undurchſichtige, milchweiße Ha-gelkörner mit konzentriſchen Lagen. Einige ſchienen durchRotation beträchtlich abgeplattet: 20 Minuten, ehe wirdie untere Grenze des ewigen Schnees erreichten, wurdeder Hagel durch Schnee erſetzt. Die Flocken waren ſodicht, daß der Schnee bald viele Zoll tief den Felskammbedeckte. Wir wären gewiß in große Gefahr gekommen,hätte uns der Schnee auf 18,000 Fuß Höhe überraſcht.Um 2 Uhr und einige Minuten erreichten wir den Punkt,wo unſere Maulthiere ſtanden. Die zurückgebliebenenEingebornen waren mehr als nöthig um uns beſorgtgeweſen.
Der Theil unſerer Expedition oberhalb des ewigenSchnees hatte nur 3 ½ Stunden gedauert, währendwelchen wir, trotz der Luftverdünnung, nie durch Nieder-ſitzen zu ruhen brauchten. Die Dicke des domförmigenGipfels hat in dieſer Höhe der ewigen Schneegrenze,alſo in 2460 Toiſen (2528 Wien. Klaft.) Höhe, nocheinen Durchmeſſer von 3437 Toiſen (3532 Wien.Klaft.), und nahe am höchſten Gipfel, faſt 150 Toiſenunterhalb demſelben, einen Durchmeſſer von 672 Toiſen.Die letztere Zahl iſt alſo der Durchmeſſer des obernTheiles des Domes oder der Glocke; die erſtere drücktdie Breite aus, in der die ganze Schneemaſſe des |75| |Spaltenumbruch| Chimborazo, in Riobamba unevo geſehen, dem Augeerſcheint. Wir nahmen unſern Rückweg nach dem Dorfe Calpi,etwas nördlicher als die Llanos de Sisgun, durch denpflanzenreichen Paramo de Pungupala. Schon um 5 UhrAbends waren wir wieder bei dem freundlichen Pfarrerin Calpi. Wie gewöhnlich folgte auf den nebelverhüll-ten Tag der Expedition die heiterſte Witterung. Am25. Juni erſchien uns im Riobamba nuevo der Chim-borazo in ſeiner Pracht, ich möchte ſagen in der ſtillenGröße und Hoheit, die der Naturcharakter der tropiſchenLandſchaft iſt. Ein zweiter Verſuch auf dem durch eineKluft unterbrochenen Kamme wäre gewiß ſo fruchtlos,als der erſte ausgefallen. Bonſſingault hat mit ſeinem Freunde, dem engli-ſchen Oberſten Hall, der bald darauf in Quito ermordetwurde, am 16. Dezember 1831 einen neuen Verſuchgemacht, den Gipfel des Chimborazo zu erreichen, erſtvon Mocha und Chillapullu, dann von Arenal aus,alſo auf einem andern Wege, als den ich mit Bonplandund Don Carlos Montufar betrat. Er mußte das Wei-terſteigen aufgeben, als ſein Barometer 13 Zoll 8 ½ L.bei der warmen Luft-Temperatur von † 7,8 Gr. zeigte.Er ſah alſo die unkorrigirte Queckſilberſäule faſt 3 Li-nien niedriger, und war um 64 Toiſen höher gelangt, alsich, bis zu 3080 Toiſen, (3163 W. Klft.) Hören wir ſelbſtdieſen der Andeskette ſo kundigen Reiſenden, der mit gro-ßer Kühnheit zuerſt chemiſche Apparate an und indie Krater der Vulkane getragen hat. »Der Weg,«ſagt Bonſſingault, »den wir uns in dem letzten Theileunſerer Expedition durch den Schnee bahnten, erlaubteuns nur ſehr langſam vorzuſchreiten; rechts konnten wiruns an einen Felſen feſthalten, links war der Abgrundfurchtbar. Wir ſpürten ſchon die Wirkung der Luftver-dünnung, und waren gezwungen, uns alle zwei bis dreiSchritte nieder zu ſetzen. So wie wir uns aber geſetzthatten, ſtanden wir wieder auf, denn unſer Leiden dau-erte nur ſo lange, als wir uns bewegten. Der Schnee,den wir betreten mußten, war weich und lag kaum 3bis 4 Zoll hoch auf einer ſehr glatten und harten Eis-decke. Wir waren genöthigt, Stufen einzuhauen. EinNeger ging voran, um dieſe Arbeit, die ſeine Kräftebald erſchöpfte, zu vollziehen. Indem ich bei ihm vor-beigehen wollte, um ihn abzulöſen, glitt ich aus undwurde glücklicherweiſe vom Oberſt Hall und meinem Ne-ger zurückgehalten. Wir befanden uns,« ſetzt Herr Bouſſin-gault hinzu »für einen Augenblick alle drei in der größ-ten Gefahr. Weiterhin ward der Schnee günſtiger, undum 3¾ Uhr Nachmittags ſtanden wir auf dem langerſehnten Felskamme, der wenige Fuß breit, aber mitAbgründen umgeben war. Hier überzeugten wir unsdaß das Weiterkommen unmöglich ſei. Wir befandenuns am Fuße eines Fels-Prisma, deſſen obere Fläche, |Spaltenumbruch| bedeckt mit einer Kuppe von Schnee, den eigentlichenGipfel des Chimborazo bildet. Um ſich von der Topo-graphie des ganzen Berges ein richtiges Bild zu ma-chen, denke man ſich eine ungeheure ſchneebedeckte Fels-maſſe, die von allen Seiten wie durch Strebepfeiler un-terſtützt erſcheint. Die Strebepfeiler ſind die Kämme,die ſich anlegen und aus dem ewigen Schnee hervor-treten.« Der Verluſt eines Phyſikers wie Bouſſingaultwäre unbeſchreiblich theuer durch den wenigen Gewinnerkauft worden, den Unternehmungen dieſer Art denWiſſenſchaften darbieten können. Der Chimborazo iſt nach der Nomenclatur vonGuſtav Roſe ein Augit-Porphyr, eine Art Dolerit.Es fehlen ihm Obſidian und Bimsſtein. Hornblende iſtnur ausnahmsweiſe und ſehr ſparſam erkannt worden.Der Chimborazo iſt alſo, wie Leopold von Buchs undElie de Beaumonts neueſte Beſtimmungen lehren, derGebirgsart des Aetna analog. Die ganze Hochebene der Provinz Quito iſt ſtetsvon mir als ein großer vulkaniſcher Herd betrachtet wor-den. Tungurahna, Cotopaxi, Pichincha mit ihren Kra-tern ſind nur verſchiedene Auswege dieſes Herdes. WennVulkanismus im weiteſten Sinne des Wortes alle Er-ſcheinungen bezeichnet, die von der Reaktion des Innerneines Planeten gegen ſeine oxydirte Oberfläche abhän-gen, ſo iſt dieſer Theil des Hochlandes mehr als irgendein anderer in der Tropengegend von Südamerika derpermanenten Wirkung des Vulkanismus ausgeſetzt. Auchunter den glockenförmigen Angitporphyren, welche wieder Chimborazo keinen Krater haben, toben die vul-kaniſchen Mächte. Drei Tage nach unſerer Expeditionhörten wir in dem neuen Riobamba um 1 Uhr Nachtsein wütiges unterirdiſches Krachen (bramido), dasvon keiner Erſchütterung begleitet war. Erſt drei Stun-den ſpäter erfolgte ein heftiges Erdbeben, ohne vorher-gehendes Geräuſch. Aehnliche Bramidos, wie man glaubtvom Chimborazo kommend, wurden wenige Tage vorherin Calpi vernommen. Dem Bergkoloß noch näher, imDorfe San Juan, ſind ſie überaus häufig. Sie erre-gen die Aufmerkſamkeit der Eingebornen nicht mehr, alses ein ferner Donner thut aus tiefbewölktem Himmel inunſerer nordiſchen Zone.