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16) Freyherr Alexander v. Humboldt, über zweyBeſteigungen des Chimborazo mit ausführlicher Mittheilung überdie Schickſale und die Reſultate ſeiner am 23. Juni 1802 un-ternommenen Beſteigung des Chimborazo und der abermaligenBeſteigung deſſelben durch Bouſſingault am 12. Dec. 1831.
Nach Vorzeigung einer Abbildung des Chimborazo, aufwelcher, nahe dem Gipfel deſſelben eine Schlucht von 1000 —1200 Fuß Tiefe bemerkbar iſt und welche zugleich die Verhält-niſſe der Temperatur und Vegetation des Berges auf ſeinenverſchiedenen Höhepuncten verſinnlicht, bemerkt der Redner:
„Der höchſte Punct auf der Erde, zu welchem man ge-langt ſey, liege in America. Der Montblanc ſey kaum höher,als die Lage von Potoſi und der Punct des Chimborazo, biszu welchem man gelangt ſey, liege 3650 Toiſen über dem Gipfeldes Montblanc. Die Beſteigung großer Höhen ſey von wiſſen-ſchaftlicher Bedeutung, obgleich jenſeits der Schneegrenze unſeregeognoſtiſche Kenntniß kaum bereichert werde, da die Natur desGeſteins ſich den Blicken entziehe, die Pflanzen- und Thierweltaber ſich noch weniger der Beobachtung darbiete. — Er be-merkt, daß es ſchwierig ſey, den Chimborazo zu beſteigen, undüber dieſe Schwierigkeiten ſey er nach ſeiner Rückkehr nach Eu-ropa häufig befragt worden. Die Geographie der Pflanzen amChimborazo habe Kunth bearbeitet.“
Aus ſeinem Tagebuche trägt nun der Redner (mit Ver-weiſung auf die Einleitung zum 1. Bande ſeiner „aſtronomi-ſchen Beobachtungen“ und auf den „Atlas des Cordillières“)Folgendes vor:
„Am 22. Juny 1799 war er am Crater des Pic vonTeneriffa und am 23. Juny 1801 am Chimborazo, in einerHöhe, welche die des erſtgenannten Standpunctes um 3600 F.übertraf. — Nach der Tradition der Eingebornen ſoll ein an-derer Berg früher höher als der Chimborazo geweſen ſeyn.Der nackte Erdboden ſchadet der Vegetation wegen der währendder Nacht ſtattfindenden Wärmeausſtrahlung. Ganz nahe beyCalpi erhebt ſich, ſüdöſtlich vom Chimborazo ein anderer,von dem Trachytkoloſſe des letzteren getrennter Hügel, welcherſpäteren Urſprungs iſt und an dem ſich eine trichterförmige Ein-ſenkung, offenbar ein früherer Krater bemerklich macht. DieſerKrater hat eine Tiefe von 150 Fuß und liegt nur 500 Fußüber Calpi. Nach alten Handſchriften iſt der erſte Ausbruchdes kleineren Berges (Ganaucu, ſchwarzer Berg) in der Mittedes 15. Jahrhunderts, gleichzeitig mit einem Meteorfalle, be-obachtet worden. — Die ganze Formation des Chimborazo ähneltſehr dem Trachyt, wenn man von dem Mangel des Feldſpathsund Eiſens, wodurch ſich das Geſtein der Formation des Sie-bengebirges bey Bonn anſchließt, abſieht. — Am Fuße deserſtgenannten Hügels liegt das Mundloch eines verfallenenStollens, in welchem eine Luftſtrömung, verbunden mit demRauſchen eines unterirdiſchen Baches, viel Getöſe verurſacht. —Von dem Chimborazo ſelbſt fallen äußerſt wenige Bäche in dieEbene herab, und es iſt wahrſcheinlich, daß im Innern desBerges die Waſſer auf Klüften niederſetzen. Einige Zeit vordem Erdbeben vom 7. Februar 1794 entſprang in dem DorfeCalpi ein Bach, der ſpäter wieder verſchwand.
Die Reiſenden brachten die Nacht vor der Beſteigung imDorfe Calpi (9700 F. über der Fläche des atlantiſchen Meeres)
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|Spaltenumbruch| zu. Am folgenden Morgen begannen ſie die Beſteigung vonder ſüdſüdöſtlichen Seite aus. Die Führer
waren nie bis andie Schneegränze gekommen. — Der Chimborazo
iſt rings vonHochebenen umgeben, deren erſte (Llano
von Sisgund) 11,700 F.über dem Meere liegt und deren Fläche,
ehemals Meeresboden,das abgelaufene Becken eines Alpenſees
geweſen ſeyn mag. Dieſeausgedehnten
Grasflächen um den Chimborazo, welche ſehr andie
aſiatiſchen Steppen erinnern, ſind ſehr einförmig und
ihreFlora iſt weniger reich, als die der andern Gebirge
umher. DieLufttemperatur iſt in dieſer 1600 —
2000 Toiſen hohen Regionbey Tage 4° — 16°
Celſ. und Nachts 0° — 10° C. Die mitt-lere Temperatur
iſt ungefähr 9° C., mithin die von Lüneburg.Man wollte hier
eine trigonometriſche Meſſung des Chimborazovornehmen; indeß wurde ſie durch die Nebel, welche den nochungefähr 8500 F. entfernten Gipfel des Berges umgaben, ver-eitelt.
Humboldt und Bonpland
ſtiegen zuweilen von denMaulthieren, um Pflanzen zu
ſammeln. — Die Reiſenden ge-langten nun zu
einer unterhalb der Schneegränze gelegenen Höhe,die ſich
nach einer barometriſchen Meſſung 13,500 F. über denMeeresſpiegel und 130 Toiſen über das erwähnte
Meeresbeckenerhob, auf welcher viel friſcher Schnee
gefallen war. Das aneinzelnen Stellen nackt hervortretende
Geſtein war ein Augitpor-phyr, von dem einzelne 50 —
60 F. hohe Säulen wie Baum-ſtämme in die Luft ragten. Der
Trachyt war mandelſteinartig.Der Weg wurde von hier aus
immer beſchwerlicher und alleFührer, bis auf einen jungen
Meſtizen, verließen die Reiſendenund kehrten zurück.
Der Weg führte auf einer kamm- odergrathartigen Eisfläche fort und
der Berg mußte mit Händen undFüßen erklimmt werden. An einzelnen
Stellen war jener Kamm,neben dem ſich jähe Abſtürze
von 800 — 1000 Fuß Tiefe be-fanden, nur 8 = 10 Zoll breit und
eben ſo unſicher wurde derWeg durch die Bröckligkeit
des Bodens. Oberhalb der Eis-gränze kann man auf keinen Führer unter
den Eingebornenmehr rechnen, da dort nur Weiße auszudauern
vermögen. Für
v. Humboldt kam dazu die durch eine Wunde am Fuße ent-ſtehende Unbequemlichkeit. Als man auf einer etwas
breiterenStelle eine barometriſche Meſſung
vornahm, ſo ergab ſich, daßman ſich 17,300 Fuß
über dem Meere befand. DerGipfel des Berges war unſichtbar,
die Luft ſehr feucht,der Sand und das Geſtein naß.
Die Lufttemperatur wurdezu + 2,8° C. gefunden, während die
Temperatur des Erdbo-dens faſt + 6° C. war, eine Differenz,
die ſich nur durch einevon unten heraufſteigende
Luftſtrömung erklärt. Nach einerStunde ſtellten
ſich Ekel und Schwindel bey den Reiſenden ein,von dem
ſie ſelbſt, namentlich aber ihr Führer, ſehr
beläſtigtwurden. Aus dem Zahnfleiſche, aus den
Lippen und aus derConjunctiva der Augen trat Blut hervor. Für
dieſen Punctwurden v. Humboldt mehrere
ähnliche Erfahrungen angeführtund zugleich bemerkt, daß das
Auftreten dieſer Blutungen undder Grad derſelben von
individuellen Verhältniſſen ſehr abhängigſey. Nach v. H. beginnen die Blutungen bey einer Standhöhedes Barometers von 14″ — 15″ 10‴. Gay-Luſſac erlittindeß bey ſeiner
Luftfahrt keine Blutung dieſer Art, wahrſchein-lich
weil er ſich körperlich ruhig verhielt, indem v. H. glaubt,daß die gleichzeitige active Bewegung an der Entſtehung dieſerBlutungen großen Antheil habe. Wenn, ſagt v. H., auchneuere Unterſuchungen des Luftkreiſes dargethan
haben, daß dasVerhältniß des Sauerſtoffs zum
Stickſtoff unter allen Verhält-niſſen
ſtets ein und daſſelbe iſt, ſo ſey doch
die Quantität desSauerſtoffs in der eingeathmeten verdünnten
Luft auf jeden Fall
|Spaltenumbruch| vermindert und dieß ſcheine das Entſtehen jener Blutungen zubedingen. Hierbey verweiſt v. H. auf Weber’s Entdeckungvon der Wirkung des Luftdrucks
auf die Gelenke. — Jetztwurde auf einige Augenblicke der
Gipfel des Chimborazo ſichtbar,aber mit ihm zugleich ein
plötzlicher, 400 Fuß tiefer jäher Ab-ſturz des Kammes, der
die Reiſenden bis jetzt geleitet hatte,und der, da er weder
zu umgehen, noch abzuklimmen war, dieFortſetzung des
Steigens unmöglich machte. Es war 1 UhrMittags, die
Reiſenden hatten (wie der Stand des Barometers—
13″ 11,2‴ — bewies) eine Höhe von 18,097′ erreicht.Das Thermometer zeigte — 1,4 C. — La Condamine
beobachtete nur einen Barometerſtand von 15″, v. H.
war ineiner Taucherglocke einem Luftdrucke von 45″
Barometerſtandausgeſetzt, was, mit dem
erſteren verglichen, den Unterſchiedvon 31″
Queckſilberhöhe, alſo mehr als den gewöhnlichen Luft-druck gibt.
In dieſer Höhe und Oede, wo es ganz windſtill war undvon welcher der Gipfel des Chimborazo nur noch 1220′ ent-fernt lag, verweilten die Reiſenden kurze Zeit. Bald trat wie-der Nebel ein, der jede Ausſicht verdeckte. Die Flora beſtandaus einigen Steinpflanzen und anderen Mooſen, namentlich
Lichen geographicus. Kleinere Inſecten, die ſich zeigten,waren wohl nur durch Winde heraufgeführt worden. So ſahendie Reiſenden in einer Höhe von 15,000′ einen Schmetterling,bey 16,000′ eine Fliege. Bonpland ſah bey einer ähnlichenGelegenheit durch dieſelbe Urſache Grashalme von Vilfa tena-cissima, einer Pflanze, die ſich nur in tiefen Ebenen findet,heraufgeführt. Condore werden in dieſen Höhen nicht mehr an-getroffen.
Da, wie bereits erwähnt, eine jähe Kluft das Weiter-ſteigen unmöglich machte, ſo traten die Reiſenden den ſehr be-ſchwerlichen Rückweg an. Bey einer Höhe von 17,400′ fielheftiger, tiefer, unten in Schnee übergehender Hagel, von demeinige Körner durch Rotation beträchtlich abgeplattet waren. —Um 2 Uhr Nachmittags kamen die Reiſenden wieder an derSchneegränze, wo ſie ihre Maulthiere zurückgelaſſen hatten, an;nachdem von dieſer ab die Expedition 3½ Stunden gedauerthatte. Während dieſer ganzen Zeit ſetzten ſich die Reiſendennicht nieder, um nicht von Ermattung überwältigt zu werden.An der Schneegränze maß nun v. H. den Kegel des Chimborazomit einem Sextanten und fand die perpetuirliche Höhe der Schnee-gränze auf verſchiedenen Puncten um 88 Toiſen. v. H. be-merkt hierbey, daß am Himalaya die Schneegränze auf dernördlichen Seite ebenfalls höher hinaufreiche, als auf der ſüd-lichen; daß aber dort überhaupt die Vegetation ſich weiter hin-auf erſtrecke, als in America. — Am 25. Juni erblickte v. H.den Chimborazo in ſeiner vollen Pracht.
Am 12. December 1831 beſtieg Bouſſingault denChimborazo zum zweyten Mal, aber auf einem andern, jedocheben ſo beſchwerlichen Wege, der ſich auf einem wenige Fußbreiten Kamme hinzog, der mit leichtem Schnee, unter welchemſich eine harte Eiskruſte befand, bedeckt war und in welche dieReiſenden Stufen hauen mußten. Am Fuße des den Gipfeldes Berges bildenden Trachytprisma kehrten die Reiſenden, denendieſe Expedition faſt das Leben gekoſtet hätte, um. Die Höhe,welche Bouſſingault erreichte, betrug 3,080 Toiſen. Er fandauf derſelben 13″ 8,5‴ Barometerſtand und + 8° C. Tem-peratur.
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Um ſich ein Bild des Chimborazo zu entwerfen, denkeman ſich eine ungeheuere, von mächtigen Strebepfeilern unter-ſtützte, Schneemaſſe. — Eine wiederholte Beſteigung des Chim-borazo möchte wenig Nutzen bringen, obgleich die Höhe deſſelbennoch immer nicht genau beſtimmt iſt. Indeß ſchätzt ſie v. H.auf 3350 Toiſen. Die Höhe von Tapia beträgt 1482 Toiſen(nach Bouſſingault 1474 T.). Der einzige bis auf \( \frac{1}{264} \)
ſeiner Höhe genau gemeſſene Berg iſt der Montblanc.
In Anſehung der geognoſtiſchen Beſchaffenheit findet dieHebungstheorie von Leopold v. Buch bey dem Chimborazoihre volle Anwendung. Das Geſtein beſteht nicht in eigent-lichem Trachyt, da es nach Guſtav Roſe von Albit undFeldſpath frey iſt. Es beſteht vielmehr aus Labrador und Augit,iſt alſo eine Art Dolerit oder Augitporphyr, in welchem Horn-blende vorkommt und iſt alſo dem des Aetna und Kotoparianalog. Bimsſtein und Lava finden ſich am Chimborazo nicht.Von einer Höhe von 18,000 Fuß am Chimborazo iſt der Au-gitporphyr gelblich, löcherig, zuweilen ſehr locker und leicht,und dieſer iſt auf Spalten herausgeſchoben. Doch eigentlicheLavaſtröme haben ſich hier, obgleich die ganze Hochebene vonQuito ein großer Kraterheerd iſt, nicht ergoſſen. Häufig neh-men die Bewohner des Chimborazo (namentlich im Dorfe SanJuan) im Innern des Berges ein donnerähnliches Brauſenwahr, welchem in der Regel Erdbeben folgen, vor denen ſie ſichaber ſo wenig fürchten, wie bey uns vor einem Gewitter.“