Mexicanische Alterthümer. Unter dieser Aufschrift hat Frhr. Alexander v. Humboldt nachstehenden Aufsaz in die Berliner Nachrichten einrüken lassen: Die Archäologie eines Kontinents, den wir den neuen zu nennen pflegen, die Spuren der Civilisation amerikanischer Urvölker sind erst wieder seit dem Anfange dieses Jahrhunderts ein Gegenstand gründlicher Untersuchung geworden. Sie hatten eilf Jahre nach Columbus Tode, als an der Küste von Yucatan Hernandez de Cordova die ersten großen Bauwerke von Stein (Tempel, mit Sculptur geziert) erblikte, ein lebhastes Interesse in Spanien und Italien erregt. Dies Interesse ward gesteigert, als die Conquistadores in Süd- Amerika bis zu dem Hochlande von Tiahuanaco, Cuzco und Quito vordrangen, wo sie dem National-Kultus geweihte Denkmäler, Wohnungen der Inca's (Heliaden, Söhne der Sonne), öffentliche Bäder und steinerne Caravanserais, durch Kunststraßen verbunden, fanden, die in einer Länge von fast 300 geographischen Meilen auf Bergrüken von zehn- bis vierzehntausend Fuß Höhe fortliefen. Da die ersten Geschichtschreiber der blutigen Eroberung und späteren friedlichen Ansiedelung der Europäer Mönche und rohe Kriegsleute waren, so haben Hyper-Kritik und die sogenannte philosophische Strenge des achtzehnten Jahrhunderts aus vornehmem Dünkel Alles abgeläugnet, was die Reisenden selbst gesehen und mit naiver Einfachheit erzählt hatten. Das oberflächliche Werk eines gelehrten und geistreichen Mannes, Robertson's Geschichte von Amerika, trug besonders dazu bei, dieser Methode des bequemeren Abläugnens Eingang zu verschaffen, und erst seit den lezten drei Jahrzehenten, in denen der neue Kontinent zugänglicher geworden, glükte es einigen Reisenden, welche die Reste jener Denkmäler untersucht, jene Kunststraßen gemessen, jene Sculpturen in spröden widerstrebenden Massen von Porphyr und Diorit abzuzeichnen begonnen haben, allmählich wieder das Interesse für die sich entwikelnde Kunst der Urvölker Amerika's (eines vom übrigen Menschengeschlechte lange getrennten Stammes) zu erweken, und an das zu erinnern, was man nie hätte vergessen sollen, da es schon in dem klassischen Zeitalter des Pomponius Laetus, des Bembo und Anghiera, die Einbildungskraft vieler, mit römischer und griechischer Kunst vertrauter Männer lebhaft beschäftigt hatte. -- Unter den lehrreichen Notizen, welche diese Blätter häufig enthalten, sind einige bereits den Forschungen über alte amerikanische Monumente gewidmet gewesen. Wenn ich nun die Aufmerksamkeit der Leser darauf zurükführe, so ist es, um ein Unternehmen bekannter zu machen und zu empfehlen, welches den architektonischen und plastischen Werken der Eingebornen von Anahuac (dem Hochlande von Mexico) gewidmet ist und alles verheißt, was man in archäologischer und pittoresker Hinsicht von einem ausgezeichneten Künstler erwarten darf. Der Architekt, Hr. Nebel, aus Hamburg gebürtig, hat, nachdem er seine Studien in Italien vollendet, mit lobenswerthem Eifer, unter den mannichfaltigsten Beschwerden, fünf Jahre lang die Reste mexicanischer Bauwerke und Sculpturen aufgesucht, von denen einige, z. B. die Treppen-Pyramiden von Papantla, in dem Staate von Vera-Cruz, und von Xochicalco (zwischen Cuernavaca und Miacatlan, auf dem westlichen Abhange der Cordillere) fast ganz unbekannt waren. Das erste dieser merkwürdigen Denkmäler (ein Gotteshaus, teocalli) liegt westlich vom Rio Tecolutla, gleichsam in dem Dikicht eines Waldes der heißen und ewig feuchten Zone, am Fuße der östlichen Cordillere, verborgen. Den Indianern der Küstengegend allein bekannt, wurde die Pyramide von Papantla von Jägern spanischer Abkunft um das Jahr 1775 zufällig entdekt. Hr. Nebel mußte sich mehrere Tage damit beschäftigen, die Stusen der Pyramide von den baumartigen Tropen-Gewächsen reinigen zu lassen, welche sie verdekten und die Messungen hinderten. Demselben Reisenden verdanken wir den Grundriß der sonderbaren, von Säulen unterstüzten Bauwerke, welche auf einem Hügel, südöstlich von Zacatecas, zusammengedrängt sind, und für eine schon weit entwikelte, vielbedürftige Civilisation zeugen. Die bildende Kunst der Völker, die wir Barbaren nennen, kan nicht Anmuth und Schönheit darbieten. Ihr Studium wird nicht empfohlen, weil sie ein inneres höheres Leben in äußeren Formen wiedergibt. Die bildende Kunst, selbst bei den rohesten Nationen, gewährt ein Interesse anderer Art, ein historisches, das mit der Geschichte des Menschengeschlechts, seinen Verzweigungen, der allmählichen Entwikelung des Sinnes für Verhältniß und geometrische Formen, für wirkliche oder symbolisirende Nachbildung des Organischen, für Auffassung des Bedeutungsvollen und Edeln in der menschlichen Gestalt, innigst zusammenhängt. Der Zwek eines solchen Studiums mag daher immer ein äußerer genannt werden: er umfaßt nicht minder, was in ewigem, befruchtendem Wechselverkehr mit einander steht, den Kultus (das religieuse Leben der Völker) und das mehr oder minder glükliche Schaffen eigenthümlicher Kunstformen, die traditionelle Symbolik und das endliche Erwachen einer freien, aus der innern Empfindungsweise hervorgerufenen plastischen Thätigkeit. In den Bildwerken der Azteken suchen wir nicht das Heitere und Erfreuliche, so wenig als in der Sculptur der süd- und ost-asiatischen Völker, die an Civilisation den amerikanischen weit überlegen sind. Klein erschien von jeher der Erdraum, in dem das Erfreuliche, Edle, Ideale der Form herrschend war. Wie schwindet es rasch östlich vom Halys gegen die semitischen Stämme hin, in den Sizen alter Menschen-Kultur, unter den Babyloniern und Phöniciern, dann in den Hochebenen und südlichen Thälern von Iran, oder jenseits der Pentapotamide, wo indische Geistesbildung durch den Buddhismus bis in die ferne asiatische Inselwelt gedrungen ist. Das vergleichende Sprachstudium, eine der herrlichsten Bestrebungen unseres Zeitalters, bietet, wie das allgemeine Studium der Kunst, ein zwiefaches Interesse dar: ein inneres, das den organischen Bau der Sprache umfaßt, und ein äußeres historisches, welches die Abstammung und früheren Wanderungen der Volksstämme berührt. Die Zeiten sind vorüber, wo man die Idiome roher Völker ohne Schrift und Litteratur (inculti sermonis horrorem) und die Bildwerke ungriechischer Stämme einer gleichen Verachtung Preis gab. -- In der neuen Welt hat sich der Strom der Völker von Nordwest gegen Süden bewegt. Man verfolgt diesen Strom von dem See Timpanogos und von den Casas Grandes am Rio Gila bis zur Laguna de Nicaragua hin. Die Tolteken erschienen im siebenten, die Azteken im eilften Jahrhunderte in Anahuac. Ob ein Nebenzweig des toltekischen Hauptstammes gegen Osten zog und dort in der oberen Luisiana, zwischen dem Ohio und den großen canadischen Seen (Breite 39° bis 44°) jene polygonischen Umwallungen und konischen Grabhügel aufführte, die noch jezt um so mehr in Erstaunen sezen, als sie Skelette einer sehr kleinen Menschenrace enthalten, bleibt überaus zweifelhaft. Die gegenseitige Abhängigkeit mehrerer Centralpunkte aufkeimender Civilisation ist in Amerika, wie in Inner-Asien, schwer zu bestimmen. Diese dämmernden Lichtpunkte waren: Cibora und Quivira bei Neu-Mexico, ein nördliches Dorado, in dem noch im 16ten Jahrhunderte der Mönch Marcus von Nizza einen bärtigen, das Kreuz anbetenden König, Tatrarar (eine Art Priester Johannes), suchte; Anahuac, oder das tropische Gebirgsland der Tolteken und Azteken; das cochenillereiche Oajaca, wo sich der Trauer-Pallast von Mitla (Miguitlan) erhebt; Teochiapan, Guatimala und Nicaragua, wo die berühmten Ruinen von Copan, Peten, Utatlan und Santo Domingo Palenque (einst Culhuacan der Tzendalen) liegen; südlich von der Landenge von Panama das Reich der Muyscas (Cundinamarca oder Neu-Granada), wo ein geistliches und ein weltliches Oberhaupt waren; die Hochebenen von Quito, Couzco und Titicaca. Akerbauende Völker, von Priestergewalt und politischen Institutionen bedrükt, die der Ausbildung des Einzelnen, nicht dem materiellen Wohlstande und einer Kultur der Masse, wie wir sie in Aegypten, bei den Rasenern (Etruskern), und in Tübet sehen, hinderlich waren, bewohnten nur den gebirgigen Theil des neuen Kontinents, der Asien gegenüber liegt. In dem östlichen ebenern Theile schwärmten Jägervölker von roher Gesittung umher. Der Uebergang vom Jagdleben zur festen Ansiedelung war um so schwerer, als der Mangel milchgebender Hausthiere in Amerika das Hirtenleben unmöglich machte. Der hier bezeichnete Kontrast, einer der wichtigsten Grundzüge der Geschichte jenes Welttheils, übt noch gegenwärtig einen mächtigen Einfluß auf die Schiksale der amerikanischen Staaten aus. Im Westen bilden die akerbauenden Ur- Einwohner einen wichtigen Theil der Bevölkerung. Die europäischen Ansiedler sind nur der alten Civilisation gefolgt; sie haben alten mexicanischen und peruanischen Städten neue Namen gegeben. Im Osten sind dagegen die wilden Jägervölker zurükgedrängt und dem gänzlichen Untergange nahe gebracht worden. Die weiße und afrikanische Race und Gemische bilden allein die Bevölkerung in Nord-Amerika und Brasilien. Die Staaten, gegen welche Cortez und Pizarro gekämpft, existirten aber nicht, als scandinavische Seefahrer im Anfange des 11ten Jahrhunderts Winland entdekten. Die Kultur und Verbreitung akerbauender Völker, welche die Spanier im westlichen Alpenlande fanden, war kaum 300 Jahre alt. Hätte die scandinavische Entdekung des nördlichen Amerika's dauernde Folgen gehabt, so würde der Zustand der europäischen Ansiedelungen ganz von dem verschieden seyn, der jezt die östlichen und westlichen Theile jenes Kontinents charakterisirt. Von den großen Bauwerken, die Hr. Nebel gezeichnet, sind einige, die Pyramiden von Cholula (Cholollan) und Papantla, wahrscheinlich toltekischen, und also älteren Ursprungs, als die Entdekungs-Fahrten von Biarn und Leif Erikson. Die erstere dieser Pyramiden, welche 1350 Fuß lang und 178 Fuß hoch ist, war nach dem Muster des wohlorientirten Teocalli's von Teotihuacan unfern des Sees von Tezcuco erbaut. -- Die Zeichnungen des Architekten Nebel, den wir die Freude gehabt haben vor wenigen Wochen in unsern Mauern zu besizen, sind aber nicht blos von geometrischer Genauigkeit und charakteristisch treu in Auffassung des eigenthümlichen Styls der Basreliefs und anderer Sculpturen, sie haben auch einen großen künstlerischen Werth in landschaftlicher Hinsicht. Die üppige Fülle und der wilde Reichthum der Vegetation, die Physiognomik der Tropen-Gewächse, das ganze Naturleben des Erdraumes, wo jene Völker ihre sonderbaren Bauwerke aufgeführt, sind mit bewundernswürdigem Talente dargestellt. Ansichten neuer, von den Spaniern gegründeter Städte, Kostüme und Scenen des häuslichen Lebens sind den archäologischen Gegenständen beigesellt, und nach den Proben kolorirter Lithographien zu urtheilen, welche Hr. Nebel hier vorgezeigt, werden seine sorgfältig ausgeführten Zeichnungen, wie seine geistreichen Skizzen, befriedigend auf Stein übertragen werden. Das Werk selbst wird in Paris in zehn Heften, jedes Heft zu fünf Lithographien, unter dem Titel: Voyage archeologique et pittoresque dans la partie la plus interessante du Mexique, erscheinen. Ich benuze um so freudiger diese Gelegenheit, die verdienstvolle Arbeit eines deutschen Architekten anzuzeigen, als ich selbst in meinem Werke: Ansichten der Cordilleren und Monumente der Urvölker des neuen Kontinents (70 Kupfer- Tafeln, Folio) längst schon den lebhaften Wunsch geäußert habe, meine eigenen, unvollkommenen Darstellungen durch genauere, von einem ausgebildeten Künstler im Angesichte der Monumente entworfene Zeichnungen ersezt zu sehen. Der Text, welcher Hrn. Nebels geographische Arbeit begleitet, hat, neben seiner Kürze, noch ein anderes Verdienst, das ich nicht verschweigen darf. Hr. Nebel hat mit richtigem Sinne gefühlt, der Zwek seines Buches sey, zu zeigen, was die, aus dem alten, unbekannten Huehuetlapallan und Aztlan ausgewanderten Volksstämme an Bauwerken und Idolen ihres gemeinsamen Kultus hervorgebracht: er hat in Mexico nur Mexicanisches (Toltekisches und Aztekisches) gesehen, und wird die Leser nicht mit Diskussionen über den Ursprung des amerikanischen Menschengeschlechts, über phönizische, galische und chinesische Kolonien (aus Fousang), über die Atlantis des Plato (in deren Poseidonischer Burg neuerlichst ein scharfsinniger Litterator den Plan zu der erst 1325 erbauten, aztekischen Stadt Mexico erkannt hat) langweilen. Das Land der fünf Flüsse (persisch Pendschab), nemlich des Indus und seiner Nebenflüsse Hydaspes, Acesines, Hydraotes und Hyphasis. A. v. Humboldt.