Mexicanische Alterthümer. Von A. von Humboldt. (Mitgetheilt von dem Herrn Verfasser.) Die Archäologie eines Continents, den wir den neüen zu nennen pflegen, die Spuren der Civilisation amerikanischer Urvölker sind erst wieder, seit dem Anfange dieses Jahrhunderts, ein Gegenstand gründlicher Untersuchung geworden. Sie hatten, eilf Jahre nach Columbus ' Tode, als, an der Küste von Yucatan, Hernandez de Cordova die ersten großen Bauwerke von Stein (Tempel, mit Sculptur geziert) erblickte, ein lebhaftes Jnteresse in Spanien und Jtalien erregt. Dies Jnteresse ward gesteigert, als die Conquistadores in Südamerika bis zu dem Hochlande von Tiahuanaco, Couzco und Quito vordrangen, wo sie, dem National-Cultus geweihte, Denkmäler, Wohnungen der Jncas (Heliaden), öffentliche Bäder und steinerne Caravanserais, durch Kunststraßen verbunden, fanden, die, in einer Länge von fast 300 geographischen Meilen, auf Bergrücken von zehn bis vierzehn Tausend Fuß Höhe, fortliefen. Da die ersten Geschichtschreiber der blutigen Eroberung und späteren friedlichen Ansiedelung der Europäer, Mönche und rohe Kriegsleüte waren, so haben Hyper-Kritik und die sogenannte philosophische Strenge des achtzehnten Jahrhunderts, aus vornehmem Dünkel, Alles abgelaügnet, was die Reisenden selbst gesehen und mit naiver Einfachheit erzählt hatten. Das oberflächliche Werk eines gelehrten und geistreichen Mannes, Robertson's Geschichte von Amerika, trug besonders dazu bei, dieser Methode des bequemeren Ablaügnens Eingang zu verschaffen, und erst seit den letzten drei Jahrzehenden, in denen der Neüe Continent zugänglicher geworden, glückte es einigen Reisenden, welche die Reste jener Denkmäler untersucht, jene Kunststraßen gemessen, jene Sculpturen in spröden, widerstrebenden Massen von Porphyr und Diorit, abzuzeichnen begonnen haben, allmälig wieder das Jnteresse für die, sich entwickelnde, Kunst der Urvölker Amerika's (eines vom übrigen Menschengeschlechte lange getrennten Stammes) zu erwecken und an das zu erinnern, was man nie hätte vergessen sollen, da es schon in dem classischen Zeitalter des Pomponius Laetus, des Bembo und Anghiera, die Einbildungskraft vieler, mit römischer und griechischer Kunst vertrauten, Männer lebhaft beschäftigt hatte. Wenn ich heüte die Aufmerksamkeit der Leser auf alte amerikanische Monumente zurückführe, so ist es, um ein Unternehmen bekannter zu machen und zu empfehlen, welches den architektonischen und plastischen Werken der Jngeborenen von Anahuac (dem Hochlande von Mexico) gewidmet ist, und Alles verheißt, was man in archäologischer und pittoresker Hinsicht von einem ausgezeichneten Künstler erwarten darf. Der Architekt Herr Nebel, aus Hamburg gebürtig, hat, nachdem er seine Studien in Jtalien vollendet, mit lobenswerthem Eifer, unter den manchfaltigsten Beschwerden, fünf Jahre lang die Reste mexicanischer Bauwerke und Sculpturen aufgesucht, von denen einige, z. B. die Treppen- Pyramiden von Papantla, in dem Staate von Veracruz, und von Xochicalco (zwischen Cuernavaca und Miacatlan, auf dem westlichen Abhange der Cordillere), fast ganz unbekannt waren. Das erste dieser merkwürdigen Denkmäler (ein Gotteshaus, teocalli ) liegt, westlich vom Rio Tecolutla, gleichsam in dem Dickicht eines Waldes der heißen und ewig feüchten Zone, am Fuße der östlichen Cordillere, verborgen. Den Jndianern der Küstengegend allein bekannt, wurde die Pyramide von Papantla von Jägern spanischer Abkunft, um das Jahr 1775, zufällig entdeckt. Herr Nebel mußte sich mehrere Tage damit beschäftigen, die Stufen der Pyramide von den baumartigen Tropengewächsen reinigen zu lassen, welche sie verdeckten und die Messungen hinderten. Demselben Reisenden verdanken wir den Grundriß der sonderbaren, von Säulen unterstützten Bauwerke, welche auf einem Hügel, südöstlich von Zacatecas, zusammengedrängt sind, und für eine schon weit entwickelte, viel bedürftige Civilisation zeügen. Die bildende Kunst der Völker, die wir Barbaren nennen, kann nicht Anmuth und Schönheit darbieten. Jhr Studium wird nicht empfohlen, weil sie ein inneres höheres Leben in aüßern Formen wiedergiebt. Die bildende Kunst, selbst bei den rohesten Nationen, gewährt ein Jnteresse anderer Art, ein historisches, das mit der Geschichte des Menschengeschlechts, seinen Verzweigungen, der allmäligen Entwickelung des Sinnes für Verhältniß und geometrische Formen, für wirkliche oder symbolisirende Nachbildung des Organischen, für Auffassung des Bedeütungsvollen und Edeln in der menschlichen Gestalt innigst zusammenhangt. Der Zweck eines solchen Studiums mag daher immer ein aüßerer genannt werden, er umfaßt nicht minder, was in ewigem, befruchtendem Wechselverkehr mit einander steht, den Cultus (das religiöse Leben der Völker) und das mehr oder minder glückliche Schaffen eigenthümlicher Kunstformen; die traditionelle Symbolik und das endliche Erwachen einer freien, aus der innern Empfindungsweise hervorgerufenen, plastischen Thätigkeit. Jn den Bildwerken der Azteken suchen wir nicht das Heitre und Erfreüliche, so wenig als in der Sculptur der süd- und ostasiatischen Völker, die an Civilisation den amerikanischen weit überlegen sind. Klein erschien von jeher der Erdraum, in dem das Erfreüliche, Edle, Jdeale der Form herrschend war. Wie schwindet es rasch östlich vom Halys, gegen die Semitischen Stämme hin, in den Sitzen alter Menschen-Cultur, unter den Babyloniern und Phöniciern, dann in den Hochebenen und südlichen Thälern von Jran, oder jenseits der Pentapotamie, wo Jndische Geistesbildung durch den Buddhismus bis in die ferne Asiatische Jnselwelt gedrungen ist. Das vergleichende Sprachstudium, eine der herrlichsten Bestrebungen unseres Zeitalters, bietet, wie das allgemeine Studium der Kunst, ein zwiefaches Jnteresse dar, ein inneres, das den organischen Bau der Sprache umfaßt, und ein äußeres historisches, welches die Abstammung und früheren Wanderungen der Volksstämme berührt. Die Zeiten sind vorüber, wo man die Jdiome roher Völker ohne Schrift und Literatur (inculti sermonis horrorem), und die Bildwerke ungriechischer Stämme einer gleichen Verachtung Preis gab. Jn der Neüen Welt hat sich der Strom der Völker von Nordwest gegen Süden bewegt. Man verfolgt diesen Strom von dem See Timpanogos und von den Casas Grandes am Rio Gila bis zur Laguna de Nicaragua hin. Die Tolteken erscheinen im siebenten, die Azteken im eilften Jahrhunderte in Anahuac. Ob ein Nebenzweig des Toltekischen Hauptstammes gegen Osten zog und dort, in der Oberen Luisiana, zwischen dem Ohio und den großen Canadischen Seen (Breite 39° bis 44) jene polygonischen Umwallungen und conischen Grabhügel aufführte, die noch jetzt um so mehr in Erstaunen setzen, als sie Skelette einer sehr kleinen Menschenrace enthalten, bleibt überaus zweifelhaft. Die gegenseitige Abhangigkeit mehrerer Centralpuncte aufkeimender Civilisation sind in Amerika, wie in Jnner-Asien, schwer zu bestimmen. Diese dämmernden Lichtpuncte waren: Cibora und Quivira bei Neü- Mexico, ein nördliches Dorado, in dem noch im 16ten Jahrhunderte der Mönch Marcus von Nizza einen bärtigen, das Kreüz anbetenden, König, Tatarax (eine Art Priester Johannes) suchte; Anahuac, oder das tropische Gebirgsland der Tolteken und Azteken; das Cochenillereiche Oaxaca, wo sich der Trauer-Palast von Mitla (Miguitlan) erhebt; Teochiapan, Guatimala und Nicaragua, wo die berühmten Ruinen von Copan, Peten, Utatlan und Santo Domingo Palenque (einst Culhuacan der Tzendalen) liegen; südlich von der Landenge von Panama das Reich der Muyscas (Cundinamarca oder Neü-Granada), wo ein geistliches und ein weltliches Oberhaupt waren; die Hochebenen von Quito, Couzco und Titicaca. Ackerbauende Völker, von Priestergewalt und politischen Jnstitutionen bedrückt, die der Ausbildung des Einzelnen, nicht dem materiellen Wohlstande und einer Cultur der Masse, wie wir sie in Ägypten, bei den Rasenern (Etruskern) und in Tübet sehen, hinderlich waren, bewohnten nur den gebirgigen Theil des Neüen Continents, der Asien gegenüber liegt. Jn dem östlichen, ebenern Theile schwärmten Jägervölker, von roher Gesittung, umher. Der Übergang vom Jagdleben zur festen Ansiedelung war um so schwerer, als der Mangel milchgebender Hausthiere in America das Hirtenleben unmöglich machte. Der hier bezeichnete Contrast, einer der wichtigsten Grundzüge der Geschichte jenes Welttheils, übt noch gegenwärtig einen mächtigen Einfluß auf die Schicksale der amerikanischen Staaten aus. Jm Westen bilden die ackerbauenden Urbewohner einen wichtigen Theil der Bevölkerung. Die eüropäischen Ansiedler sind nur der alten Civilisation gefolgt; sie haben alten mexicanischen und peruanischen Städten neue Namen gegeben. Jm Osten sind dagegen die wilden Jägervölker zurückgedrängt und dem gänzlichen Untergange nahe gebracht worden. Die weiße und africanische Race und ihre Gemische bilden allein die Bevölkerung in Nord-America und Brasilien. Die Staaten, gegen welche Cortez und Pizarro gekämpft, existirten aber nicht, als scandinavische Seefahrer, im Anfange des 11ten Jahrhunderts, Winland entdeckten. Die Cultur und Verbreitung ackerbauender Völker, welche die Spanier im westlichen Alpenlande fanden, war kaum 300 Jahre alt. Hätte die scandinavische Entdeckung des nördlichen America's dauernde Folgen gehabt, so würde der Zustand der eüropäischen Ansiedelungen ganz von dem verschieden sein, der jetzt die östlichen und westlichen Theile jenes Continents charakterisirt. Von den großen Bauwerken, die Herr Nebel gezeichnet, sind einige, die Pyramiden von Cholula (Cholollan) und Papantla, wahrscheinlich toltekischen und also älteren Ursprungs, als die Entdeckungs- Fahrten von Biarn und Leif Erikson. Die erstere dieser Pyramiden, welche 1350 Fuß lang und 178 Fuß hoch ist, war nach dem Muster des wohl orientirten Teocalli's von Teotihuacan, unfern des See's von Tezcuco, erbaut. Die Zeichnungen des Architekten Nebel, den wir die Freüde gehabt haben, vor wenigen Wochen in unseren Mauern zu besitzen, sind aber nicht bloß von geometrischer Genauigkeit und charakteristisch treü in Auffassung des eigenthümlichen Styls der Basreliefs und anderer Sculpturen, sie haben auch einen großen künstlerischen Werth in landschaftlicher Hinsicht. Die üppige Fülle und der wilde Reichthum der Vegetation, die Physiognomik der Tropen-Gewächse das ganze Naturleben des Erdraumes, wo jene Völker ihre sonderbaren Bauwerke aufgeführt, sind mit bewundernswürdigem Talente dargestellt. Ansichten neüer, von den Spaniern gegründeter, Städte, Costüme und Scenen des haüslichen Lebens sind den archäologischen Gegenständen beigesellt, und nach den Proben colorirter Lithographien zu urtheilen, welche Herr Nebel hier vorgezeigt, werden seine sorgfältig ausgeführten Zeichnungen, wie seine geistreichen Skizzen, befriedigend auf Stein übertragen werden. Das Werk selbst wird in Paris, in zehn Heften, jedes Heft zu fünf Lithographien, unter dem Titel: Voyage archeologique et pittoresque dans la partie la plus interessante du Mexique, erscheinen. Jch benutze um so freüdiger diese Gelegenheit, die verdienstvolle Arbeit eines deütschen Architekten anzuzeigen, als ich selbst in meinem Werke: Ansichten der Cordilleren und Monumente der Urvölker des neüen Continents (70 Kupfertafeln, Folio) längst schon den lebhaften Wunsch geaüßert habe, meine eigenen unvollkommenen Darstellungen durch genauere, von einem ausgebildeten Künstler, im Angesicht der Monumente entworfene Zeichnungen ersetzt zu sehen. Der Text, welcher Hrn. Nebel's graphische Arbeit begleitet, hat, neben seiner Kürze, noch ein anderes Verdienst, das ich nicht verschweigen darf. Hr. Nebel hat mit richtigem Sinne gefühlt, der Zweck seines Buches sey, zu zeigen, was die, aus dem alten, unbekannten Huehuetlapallan und Aztlan ausgewanderten Volksstämme an Bauwerken und Jdolen ihres gemeinsamen Cultus hervorgebracht: er hat in Mexico nur Mexicanisches, (Toltekisches und Aztekisches) gesehen, und wird die Leser nicht mit Discussionen über den Ursprung des amerikanischen Menschengeschlechts, über phönizische, galische und chinesische Colonien (aus Fousang), über die Atlantis des Plato (in deren Poseidonischer Burg neüerlichst ein scharfsinniger Literator den Plan zu der erst 1325 erbauten, aztekischen Stadt Mexico erkannt hat) langweilen.