Vorwort. Ich erfülle eine ernste und traurige Pflicht. Indem aus dem litterarischen Nachlasse meines Bruders, kaum ein Jahr nach seinem Hinscheiden, dieses Werk der Öffentlichkeit übergeben wird, habe ich einige Worte über die Einrichtung und Abtheilung desselben zu sagen. Es würde, bei der individuellen Richtung meiner Studien, eine leichtsinnige Zuversicht verrathen, wenn ich hier mehr, als die äußere Form, berührte, und es wagte, dem Verewigten, auf der von ihm durchlaufenen Bahn, in das unermessene Reich der Sprache zu folgen. Die Arbeit erscheint zwar in einer in sich abgeschlossenen Gestalt; doch würde sie gewiß in einzelnen Theilen von der eignen Hand des Verfassers noch manche Umwandlung und größere Vollendung erfahren haben. Der Einleitung, welche den Einfluß der Sprache auf die geistige Entwickelung der Menschheit darstellt, waren manche Zusätze vorbehalten, die in belebenden Gesprächen angedeutet, aber nicht niedergeschrieben wurden. Nur der Druck des ganzen ersten Buches ist von meinem Bruder selbst besorgt worden; die genaueste Durchsicht des Manuscripts aber und die Herausgabe des ganzen Werkes, in seiner gegenwärtigen Gestalt, verdanken wir dem Fleiße und der wissenschaftlichen Bildung eines jungen Gelehrten, der, viele Jahre lang, einem ehrenvollen Vertrauen durch die treueste Anhänglichkeit entsprochen hat. Herr Dr. Buschmann, Custos bei der Königl. Bibliothek, dem Verewigten durch einen ihm theuren Freund, Prof. Bopp, empfohlen, war durch die Mannigfaltigkeit seiner Kenntnisse und seinen Eifer für die Sprachen des südöstlichen Asiens besonders geeignet, eine solche Hülfe darzubieten. Das zweite Buch, mit welchem der folgende Theil beginnen wird, stellt den grammatischen Bau der Kawi-Sprache, aus dem Heldengedichte Brata Yuddha entwickelt, in fortwährender Vergleichung mit allen übrigen bekannten Malayischen und Südsee- Sprachen dar. In dem dritten Buche ist der Charakter jedes dieser Idiome einzeln bestimmt, besonders der des Madecassischen, Tagalischen, Tongischen, Tahitischen und Neu-Seeländischen. Die Völkerverhältnisse jener großen Inselwelt und ihre gemeinsamen, durch so vielartige Analogien verkündigten Ausstrahlungen führen merkwürdigerweise, aber nur in wenigen Einzelheiten, den Forscher auf den festgegründeten Boden des Sanskrit zurück. Da mein Bruder kurz vor seinem Tode neue und wichtige Mittheilungen von Herrn Crawfurd in London empfing, so hat er Nachträge zu einigen, die Sprache betreffenden Stellen des ersten Buches den folgenden Büchern einverleibt. Unter den auswärtigen Gelehrten, deren Mittheilungen dieses Werk besonders bereichert haben, verdient den ersten Rang der talentvolle Verfasser der History of the Indian Archipelago und der Embassy to the Court of Ava, Herr John Crawfurd, welcher aus dem großen Schatze seiner Sammlung von Schriften in Malayischen Sprachen drei handschriftliche Javanische Wörterbücher und eine handschriftliche Javanische Grammatik, wie auch eine Abschrift des oben erwähnten Kawi-Gedichtes, dem Verewigten zu freiestem Gebrauche überlassen hatte. Bei der Unzulänglichkeit aller öffentlichen Hülfsmittel, wäre es ohne jene Mittheilung unmöglich gewesen, sich der Javanischen und Kawi-Sprache in ihren Eigenthümlichkeiten ganz zu bemeistern. Herr Crawfurd, dessen persönlichen Umganges ich mich am frühesten in Paris zu erfreuen gehabt habe, wird den Ausdruck der Dankbarkeit beider Brüder gewiß mit demselben Wohlwollen aufnehmen, mit dem er so wichtige, ganz durch eigenen Fleiß gesammelte Materialien zu erfolgreicher Benutzung dargeboten hat. In allem, was die Philosophie der Sprachkunde oder den Organismus der Sanskritsprache ins besondere betrifft, hat sich mein Bruder, immerfort, bis zu seinem Tode, vertrauungsvoll mit einem Manne berathen, welcher durch die Bande einer langbewährten Freundschaft und gegenseitigen Achtung mit ihm verbunden war und durch seinen Scharfsinn und seine unermüdete Thätigkeit einen stets wachsenden Einfluß auf die Richtung des vergleichenden, allgemeinen Sprachstudiums ausübt. Herr Prof. Bopp empfing von dem Verewigten jeden vollendeten Bogen des ersten Buches, mit Aufforderung zu strenger Kritik. Dem geistig belebenden Einflusse eines solchen Freundes gebührt hier eine öffentliche, dankbare Anerkennung. Wenn es dem, dessen Verlust wir betrauern, vergönnt war, durch die Macht seiner Intelligenz und die nicht geringere Macht seines Willens, durch Begünstigung äußerer Verhältnisse, und durch Studien, welche der häufige Wechsel des Aufenthalts und sein öffentliches Leben nicht zu unterbrechen vermochten, tiefer in den Bau einer größeren Menge von Sprachen einzudringen, als wohl noch je von einem Geiste umfaßt worden sind, so dürfen wir uns doppelt freuen, die letzten, ich darf wohl hinzusetzen, die höchsten Resultate dieser, das ganze Sprachgebiet berührenden Forschungen in der Einleitung dieses Werkes entwickelt zu finden. Ich müßte fast den ganzen Kreis der wissenschaftlichen Verbindungen meines Bruders durchlaufen, die er auf seinen Reisen in Deutschland, England, Frankreich, Italien und Spanien angeknüpft hatte, wenn ich die einzelnen Personen nennen sollte, die ihm in jenen allgemeinen Untersuchungen und bei Gründung der großen linguistischen Sammlung nützlich gewesen sind, welche nach seinem letzten Willen der Königl. Bibliothek einverleibt wurde. Geistreichen und sprachgelehrten Männern, mit denen der Verewigte durch Briefe in litterarischem Verkehre stand, Aug. Wilh. von Schlegel, Gottfr. Hermann, dem ihn die Übersetzung des Äschyleischen Agamemnon (mitten unter den Stürmen des Krieges) genähert hatte, Silvestre de Sacy, Gesenius, Burnouf, Thiersch, Lassen, Du Ponceau in Philadelphia, John Pickering in Salem, Rosen in London, P. von Bohlen in Königsberg, Stenzler in Breslau, Pott in Halle, Lepsius in Rom, Neumann in München, Kosegarten, dem Ägyptischen Reisenden G. Parthey, Champollion, Abel-Remusat, Klaproth und Friedrich Ed. Schulz, welcher in einem ruhmvollen Unternehmen den Tod im Orient fand, sind viele seiner allgemeinen Ansichten, wie sie sich ihm allmälig darboten, zur Prüfung vorgelegt worden. Was mein Bruder dem tiefen Kenner des gesammten classischen Alterthums, unserem Freunde August Böckh, und besonders dessen glücklichen Forschungen über allgemeine Metrik und den vielartigen Einfluß Hellenischer Stammverschiedenheit, schuldig war, davon zeugen die nachfolgenden Blätter. Auf den engeren Cyclus der Sprachen mich beschränkend, welche in dem Werke selbst einzeln zergliedert sind, erwähne ich dankbar, für das Javanische den Baron van der Capellen, ehemaligen General-Gouverneur der Holländischen Besitzungen in Indien, den Grafen von Minto, von welchem mein Bruder den Abguß der großen, durch Raffles berühmt gewordenen Javanischen Inschrift erhielt, den sprachkundigen Roorda van Eysinga und Herrn Gericke zu Batavia; für das Malayische den belehrenden Briefwechsel mit Sir Alexander Johnston, Dr. William Marsden und dem kenntnißvollen Herrn Jacquet zu Paris; für das Madecassische und die Sprachen der Südsee-Inseln Herrn Freeman, Missionar zu Tananarivo auf Madagascar, Prof. Meyen in Berlin, den Dr. Meinicke zu Prenzlow, Lesson in Paris, und Adalbert von Chamisso, der mit verjüngtem Eifer die Sprache der Sandwich-Inseln erforscht, welche er selbst früher zu besuchen das Glück gehabt hat. Wie in dem Werke, das wir jetzt mittheilen, die Sprachen der Asiatischen Inselwelt behandelt worden sind, so hat der Verewigte, nach gleichen Ansichten, und im Einzelnen noch ausführlicher, die Amerikanischen Sprachen bearbeitet, deren Studium ihn viele Jahre lang auf das ernsteste beschäftigte. Ein großer Theil dieser Vorarbeiten ist zur Herausgabe geeignet; und ich hoffe, daß Herr Buschmann, der selbst in einem wenig bekannten Theile Neuspaniens gelebt hat, und mit dem mein Bruder die Absicht hatte gemeinschaftlich eine Reihe von Schriften über die Sprachen dieses Welttheils herauszugeben, bald Muße finden werde, mit Hülfe der bereits angesammelten Materialien jenen vielumfassenden Plan auszuführen. Was in dem vorliegenden Südasiatischen Werke auf die Amerikanische Sprachfülle hindeutet, erregt den lebhaftesten Wunsch, so wichtige Hülfsmittel zur Kenntniß der Idiome des Neuen Continents von den Freunden einer allgemeinen philosophischen Linguistik benutzt zu sehen. Dem Plane des Hingeschiedenen gemäß, wird ein Mexicanisch- Lateinisches Wörterbuch, sammt einer Grammatik, das neue Unternehmen beginnen. Ich kann der, durch die Huld des Monarchen in neuerer Zeit so bereicherten Königl. Bibliothek, in welcher die eben erwähnten Manuscripte zu öffentlichem Gebrauch niedergelegt sind, nicht gedenken, ohne nicht zugleich, wie aus einer Vermächtniß- Schuld, dem als Sprach- und Geschichtsforscher gleich hochgeachteten Oberbibliothekar, Herrn Geheimen Regierungsrath Wilken, den innigsten Dank für die zuvorkommende Güte zu zollen, mit der er alles dargeboten hat, was der Ausarbeitung und Herausgabe dieses Sprachwerkes förderlich sein konnte. Die leichte und stete Benutzung einer öffentlichen Sammlung wurde durch die geringe Entfernung des freundlichen Landsitzes begünstigt, wo der Verewigte, einsam, in der Nähe eines Grabes, von dem Hauche alter Kunst umweht, seinen ernsten Studien, großen Erinnerungen an eine vielbewegte Zeit, und einer Familie lebte, an der er, bis zur Todesstunde, mit weichem, liebendem Herzen hing. "Es ist," nach dem Ausspruch Eines der Edelsten unseres Zeitalters , "ein gewöhnliches Vorurtheil, den Werth des Menschen nach dem Stoffe zu schätzen, mit dem er sich beschäftigt, nicht nach der Art, wie er ihn bearbeitet." Wo aber der Stoff gleichsam die Form beherrscht und hervorruft, wo Anmuth der Sprache sich aus dem Gedanken, wie aus des Geistes zartester Blüthe, entfaltet, da wird die Trennung, welche jenes Vorurtheil bezeichnet, leicht gehoben. Wenn nicht alle meine Hoffnungen mich täuschen, so muß das vorliegende Werk, indem es den Ideenkreis so mächtig erweitert, und in dem Organismus der Sprache gleichsam das geistige Geschick der Völker deuten lehrt, den Leser mit einem aufrichtenden, die Menschheit ehrenden Glauben durchdringen. Es muß die Überzeugung darbieten, daß eine gewisse Größe in der Behandlung eines Gegenstandes nicht aus intellectuellen Anlagen allein, sondern vorzugsweise aus der Größe des Charakters, aus einem freien, von der Gegenwart nie beschränkten Sinne und den unergründeten Tiefen der Gefühle entspringt. Schiller in den philos. Briefen. (Werke. XI. 336.) Berlin, im März 1836. Alexander v. Humboldt.