Alexander von Humboldt in Göttingen 1837. Das Jubiläum der Univerſität Göttingen iſt durch die Anweſenheit Alexanders von Humboldt verherrlicht worden. Die wiſſenſchaftliche Jugend wußte wohl, was dieſer Name der Welt bedeutet, aber ſie fühlte zugleich, wie er ihr insbeſondere theuer und werth ſein muß. Denn Humboldt, an Jahren und Verhältniſſen wie durch Rang und Stellung dem Kreiſe der Jugend ſchon fern, hat doch nie aufgehört, durch Sinn und Geiſt ihr zugewendet und verbündet zu ſein, und mit Vertrauen und Liebe dieſe Zukunft des Vaterlandes zu pflegen und zu fördern. In einer Zeit und unter Umſtänden, wo älteres Verdienſt und jüngerer Eifer einander ſo leicht entgegenſtehen, und neue Richtungen und Formen alten Gewöhnungen nur ſtörend werden, hat Humboldt ſtets dem jüngeren Geſchlecht, auch wo er ihm nicht gerade beiſtimmte, doch die Gerechtigkeit widerfahren laſſen, welche bei ihm aus eigner fortdauernder Geiſtesfriſche und damit verbundener höherer Einſicht hervorging. Die Göttinger Studirenden haben dies ihr Verhältniß zu dem berühmten Manne richtig gefühlt, und kaum war ſeine Ankunft bekannt geworden, ſo wurde ihm ein Fackelzug und tauſendſtimmig wiederholtes Lebehoch dargebracht, wovon die Zeitungen das Nähere berichtet haben. Die Worte jedoch, mit welchem der Ueberraſchte dieſe Ehrenauszeichnung erwiederte, ſind in öffentlichen Blättern ſehr ungenau mitgetheilt worden, und wir glauben daher unſern Leſern einen Gefallen zu thun, wenn wir ihnen dieſe Improviſation, wie ſie wirklich Statt gefunden hat, in einer authentiſchen Auffaſſung hier darlegen. Humboldt ſprach, ſobald er nur die eigne Bewegung bemeiſtert hatte, und einige Stille geworden war, dieſe würdige und bedeutungsvolle Anrede: „Unter den verſchiedenartigen Freuden, die mir in einem vielbewegten Leben geworden ſind, iſt es eine der ſüßeſten und erhebendſten, dieſen ehrenvollen Ausdruck Ihres Wohlwollens zu empfangen.“ „Faſt ein halbes Jahrhundert iſt verfloſſen, ſeit dem ich in dieſer berühmten Hochſchule, Georgia Auguſta, den edleren Theil meiner Bildung empfing.“ „Viele und tiefeingreifende Wechſel der Weltgeſtaltungen haben ſeitdem die Erdtheile getroffen, die ich, nach wiſſenſchaftlichen Zwecken ſtrebend, durchwanderte; aber die Bande der Zuneigung, welche die alternden, hinſchwindenden Geſchlechter an die jüngeren, kraftvoll aufſtrebenden dadurch knüpft, daß alle, im akademiſchen Leben, aus Einer Quelle geſchöpft, ſind in dem raſchen Wechſel der Begebenheiten ungeſchwächt geblieben.“ „Deutſchlands Hochſchulen üben noch jetzt, wie vor Jahrhunderten, ihren wohlthätigen Einfluß auf die freie Entwickelung geiſtiger Kräfte, auf die ernſten Richtungen des Volkslebens aus.“ „In der Anerkennung dieſes mächtigen Einfluſſes, der dem hochherzigen Gründer dieſer Univerſität, dem edlen Vorfahren Ihres Königs, im Geiſte vorſchwebte, bringe ich Ihnen, theure Freunde, tiefbewegt, die Huldigung meiner liebevollen Dankgefühle dar.“ Das Feuer, mit dem dieſe edlen Worte geſprochen wurden, machte den lebendigſten Eindruck, ſo wie das Maß, in welchem ſie gehalten ſind, Bewunderung verdient. Eine „Feſtgabe zur Säkularfeier der Univerſität Göttingen“, beſtehend aus Gedichten dreier jungen Dichter, Theodor Creizenach, Moritz Carriere, und Karl Bölſche, iſt ebenfalls eine Huldigung für Humboldt; das durch ſeinen Inhalt werthvolle und auch im Aeußern zierliche Heft iſt ihm „dem höchſten Gaſte bei dieſer Jubelfeier“ zugeeignet, und, wir geſtehen es, dieſe Bezeichnung hat uns durch ihre innere, mit jugendlichem Freimuth ausgeſprochene Wahrheit, beſonders wohlgefallen. Von den Gedichten ſelbſt reden wir vielleicht ſpäter einmal. Wir begnügen uns, hier anzumerken, daß ein Sonettenkranz von Moritz Carriere und Theodor Creizenach ſehr glücklich die bedeutendſten Namen beſingt, welche mit der Erinnerung an Göttingen ſich verflechten. Haller, Lichtenberg, Bürger, Voß, Friedrich Auguſt Wolf, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Blumenbach, Gauß, Jakob und Wilhelm Grimm, und manche Andere, werden hier in verdientem Ruhme vorgeführt, zuletzt auch Heinrich Heine, der ebenfalls in Göttingen ſtudirt hat und Doktor der Rechte geworden iſt. Dieſen Namen hier nicht vergeſſen zu haben, dünkt uns ebenfalls ſo löblich als nothwendig, und in welch gutem Sinne die Jünglinge hier ihren Lieblingsdichter beurtheilen, ja gewiſſermaßen ſtrafen und warnen, bezeuge das ihn betreffende Sonett ſelber: Heinrich Heine. Von edlen Bluͤthen melden uns die Sagen, Die aus dem beſten Herzblut aufgeſchoſſen, Die aus dem Grab verſunkner Freuden ſproſſen, Und auf den Blaͤttern Schmerzenslaute tragen. So mahnen mich, o Dichter, Deine Klagen, Die aus dem tiefſten Weh der Bruſt ergoſſen, Bald hold und zart, bald ſtark und wild entfloſſen, In ſchlaͤfrigen und duͤſter bangen Tagen. Der Du den Schleier wagteſt aufzuheben Von bunten Lappen und geſchminkten Leichen, Du haſt gethan, was Dir der Geiſt geboten. Auf aus dem Schlummer, dem Du Dich ergeben! Nun gilt’s, mit Ernſt das Hoͤchſte zu erreichen! Sonſt ſei hinweggeworfen zu den Todten. — Von einem andern, ſehr ſonderbaren poetiſchen Erzeugniß: „Die Botſchaft aus Elyſium an alle Freunde und Genoſſen der Georgia Auguſta, von Iſidorus; Göttingen, bei Vandenhoeck und Ruprecht, 1837“, behalten wir uns vor, bei nächſter Gelegenheit ein Wort zu ſagen. — 1837.