Digitale Ausgabe

Download
TEI-XML (Ansicht)
Text (Ansicht)
Text normalisiert (Ansicht)
Ansicht
Textgröße
Originalzeilenfall ein/aus
Zeichen original/normiert
Zitierempfehlung

Alexander von Humboldt: „Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1837-Ueber_zwei_Versuche-01> [abgerufen am 28.03.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1837-Ueber_zwei_Versuche-01
Die Versionsgeschichte zu diesem Text finden Sie auf github.
Titel Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen
Jahr 1837
Ort Stuttgart; Tübingen
Nachweis
in: Jahrbuch für 1837 (1837), S. 176–206.
Postumer Nachdruck
„Versuch den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen“, in: Berliner Zeitung 301 (25. Dezember 1958), [o. S.].

Douglas Botting, Alexander von Humboldt. Biographie eines großen Forschungsreisenden, München: Prestel 1974. S. 341–388.

Alexander von Humboldt: Ueber einen Versuch den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen, herausgegeben von Oliver Lubrich und Ottmar Ette, Berlin: Eichborn Berlin 2006, S. 153–181.

Alexander von Humboldt, Das große Lesebuch, herausgegeben von Oliver Lubrich, Frankfurt/M.: Fischer 2009, S. 196–220.
Entsprechungen in Buchwerken
Alexander von Humboldt, Kleinere Schriften. Geognostische und physikalische Erinnerungen, Stuttgart/Tübingen: Cotta 1853, Band 1, S. 133–174.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua; Auszeichnung: Kursivierung; Fußnoten mit Asterisken; Besonderes: Handschriftliches.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: V.66
Dateiname: 1837-Ueber_zwei_Versuche-01
Statistiken
Seitenanzahl: 31
Zeichenanzahl: 50147
Bilddigitalisate

Weitere Fassungen
Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen (Stuttgart; Tübingen, 1837, Deutsch)
Über zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen (Berlin, 1836, Deutsch)
On Two Attempts to ascend Chimborazo (Edinburgh, 1837, Englisch)
An account of two attempts to ascend Chimborazo (London, 1837, Englisch)
Mountain Tracks (Birmingham, 1837, Englisch)
[Über zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen] (Leipzig, 1837, Deutsch)
An account of two attempts to ascend Chimborazo (New York City, New York, 1838, Englisch)
An account of two attempts to ascend Chimborazo (New York City, New York, 1838, Englisch)
Two attempts to ascend Chimborazo (London, 1838, Englisch)
Két fölmeneteli próba a’ Chimborazóra (Budapest, 1838, Ungarisch)
Ueber zwei Versuche, den Chimborazo zu besteigen (Stuttgart; Tübingen, 1838, Deutsch)
Notice de deux tentatives d’ascension du Chimborazo (Paris, 1838, Französisch)
Notice sur deux tentatives d’Ascension du Chimborazo (Paris, 1838, Französisch)
Noticia acerca de dos tentativas de subida al monte Chimborazo (Madrid, 1839, Spanisch)
Восхожденiе Александра Гумбольдта на Чимборасо [Voschoždenie Aleksandra Gumbolʹdta na Čimboraso] (Sankt Petersburg, 1840, Russisch)
Zwei Versuche, den Chimborazo zu besteigen (Brünn, 1841, Deutsch)
Ueber einen Versuch, den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen (Wien, 1854, Deutsch)
Versuch den Gipfel des Chimborazo zu ersteingen (Hildburghausen; New York City, New York, 1855, Deutsch)
|176|

Ueber zwei Versucheden Chimborazo zu besteigen. VonALEXANDER von HUMBOLDT.


Die höchsten Berggipfel beider Continente, im altender Dhawalagiri (weisse Berg) und der Jawahir(Dschawahir); im neuen der Sorata und Illimani, sindbisher noch nie von Menschen erreicht worden. Derhöchste Punkt zu dem man in beiden Continentenauf der Erdoberfläche gelangt ist, liegt in Südamerikaam südöstlichen Abfall des Chimborazo. Dort sindReisende fast bis 18500 Pariser Fuss, nämlich einmalim Junius 1802 bis 3016 Toisen, ein andermal imDecember 1831 bis 3080 Toisen Höhe über der Meeres-fläche gelangt. Barometermessungen wurden alsoin der Andeskette 3720 Fuss höher als der Gipfel desMontblanc angestellt. Die Höhe des Montblanc istim Verhältniss der Gestaltung der Cordilleren sounbeträchtlich, dass in diesen vielbetretene Wege(Pässe) höher liegen, ja selbst der obere Theil der |177| grossen Stadt Potosi dem Gipfel des Montblanc nurum 323 Toisen nachsteht. Ich habe es für nöthiggefunden, diese wenigen numerischen Angaben hiervoranzuschicken, um der Phantasie bestimmte Anhalts-punkte für die hypsometrische, gleichsam plastischeBetrachtung der Erdoberfläche darbieten zu können. Das Erreichen grosser Höhen ist von geringemwissenschaftlichen Interesse, wenn dieselben weitüber der Schneegrenze liegen, und nur auf wenigeStunden besucht werden können. Unmittelbare Höhen-bestimmungen durch das Barometer gewähren zwarden Vortheil schnell zu erhaltender Resultate, dochsind die Gipfel meist nahe mit Hochebenen umgeben,die zu einer trigonometrischen Operation geeignetsind, und in denen alle Elemente der Messung wieder-holt geprüft werden können, während eine einmaligeBestimmung mittelst des Barometers, wegen auf- undabsteigender Luftströme am Abhange des Gebirgstockesund wegen dadurch erzeugter Variation in der Tem-peraturabnahme, beträchtliche Fehler in den Resultatenerzeugt. Die Natur des Gesteins ist wegen der ewigenSchneedecke der geognostischen Beobachtung fastgänzlich entzogen, da nur einzelne Felsrippen (Gra-the) mit sehr verwitterten Schichten hervortreten.Das organische Leben ist in diesen hohen Einödender Erdfläche erstorben. Kaum verirren sich in diedünnen Schichten des Luftkreises der Berggeier (Con-dor) und geflügelte Insecten, letztere unwillkürlichvon Luftströmen gehoben. Wenn ein ernstes wissen-schaftliches Interesse kaum noch der Bemühung rei-sender Physiker, die die höhern Gipfel der Erde zuersteigen streben, geschenkt wird, so hat sich da-gegen im allgemeinen Volkssinne ein reger Antheil |178| an einer solchen Bemühung erhalten. Das, was un-erreichbar scheint, hat eine geheimnissvolle Ziehkraft;man will, dass alles erspähet, dass wenigstens ver-sucht werde, was nicht errungen werden kann. DerChimborazo ist der ermüdende Gegenstand aller Fra-gen gewesen, die seit meiner ersten Rückkunft nachEuropa an mich gerichtet wurden. Die Ergründungder wichtigsten Naturgesetze, die lebhafteste Schilde-rung der Pflanzenzonen und der, die Objecte desAckerbaues bestimmenden Verschiedenheit der Klimate,welche schichtenweise über einander liegen, warenselten fähig, die Aufmerksamkeit von dem schnee-bedeckten Gipfel abzulenken den man damals noch(vor Pentlands Reise nach Bolivia) für den Culmina-tionspunkt der gangartig ausgedehnten Andeskettehielt. Ich werde hier aus dem noch ungedruckten Theilemeiner Tagebücher die einfache Erzählung einer Berg-reise ausziehen. Das ganze Detail der trigonometri-schen Messung, die ich bei dem Neuen Riobamba inder Ebene von Tapia angestellt habe, ist in der Ein-leitung zu dem ersten Bande meiner astronomischenBeobachtungen bald nach meiner Rückkunft bekanntgemacht worden. Die Geographie der Pflanzen andem Abhange des Chimborazo und dem ihm nahenGebirge (von dem Meeresufer an bis 14800 Fuss Höhe)nach Kunths vortrefflichen Bestimmungen der von Bonpland und mir gesammelten Alpengewächse derCordilleren, habe ich auf einer Tafel meines geogra-phischen und physikalischen Atlasses von Südamerika bildlich darzustellen versucht. Die Geschichte der Ersteigung selbst, die wenigdramatisches Interesse darbieten kann, war dem |179| vierten und letzten Bande meiner Reise nach denAequinoctialgegenden vorbehalten. Da aber meinvieljähriger Freund, Herr Boussingault, jetzt Profes-sor der Chemie in Lyon, einer der talentvollsten undgelehrtesten Reisenden neuerer Zeit, vor Kurzem aufmeine Bitte, sein dem meinen sehr ähnlichen Unter-nehmen in den Annales de Chimie et de Physique * beschrieben hat, und da unsere Beobachtungen sichgegenseitig ergänzen, so wird dies einfache Fragmenteines Tagebuchs, das ich hier bekannt mache, sichwohl einer nachsichtsvollen Aufnahme zu erfreuenhaben. Allen umständlicheren geognostischen undphysikalischen Discussionen werde ich mich vorläufigenthalten. Den 22. Junius 1799 war ich im Crater des Picvon Teneriffa gewesen, 3 Jahre darauf, fast an dem-selben Tage (den 23. Junius 1802), gelangte ich6700 Fuss höher bis nahe an den Gipfel des Chimbo-razo. Nach einem langen Aufenthalte in dem Hoch-lande von Quito, einer der wundervollsten und male-rischsten Gegenden der Erde, unternahmen wir dieReise nach den Chinawäldern von Loxa, dem oberenLaufe des Amazonenflusses, westlich von der berühm-ten Stromenge (Pongo de Manseriche) und durch diesandige Wüste längst dem peruanischen Ufer derSüdsee nach Lima, wo der Durchgang des Merkurdurch die Sonnenscheibe (am 9. November 1802) be-obachtet werden sollte. Wir genossen mehrere Tagelang, auf der mit Bimstein bedeckten Ebene, in derman (nach dem furchtbaren Erdbeben vom 4. Februar1797) die neue Stadt Riobamba zu gründen anfing,
* S. auch Poggendorffs Ann. d. Physik, B. XXXIV. S. 193-220.
|180| einer herrlichen Ansicht des glocken- oder domförmi-gen Gipfels des Chimborazo bei dem heitersten, einetrigonometrische Messung begünstigenden, Wetter.Durch ein grosses Fernrohr hatten wir den noch15700 Toisen entfernten Schneemantel des Bergesdurchforscht und mehrere Felsgrathe entdeckt, diewie dürre schwarze Streifen aus dem ewigen Schneehervorragend, dem Gipfel zuliefen und einige Hoffnunggaben, dass man auf ihnen in der Schneeregion festenFuss würde fassen können. Riobamba Nuevo liegtim Angesicht des ungeheuren jetzt zackigen Gebirgs-stocks Capac-Urcu, von den Spaniern el Altar ge-nannt, der (laut einer Tradition der Eingebornen)einst höher als der Chimborazo war, und, nachdemer viele Jahre lang gespieen, einstürzte. Dieses Schrecken verbreitende Naturereigniss fällt in dieZeit kurz vor der Eroberung von Quito durch denInca Tupac-Yupanqui. Riobamba Nuevo ist nicht mitdem alten Riobamba der grossen Karte von La Conda-mine und Don Pedro Maldonado zu verwechseln.Letztere Stadt ist gänzlich zerstört worden durch diegrosse Catastrophe vom 4. Februar 1797, die in weni-gen Minuten über 45000 Menschen tödtete. Das neueRiobamba liegt, nach meiner Chronometerbestimmung,42 Zeitsecunden östlicher als das alte Riobamba, aberfast unter derselben Breite (1° 41′ 46″ südlich. Wirbefanden uns in der Ebene von Tapia, aus der wir am22. Junius unsere Expedition nach dem Chimborazoantraten, schon 8898 Pariser Fuss * (1483 Toisen)hoch über dem Spiegel der Südsee. Diese Hochebene,
* Also 2890 Meter; Boussingault fand 2870 Meter und nach derErdwärme die mittlere Temperatur der Hochebene von Tapia 16°,4 C.
|181| ein Theil des Thalbodens zwischen der östlichen undwestlichen Andeskette (der Kette der thätigen Vul-kane Cotopaxi und Tungurahua und der Kette desIliniza und Chimborazo) verfolgten wir sanft anstei-gend bis an den Fuss des letzteren Berges, wo wirim indischen Dorfe Calpi übernachten sollten. Sie istsparsam mit Cactusstämmen und Schinus molle, dereiner Trauerweide gleicht, bedeckt. Heerden bunt-gefärbter Llamas suchen hier zu Tausenden eine spar-same Nahrung. Auf einer so grossen Höhe schadetdie starke nächtliche Wärmestrahlung des Bodens,bei wolkenlosem Himmel, dem Ackerbau durch Erkäl-tung und Frost. Ehe wir Calpi erreichten, besuchtenwir Lican, jetzt ebenfalls ein kleines Dorf, aber vorder Eroberung des Landes durch den eilften Inca, (den-selben Tupac-Yupanqui, dessen wohlerhaltenen KörperGarcilasso de la Vega noch 1559 in der Familiengruftzu Cuzco gesehen hatte) eine beträchtliche Stadtund der Aufenthaltsort des Conchocando oder Fürstender Puruay. Die Eingebornen glauben, dass die kleineZahl wilder Llamas, die man am westlichen Abfalldes Chimborazo findet, nur verwildert sind und vonden, nach der Zerstörung des alten Lican zerstreutenund flüchtig gewordenen Heerden abstammen.
Ganz nahe bei Calpi, nordwestlich von Lican, er-hebt sich in der dürren Hochebene ein kleiner isolirterHügel, der schwarze Berg, Yana-Urcu, dessen Namevon den französischen Akademikern nicht genanntworden ist, der aber in geognostischer Hinsicht vielAufmerksamkeit verdient. Der Hügel liegt südsüd-östlich vom Chimborazo, in weniger als drei Meilen(15 auf 1°) Entfernung und von jenem Colosse nurdurch die Hochebene von Luisa getrennt. Will man |182| in ihm auch nicht einen Seitenausbruch dieses Colos-ses erkennen, so ist der Ursprung dieses Eruptions-kegels doch gewiss den unterirdischen Mächten zu-zuschreiben, die unter dem Chimborazo Jahrtausendelang vergeblich einen Ausweg gesucht haben. Er istspäteren Ursprungs, als die Erhebung des grossenglockenförmigeren Berges. Der Yana-Urcu bildet mitdem nördlicheren Hügel Naguangachi eine zusammen-hängende Anhöhe, in Form eines Hufeisens; der Bogen(mehr als Halbzirkel) ist gegen Osten geöffnet.Wahrscheinlich liegt in der Mitte des Hufeisens derPunkt, aus dem die schwarzen Schlacken ausgestos-sen werden, die jetzt weit umher verbreitet sind.Wir fanden dort eine trichterförmige Senkung vonetwa 120 Fuss Tiefe, in deren Innerem ein kleinerrunder Hügel steht, dessen Höhe den umgebendenRand nicht erreicht. Yana-Urcu heisst eigentlich dersüdliche Culminationspunkt des alten Craterrandes,der höchstens 400 Fuss über der Fläche von Calpierhaben ist. Naguangachi heisst das nördliche niedereEnde. Die ganze Anhöhe erinnert durch ihre Huf-eisenform, aber nicht durch ihr Gestein, an den etwashöheren Hügel Javirac (el Panecillo de Quito), der sichisolirt am Fusse des Vulkan Pichincha in der Ebenevon Turubamba erhebt, und der auf La Condamine’s oder vielmehr Morainville’s Karte irrig als ein voll-kommener Kegel abgebildet ist. Nach der Traditionder Eingebornen und nach alten Handschriften, welcheder Cacike oder Apu von Lican, ein Abkömmling deralten Fürsten des Landes, (der Conchocandi) besass,ist der vulkanische Ausbruch des Yana-Urcu gleichnach dem Tode des Inca Tupa-Yupanqui, also wohlin der Mitte des 15ten Jahrhunderts erfolgt. Die |183| Tradition sagt, es sey eine Feuerkugel oder gar einStern vom Himmel gefallen und habe den Berg ent-zündet. Solche Mythen, welche Aerolithenfälle mitEntzündungen in Verbindung setzen, sind auch unterden mexikanischen Völkerstämmen verbreitet. Das Ge-stein des Yana-Urcu ist eine poröse, dunkel nelken-braune, oft ganz schwarze schlackige Masse, die manleicht mit porösem Basalt verwechseln kann. Olivinfehlt gänzlich daran. Die weissen sehr sparsam darinliegenden Krystalle sind überaus klein und wahr-scheinlich Labrador. Hier und da sah ich Schwefel-kies eingesprengt. Das Ganze gehört wohl demschwarzen Augit-Porphyr an, wie die ganze Forma-tion des Chimborazo, von dem wir unten reden wer-den, und der ich nicht den Namen Trachyt geben mag,da sie keinen Feldspath (mit etwas Albit) wie unserTrachyt des Siebengebirges bei Bonn enthält. Die schla-ckenartigen, durch ein sehr thätiges Feuer veränder-ten Massen des Yana-Urcu sind zwar überaus leicht,aber eigentlicher Bimstein ist dort nicht ausgeworfenworden. Der Ausbruch ist durch eine graue, unregel-mässig geschichtete Masse von Dolerit geschehen, derhier die Hochebene bildet und dem Gestein vonPenipe (am Fuss des Vulkans von Tungurahua) ähn-lich ist, wo Syenit und granathaltiger Glimmerschieferdurchbrochen worden sind. Am östlichen Abhangedes Yana-Urcu, oder vielmehr am Fuss des Hügelsgegen Lican zu, führten uns die Eingebornen an einenvorspringenden Fels, an dem eine Oeffnung dem Mund-loch eines verfallenen Stollens glich. Man hört hierund auch schon in zehn Fuss Entfernung ein heftigesunterirdisches Getöse, das von einem Luftstrome oderunterirdischen Winde begleitet ist. Die Luftströmung |184| ist viel zu schwach um ihr allein das Getöse zuzu-schreiben. Letzteres entsteht gewiss durch einenunterirdischen Bach, der in eine tiefere Höhle herab-stürzt und durch seinen Fall die Luftbewegung er-regt. Ein Mönch, Pfarrer in Calpi, hatte in derselbenMeinung den Stollen auf einer offenen Kluft vor lan-ger Zeit angesetzt, um seinem Dorfe Wasser zuverschaffen. Die Härte des schwarzen Augitgesteinshat wahrscheinlich die Arbeit unterbrochen. DerChimborazo sendet trotz seiner ungeheuren Schnee-masse so wasserarme Bäche in die Hochebene herab,dass man wohl annehmen kann, der grössere Theilseiner Wasser fliesse auf Klüften dem Inneren zu.Auch in dem Dorfe Calpi selbst hörte man ehemalsein grosses Getöse unter einem Hause, das keineKeller hatte. Vor dem berühmten Erdbeben vom4. Februar 1797 entsprang im Südwesten des Dorfesein Bach an einem tieferen Punkte. Viele Indianerhielten denselben für einen Theil der Wassermasse dieunter dem Yana-Urcu fliesst. Seit dem grossen Erd-beben ist aber dieser Bach wiederum verschwunden. Nachdem wir die Nacht in Calpi, nach meinerBarometermessung 9720 Fuss (1620 Toisen) hoch überdem Meere zugebracht hatten, begannen wir am 23tenMorgens unsere eigentliche Expedition nach dem Chim-borazo. Wir versuchten den Berg von der südsüd-östlichen Seite zu ersteigen und die Indianer, die unszu Führern dienen sollten, von denen aber nur we-nige je bis zur Grenze des ewigen Schnees gelangtwaren, gaben dieser Richtung des Weges ebenfallsden Vorzug. Wir fanden den Chimborazo mit gros-sen Ebenen, die stufenweise über einander liegen,umgeben. Zuerst durchschritten wir die Llanos de |185| Luisa, dann, nach einem nicht sehr steilen Ansteigenvon kaum 5000 Fuss Länge, gelangten wir in dieHochebene (Llano) von Sisgun. Die erste Stufe ist10200, die zweite 11700 Fuss hoch. Diese mit Grasbewachsenen Ebenen erreichen also die eine denhöchsten Gipfel der Pyrenäen (den Pic Nethou), dieandere den Gipfel des Vulkans von Teneriffa. Dievollkommene Söligkeit (Horizontalität) dieser Hoch-ebenen lassen auf einen langen Aufenthalt stehenderWasser schliessen. Man glaubt einen Seeboden zusehen. An dem Abhange der Schweizer Alpen be-merkt man bisweilen auch dies Phänomen stufen-weise übereinander liegender kleiner Ebenen, welchewie abgelaufene Becken von Alpenseen jetzt durchenge offene Pässe verbunden sind. Die weit ausge-dehnten Grasfluren (los Pajonales) sind am Chimbo-razo, wie überall um die hohen Gipfel der Andeskette,so einförmig, dass die Familie der Gräser (Arten vonPaspalum, Andropogon, Bromus, Dejeuxia, Stipa) sel-ten von Kräutern dicotyledonischer Pflanzen unter-brochen werden. Es ist fast die Steppennatur, dieich in dem dürren Theile des nördlichen Asiens ge-sehen habe. Die Flora des Chimborazo hat uns über-haupt minder reich geschienen als die Flora der andernSchneeberge, welche die Stadt Quito umgeben. Nurwenige Calceolarien, Compositen, (Bidens, Eupatorium,Dumerilia paniculata, Werneria nubigena) und Gentia-nen, unter denen die schöne Gentiana cernua mitpurpurrothen Blüthen hervorleuchtet, erheben sich inder Hochebene von Sisgun zwischen den geselligwachsenden Gräsern. Diese gehören, der grösstenZahl nach, nordeuropäischen Geschlechtern an. DieLufttemperatur, die gewöhnlich in dieser Region der |186| Alpengräser (in 1600 und 2000 Toisen Höhe) herrscht,schwankt bei Tage zwischen 4° und 16° Ct., bei Nachtzwischen 0° und 10°. Die mittlere Temperatur desganzen Jahres scheint für die Höhe von 1800 Toisennach der von mir in der Nähe des Aequators gesam-melten Beobachtungen, ohngefähr 9° zu sein. * Indem Flachlande der temperirten Zone ist dies diemittlere Temperatur des nördlichen Deutschlands, z. B.von Lüneburg (Breite 53° 15′), wo aber die Wärme-vertheilung unter die einzelnen Monate (das wich-tigste Element zur Bestimmung des Vegetationscha-rakters einer Gegend) so ungleich ist, dass derFebruar — 1°,8 der Julius + 18° mittlerer Wärme hat. Mein Plan war, in der schönen ganz ebenen Gras-flur von Sisgun eine trigonometrische Operation an-zustellen. Ich hatte mich dazu vorbereitet, dort eineStandlinie zu messen. Die Höhenwinkel wären sehrbeträchtlich ausgefallen, da man dem Gipfel desChimborazo nahe ist. Es blieb nur noch eine senk-rechte Höhe von weniger als 8400 Fuss (eine Höhe,wie der Canigou in den Pyreneen) zu bestimmen übrig.Bei der ungeheuren Masse der einzelnen Berge in derAndeskette ist doch jede Bestimmung der Höhe über derMeeresfläche aus einer barometrischen und trigonome-trischen zusammengesetzt. Ich hatte den Sextantenund andere Messinstrumente vergeblich mitgenommen.Der Gipfel des Chimborazo blieb in dichtem Nebel ge-hüllt. Aus der Hochebene von Sisgun steigt man ziem-lich steil bis zu einem kleinen Alpensee (Laguna deYana-Coche) an. Bis dahin war ich auf dem Maulthiere
* Alle Temperaturen sind in diesem Aufsatze nach Graden deshunderttheiligen Thermometers ausgedrückt.
|187| geblieben und nur von Zeit zu Zeit abgestiegen, ummit meinem Reisegefährten, Herrn Bonpland, Pflanzenzu sammeln. Yana-Coche verdient nicht den Nameneines Sees. Es ist ein cirkelrundes Becken von kaum130 Fuss Durchmesser. Der Himmel wurde immertrüber, aber zwischen und über den Nebelschichten,lagen noch einzelne Wolkengruppen zerstreut. DerGipfel des Chimborazo erschien auf wenige Augen-blicke. Da in der letzten Nacht viel Schnee gefallenwar, so verliess ich das Maulthier da, wo wir dieuntere Grenze dieses frischgefallenen Schnees fanden,eine Grenze, die man nicht mit der ewigen Schnee-grenze verwechseln muss. Das Barometer zeigte,dass wir erst 13500 Fuss hoch gelangt waren. Aufanderen Bergen habe ich, ebenfalls dem Aequatornahe, bis zu 11200 Fuss Höhe schneien sehen, dochnicht tiefer. Meine Begleiter ritten noch bis zurperpetuirlichen Schneegrenze, das ist bis zur Höhedes Montblanc, der bekanntlich unter dieser Breite(1° 27′ südl.) nicht immer mit Schnee bedeckt seynwürde. Dort blieben unsere Pferde und Maulthierestehen, um uns bis zur Rückkunft zu erwarten.
Ein hundert und fünfzig Toisen über dem kleinenWasserbecken Yana-Coche, sahen wir endlich nack-tes Gestein. Bis dahin hatte die Grasflur jeder geo-gnostischen Untersuchung den Boden entzogen. GrosseFelsmauern, von Nordost nach Südwest streichend,zum Theil in unförmliche Säulen gespalten, erhobensich aus der ewigen Schneedecke, ein bräunlichschwarzes Augitgestein, glänzend wie Pechstein-Por-phyr. Die Säulen waren sehr dünne, wohl 50 bis60 Fuss hoch fast wie die Trachyt-Säulen des Tabla-Uma am Vulkan Pichincha. Eine Gruppe stand einzeln |188| und erinnerte in der Ferne fast an Masten- undBaumstämme. Die steilen Mauern führten uns, durchdie Schneeregion, zu einem gegen den Gipfel gerich-teten schmalen Grath, einem Felskamm, der es unsallein möglich machte, vorzudringen, denn der Schneewar damals so weich, dass man fast nicht wagenkonnte, seine Oberfläche zu betreten. Der Kammbestand aus sehr verwittertem bröckligen Gestein.Es war oft zellig, wie ein basaltartiger Mandelstein. Der Pfad wurde immer schmaler und steiler. DieEingebornen verliessen uns alle bis auf einen in derHöhe von 15600 Fuss. Alle Bitten und Drohungenwaren vergeblich. Die Indianer behaupteten von Athem-losigkeit mehr als wir zu leiden. Wir blieben allein, Bonpland, unser liebenswürdiger Freund, der jün-gere Sohn des Marquès de Selvalegre, Carlos Mon-tufar, der in dem späteren Freiheitskampfe (aufGeneral Morillo’s Befehl) erschossen wurde, ein Me-stize aus dem nahen Dorfe San Juan und ich. Wirgelangten mit grosser Anstrengung und Geduld höherals wir hoffen durften, da wir meist ganz in Nebelgehüllt waren. Der Kamm (im Spanischen sehr be-deutsam Cuchilla, gleichsam Messerrücken genannt)hatte oft nur die Breite von acht bis zehn Zoll;zur Linken war der Absturz mit Schnee bedeckt,dessen Oberfläche durch Frost wie verglaset erschien.Die dünneisige Spiegelfläche hatte gegen 30° Neigung.Zur Rechten senkte sich unser Blick schaurig in einenachthundert oder tausend Fuss tiefen Abgrund, ausdem schneelose Felsmassen senkrecht hervorragten.Wir hielten den Körper immer mehr nach die-ser Seite hin geneigt, denn der Absturz zur linkenschien noch gefahrdrohender, weil sich dort keine |189| Gelegenheit darbot, sich mit den Händen an zackigvorstehendem Gesteine festzuhalten und weil dazu diedünne Eisrinde nicht vor dem Untersinken im lockerenSchnee sicherte. Nur ganz leichte poröse Doleritstückekonnten wir auf dieser Eisrinde herabrollen lassen.Die geneigte Schneefläche war so ausgedehnt, dasswir die Steine früher aus dem Gesichte verloren, alssie zur Ruhe kamen. Der Mangel von Schnee sowohlauf der Grate, die uns leitete, als auf den Felsen zuunserer Rechten gegen Osten, darf weniger der Steil-heit der Gesteinmassen und dem Windstosse, als of-fenen Klüften zuzuschreiben seyn, welche die warmeLuft der tiefern Erdschichten aushauchen. Bald fan-den wir das weitere Steigen dadurch schwieriger,dass die Bröcklichkeit des Gesteins beträchtlich zu-nahm. An einzelnen sehr steilen Staffeln musste mandie Hände und Füsse zugleich anwenden, wie diesbei allen Alpenreisen so gewöhnlich ist. Da das Ge-stein sehr scharfkantig war, so wurden wir, beson-ders an den Händen, schmerzhaft verletzt. In nochhöherem Maasse haben wir, Leopold von Buch undich, nahe am Crater des obsidianreichen Pics vonTeneriffa von diesen Verletzungen gelitten. Ich hattedazu (wenn es anders einem Reisenden erlaubt ist,so unwichtige Einzelnheiten zu erwähnen), seit meh-reren Wochen eine Wunde am Fusse, die durch dieAnhäufung der Niguas * (Pulex penetrans) veran-lasst und durch feinen Staub von Bimsstein, bei
* Der Sandfloh, la Chique der französischen Colonisten vonWestindien, ein Insect, das sich unter die Haut des Menscheneingräbt, und, da der Eiersack des befruchteten Weibchens be-trächtlich anschwillt, Entzündung erregt.
|190| Messungen im Llano de Tapia, sehr vermehrt wordenwar. Der geringe Zusammenhang des Gesteins auf demKamm machte nun grössere Vorsicht nöthig, da vieleMassen, die wir für anstehend hielten, lose in Sandgehüllt lagen. Wir schritten hinter einander undum so langsamer fort, als man die Stellen prüfenmusste, die unsicher schienen. Glücklicherweise warder Versuch, den Gipfel des Chimborazo zu erreichen,die letzte unserer Bergreisen in Südamerika, daherdie früher gesammelten Erfahrungen uns leiten undmehr Zuversicht auf unsere Kräfte geben konnten.Es ist ein eigener Charakter aller Excursionen inder Andeskette, dass oberhalb der ewigen Schnee-grenze weisse Menschen sich in den bedenklichstenLagen stets ohne Führer, ja ohne alle Kenntniss derOertlichkeit befinden. Man ist hier überall zuerst.
Wir konnten den Gipfel auch auf Augenblickenicht mehr sehen, und waren daher doppelt neugie-rig zu wissen, wie viel uns zu ersteigen übrig blei-ben möchte. Wir öffneten das Gefässbarometer aneinem Punkte, wo die Breite des Kammes erlaubte,dass zwei Personen bequem neben einander stehenkonnten. Wir waren erst 17300 Fuss hoch, alsokaum zweihundert Fuss höher, als wir drei Monatezuvor, einen ähnlichen Kamm erklimmend, auf demAntisana gewesen waren. Es ist mit Höhenbestim-mungen bei dem Bergsteigen, wie mit Wärmebe-stimmungen im heissen Sommer. Man findet mitVerdruss das Thermometer nicht so hoch, den Baro-meterstand nicht so niedrig, als man es erwartete.Da die Luft, trotz der Höhe, ganz mit Feuchtigkeitgesättigt war, so trafen wir nun das lose Gesteinund den Sand, der die Zwischenräume desselben |191| ausfüllt, überaus nass. Die Luft war noch 2°,8 über demGefrierpunkt. Kurz vorher hatten wir an einer trock-nen Stelle, das Thermometer drei Zoll tief in denSand eingraben können. Es hielt sich auf + 5°,8.Das Resultat dieser Beobachtung, die ohngefähr in2860 Toisen Höhe angestellt wurde, ist sehr merk-würdig, denn bereits 400 Toisen tiefer, an derGrenze des ewigen Schnees, ist nach vielen undsorgfältig von Boussingault und mir gesammeltenBeobachtungen die mittlere Wärme der Atmosphärenur + 1°,6. Die Temperatur der Erde zu + 5°,8muss daher der unterirdischen Wärme des Dolerit-berges, ich sage nicht der ganzen Masse, sondernden aus dem Inneren aufsteigenden Luftströmen zu-geschrieben werden. Nach einer Stunde vorsichtigen Klimmens wurdeder Felskamm weniger steil, aber leider! blieb derNebel gleich dick. Wir fingen nun nach und nachan, alle an grosser Ueblichkeit zu leiden. Der Drangzum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbundenund weit lästiger als die Schwierigkeit zu athmen.Ein farbiger Mensch (Mestize aus San Juan) hatteuns bloss aus Gutmüthigkeit keinesweges aber ineigennütziger Absicht, nicht verlassen wollen. Es warein kräftiger, armer Landmann, der mehr litt, alswir. Wir bluteten aus dem Zahnfleisch und aus denLippen. Die Bindehaut (tunica conjunctiva) der Augenwar bei allen ebenfalls mit Blut unterlaufen. DieseSymptome der Extravasate in den Augen, des Blut-ausschwitzens am Zahnfleisch und an den Lippen,hatten für uns nichts Beunruhigendes, da wir ausmehrmaliger früherer Erfahrung damit bekannt waren.In Europa hat Herr Zumstein schon auf einer weit |192| geringern Höhe am Monte Rosa zu bluten angefangen.Spanische Krieger kamen bei Eroberung der Aequi-noctialregion von Amerika (während der Conquista)nicht über die untere Grenze des ewigen Schnees,also wenig über die Höhe des Montblanc hinaus,und doch spricht schon Acosta in seiner Historianatural de las Indias, einer Art physischer Erd-beschreibung, die man ein Meisterwerk des 16tenJahrhunderts nennen kann, umständlich „von Ueblich-keiten und Magenkrampf“ als schmerzhaften Symp-tomen der Bergkrankheit, die darin der Seekrankheit analog ist. Auf dem Vulcan von Pichincha fühlte icheinmal, ohne zu bluten, ein so heftiges Magenübelvon Schwindel begleitet, dass ich besinnungslos aufder Erde gefunden wurde, als ich mich eben aufeiner Felsmauer über der Schlucht von Verde-Cuchu,von meinen Begleitern getrennt hatte, um electrome-trische Versuche an einem recht freien Punkte anzu-stellen. Die Höhe war gering, unter 13800 Fuss.Am Antisana aber, auf der beträchtlichen Erhebungvon 17022 Fuss, blutete unser junge Reisegefährte Don Carlos Montufar sehr stark aus den Lippen.Alle diese Erscheinungen sind nach Beschaffenheitdes Alters, der Constitution, der Zartheit der Haut,der vorhergegangenen Anstrengung der Muskelkraftsehr verschieden, doch für einzelne Individuen sindsie eine Art Maass der Luftverdünnung und absolu-ten Höhe, zu welcher man gelangt ist. Nach meinenBeobachtungen in den Cordilleren zeigen sie sich anweissen Menschen bei einem Barometerstande zwi-schen 14 Zoll und 15 Zoll 10 Linien. Es ist bekannt,dass die Angaben der Höhen, zu denen die Luft-schiffer behaupten sich erhoben zu haben, gewöhnlich |193| wenig Glauben verdienen, und wenn ein sichererund überaus genauer Beobachter, Herr Gay-Lussac, der am 16ten September 1804 die ungeheure Höhe von21600 Fuss erreichte, (also zwischen den Höhen desChimborazo und des Illimani) kein Bluten erlitt, soist dies vielleicht dem Mangel der Muskelbewegungzuzuschreiben. Nach dem jetzigen Stande der Eudio-metrie erscheint die Luft in jenen hohen Regioneneben so sauerstoffreich als in den unteren; aber dain dieser dünnen Luft, bei der Hälfte des Barome-terdrucks, dem wir gewöhnlich in den Ebenen aus-gesetzt sind, bei jedem Athemzuge, eine geringereMenge Sauerstoff von dem Blute aufgenommen wird,so ist allerdings begreiflich, wie ein allgemeinesGefühl der Schwäche eintreten kann. Warum dieseAsthenie, wie im Schwindel, vorzugsweise Ueblich-keit und Lust zum Erbrechen erregt, ist hier nicht zuerörtern, so wenig als zu beweisen, dass das Aus-schwitzen des Blutes (das Bluten aus Lippen, Zahnfleischund Augen), was auch nicht alle Individuen auf so gros-sen Höhen erfahren, keinesweges durch Aufhebungeines „mechanischen Gegendrucks“ auf das Gefäss-Sy-stem befriedigend erklärt werden kann. Es wäre viel-mehr die Wahrscheinlichkeit des Einflusses eines ver-minderten Luftdruckes auf Ermüdung bei Bewegungder Beine in sehr luftdünnen Regionen zu unter-suchen, da, nach der denkwürdigen Entdeckungzweier geistreichen Forscher, Wilhelm und EduardWeber, * das schwebende Bein, am Rumpfe hangend,
* Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge. 1836. §. 64.S. 147—160. Neuere, von den Gebrüdern Weber zu Berlinangestellte Versuche haben den Satz: dass das Bein in der
|194| bloss durch den Druck der atmosphärischen Luft ge-halten und getragen wird.
Die Nebelschichten, die uns hinderten entfernteGegenstände zu sehen, schienen plötzlich, trotz dertotalen Windstille, vielleicht durch elektrische Pro-cesse, zu zerreissen. Wir erkannten einmal wieder,und zwar ganz nahe, den domförmigen Gipfel desChimborazo. Es war ein ernster grossartiger An-blick. Die Hoffnung, diesen ersehnten Gipfel zu er-reichen, belebte unsere Kräfte aufs neue. Der Fels-kamm, der nur hier und da mit dünnen Schneeflockenbedeckt war, wurde etwas breiter; wir eilten siche-ren Schrittes vorwärts, als auf einmal eine ArtThalschlucht von etwa 400 Fuss Tiefe und 60 FussDurchmesser unserem Unternehmen eine unübersteig-liche Grenze setzte. Wir sahen deutlich jenseits desAbgrundes unseren Felskamm in derselben Richtungfortsetzen, doch zweifle ich, dass er bis zum Gipfelselbst führt. Die Kluft war nicht zu umgehen. Am Anti-sana konnte freilich Herr Bonpland nach einer sehrkalten Nacht, eine beträchtliche Strecke des ihn tragen-den Schnees durchlaufen. Hier war der Versuch nichtzu wagen, wegen Lockerheit der Masse; auch machtedie Form des Absturzes das Herabklimmen unmöglich.Es war 1 Uhr Mittags. Wir stellten mit vielerSorgfalt das Barometer auf, es zeigte 13 Z. 112/10 L.Die Temperatur der Luft war nun 1°,6 unter demGefrierpunkt, aber nach einem mehrjährigen Aufent-halt in den heissesten Gegenden der Tropenwelt schienuns diese geringe Kälte erstarrend. Dazu waren
Beckenpfanne von dem Druck der atmosphärischen Luft getragenwird, vollkommen bestätigt.
|195| unsere Stiefel ganz von Schneewasser durchzogen,denn der Sand, der bisweilen den Grath bedeckte,war mit altem Schnee vermengt. Wir hatten nachder La Place’schen Barometerformel, eine Höhe von3016 Toisen, genauer von 18097 Pariser Fuss er-reicht. Wäre La Condamine’s Angabe der Höhe desChimborazo, wie sie auf der noch in Quito, im Jesuiter-Collegio, aufbewahrten Steintafel aufgezeichnet ist,die richtige, so fehlten uns noch bis zum Gipfelsenkrecht 1224 Fuss oder die dreimalige Höhe derPeterskirche zu Rom.
La Condamine und Bouguer sagen ausdrücklich,dass sie am Chimborazo nur bis 2400 Toisen Höhegelangt waren, aber am Corazon, einem der male-rischsten Schneeberge (Nevados) in der nahen Umge-bung von Quito, rühmen sie sich das Barometer auf15 Zoll 10 Linien gesehen zu haben. Sie sagen, diessey „ein tieferer Stand als je ein Mensch bisherhabe beobachten können.“ An dem oben beschriebe-nen Punkte des Chimborazo war der Luftdruck umfast zwei Zoll geringer, geringer auch, als da, wosechzehn Jahre später, 1818, sich Capitain Gerard am höchsten im Himalayagebirge, auf dem Tarhigangerhoben hat. In einer Taucherglocke bin ich in Eng-land einem Luftdruck von 45 Zoll fast eine Stundelang ausgesetzt gewesen. Die Flexibilität der mensch-lichen Organisation erträgt demnach Veränderungenim Barometerstande, die 31 Zoll betragen. Dochsonderbar möchte die physische Constitution des Men-schengeschlechts allmälig umgewandelt werden, wenngrosse kosmische Ursachen solche Extreme der Luft-verdünnung oder Luftverdichtung permanent machten. |196| Wir blieben kurze Zeit in dieser traurigen Ein-öde, bald wieder ganz in Nebel gehüllt. Die feuchteLuft war dabei unbewegt. Keine bestimmte Richtungwar in den einzeln Gruppen dichterer Dunstbläschenzu bemerken, daher ich nicht sagen kann, ob aufdieser Höhe der dem tropischen Passat entgegen-gesetzte Westwind wehet. Wir sahen nicht mehr denGipfel des Chimborazo, keinen der benachbarten Schnee-berge, noch weniger die Hochebene von Quito. Wirwaren wie in einem Luftball isolirt. Nur einigeSteinflechten waren uns bis über die Grenze desewigen Schnees gefolgt. Die letzten cryptogamischenPflänzchen, die ich sammelte, waren Lecidea atrovi-rens (Lichen geographicus, Web.) und eine Gyrophorades Acharius, eine neue Species (Gyrophora rugosa)ohngefähr in 2820 Toisen Höhe. Das letzte Moos,Grimmia longirostris, grünte 400 Toisen tiefer. EinSchmetterling (Sphinx) war von Herrn Bonpland in15000 Fuss Höhe gefangen worden, eine Fliege sahenwir noch um 1600 Fuss höher. Den auffallendstenBeweis, dass diese Thiere unwillkührlich vom Luft-strome, der sich über den erwärmten Ebenen erhebt,in diese obere Region der Atmosphäre gebracht wer-den, giebt folgende Thatsache. Als Boussingault dieSilla de Caracas bestieg, um meine Messung desBerges zu wiederholen, sah er in 8000 Fuss Höheum Mittag, als dort Westwind wehte, von Zeit zuZeit weissliche Körper die Luft durchstreichen, dieer anfangs für aufsteigende Vögel mit weissem, dasSonnenlicht reflectirendem Gefieder hielt. DieseKörper erhoben sich aus dem Thale von Caracas mitgrosser Schnelligkeit und überstiegen die Gipfel der |197| Silla, indem sie sich gegen Nordosten richteten, wosie wahrscheinlich das Meer erreichten. Einige fielenfrüher nieder auf den südlichen Abhang der Silla; eswaren von der Sonne erleuchtete Grashalme. Bous-singault schickte mir solche, die noch Aehren hatten,in einem Briefe nach Paris, wo mein Freund undMitarbeiter Kunth sie augenblicklich für die Wilfatenacissema erkannte, welche im Thal von Caracaswächst und die er eben in unserem Werke NovaGenera et Species plantarum Americæ æquinoctialis beschrieben hatte. Ich muss noch bemerken, dasswir keinem Condor auf dem Chimborazo begegneten,diesem kräftigen Geyer, der auf Antisana und Pichinchaso häufig ist und mit dem Menschen unbekannt, grosseDreistigkeit zeigt. Der Condor liebt heitere Luft,um seinen Raub oder seine Nahrung (denn er giebttodten Thieren den Vorzug) aus der Höhe leichterzu erkennen. Da das Wetter immer trüber und trüber wurde,so eilten wir auf demselben Felsgrathe herab, der unserAufsteigen begünstigt hatte. Vorsicht war indesswegen Unsicherheit des Trittes noch mehr nöthig alsim Heraufklimmen. Wir hielten uns nur so langeauf, als wir brauchten Fragmente der Gebirgsart zusammeln. Wir sahen voraus, dass man uns in Europaoft um „ein kleines Stück vom Chimborazo“ anspre-chen würde. Damals war noch keine Gebirgsart inirgend einem Theile von Südamerika benannt worden;man nannte Granit das Gestein aller hohen Gipfelder Andes. Als wir ungefähr in 17400 Fuss Höhewaren, fing es an heftig zu hageln. Es waren un-durchsichtige milchweisse Hagelkörner mit concen-trischen Lagen. Einige schienen durch Rotation |198| beträchtlich abgeplattet. Zwanzig Minuten ehe wirdie untere Grenze des ewigen Schnees erreichten,wurde der Hagel durch Schnee ersetzt. Die Flockenwaren so dicht, dass der Schnee bald viele Zoll tiefden Felskamm bedeckte. Wir wären gewiss in grosseGefahr gekommen, hätte uns der Schnee auf 18000Fuss Höhe überrascht. Um 2 Uhr und einige Minutenerreichten wir den Punkt, wo unsere Maulthiere stan-den. Die zurückgebliebenen Eingebornen waren mehrals nöthig um uns besorgt gewesen. Der Theil unserer Expedition oberhalb des ewi-gen Schnees hatte nur 3½ Stunden gedauert, währendwelchen wir, trotz der Luftverdünnung, uns nie durchNiedersetzen zu ruhen brauchten. Die Dicke des dom-förmigen Gipfels hat in dieser Höhe der ewigenSchneegrenze, also in 2460 Toisen Höhe, noch einenDurchmesser von 3437 Toisen und nahe am höchstenGipfel, fast 150 Toisen unterhalb demselben, einenDurchmesser von 672 Toisen. Die letztere Zahl istalso der Durchmesser des oberen Theils des Domsoder der Glocke; die erstere drückt die Breite aus, inder die ganze Schneemasse des Chimborazo, in Rio-bamba Nuevo gesehen, dem Auge erscheint, eine Schnee-masse, die sich mit ihren nördlich anliegenden zwei Kup-pen auf den 16ten und 25ten Tafeln meines Kupferwerkes: Vues des Cordilleres abgebildet findet. Ich habe sorg-fältig mit dem Sextanten die einzelnen Theile des Um-risses gemessen, wie derselbe sich in der Hochebenevon Tapia, gegen das tiefe Blau des Tropenhimmels,an einem heiteren Tage, prachtvoll abhebt. SolcheBestimmungen dienen dazu, das Volum des Colosseszu ergründen, so weit es eine Fläche übersteigt, inder Bouguer seine Versuche über die Anziehung des |199| Berges gegen das Pendel anstellte. Ein ausgezeich-neter Geognost Herr Pentland, dem wir die Kennt-niss der Höhen des Sorata und Illimani verdanken,und der, mit vielen trefflichen astronomischen undphysikalischen Instrumenten ausgerüstet, eben jeztwieder nach dem Oberen Peru (Bolivia) abgeht, hatmich versichert, dass mein Bild des Chimborazo gleich-sam wiederholt ist in dem Nevado de Chuquibamba,einem Trachytberge, der in der westlichen Cordillere,nördlich von Arequipa, 19680 Fuss (3280 Toisen)Höhe erreicht. Nächst dem Himalaya ist dort, durchdie Frequenz hoher Gipfel und durch die Masse der-selben, zwischen dem 15ten und 18ten Grade südlicherBreite, die grösste Anschwellung der uns bekanntenErdoberfläche, so weit nämlich diese Anschwellungnicht von der primitiven Form des rotirenden Plane-ten, sondern von Erhebung der Bergketten und ein-zelnen Glocken von Dolerit-, Trachyt- und Albit-gestein auf diesen Bergketten herrührt. Wegen des frischgefallenen Schnees fanden wirbeim Herabsteigen vom Chimborazo die untere Grenzedes ewigen Schnees mit den tieferen sporadischenSchneeflecken auf dem nackten, mit Lichenen bedeck-ten Gestein und auf der Grasebene (Pajonal) in zu-fälliger momentaner Verbindung; doch immer war esleicht, die eigentliche perpetuirliche Grenze (damalsin 2470 Toisen Höhe) an der Dicke der Schicht undihrer eigenthümlichen Beschaffenheit zu erkennen. Ichhabe an einem anderen Orte (in einer den Fragmensasiatiques einverleibten Abhandlung über die Ursa-chen, welche die Krümmung der isothermen Linien bedingen) gezeigt, dass in der Provinz Quito dieHöhenunterschiede der ewigen Schneegrenze an den |200| verschiedenen Nevados, nach der Gesammtheit meinerMessungen, nur um 38 Toisen schwanken, dass diemittlere Höhe selbst zu 14760 Fuss oder 2460 Toisenanzurechnen ist und dass diese Grenze, 16° bis 18°südlicher vom Aequator, in Bolivia, wegen des Ver-hältnisses der mittleren Jahrestemperatur zur mitt-leren Temperatur der heissesten Monate, wegen derMasse, Ausdehnung und grösseren Höhe der umlie-genden wärmestrahlenden Plateaux, wegen der Trok-kenheit der Atmosphäre und wegen des völligenMangels alles Schneefalles von März bis November,volle 2670 Toisen hoch liegt. Die untere Grenze desperpetuirlichen Schnees, die keineswegs mit der isother-men Curve von 0° zusammenfällt, steigt demnach hierausnahmsweise, statt zu sinken, indem man sich vomAequator entfernt. Aus ganz analogen Ursachen derWärmestrahlung in nahen Hochebenen liegt die Schnee-grenze zwischen 30°¾ und 31° nördlicher Breite, amnördlichen tibetischen Abhange des Himalaya, in2600 Toisen Höhe, wenn am südlichen, indischen Ab-hange sie nur 1950 Toisen Höhe erreicht. Durch die-sen merkwürdigen Einfluss der Gestaltung der Erd-oberfläche ist ausserhalb der Wendekreise, ein be-trächtlicher Theil von Inner-Asien von Ackerbauenden,mönchisch-regierten, aber doch in Gesittung fortge-schrittenen Völkern bewohnt, wo unter dem Aequatorin Südamerika der Boden mit ewigem Eise bedeckt ist. Wir nahmen unseren Rückweg nach dem DorfeCalpi etwas nördlicher als die Llanos de Sisgun durchden pflanzenreichen Paramo de Pungupala. Schon um5 Uhr Abends waren wir wieder bei dem freundlichenPfarrer von Calpi. Wie gewöhnlich folgte auf dennebelverhüllten Tag der Expedition die heiterste |201| Witterung. Am 25. Junius erschien uns in RiobambaNuevo der Chimborazo in seiner ganzen Pracht, ichmöchte sagen, in der stillen Grösse und Hoheit, dieder Naturcharakter der tropischen Landschaft ist.Ein zweiter Versuch auf dem durch eine Kluft unter-brochenen Kamm wäre gewiss so fruchtlos als der ersteausgefallen und schon war ich mit der trigonometri-schen Messung des Vulkans von Tungurahua beschäftigt. Boussingault hat mit seinem Freunde, dem englischenOberst Hall, der bald darauf in Quito ermordet wurde,am 16ten December 1831 einen neuen Versuch gemacht,den Gipfel des Chimborazo zu erreichen, erst vonMocha und Chillapullu, dann von Arenal aus, also aufeinem anderen Wege, als den ich mit Bonpland und Don Carlos Montufar betrat. Er musste dasWeitersteigen aufgeben als sein Barometer 13 Zoll8½ Linien, bei der warmen Lufttemperatur von+ 7°,8 zeigte. Er sah also die uncorrigirte Queck-silbersäule fast 3 Linien niedriger und war um 64 T.höher als ich gelangt, bis zu 3080 Toisen. Hören wirselbst diesen der Andeskette so kundigen Reisenden,der mit grosser Kühnheit zuerst chemische Apparatean und in die Krater der Vulkane getragen hat. „DerWeg, sagt Boussingault, den wir uns in dem letztenTheile unserer Expedition durch den Schnee bahnten,erlaubte uns nur sehr langsam vorzuschreiten; rechtskonnten wir uns an einen Felsen festhalten, links warder Abgrund furchtbar. Wir spürten schon die Wir-kung der Luftverdünnung und waren gezwungen unsalle 2 bis 3 Schritte niederzusetzen. So wie wiruns aber eben gesetzt hatten, standen wir wiederauf, denn unser Leiden dauerte nur so lange, alswir uns bewegten. Der Schnee, den wir betreten |202| mussten, war weich und lag kaum 3 bis 4 Zoll hochauf einer sehr glatten und harten Eisdecke. Wir wa-ren genöthigt Stufen einzuhauen. Ein Neger gingvoran, um diese Arbeit, die seine Kräfte bald er-schöpfte, zu vollziehen. Indem ich bei ihm vorbei-gehen wollte, um ihn abzulösen, glitt ich aus und wurdeglücklicherweise vom Oberst Hall und meinem Negerzurückgehalten. Wir befanden uns (setzt Hr. Bous-singault hinzu) für einen Augenblick alle drei in dergrössten Gefahr. Weiterhin ward der Schnee günsti-ger und um 3¾ Uhr Nachmittags standen wir auf demlang ersehnten Felskamme, der wenige Fuss breit,aber mit Abgründen umgeben war. Hier überzeugtenwir uns, dass das Weiterkommen unmöglich sey.Wir befanden uns an dem Fusse eines Felsprisma’s,dessen obere Fläche, bedeckt mit einer Kuppe vonSchnee, den eigentlichen Gipfel des Chimborazo bil-det. Um sich von der Topographie des ganzen Bergesein richtiges Bild zu machen, denke man sich eineungeheure schneebedeckte Felsmasse, die von allenSeiten, wie durch Strebepfeiler, unterstützt erscheint.Die Strebepfeiler sind die Kämme, die sich anlegenund (aus dem ewigen Schnee) hervortreten.“ DerVerlust eines Physikers, wie Boussingault, wäre un-beschreiblich theuer durch den wenigen Gewinn er-kauft worden, den Unternehmungen dieser Art denWissenschaften darbieten können. So lebhaft ich auch vor bereits dreissig Jahrenden Wunsch ausgesprochen habe, dass die Höhe desChimborazo möchte von neuem sorgsam trigonome-trisch gemessen werden, so schwebt doch noch immereinige Ungewissheit über das absolute Resultat. DonJorge Juan und die französischen Akademiker geben, |203| nach verschiedenen Combinationen derselben Ele-mente, oder wenigstens nach Operationen, die allengemeinschaftlich waren, Höhen von 3380 und 3217Toisen an, Höhen, die um 1/20 differiren. Das Er-gebniss meiner trigonometrischen Operation (3350 T.)fällt zwischen beide, nähert sich aber bis auf 1/112 der spanischen Bestimmung. Bouguer’s kleineres Re-sultat gründet sich, theilweise wenigstens, auf dieHöhe der Stadt Quito, die er um 30 bis 40 Toisenzu gering angiebt. Er findet, nach alten Barometer-formeln ohne Correction für die Wärme, 1462 Toisen,statt 1507 und 1492 Toisen, die Boussingault und ich,sehr übereinstimmend, gefunden haben. Die Höhe, dieich der Ebene von Tapia gebe, wo ich eine Basisvon 873 Toisen Länge * maass, scheint auch ziem-lich fehlerfrei zu seyn. Ich fand für dieselbe 1482und Boussingault, in einer sehr verschiedenen Jah-reszeit, also bei anderer Wärmeabnahme in den aufeinander gelagerten Luftschichten, 1471 Toisen. Bou-guer’s Operation war dagegen sehr verwickelt, daer die Höhe der Thalebene zwischen der östlichenund westlichen Andeskette durch sehr kleine Höhen-winkel der Trachyt-Pyramide von Ilinissa in der un-teren Küstenregion bei Niguas gemessen, zu ergründengezwungen war. Der einzige ansehnliche Berg derErde, für den die Messungen jetzt bis 1/246 überein-stimmen, ist der Montblanc, denn der Monte Rosawurde durch vier verschiedene Reihen von Dreieckeneines vortrefflichen Beobachters, des Astronomen Car-lini, zu 2319, 2343, 2357 und 2374 Toisen, von Oriani ebenfalls durch eine Triangulation zu 2390 Toisen
* Humboldt, Recueil d’observations astronomiques, d’opérationstrigonometriques etc. T. I. p. LXXII.
|204| gefunden; Unterschiede von 1/34. Die älteste aus-führliche Erwähnung des Chimborazo finde ich beidem geistreichen, etwas satyrischen italienischen Rei-senden Girolamo Benzoni, dessen Werk 1565 gedrucktward. Er sagt, dass ihm die Montagna di Chimbo, die40 miglia hoch sey, abenteuerlich come una visione er-schien. Die Eingebornen von Quito wussten langevor der Ankunft der französischen Gradmesser, dassder Chimborazo der höchste aller Schneeberge ihrerGegend sey. Sie sahen, dass er am weitesten überdie ewige Schneegrenze hinausreiche. Eben dieseBetrachtung hatte sie veranlasst, den jetzt einge-stürzten Capac Urcu für höher als den Chimborazozu halten.
Ueber die geognostische Beschaffenheit des Chim-borazo füge ich hier nur die allgemeine Bemerkung hinzu,dass wenn nach den wichtigen Resultaten, die Leo-pold von Buch in seiner letzten classischen Abhand-lung über Erhebungscrater und Vulkane (Poggendorff’s Annalen, Band 37. S. 188—190) niedergelegt hat, Trachyt nur feldspathhaltige, Andesit nur albithal-tende Massen genannt werden sollen, das Gesteinvom Chimborazo beide Namen keinesweges verdient.Dass am Chimborazo Augit die Hornblende ersetze,hat schon derselbe geistreiche Geognost vor mehrals zwanzig Jahren bemerkt, als ich ihn aufforderte,die von mir heimgebrachten Gesteine der Andeskettegenau oryctognostisch zu untersuchen. Dieser That-sache ist in mehreren Stellen meines im Jahr 1823erschienenen „Essai géognostique sur le Gisementdes Rochers dans les deux Hémisphères“ erwähntworden. Dazu findet mein sibirischer Reisegefährte, Gustav Rose, der durch seine treffliche Arbeit über |205| die dem Feldspath verwandten Fossilien und ihreAssociation mit Augit und Hornblende den geognosti-schen Untersuchungen neue Wege geöffnet hat, inallen von mir gesammelten Gebirgsfragmenten desChimborazo weder Albit, noch Feldspath. Die ganzeFormation dieses berühmten Gipfels der Andeskettebesteht aus Labrador und Augit; beide Fossilien indeutlichen Krystallen erkennbar. Der Chimborazoist, nach der Nomenclatur von Gustav Rose, ein Au-gitporphyr, eine Art Dolerit. Auch fehlen ihm Obsi-dian und Bimstein. Hornblende ist nur ausnahmsweiseund sehr sparsam (in zwei Stücken) erkannt wor-den. Der Chimborazo ist also, wie Leopold vonBuch’s und Elie de Beaumont’s neueste Bestimmun-gen lehren, der Gebirgsart des Aetna analog. Nebenden Trümmern der alten Stadt Riobamba, drei geo-graphische Meilen östlich vom Chimborazo, ist schonwahrer Dioritporphyr, ein Gemenge von schwarzerHornblende (ohne Augit) und weissem glasigen Albitanstehend, ein Gestein, das an die schöne, in Säulengetheilte Masse von Pisoje bei Popayan und an denmexikanischen Vulkan von Toluca, den ich ebenfallsbestiegen, erinnert. Ein Theil der Stücke von Augit-porphyr, die ich bis in 18000 Fuss Höhe auf demzum Gipfel führenden Felskamm, meist in losen Stük-ken von zwölf bis vierzehn Zoll Durchmesser ge-funden habe, ist kleinzellig porös und von rotherFarbe. Diese Stücke haben glänzende Zellen. Dieschwärzesten sind bisweilen bimsteinartig leicht undwie frisch durch Feuer verändert. Sie sind indessnicht in Strömen lavaartig geflossen, sondern wahr-scheinlich auf Spalten, an dem Abhange des früheremporgehobenen glockenförmigen Berges, herausge-schoben. Die ganze Hochebene der Provinz Quito |206| ist stets von mir als ein grosser vulkanischer Heerdbetrachtet worden. Tungurahua, Cotopaxi, Pichinchamit ihren Kratern sind nur verschiedene Auswegedieses Heerdes. Wenn Vulkanismus im weitestenSinne des Wortes alle Erscheinungen bezeichnet,die von der Reaction des Inneren eines Planetengegen seine oxydirte Oberfläche abhängen, so ist die-ser Theil des Hochlandes mehr als irgend ein andererin der Tropengegend von Südamerika, der permanen-ten Wirkung des Vulkanismus ausgesetzt. Auch unterden glockenförmigen Augitporphyren, welche wie diedes Chimborazo, keinen Krater haben, toben die vul-kanischen Mächte. Drei Tage nach unserer Expeditionhörten wir, in dem Neuen Riobamba, um ein UhrNachts, ein wüthiges unterirdisches Krachen (bra-mido), das von keiner Erschütterung begleitet war.Erst drei Stunden später erfolgte ein heftigesErdbeben ohne vorhergehendes Geräusch. Aehn-liche bramidos, wie man glaubt vom Chimborazokommend, wurden wenige Tage vorher in Calpi ver-nommen. Dem Bergkoloss noch näher, im Dorfe SanJuan, sind sie überaus häufig. Sie erregen die Auf-merksamkeit der Eingebornen nicht mehr, als es einferner Donner thut aus tiefbewölktem Himmel, inunserer nordischen Zone. Das sind die flüchtigen Bemerkungen über zweiBesteigungen des Chimborazo, die ich mir erlaubthabe, aus einem ungedruckten Reisejournale einfachmitzutheilen. Wo die Natur so mächtig und grossund unser Bestreben rein wissenschaftlich ist, kannwohl die Darstellung jedes Schmuckes der Rede ent-behren.