Digitale Ausgabe

Download
TEI-XML (Ansicht)
Text (Ansicht)
Text normalisiert (Ansicht)
Ansicht
Textgröße
Zeichen original/normiert
Zitierempfehlung

Alexander von Humboldt: „Ueber zwei Versuche, den Chimborazo zu besteigen“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1837-Ueber_zwei_Versuche-11> [abgerufen am 18.04.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1837-Ueber_zwei_Versuche-11
Die Versionsgeschichte zu diesem Text finden Sie auf github.
Titel Ueber zwei Versuche, den Chimborazo zu besteigen
Jahr 1838
Ort Stuttgart; Tübingen
Nachweis
in: Morgenblatt für gebildete Leser 32:183 (1. August 1838), S. [729]–730; 32:184 (2. August 1838), S. 734–736; 32:185 (3. August 1838), S. 738–739; 32:186 (4. August 1838), S. [741]–742; 32:187 (6. August 1838), S. 746–747; 32:188 (7. August 1838), S. 750–751; 32:189 (8. August 1838), S. 754–755; 32:190 (9. August 1838), S. 758–760.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Trennzeichen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: V.66
Dateiname: 1837-Ueber_zwei_Versuche-11
Statistiken
Seitenanzahl: 18
Spaltenanzahl: 36
Zeichenanzahl: 51323

Weitere Fassungen
Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen (Stuttgart; Tübingen, 1837, Deutsch)
Über zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen (Berlin, 1836, Deutsch)
On Two Attempts to ascend Chimborazo (Edinburgh, 1837, Englisch)
An account of two attempts to ascend Chimborazo (London, 1837, Englisch)
Mountain Tracks (Birmingham, 1837, Englisch)
[Über zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen] (Leipzig, 1837, Deutsch)
An account of two attempts to ascend Chimborazo (New York City, New York, 1838, Englisch)
An account of two attempts to ascend Chimborazo (New York City, New York, 1838, Englisch)
Two attempts to ascend Chimborazo (London, 1838, Englisch)
Két fölmeneteli próba a’ Chimborazóra (Budapest, 1838, Ungarisch)
Ueber zwei Versuche, den Chimborazo zu besteigen (Stuttgart; Tübingen, 1838, Deutsch)
Notice de deux tentatives d’ascension du Chimborazo (Paris, 1838, Französisch)
Notice sur deux tentatives d’Ascension du Chimborazo (Paris, 1838, Französisch)
Noticia acerca de dos tentativas de subida al monte Chimborazo (Madrid, 1839, Spanisch)
Восхожденiе Александра Гумбольдта на Чимборасо [Voschoždenie Aleksandra Gumbolʹdta na Čimboraso] (Sankt Petersburg, 1840, Russisch)
Zwei Versuche, den Chimborazo zu besteigen (Brünn, 1841, Deutsch)
Ueber einen Versuch, den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen (Wien, 1854, Deutsch)
Versuch den Gipfel des Chimborazo zu ersteingen (Hildburghausen; New York City, New York, 1855, Deutsch)
|729| |Spaltenumbruch|

Ueber zwei Verſuche, den Chimborazo zubeſteigen.Von Alexander v. Humboldt.

Das von Schumacher herausgegebene, in derJ. G. Cotta’ſchen Buchhandlung erſcheinende Jahrbuchgibt ſeit drei Jahren allen, welche ſich mit Aſtronomieund Phyſik beſchäftigen, die willkommenſten Hülfsmittelund daneben Aufſätze der ausgezeichnetſten Männer desFaches. Auch Alexander v. Humboldt hat das Unter-nehmen durch einen werthvollen Beitrag, einen Auszugaus ſeinen noch ungedruckten Reiſetagebüchern, wohl-wollend unterſtüzt. Keiner unſerer Gelehrten hat imlaufenden Jahrhundert Deutſchland mehr Ehre gemachtals Humboldt; ſein Name ſteht ſo hoch, daß ſich an alleſeine Forſchungen und Leiſtungen das allgemeinſte Inter-eſſe knüpft. Da nun das Publikum des Jahrbuchs vondem dieſer Blätter ganz verſchieden iſt, ſo glauben wirauf den Dank unſerer Leſer rechnen zu dürfen, wennwir Humboldts „Verſuch einer Beſteigung des Chimbo-razo“ denſelben unverkürzt mittheilen.
Die höchſten Berggipfel beider Continente, im altender Dhawalagiri (weiße Berg) und der Jawahir (Dſcha-|Spaltenumbruch| wahir), im neuen der Sorata und Illimani, ſind bishernoch nie von Menſchen erreicht worden. Der höchſtePunkt, zu dem man in beiden Continenten auf der Erd-oberfläche gelangt iſt, liegt in Südamerika am ſüdöſtlichenAbfall des Chimborazo. Dort ſind Reiſende faſt bis18,500 Pariſer Fuß, nämlich einmal im Junius 1802bis 3016 Toiſen, ein andermal im December 1831 bis3080 Toiſen Höhe über der Meeresfläche gelangt. Baro-metermeſſungen wurden alſo in der Andeskette 3720 Fußhöher als der Gipfel des Montblanc angeſtellt. Die Höhedes Montblanc iſt im Verhältniß der Geſtaltung derCordilleren ſo unbeträchtlich, daß in dieſen vielbetreteneWege (Päſſe) höher liegen, ja ſelbſt der obere Theil dergroßen Stadt Potoſi dem Gipfel des Montblanc nur um323 Toiſen nachſteht. Ich habe es für nöthig gefunden,dieſe wenigen numeriſchen Angaben hier voranzuſchicken,um der Phantaſie beſtimmte Anhaltspunkte für die hypſo-metriſche, gleichſam plaſtiſche Betrachtung der Erdober-fläche darbieten zu können.Das Erreichen großer Höhen iſt von geringem wiſſen-ſchaftlichen Intereſſe, wenn dieſelben weit über der Schnee-grenze liegen und nur auf wenige Stunden beſucht werdenkönnen. Unmittelbare Höhenbeſtimmungen durch dasBarometer gewähren zwar den Vortheil ſchnell zu erhal-tender Reſultate, doch ſind die Gipfel meiſt nahe mitHochebenen umgeben, die zu einer trigonometriſchen|730| |Spaltenumbruch| Operation geeignet ſind, und in denen alle Elemente derMeſſung wiederholt geprüft werden können, währendeine einmalige Beſtimmung mittelſt des Barometers,wegen auf- und abſteigender Luftſtröme am Abhange desGebirgsſtockes und wegen dadurch erzeugter Variation inder Temperaturabnahme, beträchtliche Fehler in den Re-ſultaten erzeugt. Die Natur des Geſteins iſt wegen derewigen Schneedecke der geognoſtiſchen Beobachtung faſtgänzlich entzogen, da nur einzelne Felsrippen (Grathe)mit ſehr verwitterten Schichten hervortreten. Das orga-niſche Leben iſt in dieſen hohen Einöden der Erdflächeerſtorben. Kaum verirren ſich in die dünnen Schichtendes Luftkreiſes der Berggeier (Condor) und geflügelteInſekten, leztere unwillkührlich von Luftſtrömen gehoben.Wenn ein ernſtes, wiſſenſchaftliches Intereſſe kaum nochder Bemühung reiſender Phyſiker, die die höhern Gipfelder Erde zu erſteigen ſtreben, geſchenkt wird, ſo hat ſichdagegen im allgemeinen Volksſinne ein reger Antheil aneiner ſolchen Bemühung erhalten. Das, was unerreich-bar ſcheint, hat eine geheimnißvolle Ziehkraft; man will,daß alles erſpähet, daß wenigſtens verſucht werde, wasnicht errungen werden kann. Der Chimborazo iſt derermüdende Gegenſtand aller Fragen geweſen, die ſeitmeiner erſten Rückkunft nach Europa an mich gerichtetwurden. Die Ergründung der wichtigſten Naturgeſetze,die lebhafteſte Schilderung der Pflanzenzonen und der,die Objekte des Ackerbaues beſtimmenden Verſchiedenheitder Climate, welche ſchichtenweiſe über einander liegen,waren ſelten fähig, die Aufmerkſamkeit von dem ſchnee-bedeckten Gipfel abzulenken, den man damals noch (vorPentlands Reiſe nach Bolivia) für den Culminations-punkt der gangartig ausgedehnten Andeskette hielt.Ich werde hier aus dem noch ungedruckten Theilemeiner Tagebücher die einfache Erzählung einer Bergreiſeausziehen. Das ganze Detail der trigonometriſchenMeſſung, die ich bei dem neuen Riobamba in der Ebenevon Tapia angeſtellt habe, iſt in der Einleitung zu demerſten Bande meiner aſtronomiſchen Beobachtun-gen bald nach meiner Rückkunft bekannt gemacht worden.Die Geographie der Pflanzen an dem Abhange desChimborazo und dem ihm nahen Gebirge (von dem Meer-ufer an bis 14,800 Fuß Höhe), nach Kunths vortrefflichenBeſtimmungen der von Bonpland und mir geſammeltenAlpengewächſe der Cordilleren, habe ich auf einer Tafelmeines geographiſchen und phyſikaliſchen Atlaſ-ſes von Südamerika bildlich darzuſtellen verſucht.Die Geſchichte der Erſteigung ſelbſt, die wenig dra-matiſches Intereſſe darbieten kann, war dem vierten undlezten Bande meiner Reiſe nach den Aequinoctialgegendenvorbehalten. Da aber mein vieljähriger Freund, HerrBouſſingault, jezt Profeſſor der Chemie in Lyon, ei-ner der talentvollſten und gelehrteſten Reiſenden neuerer|Spaltenumbruch| Zeit, vor Kurzem auf meine Bitte ſein dem meinenſehr ähnliches Unternehmen in den Annales de Chimieet de Physique * beſchrieben hat, und da unſere Beobach-tungen ſich gegenſeitig ergänzen, ſo wird dies einfacheFragment eines Tagebuchs, das ich hier bekannt mache,ſich wohl einer nachſichtsvollen Aufnahme zu erfreuenhaben. Aller umſtändlicheren geognoſtiſchen und phyſika-liſchen Discuſſionen werde ich mich vorläufig enthalten.(Die Fortſetzung folgt.)
* ſ. auch Poggendorffs Annalen der Phyſik, Bd. XXXIV.,S. 193—220.
|734| |Spaltenumbruch| |Spaltenumbruch|

Ueber zwei Verſuche, den Chimborazo zubeſteigen.(Fortſetzung.)

Den 22ſten Junius 1799 war ich im Crater desPic von Teneriffa geweſen, drei Jahre darauf, faſt andemſelben Tage (den 23ſten Junius 1802) gelangte ich6700 Fuß höher bis nahe an den Gipfel des Chimborazo.Nach einem langen Aufenthalte in dem Hochlande vonQuito, einer der wundervollſten und maleriſchſten Gegen-den der Erde, unternahmen wir die Reiſe nach denChinawäldern von Lora, dem oberen Laufe des Amazo-nenfluſſes, weſtlich von der berühmten Stromenge (Pongode Manſeriche) und durch die ſandige Wüſte längs demperuaniſchen Ufer der Südſee nach Lima, wo der Durch-gang des Merkur durch die Sonnenſcheibe (am 9tenNovember 1802) beobachtet werden ſollte. Wir genoſſenmehrere Tage lang, auf der mit Bimſtein bedeckten Ebene,in der man (nach dem furchtbaren Erdbeben vom 4tenFebruar 1797) die neue Stadt Riobamba zu gründenanfing, einer herrlichen Anſicht des glocken- oder dom-förmigen Gipfels des Chimborazo bei dem heiterſten,eine trigonometriſche Meſſung begünſtigenden Wetter.Durch ein großes Fernrohr hatten wir den noch 15,700Toiſen entfernten Schneemantel des Berges durchforſchtund mehrere Felsgrathe entdeckt, die, wie dürre, ſchwarzeStreifen aus dem ewigen Schnee hervorragend, demGipfel zuliefen und einige Hoffnung gaben, daß man aufihnen in der Schneeregion feſten Fuß würde faſſen kön-nen. Riobamba Nuevo liegt im Angeſicht des ungeheuren,jezt zackigen Gebirgsſtocks Capac-Urcu, von den Spaniernel Altar genannt, der (laut einer Tradition der Einge-bornen) einſt höher als der Chimborazo war und, nach-dem er viele Jahre lang geſpieen, einſtürzte. DieſesSchrecken verbreitende Naturereigniß fällt in die Zeitkurz vor der Eroberung von Quito durch den IncaTupac-Yupanqui. Riobamba Nuevo iſt nicht mit demalten Riobamba der großen Karte von La Condamineund Don Pedro Maldonado zu verwechſeln. LeztereStadt iſt gänzlich zerſtört worden durch die große Kata-ſtrophe vom 4ten Februar 1797, die in wenigen Minutenüber 45,000 Menſchen tödtete. Das neue Riobamba liegt,nach meiner Chronometerbeſtimmung, 42 Zeitſekundenöſtlicher als das alte Riobamba, aber faſt unter derſelbenBreite (1° 41′ 46″ ſüdlich).|735| |Spaltenumbruch| Wir befanden uns in der Ebene von Tapia, aus derwir am 22ſten Junius unſere Expedition nach dem Chim-borazo antraten, ſchon 8898 Pariſer Fuß * (1483 Toiſen)hoch über dem Spiegel der Südſee. Dieſe Hochebene,ein Theil des Thalbodens zwiſchen der öſtlichen undweſtlichen Andeskette (der Kette der thätigen VulkaneCotopari und Tungurahua und der Kette des Iliniza undChimborazo) verfolgten wir ſanft anſteigend bis an denFuß des leztern Berges, wo wir im indiſchen DorfeCalpi übernachten ſollten. Sie iſt ſparſam mit Cactus-ſtämmen und Schinus molle, der einer Trauerweidegleicht, bedeckt. Heerden buntgefärbter Llamas ſuchenhier zu Tauſenden eine ſparſame Nahrung. Auf einerſo großen Höhe ſchadet die ſtarke nächtliche Wärmeſtrah-lung des Bodens, bei wolkenloſem Himmel, dem Acker-bau durch Erkältung und Froſt. Ehe wir Calpi erreich-ten, beſuchten wir Lican, jezt ebenfalls ein kleines Dorf,aber vor der Eroberung des Landes durch den eilftenInca (denſelben Tupac-Yupanqui, deſſen wohlerhaltenenKörper Garcilaſſo de la Vega noch 1559 in der Familien-gruft zu Cuzco geſehen hatte) eine beträchtliche Stadtund der Aufenthaltsort des Conchocando oder Fürſtender Puruay. Die Eingebornen glauben, daß die kleineZahl wilder Llamas, die man am weſtlichen Abfall desChimborazo findet, nur verwildert ſind und von den,nach der Zerſtörung des alten Lican zerſtreuten undflüchtig gewordenen Heerden abſtammen.Ganz nahe bei Calpi, nordweſtlich von Lican, erhebtſich in der dürren Hochebene ein kleiner iſolirter Hügel, derſchwarze Berg, Yana-Urcu, deſſen Name von denfranzöſiſchen Akademikern nicht genannt worden iſt, deraber in geognoſtiſcher Hinſicht viel Aufmerkſamkeit ver-dient. Der Hügel liegt ſüdſüdöſtlich vom Chimborazo,in weniger als drei Meilen (15 auf 1°) Entfernung undvon jenem Coloſſe nur durch die Hochebene von Luiſagetrennt. Will man in ihm auch nicht einen Seiten-ausbruch dieſes Coloſſes erkennen, ſo iſt der Urſprungdieſes Eruptionskegels doch gewiß den unterirdiſchenMächten zuzuſchreiben, die unter dem Chimborazo Jahr-tauſende lang vergeblich einen Ausweg geſucht haben. Eriſt ſpätern Urſprungs, als die Erhebung des großen,glockenförmigen Berges. Der Yana-Urcu bildet mit demnördlicheren Hügel Naguangachi eine zuſammenhängendeAnhöhe, in Form eines Hufeiſens; der Bogen (mehrals Halbzirkel) iſt gegen Oſten geöffnet. Wahrſcheinlichliegt in der Mitte des Hufeiſens der Punkt, aus demdie ſchwarzen Schlacken ausgeſtoßen worden, die jeztweit umher verbreitet ſind. Wir fanden dort eine trich-terförmige Senkung von etwa 120 Fuß Tiefe, in deren|Spaltenumbruch| Innerem ein kleiner, runder Hügel ſteht, deſſen Höheden umgebenden Rand nicht erreicht. Yana-Urcu heißteigentlich der ſüdliche Culminationspunkt des alten Cra-terrandes, der höchſtens 400 Fuß über der Fläche vonCalvi erhaben iſt. Naguangachi heißt das nördliche nie-dere Ende. Die ganze Anhöhe erinnert durch ihre Huf-eiſenform, aber nicht durch ihr Geſtein an den etwashöheren Hügel Javirac (el Panecillo de Quito), der ſichiſolirt am Fuße des Vulkans Pichincha in der Ebene vonTurubamba erhebt, und der auf La Condamine’s odervielmehr Morainville’s Karte irrig als ein vollkom-mener Kegel abgebildet iſt. Nach der Tradition derEingebornen und nach alten Handſchriften, welche derCacike oder Apu von Lican, ein Abkömmling der altenFürſten des Landes (der Conchocandi) beſaß, iſt dervulkaniſche Ausbruch des Yana-Urcu gleich nach demTode des Inca Tupa-Yupanqui, alſo wohl in der Mittedes fünfzehnten Jahrhunderts, erfolgt. Die Traditionſagt, es ſey eine Feuerkugel oder gar ein Stern vomHimmel gefallen und habe den Berg entzündet. SolcheMythen, welche Aerolithenfälle mit Entzündungen inVerbindung ſetzen, ſind auch unter den mexikaniſchenVölkerſtämmen verbreitet.Das Geſtein des Yana-Urcu iſt eine poröſe, dunkelnelkenbraune, oft ganz ſchwarze ſchlackige Maſſe, die manleicht mit poröſem Baſalt verwechſeln kann. Olivin fehltgänzlich daran. Die weißen, ſehr ſparſam darin liegen-den Kryſtalle ſind überaus klein und wahrſcheinlich Labra-dor. Hier und da ſah ich Schwefelkies eingeſprengt.Das Ganze gehört wohl dem ſchwarzen Augit-Porphyran, wie die ganze Formation des Chimborazo, von derwir unten reden werden, und der ich nicht den NamenTrachyt geben mag, da ſie keinen Feldſpath (mit etwasAlbit), wie unſer Trachyt des Siebengebirges bei Bonn,enthält. Die ſchlackenartigen, durch ein ſehr thätigesFeuer veränderten Maſſen des Yana-Urcu ſind zwarüberaus leicht, aber eigentlicher Bimſtein iſt dort nichtausgeworfen worden. Der Ausbruch iſt durch eine graue,unregelmäßig geſchichtete Maſſe von Dolerit geſchehen,der hier die Hochebene bildet und dem Geſtein vonPenipe (am Fuß des Vulkans von Tungurahua) ähnlichiſt, wo Syenit und granathaltiger Glimmerſchiefer durch-brochen worden ſind. Am öſtlichen Abhange des Yana-Urcu, oder vielmehr am Fuß des Hügels gegen Lican zu,führten uns die Eingebornen an einen vorſpringendenFels, an dem eine Oeffnung dem Mundloch eines ver-fallenen Stollens glich. Man hört hier und auch ſchonin zehn Fuß Entfernung ein heftiges unterirdiſches Ge-töſe, das von einem Luftſtrome oder unterirdiſchen Windebegleitet iſt. Die Luftſtrömung iſt viel zu ſchwach, umihr allein das Getöſe zuzuſchreiben. Lezteres entſtehtgewiß durch einen unterirdiſchen Bach, der in eine tiefere
* Alſo 2890 Meter; Bouſſingault fand 2870 Meter, undnach der Erdwärme die mittlere Temperatur der Hochebenevon Tapia 16°,4 C.
|736| |Spaltenumbruch| Höhle herabſtürzt und durch ſeinen Fall die Luftbewegungerregt. Ein Mönch, Pfarrer in Calpi, hatte in derſel-ben Meinung den Stollen auf einer offenen Kluft vorlanger Zeit angeſezt, um ſeinem Dorfe Waſſer zu ver-ſchaffen. Die Härte des ſchwarzen Augitgeſteins hatwahrſcheinlich die Arbeit unterbrochen.
(Die Fortſetzung folgt.)
|Spaltenumbruch| |738| |Spaltenumbruch|

Ueber zwei Verſuche, den Chimborazo zubeſteigen.(Fortſetzung.)

Der Chimborazo ſendet, trotz ſeiner ungeheurenSchneemaſſe, ſo waſſerarme Bäche in die Hochebene her-|Spaltenumbruch| ab, daß man wohl annehmen kann, der größere Theilſeiner Waſſer fließe auf Klüften dem Innern zu. Auchin dem Dorfe Calpi ſelbſt hörte man ehemals ein großesGetöſe unter einem Hauſe, das keine Keller hatte. Vordem berühmten Erdbeben vom 4ten Februar 1797 ent-ſprang im Südweſten des Dorfes ein Bach an einemtieferen Punkte. Viele Indianer hielten denſelben füreinen Theil der Waſſermaſſe, die unter dem Yana-Urcufließt. Seit dem großen Erdbeben iſt aber dieſer Bachwiederum verſchwunden.Nachdem wir die Nacht in Calpi, nach meiner Ba-rometermeſſung 9720 Fuß (1620 Toiſen) hoch über demMeere zugebracht hatten, begannen wir am 23ſten Mor-gens unſere eigentliche Expedition nach dem Chimborazo.Wir verſuchten den Berg von der ſüdſüdöſtlichen Seitezu erſteigen, und die Indianer, die uns zu Führerndienen ſollten, von denen aber nur wenige je bis zurGrenze des ewigen Schnees gelangt waren, gaben dieſerRichtung des Weges ebenfalls den Vorzug. Wir fandenden Chimborazo mit großen Ebenen, die ſtufenweiſe übereinander liegen, umgeben. Zuerſt durchſchritten wir dieLlanos de Luiſa, dann, nach einem nicht ſehr ſteilen An-ſteigen von kaum 5000 Fuß Länge, gelangten wir in dieHochebene (Llano) von Sisgun. Die erſte Stufe iſt10,200, die zweite 11,700 Fuß hoch. Dieſe mit Grasbewachſenen Ebenen erreichen alſo die eine den höchſtenGipfel der Pyrenäen (den Pic Nethou), die andere denGipfel des Vulkans von Teneriffa. Die vollkommeneSöligkeit (Horizontalität) dieſer Hochebenen läßt aufeinen langen Aufenthalt ſtehender Waſſer ſchließen. Manglaubt einen Seeboden zu ſehen. An dem Abhange derSchweizer Alpen bemerkt man bisweilen auch dies Phä-nomen ſtufenweiſe über einander liegender kleinen Ebenen,welche wie abgelaufene Becken von Alpenſeen jezt durchenge, offene Päſſe verbunden ſind. Die weit ausgedehn-ten Grasfluren (los Pajonales) ſind am Chimborazo, wieüberall um die hohen Gipfel der Andeskette, ſo ein-förmig, daß die Familie der Gräſer (Arten von Paspa-lum, Andropogon, Bromus, Dejeuxia, Stipa) ſelten vonKräutern dicotyledoniſcher Pflanzen unterbrochen werden.Es iſt faſt die Steppennatur, die ich in dem dürrenTheile des nördlichen Aſiens geſehen habe. Die Florades Chimborazo hat uns überhaupt minder reich geſchie-nen als die Flora der andern Schneeberge, welche dieStadt Quito umgeben. Nur wenige Calceolarien, Com-poſiten (Bidens, Eupatorium, Dumerilia paniculata,Werneria nubigena) und Gentianen, unter denen dieſchöne Gentiana cernua mit purpurrothen Blüthen her-vorleuchtet, erheben ſich in der Hochebene von Sisgunzwiſchen den geſellig wachſenden Gräſern. Dieſe gehören,der größten Zahl nach, nordeuropäiſchen Geſchlechternan. Die Lufttemperatur, die gewöhnlich in dieſer Region|739| |Spaltenumbruch| der Alpengräſer (in 1600 und 2000 Toiſen Höhe) herrſcht,ſchwankt bei Tage zwiſchen 4° und 16° Ct., bei Nachtzwiſchen 0° und 10°. Die mittlere Temperatur des gan-zen Jahres ſcheint für die Höhe von 1800 Toiſen, nachden von mir in der Nähe des Aequators geſammeltenBeobachtungen, ohngefähr 9° zu ſeyn. * In dem Flach-lande der temperirten Zone iſt dies die mittlere Tempe-ratur des nördlichen Deutſchlands, z. B. von Lüneburg(Breite 53° 15′), wo aber die Wärmevertheilung unterdie einzelnen Monate (das wichtigſte Element zur Be-ſtimmung des Vegetationscharakters einer Gegend) ſoungleich iſt, daß der Februar — 1°,8, der Julius + 18°mittlerer Wärme hat.Mein Plan war, in der ſchönen, ganz ebenen Gras-flur von Sisgun eine trigonometriſche Operation anzu-ſtellen. Ich hatte mich dazu vorbereitet, dort eineStandlinie zu meſſen. Die Höhenwinkel wären ſehr be-trächtlich ausgefallen, da man dem Gipfel des Chimborazonahe iſt. Es blieb nur noch eine ſenkrechte Höhe vonweniger als 8400 Fuß (eine Höhe wie der Canigou inden Pyrenäen) zu beſtimmen übrig. Bei der ungeheurenMaſſe der einzelnen Berge in der Andeskette iſt dochjede Beſtimmung der Höhe über der Meeresfläche auseiner barometriſchen und trigonometriſchen zuſammenge-ſezt. Ich hatte den Sextanten und andere Meßinſtru-mente vergeblich mitgenommen: der Gipfel des Chimbo-razo blieb in dichten Nebel gehüllt. — Aus der Hochebenevon Sisgun ſteigt man ziemlich ſteil bis zu einem kleinenAlpenſee (Laguna de Yana-Coche) an. Bis dahin warich auf dem Maulthiere geblieben und nur von Zeit zuZeit abgeſtiegen, um mit meinem Reiſegefährten, HerrnBonpland, Pflanzen zu ſammeln. Yana-Coche verdientnicht den Namen eines Sees. Es iſt ein cirkelrundesBecken von kaum 130 Fuß Durchmeſſer. Der Himmelwurde immer trüber, aber zwiſchen und über den Nebel-ſchichten lagen noch einzelne Wolkengruppen zerſtreut.Der Gipfel des Chimborazo erſchien auf wenige Augen-blicke. Da in der lezten Nacht viel Schnee gefallen war,ſo verließ ich das Maulthier da, wo wir die untereGrenze dieſes friſchgefallenen Schnees fanden, eineGrenze, die man nicht mit der ewigen Schneegrenzeverwechſeln muß. Das Barometer zeigte, daß wir erſt13,500 Fuß hoch gelangt waren. Auf andern Bergenhabe ich, ebenfalls dem Aequator nahe, bis zu 11,200Fuß Höhe ſchneien ſehen, doch nicht tiefer. Meine Be-gleiter ritten noch bis zur perpetuirlichen Schneegrenze,das iſt bis zur Höhe des Montblanc, der bekanntlichunter dieſer Breite (1° 27′ ſüdl.) nicht immer mit Schneebedeckt ſeyn würde. Dort blieben unſere Pferde und|Spaltenumbruch| Maulthiere ſtehen, um uns bis zur Rückkunft zuerwarten.Ein hundert und fünfzig Toiſen über dem kleinenWaſſerbecken Yana-Coche ſahen wir endlich nacktes Ge-ſtein. Bis dahin hatte die Grasflur jeder geognoſtiſchenUnterſuchung den Boden entzogen. Große Felsmauern,von Nordoſt nach Südweſt ſtreichend, zum Theil in un-förmliche Säulen geſpalten, erhoben ſich aus der ewigenSchneedecke, ein bräunlich ſchwarzes Augitgeſtein, glän-zend wie Pechſtein-Porphyr. Die Säulen waren ſehrdünn, wohl 30 bis 60 Fuß hoch, faſt wie die Trachyt-Säulen des Tabla-Uma am Vulkan Pichincha. EineGruppe ſtand einzeln und erinnerte in der Ferne faſt anMaſten- und Baumſtämme. Die ſteilen Mauern führtenuns, durch die Schneeregion, zu einem gegen den Gipfelgerichteten ſchmalen Grath, einem Felskamm, der esuns allein möglich machte, vorzudringen, denn der Schneewar damals ſo weich, daß man faſt nicht wagen konnte,ſeine Oberfläche zu betreten. Der Kamm beſtand ausſehr verwittertem, bröckligen Geſtein. Es war oft zellig,wie ein baſaltartiger Mandelſtein.(Die Fortſetzung folgt.)
* Alle Temperaturen ſind in dieſem Aufſatze nach Gradendes hunderttheiligen Thermometers ausgedrückt.
|741| |Spaltenumbruch|

Ueber zwei Verſuche, den Chimborazo zubeſteigen.(Fortſetzung.)

Der Pfad wurde immer ſchmaler und ſteiler. DieEingebornen verließen uns alle bis auf einen in der Höhevon 15,600 Fuß. Alle Bitten und Drohungen warenvergeblich. Die Indianer behaupteten, von Athemloſigkeitmehr als wir zu leiden. Wir blieben allein, Bonpland,unſer liebenswürdiger Freund, der jüngere Sohn desMarquès de Selvalegre, Carlos Montufar,der in dem ſpäteren Freiheitskampfe (auf General Mo-rillos Befehl) erſchoſſen wurde, ein Meſtize aus demnahen Dorfe San Juan und ich. Wir gelangten mitgroßer Anſtrengung und Geduld höher als wir hoffendurften, da wir meiſt ganz in Nebel gehüllt waren. DerKamm (im Spaniſchen ſehr bedeutſam Cuchilla, gleich-ſam Meſſerrücken genannt) hatte oft nur die Breite vonacht bis zehn Zoll. Zur Linken war der Abſturz mitSchnee bedeckt, deſſen Oberfläche durch Froſt wie verglasterſchien. Die dünneiſige Spiegelfläche hatte gegen 30° Nei-gung. Zur Rechten ſenkte ſich unſer Blick ſchaurig in einenachthundert oder tauſend Fuß tiefen Abgrund, aus demſchneeloſe Felsmaſſen ſenkrecht hervorragten. Wir hielten|Spaltenumbruch| den Körper immer mehr nach dieſer Seite hin geneigt,denn der Abſturz zur Linken ſchien noch gefahrdrohender,weil ſich dort keine Gelegenheit darbot, ſich mit den Händenan zackig vorſtehendem Geſteine feſtzuhalten, und weil dazudie dünne Eisrinde nicht vor dem Unterſinken im lockerenSchnee ſicherte. Nur ganz leichte, poröſe Doleritſtückekonnten wir auf dieſer Eisrinde herabrollen laſſen. Diegeneigte Schneefläche war ſo ausgedehnt, daß wir dieSteine früher aus dem Geſichte verloren, als ſie zurRuhe kamen. Der Mangel an Schnee ſowohl auf demGrath, die uns leitete, als auf den Felſen zu unſererRechten gegen Oſten, kann weniger der Steilheit derGeſteinmaſſen und dem Windſtoße, als offenen Klüftenzuzuſchreiben ſeyn, welche die warme Luft der tiefernErdſchichten aushauchen. Bald fanden wir das weitereSteigen dadurch ſchwieriger, daß die Bröcklichkeit desGeſteins beträchtlich zunahm. An einzelnen ſehr ſteilenStaffeln mußte man die Hände und Füße zugleich an-wenden, wie dies bei allen Alpenreiſen ſo gewöhnlich iſt.Da das Geſtein ſehr ſcharfkantig war, ſo wurden wir,beſonders an den Händen, ſchmerzhaft verlezt. In nochhöherem Maße haben wir, Leopold von Buch undich, nahe am Crater des obſidianreichen Pics von Tene-riffa von dieſen Verletzungen gelitten. Ich hatte dazu(wenn es anders einem Reiſenden erlaubt iſt, ſo unwich-tige Einzelnheiten zu erwähnen) ſeit mehreren Wochen|742| |Spaltenumbruch| eine Wunde am Fuße, die durch die Anhäufung derNiguas * (Pulex penetrans) veranlaßt und durch feinenStaub von Bimſtein, bei Meſſungen im Llano de Tapia,ſehr vermehrt worden war. Der geringe Zuſammenhangdes Geſteins auf dem Kamm machte nun größere Vor-ſicht nöthig, da viele Maſſen, die wir für anſtehendhielten, loſe in Sand gehüllt lagen. Wir ſchritten hintereinander und um ſo langſamer fort, als man die Stellenprüfen mußte, die unſicher ſchienen. Glücklicherweiſewar der Verſuch, den Gipfel des Chimborazo zu erreichen,die lezte unſerer Bergreiſen in Südamerika, daher diefrüher geſammelten Erfahrungen uns leiten und mehrZuverſicht auf unſere Kräfte geben konnten. Es iſt eineigener Charakter aller Excurſionen in der Andeskette,daß oberhalb der ewigen Schneegrenze weiße Menſchenſich in den bedenklichſten Lagen ſtets ohne Führer, ja ohnealle Kenntniß der Oertlichkeit befinden. Man iſt hierüberall zuerſt.Wir konnten den Gipfel auch auf Augenblicke nichtmehr ſehen, und waren daher doppelt neugierig, zuwiſſen, wie viel uns zu erſteigen übrig bleiben möchte.Wir öffneten das Gefäßbarometer an einem Punkte, wodie Breite des Kamms erlaubte, daß zwei Perſonen be-quem neben einander ſtehen konnten. Wir waren erſt17,300 Fuß hoch, alſo kaum zweihundert Fuß höher, alswir drei Monate zuvor, einen ähnlichen Kamm er-klimmend, auf dem Antiſana geweſen waren. Es iſt mitHöhenbeſtimmungen bei dem Bergſteigen, wie mit Wärme-beſtimmungen im heißen Sommer. Man findet mitVerdruß das Thermometer nicht ſo hoch, den Barometer-ſtand nicht ſo niedrig, als man es erwartete. Da dieLuft, trotz der Höhe, ganz mit Feuchtigkeit geſättigt war,ſo trafen wir nun das loſe Geſtein und den Sand, derdie Zwiſchenräume deſſelben ausfüllt, überaus naß. DieLuft war noch 2°,8 über dem Gefrierpunkt. Kurz vorherhatten wir an einer trockenen Stelle das Thermometerdrei Zoll tief in den Sand eingraben können. Es hieltſich auf + 5°,8. Das Reſultat dieſer Beobachtung, dieohngefähr in 2860 Toiſen Höhe angeſtellt wurde, iſt ſehrmerkwürdig, denn bereits 400 Toiſen tiefer, an derGrenze des ewigen Schnees, iſt nach vielen und ſorgfältigvon Bouſſingault und mir geſammelten Beobachtun-gen die mittlere Wärme der Atmoſphäre nur + 1°,6.Die Temperatur der Erde zu + 5°,8 muß daher derunterirdiſchen Wärme des Doleritberges, ich ſage nichtder ganzen Maſſe, ſondern den aus dem Innern auf-ſteigenden Luftſtrömen zugeſchrieben werden.|Spaltenumbruch| Nach einer Stunde vorſichtigen Klimmens wurdeder Felskamm weniger ſteil, aber leider! blieb der Nebelgleich dick. Wir fingen nun nach und nach an, alle angroßer Uebelkeit zu leiden. Der Drang zum Erbrechenwar mit etwas Schwindel verbunden und weit läſtiger,als die Schwierigkeit zu athmen. Ein farbiger Menſch(Meſtize aus San Juan) hatte uns bloß aus Gutmüthig-keit, keineswegs aber in eigennütziger Abſicht, nicht ver-laſſen wollen. Es war ein kräftiger, armer Landmann,der mehr litt als wir. Wir bluteten aus dem Zahnfleiſchund aus den Lippen. Die Bindehaut (tunica conjunctiva)der Augen war bei allen ebenfalls mit Blut unterlaufen.Dieſe Symptome der Extravaſate in den Augen, desBlutausſchwitzens am Zahnfleiſch und an den Lippenhatten für uns nichts Beunruhigendes, da wir aus mehr-maliger früherer Erfahrung damit bekannt waren. InEuropa hat Herr Zumſtein ſchon auf einer weit gerin-gern Höhe am Monte Roſa zu bluten angefangen. Spa-niſche Krieger kamen bei Eroberung der Aequinoctialregionvon Amerika (während der Conquiſta) nicht über dieuntere Grenze des ewigen Schnees, alſo wenig über dieHöhe des Montblanc hinaus, und doch ſpricht ſchonAcoſta in ſeiner Historia natural de las Indias, einerArt phyſiſcher Erdbeſchreibung, die man ein Meiſterwerkdes ſechzehnten Jahrhunderts nennen kann, umſtändlich„von Ueblichkeiten und Magenkrampf“ als ſchmerzhaftenSymptomen der Bergkrankheit, die darin der See-krankheit analog iſt.(Die Fortſetzung folgt.)

* Der Sandfloh, la Chique der franzöſiſchen Coloniſtenvon Weſtindien, ein Inſekt, das ſich unter die Haut desMenſchen eingräbt und, da der Eierſack des befruchteten Weib-chens beträchtlich anſchwillt, Entzündung erregt.
|746| |Spaltenumbruch|

Ueber zwei Verſuche, den Chimborazo zubeſteigen.(Fortſetzung.)

Auf dem Vulkan von Pichincha fühlte ich einmal,ohne zu bluten, ein ſo heftiges Magenübel, von Schwin-|Spaltenumbruch| del begleitet, daß ich beſinnungslos auf der Erde gefun-den wurde, als ich mich eben auf einer Felsmauer überder Schlucht von Verde-Cuchu von meinen Begleiterngetrennt hatte, um electrometriſche Verſuche an einemrecht freien Punkte anzuſtellen. Die Höhe war gering,unter 13,800 Fuß. Am Antiſana aber, auf der beträcht-lichen Erhebung von 17,022 Fuß, blutete unſer jungerReiſegefährte Don Carlos Montufar ſehr ſtarkaus den Lippen. Alle dieſe Erſcheinungen ſind nach Be-ſchaffenheit des Alters, der Conſtitution, der Zartheitder Haut, der vorhergegangenen Anſtrengung der Mus-kelkraft ſehr verſchieden, doch für einzelne Individuenſind ſie eine Art Maß der Luftverdünnung und abſolutenHöhe, zu welcher man gelangt iſt. Nach meinen Beobach-tungen in den Cordilleren zeigen ſie ſich an weißen Men-ſchen bei einem Barometerſtande zwiſchen 14 Zoll und15 Zoll 10 Linien. Es iſt bekannt, daß die Angaben derHöhen, zu denen die Luftſchiffer behaupten, ſich erhobenzu haben, gewöhnlich wenig Glauben verdienen, undwenn ein ſicherer und überaus genauer Beobachter, HerrGay-Luſſac, der am 16ten September 1804 die unge-heure Höhe von 21,600 Fuß erreichte (alſo zwiſchen denHöhen des Chimborazo und des Illimani) kein Blutenerlitt, ſo iſt dies vielleicht dem Mangel an Muskelbewe-gung zuzuſchreiben. Nach dem jetzigen Stande der Eu-diometrie erſcheint die Luft in jenen hohen Regioneneben ſo ſauerſtoffreich als in den unteren; aber da indieſer dünnen Luft, bei der Hälfte des Barometerdrucks,dem wir gewöhnlich in den Ebenen ausgeſezt ſind, beijedem Athemzuge eine geringere Menge Sauerſtoff vondem Blute aufgenommen wird, ſo iſt allerdings begreiflich,wie ein allgemeines Gefühl der Schwäche eintreten kann.Warum dieſe Aſthenie, wie im Schwindel, vorzugsweiſeUeblichkeit und Luſt zum Erbrechen erregt, iſt hier nichtzu erörtern, ſo wenig als zu beweiſen, daß das Aus-ſchwitzen des Blutes (das Bluten aus Lippen, Zahnfleiſchund Augen), was auch nicht alle Individuen auf ſo großenHöhen erfahren, keineswegs durch Aufhebung eines„mechaniſchen Gegendrucks“ auf das Geſäßſyſtem befriedi-gend erklärt werden kann. Es wäre vielmehr die Wahr-ſcheinlichkeit des Einfluſſes eines verminderten Luftdruckesauf Ermüdung bei Bewegung der Beine in ſehr luftdün-nen Regionen zu unterſuchen, da, nach der denkwürdigenEntdeckung zweier geiſtreichen Forſcher, Wilhelm undEduard Weber, * das ſchwebende Bein, am Rumpfehangend, bloß durch den Druck der atmoſphäriſchen Luftgehalten und getragen wird.
* Mechanik der menſchlichen Gehwerkzeuge. 1836.§. 64. S. 147 — 160. Neuere, von den Gebrüdern Weberzu Berlin angeſtellte Verſuche haben den Satz: daß das Beinin der Beckenpfanne von dem Druck der atmoſphäriſchen Luftgetragen wird, vollkommen beſtätigt.
|747| |Spaltenumbruch| Die Nebelſchichten, die uns hinderten, entfernteGegenſtände zu ſehen, ſchienen plötzlich, trotz der totalenWindſtille, vielleicht durch elektriſche Proceſſe, zu zer-reißen. Wir erkannten einmal wieder, und zwar ganznahe, den domförmigen Gipfel des Chimborazo. Es warein ernſter, großartiger Anblick. Die Hoffnung, dieſenerſehnten Gipfel zu erreichen, belebte unſere Kräfte auf’sNeue. Der Felskamm, der nur hier und da mit dün-nen Schneeflocken bedeckt war, wurde etwas breiter; wireilten ſicheren Schrittes vorwärts, als auf einmal eineArt Thalſchlucht von etwa 400 Fuß Tiefe und 60 FußDurchmeſſer unſerem Unternehmen eine unüberſteiglicheGrenze ſezte. Wir ſahen deutlich jenſeits des Abgrundesunſern Felskamm in derſelben Richtung fortſetzen, dochzweifle ich, daß er bis zum Gipfel ſelbſt führt. Die Kluftwar nicht zu umgehen. Am Antiſana konnte freilich HerrBonpland nach einer ſehr kalten Nacht eine beträcht-liche Strecke des ihn tragenden Schnees durchlaufen.Hier war der Verſuch nicht zu wagen, wegen Lockerheitder Maſſe; auch machte die Form des Abſturzes dasHerabklimmen unmöglich. Es war 1 Uhr Mittags. Wirſtellten mit vieler Sorgfalt das Barometer auf, es zeigte13 Z. 11\( \frac{2}{10} \) L. Die Temperatur der Luft war nun 1°,6unter dem Gefrierpunkt, aber nach einem mehrjährigenAufenthalt in den heißeſten Gegenden der Tropenweltſchien uns dieſe geringe Kälte erſtarrend. Dazu warenunſere Stiefeln ganz von Schneewaſſer durchzogen, dennder Sand, der bisweilen den Grath bedeckte, war mitaltem Schnee vermengt. Wir hatten nach der La Place-ſchen Barometerformel eine Höhe von 3016 Toiſen, ge-nauer von 18,097 Pariſer Fuß erreicht. Wäre La Con-damine’s Angabe der Höhe des Chimborazo, wie ſieauf der noch in Quito, im Jeſuitercollegio, aufbewahrtenSteintafel aufgezeichnet iſt, die richtige, ſo fehlten unsnoch bis zum Gipfel ſenkrecht 1224 Fuß oder die drei-malige Höhe der Peterskirche zu Rom.La Condamine und Bouguer ſagen ausdrücklich,daß ſie am Chimborazo nur bis 2400 Toiſen Höhe gelangtwaren, aber am Corazon, einem der maleriſchſten Schnee-berge (Nevados) in der nahen Umgebung von Quito,rühmen ſie ſich, das Barometer auf 15 Zoll 10 Liniengeſehen zu haben. Sie ſagen, dies ſey „ein tieferer Stand,als je ein Menſch bisher habe beobachten können.“ Andem oben beſchriebenen Punkte des Chimborazo war derLuftdruck um faſt zwei Zoll geringer, geringer auch alsda, wo ſechzehn Jahre ſpäter, 1818, ſich Kapitän Gerardam höchſten im Himalayagebirge, auf dem Tarhigang,erhoben hat. In einer Taucherglocke bin ich in Englandeinem Luftdruck von 45 Zoll faſt eine Stunde lang aus-geſezt geweſen. Die Flexibilität der menſchlichen Organi-ſation erträgt demnach Veränderungen im Barometerſtande,die 31 Zoll betragen. Doch ſonderbar möchte die phyſiſche|Spaltenumbruch| Conſtitution des Menſchengeſchlechts allmählig umgewandeltwerden, wenn große kosmiſche Urſachen ſolche Extreme derLuftverdünnung oder Luftverdichtung permanent machten.(Die Fortſetzung folgt.)
|750| |Spaltenumbruch| |Spaltenumbruch|

Ueber zwei Verſuche, den Chimborazo zubeſteigen.(Fortſetzung.)

Wir blieben kurze Zeit in dieſer traurigen Einöde,bald wieder ganz in Nebel gehüllt. Die feuchte Luft wardabei unbewegt. Keine beſtimmte Richtung war in deneinzelnen Gruppen dichterer Dunſtbläschen zu bemerken,daher ich nicht ſagen kann, ob auf dieſer Höhe der demtropiſchen Paſſat entgegengeſezte Weſtwind wehet. Wirſahen nicht mehr den Gipfel des Chimborazo, keinen derbenachbarten Schneeberge, noch weniger die Hochebenevon Quito. Wir waren wie in einem Luftballon iſolirt.Nur einige Steinflechten waren uns bis über die Grenzedes ewigen Schnees gefolgt. Die lezten cryptogamiſchen|751| |Spaltenumbruch| Pflänzchen, die ich ſammelte, waren Lecidea atrovirens(Lichen geographicus, Web.) und eine Gyrophora desAcharius, eine neue Species (Gyrophora rugosa), ohn-gefähr in 2820 Toiſen Höhe. Das lezte Moos, Grimmialongirostris, grünte 400 Toiſen tiefer. Ein Schmetter-ling (Sphiux) war von Herrn Bonpland in 15,000 FußHöhe gefangen worden, eine Fliege ſahen wir noch um1600 Fuß höher. Den auffallendſten Beweis, daß dieſeThiere unwillkührlich vom Luftſtrome, der ſich über denerwärmten Ebenen erhebt, in dieſe obere Region derAtmoſphäre gebracht werden, gibt folgende Thatſache.Als Bouſſingault die Silla de Caracas beſtieg, ummeine Meſſung des Berges zu wiederholen, ſah er in8000 Fuß Höhe um Mittag, als dort Weſtwind wehte,von Zeit zu Zeit weißliche Körper die Luft durchſtreichen,die er Anfangs für aufſteigende Vögel mit weißem, dasSonnenlicht reflektirendem Gefieder hielt. Dieſe Körpererhoben ſich aus dem Thale von Caracas mit großerSchnelligkeit und überſtiegen die Gipfel der Silla, indemſie ſich gegen Nordoſten richteten, wo ſie wahrſcheinlichdas Meer erreichten. Einige fielen früher nieder auf denſüdlichen Abhang der Silla; es waren von der Sonneerleuchtete Grashalme. Bouſſingault ſchickte mirſolche, die noch Aehren hatten, in einem Briefe nachParis, wo mein Freund und Mitarbeiter Kunth ſieaugenblicklich für die Wilſa tenacissima erkannte, welcheim Thal von Caracas wächst und die er eben in unſermWerke: Nova Genera et Species plantarum Americaeaequinoctialis, beſchrieben hatte. Ich muß noch bemerken,daß wir keinem Condor auf dem Chimborazo begegneten,dieſem kräftigen Geier, der auf Antiſana und Pichinchaſo häufig iſt und, mit dem Menſchen unbekannt, großeDreiſtigkeit zeigt. Der Condor liebt heitere Luft, umſeinen Raub oder ſeine Nahrung (denn er gibt todtenThieren den Vorzug) aus der Höhe leichter zu er-kennen.Da das Wetter immer trüber und trüber wurde,ſo eilten wir auf demſelben Felsgrathe herab, der unſerAufſteigen begünſtigt hatte. Vorſicht war indeß wegenUnſicherheit des Trittes noch mehr nöthig als im Her-aufklimmen. Wir hielten uns nur ſo lange auf, als wirbrauchten, Fragmente der Gebirgsart zu ſammeln. Wirſahen voraus, daß man uns in Europa oft um „einkleines Stück vom Chimborazo“ anſprechen würde. Da-mals war noch keine Gebirgsart in irgend einem Theilevon Südamerika benannt worden; man nannte Granitdas Geſtein aller hohen Gipfel der Andes. Als wir un-gefähr in 17,400 Fuß Höhe waren, fing es an, heftig zuhageln. Es waren undurchſichtige, milchweiße Hagelkörnermit concentriſchen Lagen. Einige ſchienen durch Rotationbeträchtlich abgeplattet. Zwanzig Minuten, ehe wir die un-tere Grenze des ewigen Schnees erreichten, wurde der Ha-|Spaltenumbruch| gel durch Schnee erſezt. Die Flocken waren ſo dicht, daßder Schnee bald viele Zoll tief den Felskamm bedeckte.Wir wären gewiß in große Gefahr gekommen, hätte unsder Schnee auf 18,000 Fuß Höhe überraſcht. Um zweiUhr und einige Minuten erreichten wir den Punkt, wounſere Maulthiere ſtanden. Die zurückgebliebenen Ein-gebornen waren mehr als nöthig um uns beſorgtgeweſen.Der Theil unſerer Expedition oberhalb des ewigenSchnees hatte nur 3½ Stunden gedauert, während wel-chen wir, trotz der Luftverdünnung, nie durch Nieder-ſitzen zu ruhen brauchten. Die Dicke des domförmigenGipfels hat in dieſer Höhe der ewigen Schneegrenze, alſoin 2460 Toiſen Höhe, noch einen Durchmeſſer von 3437Toiſen, und nahe am höchſten Gipfel, faſt 150 Toiſenunterhalb demſelben, einen Durchmeſſer von 672 Toiſen.Die leztere Zahl iſt alſo der Durchmeſſer des obernTheils des Doms oder der Glocke; die erſtere drückt dieBreite aus, in der die ganze Schneemaſſe des Chimbo-razo, in Riobamba Nuevo geſehen, dem Auge erſcheint,eine Schneemaſſe, die ſich mit ihren nördlich anliegendenzwei Kuppen auf der 16ten und der 25ſten Tafel meinesKupferwerkes: Vues des Cordilleres, abgebildet findet.Ich habe ſorgfältig mit dem Sextanten die einzelnenTheile des Umriſſes gemeſſen, wie derſelbe ſich in derHochebene von Tapia gegen das tiefe Blau des Tropen-himmels an einem heitern Tage prachtvoll abhebt. SolcheBeſtimmungen dienen dazu, das Volum des Coloſſes zuergründen, ſo weit es eine Fläche überſteigt, in der Bou-guer ſeine Verſuche über die Anziehung des Berges ge-gen das Pendel anſtellte. Ein ausgezeichneter Geognoſt,Herr Pentland, dem wir die Kenntniß der Höhen desSorata und Illimani verdanken, und der, mit vielentrefflichen aſtronomiſchen und phyſikaliſchen Inſtrumentenausgerüſtet, eben jezt wieder nach dem oberen Peru(Bolivia) abgeht, hat mich verſichert, daß mein Bild desChimborazo gleichſam wiederholt iſt in dem Nevado deChuquibamba, einem Trachytberge, der in der weſtlichenCordillere, nördlich von Arequipa, 19,680 Fuß (3280Toiſen) Höhe erreicht. Nächſt dem Himalaya iſt dort,durch die Frequenz hoher Gipfel und durch die Maſſederſelben, zwiſchen dem 15ten und 18ten Grade ſüdlicherBreite, die größte Anſchwellung der uns bekannten Erd-oberfläche, ſo weit nämlich dieſe Anſchwellung nicht vonder primitiven Form des rotirenden Planeten, ſondernvon Erhebung der Bergketten und einzelnen Glocken vonDolerit-, Trachyt- und Albitgeſtein auf dieſen Bergkettenherrührt.(Die Fortſetzung folgt.)
|754| |Spaltenumbruch|

Ueber zwei Verſuche, den Chimborazo zubeſteigen.(Fortſetzung.)

Wegen des friſchgefallenen Schnees fanden wir beimHerabſteigen vom Chimborazo die untere Grenze desewigen Schnees mit den tieferen ſporadiſchen Schneefleckenauf dem nakten, mit Lichenen bedeckten Geſtein undauf der Grasebene (Pajonal) in zufälliger momentanerVerbindung; doch immer war es leicht, die eigentlicheperpetuirliche Grenze (damals in 2470 Toiſen Höhe) ander Dicke der Schicht und ihrer eigenthümlichen Beſchaf-fenheit zu erkennen. Ich habe an einem andern Orte(in einer den Fragmens asiatiques einverleibten Abhand-lung über die Urſachen, welche die Krümmung der iſo-thermen Linien bedingen) gezeigt, daß in der ProvinzQuito die Höhenunterſchiede der ewigen Schneegrenze anden verſchiedenen Nevados, nach der Geſammtheitmeiner Meſſungen, nur um 38 Toiſen ſchwanken, daßdie mittlere Höhe ſelbſt zu 14,760 Fuß oder 2460 Toiſenanzurechnen iſt, und daß dieſe Grenze, 16 bis 18° ſüdlichervom Aequator, in Bolivia, wegen des Verhältniſſes dermittleren Jahrestemperatur zur mittleren Temperaturder heißeſten Monate, wegen der Maſſe, Ausdehnungund größeren Höhe der umliegenden wärmeſtrahlendenPlateaux, wegen der Trockenheit der Atmoſphäre undwegen des völligen Mangels alles Schneefalles vonMärz bis November, volle 2670 Toiſen hoch liegt. Dieuntere Grenze des perpetuirlichen Schnees, die keines-wegs mit der iſothermen Curve von 0° zuſammenfällt,ſteigt demnach hier ausnahmsweiſe, ſtatt zu ſinken, in-dem man ſich vom Aequator entfernt. Aus ganz analo-gen Urſachen der Wärmeſtrahlung in nahen Hochebenenliegt die Schneegrenze zwiſchen 30¾ und 31° nördlicherBreite, am nördlichen tibetiſchen Abhange des Himalaya,in 2600 Toiſen Höhe, wenn am ſüdlichen, indiſchen Ab-hange ſie nur 1950 Toiſen Höhe erreicht. Durch dieſenmerkwürdigen Einfluß der Geſtaltung der Erdoberflächeiſt außerhalb der Wendekreiſe ein beträchtlicher Theil vonInneraſien von ackerbauenden, mönchiſch regierten, aberdoch in Geſittung fortgeſchrittenen Völkern bewohnt, wounter dem Aequator in Südamerika der Boden mit ewi-gem Eiſe bedeckt iſt.Wir nahmen unſern Rückweg nach dem Dorfe Calpietwas nördlicher als die Llanos de Sisgun, durch denpflanzenreichen Paramo de Pungupala. Schon um fünfUhr Abends waren wir wieder bei dem freundlichenPfarrer von Calpi. Wie gewöhnlich folgte auf den nebel-verhüllten Tag der Expedition die heiterſte Witterung.Am 25ſten Junius erſchien uns in Riobamba Nuevo derChimborazo in ſeiner ganzen Pracht, ich möchte ſagen|Spaltenumbruch| in der ſtillen Größe und Hoheit, die der Naturcharakterder tropiſchen Landſchaft iſt. Ein zweiter Verſuch aufdem durch eine Kluft unterbrochenen Kamm wäre gewißſo fruchtlos als der erſte ausgefallen, und ſchon war ichmit der trigonometriſchen Meſſung des Vulkans vonTungurahug beſchäftigt.Bouſſingault hat mit ſeinem Freunde, dem eng-liſchen Obriſt Hall, der bald darauf in Quito ermordetwurde, am 16ten December 1831 einen neuen Verſuchgemacht, den Gipfel des Chimborazo zu erreichen, erſtvon Mocha und Chillapullu, dann von Arenal aus, alſoauf einem andern Wege, als den ich mit Bonplandund Don Carlos Montufar betrat. Er mußte dasWeiterſteigen aufgeben, als ſein Barometer 13 Zoll 8½Linien, bei der warmen Lufttemperatur von + 7°,8 zeigte.Er ſah alſo die uncorrigirte Queckſilberſäule faſt 3 Linienniedriger und war um 64 Toiſen höher als ich gelangt,bis zu 3080 Toiſen. Hören wir ſelbſt dieſen der Andes-kette ſo kundigen Reiſenden, der mit großer Kühnheitzuerſt chemiſche Apparate an und in die Krater der Vul-kane getragen hat. „Der Weg,“ ſagt Bouſſingault,„den wir uns in dem lezten Theile unſerer Expeditiondurch den Schnee bahnten, erlaubte uns nur ſehr lang-ſam vorzuſchreiten; rechts konnten wir uns an einemFelſen feſthalten, links war der Abgrund furchtbar. Wirſpürten ſchon die Wirkung der Luftverdünnung und warengezwungen, uns alle zwei bis drei Schritte niederzuſetzen.So wie wir uns aber eben geſezt hatten, ſtanden wir wiederauf, denn unſer Leiden dauerte nur ſo lange, als wiruns bewegten. Der Schnee, den wir betreten mußten,war weich und lag kaum drei bis vier Zoll hoch auf einerſehr glatten und harten Eisdecke. Wir waren genöthigt,Stufen einzuhauen. Ein Neger ging voran, um dieſeArbeit, die ſeine Kräfte bald erſchöpfte, zu vollziehen.Indem ich bei ihm vorbeigehen wollte, um ihn abzulöſen,glitt ich aus und wurde glücklicherweiſe vom Obriſt Hallund meinem Neger zurückgehalten. — Wir befanden uns(ſezt Herr Bouſſingault hinzu) für einen Augenblickalle drei in der größten Gefahr. Weiterhin ward derSchnee günſtiger, und um 3¾ Uhr Nachmittags ſtandenwir auf dem lang erſehnten Felskamme, der wenige Fußbreit, aber mit Abgründen umgeben war. Hier überzeugtenwir uns, daß das Weiterkommen unmöglich ſey. Wirbefanden uns an dem Fuße eines Felsprismas, deſſenobere Fläche, bedeckt mit einer Kuppe von Schnee, deneigentlichen Gipfel des Chimborazo bildet. Um ſich vonder Topographie des ganzen Berges ein richtiges Bild zumachen, denke man ſich eine ungeheure, ſchneebedeckteFelsmaſſe, die von allen Seiten wie durch Strebepfeilerunterſtüzt erſcheint. Die Strebepfeiler ſind die Kämme,die ſich anlegen und (aus dem ewigen Schnee) hervortre-ten.“ Der Verluſt eines Phyſikers, wie Bouſſingault,|755| |Spaltenumbruch| wäre unbeſchreiblich theuer durch den wenigen Gewinnerkauft worden, den Unternehmungen dieſer Art denWiſſenſchaften darbieten können.(Der Beſchluß folgt.)
|Spaltenumbruch| |758| |Spaltenumbruch| |Spaltenumbruch|

Ueber zwei Verſuche, den Chimborazo zubeſteigen.(Beſchluß.)

So lebhaft ich auch vor bereits dreißig Jahren denWunſch ausgeſprochen habe, daß die Höhe des Chimbo-razo möchte von Neuem ſorgſam trigonometriſch gemeſſenwerden, ſo ſchwebt doch noch immer einige Ungewißheitüber das abſolute Reſultat. Don Jorge Juan unddie franzöſiſchen Akademiker geben, nach verſchiedenenCombinationen derſelben Elemente, oder wenigſtens nachOperationen, die allen gemeinſchaftlich waren, Höhen von3380 und 3217 Toiſen an, Höhen, die um \( \frac{1}{20} \) differiren.Das Ergebniß meiner trigonometriſchen Operation (3350Toiſen) fällt zwiſchen beide, nähert ſich aber bis auf \( \frac{1}{112} \)|759| |Spaltenumbruch| der ſpaniſchen Beſtimmung. Bouguers kleineres Re-ſultat gründet ſich, theilweiſe wenigſtens, auf die Höheder Stadt Quito, die er um 30 bis 40 Toiſen zu geringangibt. Er findet, nach alten Barometerformeln ohneCorrection für die Wärme, 1462 Toiſen, ſtatt 1507 und1492 Toiſen, die Bouſſingault und ich ſehr überein-ſtimmend gefunden haben. Die Höhe, die ich der Ebenevon Tapia gebe, wo ich eine Baſis von 873 Toiſen Länge *maß, ſcheint auch ziemlich fehlerfrei zu ſeyn. Ich fandfür dieſelbe 1482 und Bouſſingault, in einer ſehrverſchiedenen Jahreszeit, alſo bei anderer Wärmeabnahmein den auf einander gelagerten Luftſchichten, 1471 Toiſen.Bouguers Operation war dagegen ſehr verwickelt, daer die Höhe der Thalebene zwiſchen der öſtlichen undweſtlichen Andeskette durch ſehr kleine Höhenwinkel derTrachytpyramide von Iliniſſa, in der unteren Küſtenregionbei Niguas gemeſſen, zu ergründen gezwungen war. Dereinzige anſehnliche Berg der Erde, für den die Meſſun-gen jezt bis \( \frac{1}{246} \) übereinſtimmen, iſt der Montblanc,denn der Monte Roſa wurde durch vier verſchiedene Reihenvon Dreiecken eines vortrefflichen Beobachters, des Aſtro-nomen Carlini, zu 2319, 2343, 2357 und 2374 Toiſen,von Oriani ebenfalls durch eine Triangulation zu 2390Toiſen gefunden; Unterſchiede von \( \frac{1}{34} \). Die älteſte aus-führliche Erwähnung des Chimborazo finde ich bei demgeiſtreichen, etwas ſatyriſchen italieniſchen ReiſendenGirolamo Benzoni, deſſen Werk 1565 gedruckt ward.Er ſagt, daß ihm die Montagna di Chimbo, die40 Miglia hoch ſey, abenteuerlich come una visioneerſchien. Die Eingebornen von Quito wußten lange vorder Ankunft der franzöſiſchen Gradmeſſer, daß der Chim-borazo der höchſte aller Schneeberge ihrer Gegend ſey.Sie ſahen, daß er am weiteſten über die ewige Schnee-grenze hinausreiche. Eben dieſe Betrachtung hatte ſieveranlaßt, den jezt eingeſtürzten Capac Urcu für höherals den Chimborazo zu halten.Ueber die geognoſtiſche Beſchaffenheit des Chimborazofüge ich hier nur die allgemeine Bemerkung hinzu, daß,wenn nach den wichtigen Reſultaten, die Leopold vonBuch in ſeiner lezten claſſiſchen Abhandlung über Erhe-bungscrater und Vulkane (Poggendorffs Annalen,Band 37, S. 188 — 190) niedergelegt hat, Trachytnur feldſpathhaltige, Andeſit nur albithaltende Maſſengenannt werden ſollen, das Geſtein vom Chimborazobeide Namen keineswegs verdient. Daß am ChimborazoAugit die Hornblende erſetze, hat ſchon derſelbe geiſtreicheGeognoſt vor mehr als zwanzig Jahren bemerkt, als ichihn aufforderte, die von mir heimgebrachten Geſteine derAndeskette genau oryctognoſtiſch zu unterſuchen. Dieſer|Spaltenumbruch| Thatſache iſt in mehreren Stellen meines im Jahr 1823erſchienenen „Essai géognostique sur le Gisement desRochers dans les deux Hémisphères“ erwähnt worden.Dazu findet mein ſibiriſcher Reiſegefährte, Guſtav Roſe,der durch ſeine treffliche Arbeit über die dem Feldſpathverwandten Foſſilien und ihre Aſſociation mit Augit undHornblende den geognoſtiſchen Unterſuchungen neue Wegegeöffnet hat, in allen von mir geſammelten Gebirgs-fragmenten des Chimborazo weder Albit, noch Feldſpath.Die ganze Formation dieſes berühmten Gipfels der An-deskette beſteht aus Labrador und Augit; beide Foſ-ſilien in deutlichen Kryſtallen erkennbar. Der Chimborazoiſt, nach der Nomenclatur von Guſtav Roſe, ein Au-gitporphyr, eine Art Dolerit. Auch fehlen ihm Ob-ſidian und Bimſtein. Hornblende iſt nur ausnahmsweiſeund ſehr ſparſam (in zwei Stücken) erkannt worden.Der Chimborazo iſt alſo, wie Leopold von Buch’sund Elie de Beaumont’s neueſte Beſtimmungen leh-ren, der Gebirgsart des Aetna analog. Neben den Trüm-mern der alten Stadt Riobamba, drei geographiſcheMeilen öſtlich vom Chimborazo, iſt ſchon wahrer Dio-ritporphyr, ein Gemenge von ſchwarzer Hornblende(ohne Augit) und weißem glaſigen Albit anſtehend, einGeſtein, das an die ſchöne, in Säulen getheilte Maſſevon Piſoje bei Popayan und an den mexikaniſchen Vul-kan von Toluca, den ich ebenfalls beſtieg, erinnert. EinTheil der Stücke von Augitporphyr, die ich bis in 18,000Fuß Höhe auf dem zum Gipfel führenden Felskamm,meiſt in loſen Stücken von zwölf bis vierzehn Zoll Durch-meſſer, gefunden habe, iſt kleinzellig porös und von ro-ther Farbe. Dieſe Stücke haben glänzende Zellen. Dieſchwärzeſten ſind bisweilen bimſteinartig leicht und wiefriſch durch Feuer verändert. Sie ſind indeß nicht inStrömen lavaartig gefloſſen, ſondern wahrſcheinlich aufSpalten, an dem Abhange des früher emporgehobenenglockenförmigen Berges, herausgeſchoben. Die ganze Hoch-ebene der Provinz Quito iſt ſtets von mir als ein großervulkaniſcher Herd betrachtet worden. Tungurahua, Coto-paxi, Pichincha mit ihren Cratern ſind nur verſchiedeneAuswege dieſes Herdes. Wenn Vulkanismus im weite-ſten Sinn des Wortes alle Erſcheinungen bezeichnet, dievon der Reaction des Innern eines Planeten gegenſeine oxydirte Oberfläche abhängen, ſo iſt dieſer Theil desHochlandes mehr als irgend ein anderer in der Tropen-gegend von Südamerika, der permanenten Wirkung desVulkanismus ausgeſezt. Auch unter den glockenförmigenAugitporphyren, welche wie die des Chimborazo keinenCrater haben, toben die vulkaniſchen Mächte. Drei Tagenach unſerer Expedition hörten wir in dem neuen Rio-bamba, um ein Uhr Nachts, ein wüthiges unterirdiſchesKrachen (bramido), das von keiner Erſchütterung beglei-tet war. Erſt drei Stunden ſpäter erfolgte ein heftiges
* Humboldt, Recueil d’observations astronomiques, d’opé-rations trigonometriques etc. T. I. p. LXXII.
|760| |Spaltenumbruch| Erdbeben ohne vorhergehendes Geräuſch. Aehnliche Bra-midos, wie man glaubt vom Chimborazo kommend, wur-den wenige Tage vorher in Calpi vernommen. DemBergkoloß noch näher, im Dorfe San Juan, ſind ſieüberaus häufig. Sie erregen die Aufmerkſamkeit derEingebornen nicht mehr, als es ein ferner Donner thutaus tiefbewölktem Himmel in unſerer nordiſchen Zone.
Das ſind die flüchtigen Bemerkungen über zwei Be-ſteigungen des Chimborazo, die ich mir erlaubt habe, auseinem ungedruckten Reiſejournale einfach mitzutheilen.Wo die Natur ſo mächtig und groß und unſer Beſtrebenrein wiſſenſchaftlich iſt, kann wohl die Darſtellung jedesSchmuckes der Rede entbehren.|Spaltenumbruch|