Auszug aus einer Abhandlung des Herrn Alexander von Humboldt uͤber zwei Verſuche den Chimborazo zu beſteigen. (Aus Schumacher’s Jahrbuch fuͤr 1837.) Die hoͤchſten Berggipfel beider Kontinente, im alten der Dhawalagiri (weiße Berg) und der Jawahir (Djawahir); im neuͤen der Sorata und Illimani, ſind bisher noch nie von Menſchen erreicht worden. Der hoͤchſte Punkt, zu dem man in beiden Kontinenten auf der Erdoberflaͤche gelangt iſt, liegt in Suͤdamerika am ſuͤdoͤſtlichen Abfall des Chimborazo. Dort ſind Reiſende faſt bis 18,500 Pariſer Fuß, naͤmlich ein Mal im Junius 1802 bis 3016 Toiſen, ein ander Mal im Dezember 1831 bis 3080 Toiſen Hoͤhe uͤber der Meeresflaͤche gelangt. Barometermeſſungen wurden alſo in der Andeskette 3720 Fuß hoͤher als der Gipfel des Montblanc angeſtellt. Die Hoͤhe des Montblanc iſt im Verhaͤltniß der Geſtaltung der Cordilleren ſo unbetraͤchtlich, daß in dieſen vielbetretene Wege (Paͤſſe) hoͤher liegen, ja ſelbſt der obere Theil der großen Stadt Potoſi dem Gipfel des Montblanc nur um 323 Toiſen nachſteht. Ich habe es fuͤr noͤthig gefunden, dieſe wenigen numeriſchen Angaben hier voranzuſchicken, um der Phantaſie beſtimmte Anhaltspunkte fuͤr die hypſometriſche, gleichſam plaſtiſche Betrachtung der Erdoberflaͤche darbieten zu koͤnnen. Das Erreichen großer Hoͤhen iſt von geringem wiſſenſchaftlichen Intereſſe, wenn dieſelben weit uͤber der Schneegraͤnze liegen, und nur auf wenige Stunden beſucht werden koͤnnen. Unmittelbare Hoͤhenbeſtimmungen durch das Barometer gewaͤhren zwar den Vortheil ſchnell zu erhaltender Reſultate, doch ſind die Gipfel meiſt nahe mit Hochebenen umgeben, die zu einer trigonometriſchen Operation geeignet ſind, und in denen alle Elemente der Meſſung wiederholt gepruͤft werden koͤnnen, waͤrend eine einmalige Beſtimmung mittelſt des Barometers, wegen auf- und abſteigender Luftſtroͤme am Abhange des Gebirgſtockes und wegen dadurch erzeuͤgter Variation in der Temperaturabnahme, betraͤchtliche Fehler in den Reſultaten erzeuͤgt. Die Natur des Geſteins iſt wegen der ewigen Schneedecke der geognoſtiſchen Beobachtung faſt gaͤnzlich entzogen, da nur einzelne Felsrippen (Grathe) mit ſehr verwitterten Schichten hervortreten. Das organiſche Leben iſt in dieſen hohen Einoͤden der Erdflaͤche erſtorben. Kaum verirren ſich in die duͤnnen Schichten des Luftkreiſes der Berggeier (Condor) und gefluͤgelte Inſekten, letztere unwillkuͤrlich von Luftſtroͤmen gehoben. Wenn ein ernſtes wiſſenſchaftliches Intereſſe kaum noch der Bemuͤhung reiſender Phyſiker, die die hoͤheren Gipfel der Erde zu erſteigen ſtreben, geſchenkt wird, ſo hat ſich dagegen im allgemeinen Volksſinne ein reger Antheil an einer ſolchen Bemuͤhung erhalten. Das, was unerreichbar ſcheint, hat eine geheimnißvolle Ziehkraft; man will, daß alles erſpaͤhet, daß wenigſtens verſucht werde, was nicht errungen werden kann. Der Chimborazo iſt der ermuͤdende Gegenſtand aller Fragen geweſen, die ſeit meiner erſten Ruͤckkunft nach Euͤropa an mich gerichtet wurden. Die Ergruͤndung der wichtigſten Naturgeſetze, die lebhafteſte Schilderung der Pflanzenzonen und der, die Objekte des Ackerbaues beſtimmenden Verſchiedenheit der Klimate, welche ſchichtenweiſe uͤber einander liegen, waren ſelten faͤhig, die Aufmerkſamkeit von dem ſchneebedeckten Gipfel abzulenken, den man damals noch (vor Pentlands Reiſe nach Bolivia) fuͤr den Culminationspunkt der gangartig ausgedehnten Andeskette hielt. (Herr von Humboldt bemerkt hier, daß es ſeine Abſicht ſei, hier nur die einfache Erzaͤhlung einer Bergreiſe aus dem noch ungedruckten Theile ſeiner Tagebuͤcher auszuziehen und verweiſt wegen des Details der von ihm bei Neuͤ-Riobamba in der Ebene von Tapia angeſtellten trigonometriſchen Meſſung auf die Einleitung zu dem erſten Bande ſeiner aſtronomiſchen Beobachtungen, ſo wie wegen der Geographie der Pflanzen an dem Abhange des Chimborazo und dem ihm nahen Gebirge auf eine Tafel des geographiſchen und phyſikaliſchen Atlaſſes von Suͤdamerika.) Den 22. Junius 1799, faͤhrt Herr von Humboldt fort, war ich im Krater des Pik von Teneriffa geweſen, drei Jahre darauf, faſt an demſelben Tage (den 23. Junius 1802), gelangte ich 6700 Fuß hoͤher bis nahe an den Gipfel des Chimborazo. Nach einem langen Aufenthalte in dem Hochlande von Quito, einer der wundervollſten und maleriſchſten Gegenden der Erde, unternahmen wir die Reiſe nach den Chinawaͤldern von Loxa, dem oberen Laufe des Amazonenfluſſes, weſtlich von der beruͤhmten Stromenge (Pongo de Manſeriche) und durch die ſandige Wuͤſte laͤngs dem peruaniſchen Ufer der Suͤdſee nach Lima, wo der Durchgang des Merkur durch die Sonnenſcheibe (am 9. November 1802) beobachtet werden ſollte. Wir genoſſen mehrere Tage lang, auf der mit Bimſtein bedeckten Ebene, in der man (nach dem furchtbaren Erdbeben vom 4. Februar 1797) die neuͤe Stadt Riobamba zu gruͤnden anfing, einer herrlichen Anſicht des glocken- oder domfoͤrmigen Gipfels des Chimborazo bei dem heiterſten, eine trigonometriſche Meſſung beguͤnſtigenden, Wetter. Durch ein großes Fernrohr hatten wir den noch 15700 Toiſen entfernten Schneemantel des Berges durchforſcht und mehrere Felsgrathe entdeckt, die wie duͤrre ſchwarze Streifen aus dem ewigen Schnee hervorragend, dem Gipfel zuliefen und einige Hoffnung gaben, daß man auf ihnen in der Schneeregion feſten Fuß wuͤrde faſſen koͤnnen. Riobamba Nuevo liegt im Angeſicht des ungeheuͤren, jetzt zackigen Gebirgsſtocks Capac-Urcu, von den Spaniern el Altar genannt, der (laut einer Tradition der Ingebornen) einſt hoͤher als der Chimborazo war, und, nachdem er viele Jahre lang geſpieen, einſtuͤrzte. Dieſes Schrecken verbreitende Naturereigniß faͤllt in die Zeit kurz vor der Eroberung von Quito durch den Inca Tupac-Yupanqui. Riobamba Nuevo iſt nicht mit dem alten Riobamba der großen Karte von La Condamine und Don Pedro Maldonado zu verwechſeln. Letztere Stadt iſt gaͤnzlich zerſtoͤrt worden durch die große Kataſtrophe vom 4. Februar 1797, die in wenigen Minuten uͤber 45000 Menſchen toͤdtete. Das neuͤe Riobamba liegt, nach meiner Kronometerbeſtimmung, 42 Zeitſekunden oͤſtlicher als das alte Riobamba, aber faſt unter derſelben Breite (1° 41′ 46″ ſuͤdlich). Wir befanden uns in der Ebene von Tapia, aus der wir am 22. Junius unſere Expedition nach dem Chimborazo antraten, ſchon 8898 Pariſer Fuß (1483 Toiſen) hoch uͤber dem Spiegel der Suͤdſee. Dieſe Hochebene, ein Theil des Thalbodens zwiſchen der oͤſtlichen und weſtlichen Andeskette (der Kette der thaͤtigen Vulkane Cotopaxi und Tungurahua und der Kette des Iliniza und Chimborazo) verfolgten wir ſanft anſteigend bis an den Fuß des letzteren Berges, wo wir im indiſchen Dorfe Calpi uͤbernachten ſollten. Sie iſt ſparſam mit Cactusſtaͤmmen und Schinus molle, der einer Trauerweide gleicht, bedeckt. Heerden buntgefaͤrbter Llamas ſuchen hier zu Tauſenden eine ſparſame Nahrung. Auf einer ſo großen Hoͤhe ſchadet die ſtarke naͤchtliche Waͤrmeſtrahlung des Bodens, bei wolkenloſem Himmel, dem Ackerbau durch Erkaͤltung und Froſt. Ehe wir Calpi erreichten, beſuchten wir Lican, jetzt ebenfalls ein kleines Dorf, aber vor der Eroberung des Landes durch den eilften Inca (denſelben Tupac-Yupanqui, deſſen wohlerhaltenen Koͤrper Garcilaſſo de la Vega noch 1559 in der Familiengruft zu Cuzco geſehen hatte), eine betraͤchtliche Stadt und der Aufenthaltsort des Conchocando oder Fuͤrſten der Puruay. Die Ingebornen glauben, daß die kleine Zahl wilder Llamas, die man am weſtlichen Abfall des Chimborazo findet, nur verwildert ſind und von den, nach der Zerſtoͤrung des alten Lican zerſtreuͤten und fluͤchtig gewordenen Heerden abſtammen. Alſo 2890 Meter; Bouſſingault fand 2870 Meter und nach der Erdwaͤrme die mittlere Temperatur der Hochebene von Tapia 16°,4 C. Annalen ꝛc. 3te Reihe, III. Bd. Ganz nahe bei Calpi, nordweſtlich von Lican, erhebt ſich in der duͤrren Hochebene ein kleiner iſolirter Huͤgel, der ſchwarze Berg, Yana- Urcu, deſſen Name von den franzoͤſiſchen Akademikern nicht genannt worden iſt, der aber in geognoſtiſcher Hinſicht viel Aufmerkſamkeit verdient. Der Huͤgel liegt ſuͤdſuͤdoͤſtlich vom Chimborazo, in weniger als drei Meilen (15 auf 1°) Entfernung und von jenem Koloſſe nur durch die Hochebene von Luiſa getrennt. Will man in ihm auch nicht einen Seitenausbruch dieſes Koloſſes erkennen, ſo iſt der Urſprung dieſes Eruptionskegels doch gewiß den unterirdiſchen Maͤchten zuzuſchreiben, die unter dem Chimborazo Jahrtauſende lang vergeblich einen Ausweg geſucht haben. Er iſt ſpaͤteren Urſprungs, als die Erhebung des großen glockenfoͤrmigeren Berges. Der Yana-Urcu bildet mit dem noͤrdlicheren Huͤgel Naguangachi eine zuſammenhaͤngende Anhoͤhe, in Form eines Hufeiſens; der Bogen (mehr als Halbzirkel) iſt gegen Oſten geoͤffnet. Wahrſcheinlich liegt in der Mitte des Hufeiſens der Punkt, aus dem die ſchwarzen Schlacken ausgeſtoßen werden, die jetzt weit umher verbreitet ſind. Wir fanden dort eine trichterfoͤrmige Senkung von etwa 120 Fuß Tiefe, in deren Innerem ein kleiner runder Huͤgel ſteht, deſſen Hoͤhe den umgebenden Rand nicht erreicht. Yana-Urcu heißt eigentlich der ſuͤdliche Culminationspunkt des alten Kraterrandes, der hoͤchſtens 400 Fuß uͤber der Flaͤche von Calpi erhaben iſt Naguangachi heißt das noͤrdliche niedere Ende. Die ganze Anhoͤhe erinnert durch ihre Hufeiſenform, aber nicht durch ihr Geſtein, an den etwas hoͤheren Huͤgel Javirac (el Panecillo de Quito), der ſich iſolirt am Fuße des Vulkans Pichincha in der Ebene von Turubamba erhebt, und der auf La Condamine’s oder vielmehr Morainville’s Karte irrig als ein vollkommener Kegel abgebildet iſt. Nach der Tradition der Ingebornen und nach alten Handſchriften, welche der Kazike oder Apu von Lican, ein Abkoͤmmling der alten Fuͤrſten des Landes (der Conchocandi), beſaß, iſt der vulkaniſche Ausbruch des Yana-Urcu gleich nach dem Tode des Inca Tupac-Yupanqui, alſo wol in der Mitte des fuͤnfzehnten Jahrhunderts erfolgt. Die Tradition ſagt, es ſei eine Feuͤerkugel oder gar ein Stern vom Himmel gefallen und habe den Berg entzuͤndet. Solche Mythen, welche Aerolithenfaͤlle mit Entzuͤndungen in Verbindung ſetzen, ſind auch unter den mexikaniſchen Voͤlkerſtaͤmmen verbreitet. Das Geſtein des Yana- Urcu iſt eine poroͤſe, dunkel nelkenbraune, oft ganz ſchwarze, ſchlackige Maſſe, die man leicht mit poroͤſem Baſalt verwechſeln kann. Olivin fehlt gaͤnzlich darin. Die weißen, ſehr ſparſam darin liegenden Kryſtalle ſind uͤberaus klein und wahrſcheinlich Labrador. Hier und da ſah ich Schwefelkies eingeſprengt. Das Ganze gehoͤrt wol dem ſchwarzen Augit-Porphyr an, wie die ganze Formation des Chimborazo, von dem wir unten reden werden, und der ich nicht den Namen Trachyt geben mag, da ſie keinen Feldſpath (mit etwas Albit), wie unſer Trachyt des Siebengebirges bei Bonn enthaͤlt. Die ſchlakkenartigen, durch ein ſehr thaͤtiges Feuͤer veraͤnderten Maſſen des Yana-Urcu ſind zwar uͤberaus leicht, aber eigentlicher Bimſtein iſt dort nicht ausgeworfen worden. Der Ausbruch iſt durch eine graue, unregelmaͤßig geſchichtete Maſſe von Dolerit geſchehen, der hier die Hochebene bildet und dem Geſtein von Penipe (am Fuße des Vulkans von Tungurahua) aͤhnlich iſt, wo Syenit und granathaltiger Glimmerſchiefer durchbrochen worden ſind. Am oͤſtlichen Abhange des Yana-Urcu, oder vielmehr am Fuße des Huͤgels gegen Lican zu, fuͤhrten uns die Ingebornen an einen vorſpringenden Fels, an dem eine Öffnung dem Mundloch eines verfallenen Stollens glich. Man hoͤrt hier und auch ſchon in zehn Fuß Entfernung ein heftiges unterirdiſches Getoͤſe, das von einem Luftſtrome oder unterirdiſchen Winde begleitet iſt. Die Luftſtroͤmung iſt viel zu ſchwach, um ihr allein das Getoͤſe zuzuſchreiben. Letzteres entſteht gewiß durch einen unterirdiſchen Bach, der in eine tiefere Hoͤhle herabſtuͤrzt und durch ſeinen Fall die Luftbewegung erregt. Ein Moͤnch, Pfarrer in Calpi, hatte in derſelben Meinung den Stollen auf einer offenen Kluft vor langer Zeit angeſetzt, um ſeinem Dorfe Waſſer zu verſchaffen. Die Haͤrte des ſchwarzen Augitgeſteins hat wahrſcheinlich die Arbeit unterbrochen. Der Chimborazo ſendet trotz ſeiner ungeheuͤern Schneemaſſe ſo waſſerarme Baͤche in die Hochebene herab, daß man wol annehmen kann, der groͤßere Theil ſeiner Waſſer fließe auf Kluͤften dem Innern zu. Auch in dem Dorfe Calpi ſelbſt hoͤrte man ehemals ein großes Getoͤſe unter einem Hauſe, das keine Keller hatte. Vor dem beruͤhmten Erdbeben vom 4. Februar 1797 entſprang im Suͤdweſten des Dorfes ein Bach an einem tieferen Punkte. Viele Indianer hielten denſelben fuͤr einen Theil der Waſſermaſſe, die unter dem Yana-Urcu fließt. Seit dem großen Erdbeben iſt aber dieſer Bach wiederum verſchwunden. Nachdem wir die Nacht in Calpi, nach meiner Barometermeſſung 9720 Fuß (1620 Toiſen) hoch uͤber dem Meere zugebracht hatten, begannen wir am 23ſten Morgens unſere eigentliche Expedition nach dem Chimborazo. Wir verſuchten den Berg von der ſuͤdſuͤdoͤſtlichen Seite zu erſteigen und die Indianer, die uns zu Fuͤhrern dienen ſollten, von denen aber nur wenige je bis zur Graͤnze des ewigen Schnees gelangt waren, gaben dieſer Richtung des Weges ebenfalls den Vorzug. Wir fanden den Chimborazo mit großen Ebenen, die ſtufenweiſe uͤber einander liegen, umgeben. Zuerſt durchſchritten wir die Llanos de Luiſa, dann, nach einem nicht ſehr ſteilen Anſteigen von kaum 5000 Fuß Laͤnge, gelangten wir in die Hochebene (Llano) von Sisgun. Die erſte Stufe iſt 10,200, die zweite 11,700 Fuß hoch. Dieſe mit Gras bewachſenen Ebenen erreichen alſo die eine den hoͤchſten Gipfel der Pyrenaͤen (den Pik Nethou), die andere den Gipfel des Vulkans von Teneriffa. Die vollkommene Soͤligkeit (Horizontalitaͤt) dieſer Hochebenen laͤßt auf einen langen Aufenthalt ſtehender Waſſer ſchließen. Man glaubt einen Seeboden zu ſehen. An dem Abhange der Schweizer Alpen bemerkt man bisweilen auch dies Phaͤnomen ſtufenweiſe uͤber einander liegender kleiner Ebenen, welche wie abgelaufene Becken von Alpenſeen jetzt durch enge offene Paͤſſe verbunden ſind. Die weit ausgedehnten Grasfluren (los Pajonales) ſind am Chimborazo, wie uͤberall um die hohen Gipfel der Andeskette, ſo einfoͤrmig, daß die Familie der Graͤſer (Arten von Paspalum, Andropogon, Bromus, Dejeuxia, Stipa) ſelten von Krauͤtern dikotyledoniſcher Pflanzen unterbrochen werden. Es iſt faſt die Steppennatur, die ich in dem duͤrren Theile des noͤrdlichen Aſiens geſehen habe. Die Flora des Chimborazo hat uns uͤberhaupt minder reich geſchienen als die Flora der anderen Schneeberge, welche die Stadt Quito umgeben. Nur wenige Calceolarien, Compoſiten (Bidens, Eupatorium, Dumerilia paniculata, Werneria nubigena), und Gentianen, unter denen die ſchoͤne Gentiana cernua mit purpurrothen Bluͤthen hervorleuͤchtet, erheben ſich in der Hochebene von Sisgun zwiſchen den geſellig wachſenden Graͤſern. Dieſe gehoͤren, der groͤßten Zahl nach, nordeuͤropaͤiſchen Geſchlechtern an. Die Lufttemperatur, die gewoͤhnlich in dieſer Region der Alpengraͤſer (in 1600 und 2000 Toiſen Hoͤhe) herrſcht, ſchwankt bei Tage zwiſchen 4° und 16° Ct., bei Nacht zwiſchen 0° und 10°. Die mittlere Temperatur des ganzen Jahres ſcheint fuͤr die Hoͤhe von 1800 Toiſen nach den von mir in der Naͤhe des Äquators geſammelten Beobachtungen, ohngefaͤhr 9° zu ſein. In dem Flachlande der temperirten Zone iſt dies die mittlere Temperatur des noͤrdlichen Deuͤtſchlands, z. B. von Luͤneburg (Breite 53° 15′), wo aber die Waͤrmevertheilung unter die einzelnen Monate (das wichtigſte Element zur Beſtimmung des Vegetationskarakters einer Gegend) ſo ungleich iſt, daß der Februar — 1°,8, der Julius + 18° mittlerer Waͤrme hat. Alle Temperaturen ſind in dieſem Aufſatze nach Graden des hunderttheiligen Thermometers ausgedruͤckt. Mein Plan war, in der ſchoͤnen, ganz ebenen Grasflur von Sisgun eine trigonometriſche Operation anzuſtellen. Ich hatte mich dazu vorbereitet, dort eine Standlinie zu meſſen. Die Hoͤhenwinkel waͤren ſehr betraͤchtlich ausgefallen, da man dem Gipfel des Chimborazo nahe iſt. Es blieb nur noch eine ſenkrechte Hoͤhe von weniger als 8400 Fuß (eine Hoͤhe wie der Canigou in den Pyrenaͤen) zu beſtimmen uͤbrig. Bei der ungeheuͤern Maſſe der einzelnen Berge in der Andeskette iſt doch jede Beſtimmung der Hoͤhe uͤber der Meeresflaͤche aus einer barometriſchen und trigonometriſchen zuſammengeſetzt. Ich hatte den Sextanten und andere Meßinſtrumente vergeblich mitgenommen. Der Gipfel des Chimborazo blieb in dichten Nebel gehuͤllt. Aus der Hochebene von Sisgun ſteigt man ziemlich ſteil bis zu einem kleinen Alpenſee (Laguna de Yana-Coche) an. Bis dahin war ich auf dem Maulthiere geblieben und nur von Zeit zu Zeit abgeſtiegen, um mit meinem Reiſegefaͤhrten, Herrn Bonpland, Pflanzen zu ſammeln. Yana-Coche verdient nicht den Namen eines Sees. Es iſt ein cirkelrundes Becken von kaum 130 Fuß Durchmeſſer. Der Himmel wurde immer truͤber, aber zwiſchen und uͤber den Nebelſchichten lagen noch einige Wolkengruppen zerſtreuͤt. Der Gipfel des Chimborazo erſchien auf wenige Augenblicke. Da in der letzten Nacht viel Schnee gefallen war, ſo verließ ich das Maulthier da, wo wir die untere Graͤnze dieſes friſch gefallenen Schnees fanden, eine Graͤnze, die man nicht mit der ewigen Schneegraͤnze verwechſeln muß. Das Barometer zeigte, daß wir erſt 13500 Fuß hoch gelangt waren. Auf anderen Bergen habe ich, ebenfalls dem Äquator nahe, bis zu 11200 Fuß Hoͤhe ſchneien ſehen, doch nicht tiefer. Meine Begleiter ritten noch bis zur perpetuirlichen Schneegraͤnze, das iſt bis zur Hoͤhe des Montblanc, der bekanntlich unter dieſer Breite (1° 27′ ſuͤdl.) nicht immer mit Schnee bedeckt ſein wuͤrde. Dort blieben unſere Pferde und Maulthiere ſtehen, um uns bis zur Ruͤckkunft zu erwarten. Ein hundert und fuͤnfzig Toiſen uͤber dem kleinen Waſſerbecken Yana-Coche, ſahen wir endlich nacktes Geſtein. Bis dahin hatte die Grasflur jeder geognoſtiſchen Unterſuchung den Boden entzogen. Große Felsmauern, von Nordoſt nach Suͤdweſt ſtreichend, zum Theil in unfoͤrmliche Sauͤlen geſpalten, erhoben ſich aus der ewigen Schneedecke, ein brauͤnlich ſchwarzes Augitgeſtein, glaͤnzend wie Pechſtein- Porphyr. Die Sauͤlen waren ſehr duͤnne, wol 50 bis 60 Fuß hoch, faſt wie die Trachyt-Sauͤlen des Tabla-Uma am Vulkan Pichincha. Eine Gruppe ſtand einzeln und erinnerte in der Ferne faſt an Maſten und Baumſtaͤmme. Die ſteilen Mauern fuͤhrten uns, durch die Schneeregion, zu einem gegen den Gipfel gerichteten ſchmalen Grath, einem Felskamm, der es uns allein moͤglich machte, vorzudringen, denn der Schnee war damals ſo weich, daß man faſt nicht wagen konnte, ſeine Oberflaͤche zu betreten. Der Kamm beſtand aus ſehr verwittertem broͤckligen Geſtein. Es war oft zellig, wie ein baſaltartiger Mandelſtein. Der Pfad wurde immer ſchmaler und ſteiler. Die Ingebornen verließen uns alle bis auf einen in der Hoͤhe von 15600 Fuß. Alle Bitten und Drohungen waren vergeblich. Die Indianer behaupteten von Athemloſigkeit mehr als wir zu leiden. Wir blieben allein, Bonpland, unſer liedenswuͤrdiger Freuͤnd, der juͤngere Sohn des Marques de Selvalegre, Carlos Montufar, der in dem ſpaͤteren Freiheitskampfe (auf General Morillo’s Befehl) erſchoſſen wurde, ein Meſtize aus dem nahen Dorfe San Juan und ich. Wir gelangten mit großer Anſtrengung und Geduld hoͤher als wir hoffen durften, da wir meiſt ganz in Nebel gehuͤllt waren. Der Kamm (im Spaniſchen ſehr bedeuͤtſam Cuchilla, gleichſam Meſſerruͤcken genannt) hatte oft nur die Breite von acht bis zehn Zoll; zur Linken war der Abſturz mit Schnee bedeckt, deſſen Oberflaͤche durch Froſt wie verglaſet erſchien. Die duͤnneiſige Spiegelflaͤche hatte gegen 30° Neigung. Zur Rechten ſenkte ſich unſer Blick ſchaurig in einen achthundert oder tauſend Fuß tiefen Abgrund, aus dem ſchneeloſe Felsmaſſen ſenkrecht hervorragten. Wir hielten den Koͤrper immer mehr nach dieſer Seite hin geneigt, denn der Abſturz zur Linken ſchien noch gefahrdrohender, weil ſich dort keine Gelegenheit darbot, ſich mit den Haͤnden an zackig vorſtehendem Geſteine feſtzuhalten und weil dazu die duͤnne Eisrinde nicht vor dem Unterſinken im lockeren Schnee ſicherte. Nur ganz leichte poroͤſe Doleritſtuͤcke konnten wir auf dieſer Eisrinde herabrollen laſſen. Die geneigte Schneeflaͤche war ſo ausgedehnt, daß wir die Steine fruͤher aus dem Geſichte verloren, als ſie zur Ruhe kamen. Der Mangel von Schnee ſowol auf dem Grathe, der uns leitete, als auf den Felſen zu unſerer Rechten gegen Oſten, darf weniger der Steilheit der Geſteinmaſſen und dem Windſtoße, als offenen Kluͤften zuzuſchreiben ſein, welche die warme Luft der tieferen Erdſchichten aushauchen. Bald fanden wir das weitere Steigen dadurch ſchwieriger, daß die Broͤcklichkeit des Geſteins betraͤchtlich zunahm. An einzelnen ſehr ſteilen Staffeln mußte man die Haͤnde und Fuͤße zugleich anwenden, wie dies bei allen Alpenreiſen ſo gewoͤhnlich iſt. Da das Geſtein ſehr ſcharfkantig war, ſo wurden wir, beſonders an den Haͤnden, ſchmerzhaft verletzt. In noch hoͤherem Maaße haben wir, Leopold von Bach und ich, nahe am Krater des obſidianreichen Piks von Teneriffa von dieſen Verletzungen gelitten. Ich hatte dazu (wenn es anders einem Reiſenden erlaubt iſt, ſo unwichtige Einzelnheiten zu erwaͤhnen), ſeit mehreren Wochen eine Wunde am Fuße, die durch die Anhauͤfung der Niguas (Pulex penetrans) veranlaßt und durch feinen Staub von Bimſtein, bei Meſſungen im Llano de Tapia, ſehr vermehrt worden war. Der geringe Zuſammenhang des Geſteins auf dem Kamm machte nun groͤßere Vorſicht noͤthig, da viele Maſſen, die wir fuͤr anſtehend hielten, loſe in Sand gehuͤllt lagen. Wir ſchritten hinter einander und um ſo langſamer fort, als man die Stellen pruͤfen mußte, die unſicher ſchienen. Gluͤcklicherweiſe war der Verſuch, den Gipfel des Chimborazo zu erreichen, die letzte unſerer Bergreiſen in Suͤdamerika, daher die fruͤher geſammelten Erfahrungen uns leiten und mehr Zuverſicht auf unſere Kraͤfte geben konnten. Es iſt ein eigener Karakter aller Exkurſionen in der Andeskette, daß oberhalb der ewigen Schneegraͤnze weiße Menſchen ſich in den bedenklichſten Lagen ſtets ohne Fuͤhrer, ja ohne alle Kenntniß der Örtlichkeit befinden. Man iſt hier uͤberall zuerſt. Der Sandfloh, la Chique der franzoͤfiſchen Koloniſten von Weſtindien, ein Inſekt, das ſich unter die Haut des Menſchen eingraͤbt, und, da der Eierſack des befruchteten Weibchens betraͤchtlich anſchwillt, Entzuͤndung erregt. Wir konnten den Gipfel auch auf Augenblicke nicht mehr ſehen, und waren daher doppelt neuͤgierig zu wiſſen, wie viel uns zu erſteigen uͤbrig bleiben moͤchte. Wir oͤffneten das Gefaͤßbarometer an einem Punkte, wo die Breite des Kammes erlaubte, daß zwei Perſonen bequem neben einander ſtehen konnten. Wir waren erſt 17300 Fuß hoch, alſo kaum 200 Fuß hoͤher, als wir drei Monate zuvor, einen aͤhnlichen Kamm erklimmend, auf dem Antiſana geweſen waren. Es iſt mit Hoͤhenbeſtimmungen bei dem Bergſteigen, wie mit Waͤrmebeſtimmungen im heißen Sommer. Man findet mit Verdruß das Thermometer nicht ſo hoch, den Barometerſtand nicht ſo niedrig, als man es erwartete. Da die Luft, trotz der Hoͤhe, ganz mit Feuͤchtigkeit geſaͤttigt war, ſo trafen wir nun das loſe Geſtein und den Sand, der die Zwiſchenrauͤme deſſelben ausfuͤllt, uͤberaus naß. Die Luft war noch 2°,8 uͤber dem Gefrierpunkt. Kurz vorher hatten wir an einer trockenen Stelle das Thermometer drei Zoll tief in den Sand eingraben koͤnnen. Es hielt ſich auf + 5°,8. Das Reſultat dieſer Beobachtung, die ohngefaͤhr in 2860 Toiſen Hoͤhe angeſtellt wurde, iſt ſehr merkwuͤrdig, denn bereits 400 Toiſen tiefer, an der Graͤnze des ewigen Schnees, iſt nach vielen und ſorgfaͤltig von Bouſſingault und mir geſammelten Beobachtungen die mittlere Waͤrme der Atmoſphaͤre nur + 1°,6. Die Temperatur der Erde zu + 5°,8 muß daher der unterirdiſchen Waͤrme des Doleritberges, ich ſage nicht der ganzen Maſſe, ſondern den aus dem Inneren aufſteigenden Luftſtroͤmen zugeſchrieben werden. Nach einer Stunde vorſichtigen Klimmens wurde der Felskamm weniger ſteil, aber leider! blieb der Nebel gleich dick. Wir fingen nun nach und nach an, alle an großer Üblichkeit zu leiden. Der Drang zum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbunden und weit laͤſtiger als die Schwierigkeit zu athmen. Ein farbiger Menſch (Meſtize aus San Juan) hatte uns bloß aus Gutmuͤthigkeit, keinesweges aber in eigennuͤtziger Abſicht, nicht verlaſſen wollen. Es war ein kraͤftiger, armer Landmann, der mehr litt, als wir. Wir bluteten aus dem Zahnfleiſch und aus den Lippen. Die Bindehaut (tunica conjunctiva) der Augen war bei allen ebenfalls mit Blut unterlaufen. Dieſe Symptome der Extravaſate in den Augen, des Blutausſchwitzens am Zahnfleiſch und an den Lippen, hatten fuͤr uns nichts Beunruhigendes, da wir aus mehrmaliger fruͤherer Erfahrung damit bekannt waren. In Euͤropa hat Herr Zumſtein ſchon auf einer weit geringeren Hoͤhe am Monte Roſa zu bluten angefangen. Spaniſche Krieger kamen bei Eroberung der Äquinoktialregion von Amerika (waͤrend der Conquiſta) nicht uͤber die untere Graͤnze des ewigen Schnees, alſo wenig uͤber die Hoͤhe des Montblanc hinaus, und doch ſpricht ſchon Acoſta in ſeiner Historia natural de las Indias, einer Art phyſiſcher Erdbeſchreibung, die man ein Meiſterwerk des 16ten Jahrhunderts nennen kann, umſtaͤndlich „von Üblichkeiten und Magenkrampf als ſchmerzhaften Symptomen der Bergkrankheit, die darin der Seekrankheit analog iſt. Auf dem Vulkan von Pichincha fuͤhlte ich einmal, ohne zu bluten, ein ſo heftiges Magenuͤbel von Schwindel begleitet, daß ich beſinnungslos auf der Erde gefunden wurde, als ich mich eben auf einer Felsmauer uͤber der Schlucht von Verde-Cuchu, von meinen Begleitern getrennt hatte, um elektrometriſche Verſuche an einem recht freien Punkte anzuſtellen. Die Hoͤhe war gering, unter 13800 Fuß. Am Antiſana aber, auf der betraͤchtlichen Erhebung von 17022 Fuß, blutete unſer junge Reiſegefaͤhrte Don Carlos Montufar ſehr ſtark aus den Lippen. Alle dieſe Erſcheinungen ſind nach Beſchaffenheit des Alters, der Konſtitution, der Zartheit der Haut, der vorhergegangenen Anſtrengung der Muskelkraft ſehr verſchieden, doch fuͤr einzelne Individuen ſind ſie eine Art Maaß der Luftverduͤnnung und abſoluten Hoͤhe, zu welcher man gelangt iſt. Nach meinen Beobachtungen in den Cordilleren zeigen ſie ſich an weißen Menſchen bei einem Barometerſtande zwiſchen 14 Zoll und 15 Zoll 10 Linien. Es iſt bekannt, daß die Angaben der Hoͤhen, zu denen die Luftſchiffer behaupten ſich erhoben zu haben, gewoͤhnlich wenig Glauben verdienen, und wenn ein ſicherer und uͤberaus genauer Beobachter, Herr Gay-Luſſac, der am 16. September 1804 die ungeheuͤre Hoͤhe von 21600 Fuß erreichte (alſo zwiſchen den Hoͤhen des Chimborazo und Illimani), kein Bluten erlitt, ſo iſt dies vielleicht dem Mangel der Muskelbewegung zuzuſchreiben. Nach dem jetzigen Stande der Euͤdiometrie erſcheint die Luft in jenen hohen Regionen eben ſo ſauerſtoffreich, als in den unteren; aber da in dieſer duͤnnen Luft, bei der Haͤlfte des Barometerdrucks, dem wir gewoͤhnlich in den Ebenen ausgeſetzt ſind, bei jedem Athemzuge, eine geringere Menge Sauerſtoff von dem Blute aufgenommen wird, ſo iſt allerdings begreiflich, wie ein allgemeines Gefuͤhl der Schwaͤche eintreten kann. Warum dieſe Aſthenie, wie im Schwindel, vorzugsweiſe Üblichkeit und Luſt zum Erbrechen erregt, iſt hier nicht zu eroͤrtern, ſo wenig als zu beweiſen, daß das Ausſchwitzen des Blutes (das Bluten aus Lippen, Zahnfleiſch und Augen), was auch nicht alle Individuen auf ſo großen Hoͤhen erfahren, keinesweges durch Aufhebung eines „mechaniſchen Gegendrucks“ auf das Gefaͤß-Syſtem befriedigend erklaͤrt werden kann. Es waͤre vielmehr die Wahrſcheinlichkeit des Einfluſſes eines verminderten Luftdruckes auf Ermuͤdung bei Bewegung der Beine in ſehr luftduͤnnen Regionen zu unterſuchen, da, nach der denkwuͤrdigen Entdeckung zweier geiſtreichen Forſcher, Wilhelm und Eduard Weber , das ſchwebende Bein, am Rumpfe hangend, bloß durch den Druck der atmoſphaͤriſchen Luft gehalten und getragen wird. Mechanik der menſchlichen Gehwerkzeuͤge. 1836. §. 64. S. 147 — 160. Neuͤere, von den Gebruͤdern Weber zu Berlin angeſtellte Verſuche haben den Satz: daß das Bein in der Beckenpſanne von dem Druck der atmoſphaͤriſchen Luft getragen wird, vollkommen beſtaͤtigt. Die Nebelſchichten, die uns hinderten, entfernte Gegenſtaͤnde zu ſehen, ſchienen ploͤtzlich, trotz der totalen Windſtille, vielleicht durch elektriſche Prozeſſe, zu zerreißen. Wir erkannten einmal wieder, und zwar ganz nahe, den domfoͤrmigen Gipfel des Chimborazo. Es war ein ernſter großartiger Anblick. Die Hoffnung, dieſen erſehnten Gipfel zu erreichen, belebte unſere Kraͤfte aufs neuͤe. Der Felskamm, der nur hier und da mit duͤnnen Schneeflocken bedeckt war, wurde etwas breiter; wir eilten ſicheren Schrittes vorwaͤrts, als auf einmal eine Art Thalſchlucht von etwa 400 Fuß Tiefe und 60 Fuß Durchmeſſer unſerem Unternehmen eine unuͤberſteigliche Graͤnze ſetzte. Wir ſahen deuͤtlich jenſeits des Abgrundes unſeren Felskamm in derſelben Richtung fortſetzen, doch zweifle ich, daß er bis zum Gipfel ſelbſt fuͤhrt. Die Kluſt war nicht zu umgehen. Am Antiſana konnte freilich Herr Bonpland nach einer ſehr kalten Nacht, eine betraͤchtliche Strecke des ihn tragenden Schnees durchlaufen. Hier war der Verſuch nicht zu wagen, wegen Lockerheit der Maſſe; auch machte die Form des Abſturzes das Herabklimmen unmoͤglich. Es war 1 Uhr Mittags. Wir ſtellten mit vieler Sorgfalt das Barometer auf, es zeigte 13 Z. 11,2 L. Die Temperatur der Luft war nun 1°,6 unter dem Gefrierpunkt, aber nach einem mehrjaͤhrigen Aufenthalt in den heißeſten Gegenden der Tropenwelt ſchien uns dieſe geringe Kaͤlte erſtarrend. Dazu waren unſere Stiefel ganz von Schneewaſſer durchzogen, denn der Sand, der bisweilen den Grath bedeckte, war mit altem Schnee vermengt. Wir hatten, nach der La Place’ſchen Barometerformel, eine Hoͤhe von 3016 Toiſen, genauer von 18097 Pariſer Fuß erreicht. Waͤre La Condamine’s Angabe der Hoͤhe des Chimborazo, wie ſie auf der noch in Quito, im Jeſuiter-Collegio, aufbewahrten Steintafel aufgezeichnet iſt, die richtige, ſo fehlten uns noch bis zum Gipfel ſenkrecht 1224 Fuß oder die dreimalige Hoͤhe der Peterskirche zu Rom. (Herr von Humboldt erwaͤhnt hier, daß La Condamine und Bouguer, ihrer eigenen Auͤßerung nach, am Chimborazo nur eine Hoͤhe von 2400 Toiſen erreicht haben, daß ſie dagegen ſich ruͤhmen, auf dem Corazon in der Naͤhe von Quito das Barometer auf 15 Zoll 10 Linien geſehen zu haben, ein Stand, der, wie ſie ſagen, tiefer ſei, als je ein Menſch bisher habe beobachten koͤnnen. Herrn von Humboldt’s Barometer ſtand auf dem Chimborazo um faſt zwei Zoll tiefer und uͤberhaupt auch niedriger, als das des Kapt. Gerard im Jahre 1818 auf dem Tarhigang im Himalaya-Gebirge.) Wir blieben, heißt es in der Abhandlung des Herrn von Humboldt weiter, kurze Zeit in dieſer traurigen Einoͤde, bald wieder ganz in Nebel gehuͤllt. Die feuͤchte Luft war dabei unbewegt. Keine beſtimmte Richtung war in den einzelnen Gruppen dichterer Dunſtblaͤschen zu bemerken, daher ich nicht ſagen kann, ob auf dieſer Hoͤhe der dem tropiſchen Paſſat entgegengeſetzte Weſtwind wehet. Wir ſahen nicht mehr den Gipfel des Chimborazo, keinen der benachbarten Schneeberge, noch weniger die Hochebene von Quito. Wir waren wie in einem Luftball iſolirt. Nur einige Steinflechten waren uns bis uͤber die Graͤnze des ewigen Schnees gefolgt. Die letzten kryptogamiſchen Pflaͤnzchen, die ich ſammelte, waren Lecidea atrovirens (Lichen geographicus, Web.) und eine Gyrophora des Acharius, eine neuͤe Species (Gyrophora rugosa) ohngefaͤhr in 2820 Toiſen Hoͤhe. Das letzte Moos, Grimmia longirostris, gruͤnte 400 Toiſen tiefer. Ein Schmetterling (Sphinx) war von Herrn Bonpland in 15000 Fuß Hoͤhe gefangen worden, eine Fliege ſahen wir noch um 1600 Fuß hoͤher. Den auffallendſten Beweis, daß dieſe Thiere unwillkuͤrlich vom Luftſtrome, der ſich uͤber den erwaͤrmten Ebenen erhebt, in dieſe obere Region der Atmoſphaͤre gebracht werden, giebt folgende Thatſache. Als Bouſſingault die Silla de Caracas beſtieg, um meine Meſſung des Berges zu wiederholen, ſah er in 8000 Fuß Hoͤhe um Mittag, als dort Weſtwind wehte, von Zeit zu Zeit weißliche Koͤrper die Luft durchſtreichen, die er anfangs fuͤr aufſteigende Voͤgel mit weißem, das Sonnenlicht reflektirenden Gefieder hielt. Dieſe Koͤrper erhoben ſich aus dem Thale von Caracas mit großer Schnelligkeit und uͤberſtiegen die Gipfel der Silla, indem ſie ſich gegen Nordoſten richteten, wo ſie wahrſcheinlich das Meer erreichten. Einige fielen fruͤher nieder auf den ſuͤdlichen Abhang der Silla; es waren von der Sonne erleuͤchtete Grashalme. Bouſſingault ſchickte mir ſolche, die noch Ähren hatten, in einem Briefe nach Paris, wo mein Freuͤnd und Mitarbeiter Kunth ſie augenblicklich fuͤr die Wilfa tenacissima erkannte, welche im Thal von Caracas waͤchſt und die er eben in unſerem Werke Nova Genera et Species plantarum Americae acquinoctialis beſchrieben hatte. Ich muß noch bemerken, daß wir keinem Condor auf dem Chimborazo begegneten, dieſem kraͤftigen Geyer, der auf Antiſana und Pichincha ſo hauͤfig iſt und mit dem Menſchen unbekannt, große Dreiſtigkeit zeigt. Der Condor liebt heitere Luft, um ſeinen Raub oder ſeine Nahrung (denn er giebt todten Thieren den Vorzug) aus der Hoͤhe leichter zu erkennen. Da das Wetter immer truͤber und truͤber wurde, ſo eilten wir auf demſelben Felsgrathe herab, der unſer Aufſteigen beguͤnſtigt hatte. Vorſicht war indeß wegen Unſicherheit des Trittes noch mehr noͤthig als im Heraufklimmen. Wir hielten uns nur ſo lange auf, als wir brauchten, Fragmente der Gebirgsart zu ſammeln. Wir ſahen voraus, daß man uns in Euͤropa oft um „ein kleines Stuͤck vom Chimborazo“ anſprechen wuͤrde. Damals war noch keine Gebirgsart in irgend einem Theile von Suͤdamerika benannt worden; man nannte Granit das Geſtein aller hohen Gipfel der Andes. Als wir ungefaͤhr in 17400 Fuß Hoͤhe waren, fing es an heftig zu hageln. Es waren undurchſichtige milchweiße Hagelkoͤrner mit koncentriſchen Lagen. Einige ſchienen durch Rotation betraͤchtlich abgeplattet. Zwanzig Minuten ehe wir die untere Graͤnze des ewigen Schnees erreichten, wurde der Hagel durch Schnee erſetzt. Die Flocken waren ſo dicht, daß der Schnee bald viele Zoll tief den Felskamm bedeckte. Wir waͤren gewiß in große Gefahr gekommen, haͤtte uns der Schnee auf 18000 Fuß Hoͤhe uͤberraſcht. Um zwei Uhr und einige Minuten erreichten wir den Punkt, wo unſere Maulthiere ſtanden. Die zuruͤckgebliebenen Ingebornen waren mehr als noͤthig um uns beſorgt geweſen. Der Theil unſerer Expedition oberhalb des ewigen Schnees hatte nur 3 [Formel] Stunden gedauert, waͤrend welchen wir, trotz der Luftverduͤnnung, uns nie durch Niederſetzen zu ruhen brauchten. Die Dicke des domfoͤrmigen Gipfels hat in dieſer Hoͤhe der ewigen Schneegraͤnze, alſo in 2460 Toiſen Hoͤhe, noch einen Durchmeſſer von 3437 Toiſen und nahe am hoͤchſten Gipfel, faſt 150 Toiſen unterhalb deſſelben, einen Durchmeſſer von 672 Toiſen. Die letztere Zahl iſt alſo der Durchmeſſer des oberen Theils des Doms oder der Glocke; die erſtere druͤckt die Breite aus, in der die ganze Schneemaſſe des Chimborazo, in Riobamba Nuevo geſehen, dem Auge erſcheint, eine Schneemaſſe, die ſich mit ihren noͤrdlich anliegenden zwei Kuppen auf der 16ten und 25ſten Tafel meines Kupferwerkes: Vues des Cordillères abgebildet findet. Ich habe ſorgfaͤltig mit dem Sextanten die einzelnen Theile des Umriſſes gemeſſen, wie derſelbe ſich in der Hochebene von Tapia, gegen das tiefe Blau des Tropenhimmels, an einem heiteren Tage, prachtvoll abhebt. Solche Beſtimmungen dienen dazu, das Volumen des Koloſſes zu ergruͤnden, ſo weit es eine Flaͤche uͤberſteigt, in der Bouguer ſeine Verſuche uͤber die Anziehung des Berges gegen das Pendel anſtellte. Ein ausgezeichneter Geognoſt, Herr Pentland, dem wir die Kenntniß des Sorata und Illimani verdanken, und der, mit vielen trefflichen aſtronomiſchen und phyſikaliſchen Inſtrumenten ausgeruͤſtet, eben jetzt wieder nach dem oberen Peru (Bolivia) abgeht, hat mich verſichert, daß mein Bild des Chimborazo gleichſam wiederholt iſt in dem Nevado de Chuquibamba, einem Trachytberge, der in der weſtlichen Cordillere, noͤrdlich von Arequipa, 19680 Fuß (3280 Toiſen) Hoͤhe erreicht. Naͤchſt dem Himalaya iſt dort, durch die Frequenz hoher Gipfel und durch die Maſſe derſelben, zwiſchen dem 15ten und 18ten Grade ſuͤdlicher Breite, die groͤßte Anſchwellung der uns bekannten Erdoberflaͤche, ſo weit naͤmlich dieſe Anſchwellung nicht von der primitiven Form des rotirenden Planeten, ſondern von Erhebung der Bergketten und einzelnen Glocken von Dolerit, Trachyt- und Albitgeſtein auf dieſen Bergketten herruͤhrt. Wegen des friſchgefallenen Schnees fanden wir beim Herabſteigen vom Chimborazo die untere Graͤnze des ewigen Schnees mit den tieferen ſporadiſchen Schneeflecken auf dem nackten, mit Lichenen bedeckten Geſtein und auf der Grasebene (Pajonal) in zufaͤlliger momentaner Verbindung; doch immer war es leicht, die eigentliche perpetuirliche Graͤnze (damals in 2470 Toiſen Hoͤhe) an der Dicke der Schicht und ihrer eigenthuͤmlichen Beſchafſenheit zu erkennen. Ich habe an einem anderen Orte (in einer den Fragmens asiatiques einverleibten Abhandlung uͤber die Urſachen, welche die Kruͤmmung der iſothermen Linien bedingen) gezeigt, daß in der Provinz Quito die Hoͤhenunterſchiede der ewigen Schneegraͤnze an den verſchiedenen Nevados, nach der Geſammtheit meiner Meſſungen, nur um 38 Toiſen ſchwanken, daß die mittlere Hoͤhe ſelbſt zu 14760 Fuß oder 2460 Toiſen anzurechnen iſt und daß dieſe Graͤnze, 16° bis 18° ſuͤdlicher vom Aͤquator, in Bolivia, wegen des Verhaͤltniſſes der mittleren Jahrestemperatur zur mittleren Temperatur der heißeſten Monate, wegen der Maſſe, Ausdehnung und groͤßeren Hoͤhe der umliegenden waͤrmeſtrahlenden Plateaus, wegen der Trockenheit der Atmoſphaͤre und wegen des voͤlligen Mangels alles Schneefalles von Maͤrz bis November, volle 2670 Toiſen hoch liegt. Die untere Graͤnze des perpetuirlichen Schnees, die keinesweges mit der iſothermen Kurve von 0° zuſammenfaͤllt, ſteigt demnach hier ausnahmsweiſe, ſtatt zu ſinken, indem man ſich vom Äquator entfernt. Aus ganz analogen Urſachen der Waͤrmeſtrahlung in nahen Hochebenen liegt die Schneegraͤnze zwiſchen 30 [Formel] ° und 31° noͤrdlicher Breite, am noͤrdlichen tibetiſchen Abhange des Himalaya, in 2600 Toiſen Hoͤhe, wenn am ſuͤdlichen, indiſchen Abhange ſie nur 1950 Toiſen Hoͤhe erreicht. Durch dieſen merkwuͤrdigen Einfluß der Geſtaltung der Erdoberflaͤche iſt außerhalb der Wendekreiſe ein betraͤchtlicher Theil von Inner-Aſien von ackerbauenden, moͤnchiſch-regierten, aber doch in Geſittung fortgeſchrittenen Voͤlkern bewohnt, wo unter dem Äquator in Suͤdamerika der Boden mit ewigem Eiſe bedeckt iſt. Wir nahmen unſeren Ruͤckweg nach dem Dorfe Calpi etwas noͤrdlicher als die Llanos de Sisgun durch den pflanzenreichen Paramo de Pungupala. Schon um fuͤnf Uhr Abends waren wir wieder bei dem freuͤndlichen Pfarrer von Calpi. Wie gewoͤhnlich folgte auf den nebelverhuͤllten Tag der Expedition die heiterſte Witterung. Am 25. Junius erſchien uns in Riobamba Nuevo der Chimborazo in ſeiner ganzen Pracht, ich moͤchte ſagen, in der ſtillen Groͤße und Hoheit, die der Naturkarakter der tropiſchen Landſchaft iſt. Ein zweiter Verſuch auf dem durch eine Kluft unterbrochenen Kamm waͤre gewiß ſo fruchtlos als der erſte ausgefallen und ſchon war ich mit der trigonometriſchen Meſſung des Vulkans von Tungurahua beſchaͤftigt. Bouſſingault hat mit ſeinem Freuͤnde, dem engliſchen Oberſt Hall, der bald darauf in Quito ermordet wurde, am 16. Dezember 1831 einen neuͤen Verſuch gemacht, den Gipfel des Chimborazo zu erreichen, erſt von Mocha und Chillapullu, dann von Arenal aus, alſo auf einem anderen Wege, als den ich mit Bonpland und Don Carlos Montufar betrat. Er mußte das Weiterſteigen aufgeben, als ſein Barometer 13 Zoll 8 [Formel] Linien, bei der warmen Lufttemperatur von + 7°,8 zeigte. Er ſah alſo die unkorrigirte Queckſilberſauͤle faſt drei Linien niedriger und war um 64 Toiſen hoͤher als ich gelangt, bis zu 3080 Toiſen. Hoͤren wir ſelbſt dieſen der Andeskette ſo kundigen Reiſenden, der mit großer Kuͤhnheit zuerſt chemiſche Apparate an und in die Krater der Vulkane getragen hat. „Der Weg, ſagt Bouſſingault, den wir uns in dem letzten Theile unſerer Expedition durch den Schnee bahnten, erlaubte uns nur ſehr langſam vorzuſchreiten; rechts konnten wir uns an einem Felſen feſthalten, links war der Abgrund furchtbar. Wir ſpuͤrten ſchon die Wirkung der Luftverduͤnnung und waren gezwungen, uns alle zwei bis drei Schritte niederzuſetzen. So wie wir uns aber eben geſetzt hatten, ſtanden wir wieder auf, denn unſer Leiden dauerte nur ſo lange, als wir uns bewegten. Der Schnee, den wir betreten mußten, war weich und lag kaum drei bis vier Zoll hoch auf einer ſehr glatten und harten Eisdecke. Wir waren genoͤthigt Stufen einzuhauen. Ein Neger ging voran, um dieſe Arbeit, die ſeine Kraͤfte bald erſchoͤpfte, zu vollziehen. Indem ich bei ihm vorbeigehen wollte, um ihn abzuloͤſen, glitt ich aus und wurde gluͤcklicherweiſe vom Oberſt Hall und meinem Neger zuruͤckgehalten. Wir befanden uns (ſetzt Hr. Bouſſingault hinzu) fuͤr einen Augenblick in der groͤßten Gefahr. Weiterhin ward der Schnee guͤnſtiger und um 3 [Formel] Uhr Nachmittags ſtanden wir auf dem lang erſehnten Felskamme, der wenige Fuß breit, aber mit Abgruͤnden umgeben war. Hier uͤberzeuͤgten wir uns, daß das Weiterkommen unmoͤglich ſei. Wir befanden uns an dem Fuße eines Felsprisma’s, deſſen obere Flaͤche, bedeckt mit einer Kuppe von Schnee, den eigentlichen Gipfel des Chimborazo bildet. Um ſich von der Topographie des ganzen Berges ein richtiges Bild zu machen, denke man ſich eine ungeheuͤre ſchneebedeckte Felsmaſſe, die von allen Seiten, wie durch Strebepfeiler, unterſtuͤtzt erſcheint. Die Strebepfeiler ſind die Kaͤmme, die ſich anlegen und (aus dem ewigen Schnee) hervortreten.“ Der Verluſt eines Phyſikers, wie Bouſſingault, waͤre unbeſchreiblich theuͤer durch den wenigen Gewinn erkauft worden, den Unternehmungen dieſer Art den Wiſſenſchaften darbieten koͤnnen. So lebhaft ich auch vor bereits dreißig Jahren den Wunſch ausgeſprochen habe, daß die Hoͤhe des Chimborazo moͤchte von neuͤem ſorgſam trigonometriſch gemeſſen werden, ſo ſchwebt doch noch immer einige Ungewißheit uͤber das abſolute Reſultat. Don Jorge Juan und die franzoͤſiſchen Akademiker geben, nach verſchiedenen Combinationen derſelben Elemente, oder wenigſtens nach Operationen, die allen gemeinſchaftlich waren, Hoͤhen von 3380 und 3217 Toiſen an, Hoͤhen, die um [Formel] differiren. Das Ergebniß meiner trigonometriſchen Operation (3350 Toiſen) faͤllt zwiſchen beide, naͤhert ſich aber bis auf [Formel] der ſpaniſchen Beſtimmung. Bouguer’s kleineres Reſultat gruͤndet ſich, theilweiſe wenigſtens, auf die Hoͤhe der Stadt Quito, die er um 30 bis 40 Toiſen zu gering angiebt. Er findet, nach alten Barometerformeln ohne Korrektion fuͤr die Waͤrme, 1462 Toiſen, ſtatt 1507 und 1492 Toiſen, die Bouſſingault und ich, ſehr uͤbereinſtimmend, gefunden haben. Die Hoͤhe, die ich der Ebene von Tapia gebe, wo ich eine Baſis von 873 Toiſen Laͤnge maß, ſcheint auch ziemlich fehlerfrei zu ſein. Ich fand fuͤr dieſelbe 1482 und Bouſſingault, in einer ſehr verſchiedenen Jahreszeit, alſo bei anderer Waͤrmeabnahme in den auf einander gelagerten Luftſchichten, 1471 Toiſen. Bouguer’s Operation war dagegen ſehr verwickelt, da er die Hoͤhe der Thalebene zwiſchen der oͤſtlichen und weſtlichen Andeskette durch ſehr kleine Hoͤhenwinkel der Trachyt-Pyramide von Iliniſſa in der unteren Kuͤſtenregion bei Niguas gemeſſen, zu ergruͤnden gezwungen war. Der einzige anſehnliche Berg der Erde, fuͤr den die Meſſungen jetzt bis [Formel] uͤbereinſtimmen, iſt der Montblanc, denn der Monte Roſa wurde durch vier verſchiedene Reihen von Dreiecken eines vortrefflichen Beobachters, des Aſtronomen Carlini, zu 2319, 2343, 2357 und 2374 Toiſen, von Oriani ebenfalls durch eine Triangulation zu 2390 Toiſen gefunden; Unterſchiede von [Formel] . Die aͤlteſte ausfuͤhrliche Erwaͤhnung des Chimborazo finde ich bei dem geiſtreichen, etwas ſatyriſchen italieniſchen Reiſenden Girolamo Benzoni, deſſen Werk 1565 gedruckt ward. Er ſagt, daß ihm die Montagna di Chimbo, die 40 Miglia hoch ſei, abenteuͤerlich come una visione erſchien. Die Ingebornen von Quito wußten lange vor der Ankunft der franzoͤſiſchen Gradmeſſer, daß der Chimborazo der hoͤchſte aller Schneeberge ihrer Gegend ſei. Sie ſahen, daß er am weiteſten uͤber die ewige Schneegraͤnze hinausreiche. Eben dieſe Betrachtung hatte ſie veranlaßt, den jetzt eingeſtuͤrzten Capac-Urcu fuͤr hoͤher als den Chimborazo zu halten. Humboldt, Recueil d’observations astronomiques, d’opérations trigonométriques etc. T. I. p. LXXII. Über die geognoſtiſche Beſchaffenheit des Chimborazo fuͤge ich hier nur die allgemeine Bemerkung hinzu, daß wenn nach den wichtigen Reſultaten, die Leopold von Buch in ſeiner letzten klaſſiſchen Abhandlung uͤber Erhebungskrater und Vulkane (Poggendorff’s Annalen, Band 37. S. 188 — 190) niedergelegt hat, Trachyt nur feldſpathhaltige, Andeſit nur albithaltige Maſſen genannt werden ſollen, das Geſtein vom Chimborazo beide Namen keinesweges verdient. Daß am Chimborazo Augit die Hornblende erſetze, hat ſchon derſelbe geiſtreiche Geognoſt vor mehr als zwanzig Jahren bemerkt, als ich ihn aufforderte, die von mir heimgebrachten Geſteine der Andeskette genau oryktognoſtiſch zu unterſuchen. Dazu findet mein ſibiriſcher Reiſegefaͤhrte, Guſtav Roſe, der durch ſeine treffliche Arbeit uͤber die dem Feldſpath verwandten Foſſilien und ihre Aſſociation mit Augit und Hornblende den geognoſtiſchen Unterſuchungen neuͤe Wege geoͤffnet hat, in allen von mir geſammelten Gebirgsfragmenten des Chimborazo weder Albit, noch Feldſpath. Die ganze Formation dieſes beruͤhmten Gipfels der Andeskette beſteht aus Labrador und Augit; beide Foſſilien in deuͤtlichen Kryſtallen erkennbar. Der Chimborazo iſt, nach der Nomenklatur von Guſtav Roſe, ein Augitporphyr, eine Art Dolerit. Auch fehlen ihm Obſidian und Bimſtein. Hornblende iſt nur ausnahmsweiſe und ſehr ſparſam (in zwei Stuͤcken) erkannt worden. Der Chimborazo iſt alſo, wie Leopold von Buch’s und Elie de Beaumont’s neuͤeſte Beſtimmungen lehren, der Gebirgsart des Aetna analog. Neben den Truͤmmern der alten Stadt Riobamba, drei geographiſche Meilen oͤſtlich vom Chimborazo, iſt ſchon wahrer Dioritporphyr, ein Gemenge von ſchwarzer Hornblende (ohne Augit) und weißem glaſigen Albit anſtehend, ein Geſtein, das an die ſchoͤne, in Sauͤlen getheilte Maſſe von Piſoje bei Popayan und an den mexikaniſchen Vulkan von Toluca, den ich ebenfalls beſtiegen, erinnert. Ein Theil der Stuͤcke von Augitporphyr, die ich bis in 18000 Fuß Hoͤhe auf dem zum Gipfel fuͤhrenden Felskamm, meiſt in loſen Stuͤcken von zwoͤlf bis vierzehn Zoll Durchmeſſer gefunden habe, iſt kleinzellig poroͤs und von rother Farbe. Dieſe Stuͤcke haben glaͤnzende Zellen. Die ſchwaͤrzeſten ſind bisweilen bimſteinartig leicht und wie friſch durch Feuͤer veraͤndert. Sie ſind indeß nicht in Stroͤmen lavaartig gefloſſen, ſondern wahrſcheinlich auf Spalten, an dem Abhange des fruͤher emporgehobenen glokkenfoͤrmigen Berges, herausgeſchoben. Die ganze Hochebene der Provinz Quito iſt ſtets von mir als ein großer vulkaniſcher Heerd betrachtet worden. Tungurahua, Cotopaxi, Pichincha mit ihren Kratern ſind nur verſchiedene Auswege dieſes Heerdes. Das ſind die fluͤchtigen Bemerkungen uͤber zwei Beſteigungen des Chimborazo, die ich mir erlaubt habe, aus einem ungedruckten Reiſejournale einfach mitzutheilen. Wo die Natur ſo maͤchtig und groß und unſer Beſtreben rein wiſſenſchaftlich iſt, kann wol die Darſtellung jedes Schmuckes der Rede entbehren.