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Alexander von Humboldt: „Mexicanische Alterthümer“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1835-Mexicanische_Alterthuemer-2> [abgerufen am 25.04.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1835-Mexicanische_Alterthuemer-2
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Titel Mexicanische Alterthümer
Jahr 1835
Ort Berlin
Nachweis
in: Berlinische Nachrichten Von Staats- und gelehrten Sachen 57 (9. März 1835), Beilage, [o. S.].
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: V.40
Dateiname: 1835-Mexicanische_Alterthuemer-2
Statistiken
Seitenanzahl: 2
Spaltenanzahl: 4
Zeichenanzahl: 12591

Weitere Fassungen
Mexicanische Alterthümer (Berlin, 1835, Deutsch)
Mexicanische Alterthümer (Berlin, 1835, Deutsch)
Mexicanische Alterthümer (Augsburg, 1835, Deutsch)
Mexikanische Alterthümer (Stuttgart; Tübingen, 1835, Deutsch)
Mexicanische Alterthümer (Gotha, 1835, Deutsch)
Observations de M. de Humboldt (Paris, 1836, Französisch)
Observaciones del Baron de Humboldt (Paris; Mexico, 1837, Spanisch)
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Mexicaniſche Alterthuͤmer.

Die Archaͤologie eines Continents, den wir den neuen zunennen pflegen, die Spuren der Civiliſation amerikaniſcher Ur-voͤlker ſind erſt wieder, ſeit dem Anfange dieſes Jahrhunderts,ein Gegenſtand gruͤndlicher Unterſuchung geworden. Sie hat-ten, eilf Jahre nach Columbus Tode, als, an der Kuͤſte von Yu-catan, Hernandez de Cordova die erſten großen Bauwerke vonStein (Tempel, mit Sculptur geziert) erblickte, ein lebhaftesIntereſſe in Spanien und Italien erregt. Dieß Intereſſe wardgeſteigert, als die Conquiſtadores in Suͤdamerika bis zu demHochlande von Tichuanaco, Couzco und Quito vordrangen, woſie, dem National-Cultus geweihte, Denkmaͤler, Wohnungen derIncas (Heriaden), oͤffentliche Baͤder und ſteinerne Caravanſerais,durch Kunſtſtraßen verbunden, fanden, die, in einer Laͤnge vonfaſt 300 geographiſchen Meilen, auf Bergruͤcken von zehn bisvierzehn Tauſend Fuß Hoͤhe, fortliefen. Da die erſten Geſchicht-ſchreiber der blutigen Eroberung und ſpaͤteren friedlichen Anſie-delung der Europaͤer, Moͤnche und rohe Kriegsleute waren, ſohaben Hyper-Kritik und die ſogenannte philoſophiſche Strengedes achtzehnten Jahrhunderts, aus vornehmem Duͤnkel, Alles ab-gelaͤugnet, was die Reiſenden ſelbſt geſehen und mit naiver Ein-fachheit erzaͤhlt hatten. Das oberflaͤchliche Werk eines gelehrtenund geiſtreichen Mannes, Robertſon’s Geſchichte von Amerika,trug beſonders dazu bei, dieſer Methode des bequemeren Ablaͤug-nens Eingang zu verſchaffen, und erſt ſeit den letzten drei Jahr-zehenden, in denen der Neue Continent zugaͤnglicher geworden,gluͤckte es einigen Reiſenden, welche die Reſte jener Denkmaͤlerunterſucht, jene Kunſtſtraßen gemeſſen, jene Sculpturen in ſproͤ-den, widerſtrebenden Maſſen von Porphyr und Diorit, abzuzeich-nen begonnen haben, allmaͤlig wieder das Intereſſe fuͤr die, ſichentwickelnde, Kunſt der Urvoͤlker Amerika’s (eines vom uͤbrigenMenſchengeſchlechte lange getrennten Stammes) zu erwecken undan das zu erinnern, was man nie haͤtte vergeſſen ſollen, da esſchon in dem claſſiſchen Zeitalter des Pomponius Laetus, desBembo und Anghiera, die Einbildungskraft vieler, mit roͤmiſcherund griechiſcher Kunſt vertrauten, Maͤnner lebhaft beſchaͤftigt hatte.Unter den lehrreichen Notizen, welche dieſe Blaͤtter haͤufig ent-halten, ſind einige bereits den Forſchungen uͤber alte amerikani-ſche Monumente gewidmet geweſen. Wenn ich heute die Auf-merkſamkeit der Leſer darauf zuruͤckfuͤhre, ſo iſt es, um ein Un-ternehmen bekannter zu machen und zu empfehlen, welches denarchitektoniſchen und plaſtiſchen Werken der Eingeborenen vonAnahuac (dem Hochlande von Mexico) gewidmet iſt, und Allesverheißt, was man in archaͤologiſcher und pittoresker Hinſicht voneinem ausgezeichneten Kuͤnſtler erwarten darf. Der ArchitektHerr Nebel, aus Hamburg gebuͤrtig, hat, nachdem er ſeineStudien in Italien vollendet, mit lobenswerthem Eifer, unterden mannichfaltigſten Beſchwerden, fuͤnf Jahre lang die Reſtemexicaniſcher Bauwerke und Sculpturen aufgeſucht, von deneneinige, z. B. die Treppen, Pyramiden von Papantla, in demStaate von Veracruz, und von Xochicalco (zwiſchen Cuernavacaund Miacatlan, auf dem weſtlichen Abhange der Cordillere), faſtganz unbekannt waren. Das erſte dieſer merkwuͤrdigen Denkmaͤler(ein Gotteshaus, teocalli) liegt, weſtlich vom Rio Tecolutla,gleichſam in dem Dickicht eines Waldes der heißen und ewigfeuchten Zone, am Fuß der oͤſtlichen Cordillere, verborgen. DenIndianern der Kuͤſtengegend allein bekannt, wurde die Pyramidevon Papantla von Jaͤgern ſpaniſcher Abkunft, um das Jahr1775, zufaͤllig entdeckt. Hr. Nebel mußte ſich mehrere Tage da-mit beſchaͤftigen, die Stufen der Pyramide von den baumartigenTropengewaͤchſen reinigen zu laſſen, welche ſie verdeckten und dieMeſſungen hinderten. Demſelben Reiſenden verdanken wir denGrundriß der ſonderbaren, von Saͤulen unterſtuͤtzten Bauwerke,welche auf einem Huͤgel, ſuͤdoͤſtlich von Zacatecas, zuſammenge-draͤngt ſind, und fuͤr eine ſchon weit entwickelte, viel beduͤrftigeCiviliſation zeugen.|Spaltenumbruch| Die bildende Kunſt der Voͤlker, die wir Barbaren nennen,kann nicht Anmuth und Schoͤnheit darbieten. Ihr Studiumwird nicht empfohlen, weil ſie ein inneres hoͤheres Leben in aͤu-ßern Formen wiedergiebt. Die bildende Kunſt, ſelbſt bei den ro-heſten Nationen, gewaͤhrt ein Intereſſe anderer Art, ein hiſtori-ſches, das mit der Geſchichte des Menſchengeſchlechts, ſeinen Ver-zweigungen, der allmaͤligen Entwickelung des Sinnes fuͤr Ver-haͤltniß und geometriſche Formen, fuͤr wirkliche oder ſymboliſi-rende Nachbildung des Organiſchen, fuͤr Auffaſſung des Bedeu-tungsvollen und Edeln in der menſchlichen Geſtalt innigſt zu-ſammenhaͤngt. Der Zweck eines ſolchen Studiums mag daherimmer ein aͤußerer genannt werden, er umfaßt nicht minder, wasin ewigem, befruchtendem Wechſelverkehr mit einander ſteht, denCultus (das religioͤſe Leben der Voͤlker) und das mehr oder min-der gluͤckliche Schaffen eigenthuͤmlicher Kunſtformen; die tradi-tionelle Symbolik und das endliche Erwachen einer freien, ausder innern Empfindungsweiſe hervorgerufenen, plaſtiſchen Thaͤ-tigkeit. In den Bildwerken der Azteken ſuchen wir nicht dasHeitre und Erfreuliche, ſo wenig als in der Sculptur der Suͤd-und Oſtaſiatiſchen Voͤlker, die an Civiliſation den Amerikaniſchenweit uͤberlegen ſind. Klein erſchien von jeher der Erdraum, indem das Erfreuliche, Edle, Ideale der Form herrſchend war.Wie ſchwindet es raſch oͤſtlich vom Halys, gegen die SemitiſchenStaͤmme hin, in den Sitzen alter Menſchen-Cultur, unter denBabyloniern und Phoͤniciern, dann in den Hochebenen und ſuͤd-lichen Thaͤlern von Iran, oder jenſeits der Pentaporamide, woIndiſche Geiſtesbildung durch den Buddhismus bis in die ferneAſiatiſche Inſelwelt gedrungen iſt. Das vergleichendeSprachſtudium, eine der herrlichſten Beſtrebungen unſeresZeitalters, bietet, wie das allgemeine Studium der Kunſt, einzwiefaches Intereſſe dar, ein inneres, das den organiſchen Bauder Sprache umfaßt, und ein aͤußeres hiſtoriſches, welches dieAbſtammung und fruͤheren Wanderungen der Volksſtaͤmme be-ruͤhrt. Die Zeiten ſind voruͤber, wo man die Idiome roher Voͤl-ker ohne Schrift und Litteratur (inculti sermonis hor-rorem), und die Bildwerke ungriechiſcher Staͤmme einer glei-chen Verachtung Preis gab.In der Neuen Welt hat ſich der Strom der Voͤlker von Nord-weſt gegen Suͤden bewegt. Man verfolgt dieſen Strom von demSee Timpanogos und von den Caſas Grandes am Rio Gila biszur Laguna de Nicaragua hin. Die Tolteken erſcheinen im ſieben-ten, die Azteken im elften Jahrhunderte in Anabuac. Ob einRebenzweig des Toltekiſchen Hauptſtammes gegen Oſten zog unddort, in der Oberen Luiſiana, zwiſchen dem Ohio und den gro-ßen Canadiſchen Seen (Breite 39° bis 44°) jene polygoniſchenUmwallungen und coniſchen Grabhuͤgel auffuͤhrte, die noch itztum ſo mehr in Erſtaunen ſetzen, als ſie Skelette einer ſehr klei-nen Menſchenrace enthalten, bleibt uͤberaus zweifelhaft. Die ge-gegenſeitige Abhaͤngigkeit mehrerer Centralpuncte aufkeimenderCiviliſation ſind in Amerika, wie in Inner-Aſien, ſchwer zu be-ſtimmen. Dieſe daͤmmernden Lichtpuncte waren: Cibora undQuivira bei Neu-Mexico, ein noͤrdliches Dorado, in dem nochim 16ten Jahrhunderte der Moͤnch Marcus von Nizza einen baͤrti-gen, das Kreuz anbetenden, Koͤnig, Tatarax (eine Art PrieſterJohannes), ſuchte; Anahuac, oder das tropiſche Gebirgsland derTolteken und Azteken; das Cochenillereiche Oaxaca, wo ſich derTrauer-Palaſt von Mitla (Miguitlan) erhebt; Teochiapan, Gua-timala und Nicaragua, wo die beruͤhmten Ruinen von Copan,Peten, Utatlan und Santo Domingo Palenque (einſt Culhuacander Tzendalen) liegen; ſuͤdlich von der Landenge von Panama dasReich der Muyscas (Cundinamarca oder Neu-Granada), wo eingeiſtliches und ein weltliches Oberhaupt waren; die Hochebenenvon Quito, Couzco und Tittcaca. Ackerbauende Voͤlker, von Prie-ſtergewalt und politiſchen Inſtitutionen bedruͤckt, die der Aus-bildung des Einzelnen, nicht dem materiellen Wohlſtande und einerCultur der Maſſe, wie wir ſie in Aegypten, bei den Raſenern|2| |Spaltenumbruch| (Etruskern) und in Tuͤbet ſehen, hinderlich waren, bewohnten nurden gebirgigten Theil des Reuen Continents, der Aſien gegenuͤberliegt. In dem oͤſtlichen, ebenern Theile ſchwaͤrmten Jaͤgervoͤlker,von roher Geſittung, umher. Der Uebergang vom Jagdleben zurfeſten Anſiedelung war um ſo ſchwerer, als der Mangel milch-gebender Hausthiere in America das Hirtenleben unmoͤglich machte.Der hier bezeichnete Contraſt, einer der wichtigſten Grundzuͤgeder Geſchichte jenes Welttheils, uͤbt noch gegenwaͤrtig einen maͤchti-gen Einfluß auf die Schickſale der amerikaniſchen Staaten aus. ImWeſten bilden die ackerbauenden Ureinwohner einen wichtigen Theilder Bevoͤlkerung. Die europaͤiſchen Anſiedler ſind nur der alten Ci-viliſation gefolgt; ſie haben alten mexicaniſchen und peruaniſchenStaͤdten neue Namen gegeben. Im Oſten ſind dagegen die wildenJaͤgervoͤlker zuruͤckgedraͤngt und dem gaͤnzlichen Untergange nahe ge-bracht worden. Die weiße und africaniſche Raçe und ihre Gemiſchebilden allein die Bevoͤlkerung in Nord-America und Braſilien. DieStaaten, gegen welche Cortez und Pizarro gekaͤmpft, exiſtirten abernicht, als ſcandinaviſche Seefahrer, im Anfange des 11ten Jahr-hunderts, Winland entdeckten. Die Cultur und Verbreitung acker-bauender Voͤlker, welche die Spanier im weſtlichen Alpenlandefanden, war kaum 300 Jahre alt. Haͤtte die ſcandinaviſche Ent-deckung des noͤrdlichen America’s dauernde Folgen gehabt, ſowuͤrde der Zuſtand der europaͤiſchen Anſiedelungen ganz von demverſchieden ſeyn, der itzt die oͤſtlichen und weſtlichen Theile jenesContinents charakteriſirt.Von den großen Bauwerken, die Hr. Nebel gezeichnet, ſindeinige, die Pyramiden von Cholula (Cholollan) und Papantla,wahrſcheinlich toltekiſchen und alſo aͤlteren Urſprungs, als dieEntdeckungs-Fahrten von Biarn und Leif Erikſon. Die erſteredieſer Pyramiden, welche 1350 Fuß lang und 178 Fuß hoch iſt,war nach dem Muſter des wohl orientirten Teocalli’s vonTeotihuacan, unfern des See’s von Tezeuco, erbaut. Die Zeich-nungen des Architekten Nebel, den wir die Freude gehabt ha-ben, vor wenigen Wochen in unſeren Mauern zu beſitzen, ſindaber nicht bloß von geometriſcher Genauigkeit und charakteriſtiſchtreu in Auffaſſung des eigenthuͤmlichen Styls der Basreliefs undanderer Sculpturen, ſie haben auch einen großen kuͤnſtleriſchenWerth in landſchaftlicher Hinſicht. Die uͤppige Fuͤlle und der wildeReichthum der Vegetation, die Phyſiognomik der Tropen-Gewaͤchſe,das ganze Naturleben des Erdraumes, wo jene Voͤlker ihre ſonder-baren Bauwerke aufgefuͤhrt, ſind mit bewundernswuͤrdigem Talentedargeſtellt. Anſichten neuer, von den Spaniern gegruͤndeter, Staͤdte,Coſtuͤme und Scenen des haͤuslichen Lebens ſind den archaͤologi-ſchen Gegenſtaͤnden beigeſellt, und nach den Proben colorirterLithographien zu urtheilen, welche Hr. Nebel hier vorgezeigt,werden ſeine ſorgfaͤltig ausgefuͤhrten Zeichnungen, wie ſeine geiſt-reichen Skizzen, befriedigend auf Stein uͤbertragen werden. DasWerk ſelbſt wird in Paris, in zehn Heften, jedes Heft zu fuͤnfLithographien, unter dem Titel: Voyage archéologiqueet pittoresque dans la partie la plus intéressantedu Mexique, erſcheinen. Ich benutze um ſo freudiger dieſeGelegenheit, die verdienſtvolle Arbeit eines deutſchen Architektenanzuzeigen, als ich ſelbſt in meinem Werke: Anſichten derCordilleren und Monumente der Urvoͤlker des neuenContinents (70 Kupfertafeln, Folio) laͤngſt ſchon den lebhaf-ten Wunſch geaͤußert habe, meine eigenen unvollkommenen Dar-ſtellungen durch genauere, von einem ausgebildeten Kuͤnſtler, imAngeſicht der Monumente entworfene Zeichnungen erſetzt zu ſehen.Der Text, welcher Hrn. Nebel’s graphiſche Arbeit begleitet, hat,neben ſeiner Kuͤrze, noch ein anderes Verdienſt, das ich nichtverſchweigen darf. Hr. Nebel hat mit richtigem Sinne gefuͤhlt,der Zweck ſeines Buches ſey, zu zeigen, was die, aus dem alten,unbekannten Huehuetlapallan und Aztlan ausgewanderten Volks-ſtaͤmme an Bauwerken und Idolen ihres gemeinſamen Cultushervorgebracht: er hat in Mexico nur Mexicaniſches,(Toltekiſches und Aztekiſches) geſehen, und wird die Leſer nichtmit Discuſſionen uͤber den Urſprung des amerikaniſchen Men-ſchengeſchlechts, uͤber phoͤniziſche, galiſche und chineſiſche Colo-nieen (aus Fouſang), uͤber die Atlantis des Plato (in deren Po-ſeidoniſcher Burg neuerlichſt ein ſcharfſinniger Litterator den Planzu der erſt 1325 erbauten, aztekiſchen Stadt Mexico erkannt hat)langweilen.

A. v. Humboldt.

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