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Alexander von Humboldt: „Bemerkungen über die Temperatur der Ostsee“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1834-Bemerkungen_ueber_die-1> [abgerufen am 29.03.2024].

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Titel Bemerkungen über die Temperatur der Ostsee
Jahr 1834
Ort Leipzig
Nachweis
in: Annalen der Physik und Chemie 33:14 [= 109:14] (1834), S. 223–227.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua (mit lang-s); Auszeichnung: Kursivierung, Sperrung; Fußnoten; Schmuck: Initialen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: V.32
Dateiname: 1834-Bemerkungen_ueber_die-1
Statistiken
Seitenanzahl: 5
Zeichenanzahl: 8381
Bilddigitalisate

Weitere Fassungen
Bemerkungen über die Temperatur der Ostsee (Leipzig, 1834, Deutsch)
Observations sur la température de la mer baltique (Genf; Paris; Brüssel, 1834, Französisch)
Наблюденiя надъ температурою Балтiйскаго моря. (Извлеченie изъ письма Г. Гумбольта къ Г. Поггендорфу) Сентябрь 1834 [Nabljudenija nad temperaturoju Baltijskago morja. (Izvlečenie iz pisʹma G. Gumbolʹta k G. Poggendorfu) Sentjabrʹ 1834] (Sankt Petersburg, 1835, Russisch)
Наблюденiя надъ температурою Балтiйскаго моря. (Извлеченie изъ письма Г. Гумбольдта къ Поггендорфу. Сентябрь, 1834) [Nabljudenija nad temperaturoju Baltijskago morja. (Izvlečenie iz pisʹma G. Gumbolʹdta k Poggendorfu. Sentjabrʹ, 1834)] (Sankt Petersburg, 1835, Russisch)
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Bemerkungen über die Temperatur derOstsee. Aus einem Briefe von Alexandervon Humboldt an den Herausgeber.


Sonderbare Zufälle eines vielbewegten Lebenshaben mich die Südsee und das Caspische Meer früherals das, meiner Vaterstadt so nahe Baltische Meer beschif-fen lassen. Auf zwei kleinen Fahrten, die ich neuerlich,in sehr nahen Zeitepochen, von Stettin nach Königsbergauf dem Russischen Dampfschiffe Ischora, und von Königs-berg nach Danzig und Stettin auf dem Preußischen Dampf-schiffe Friedrich Wilhelm gemacht, habe ich mich unun-terbrochen mit den Temperaturverhältnissen der Ostseean der Oberfläche beschäftigt. Das Phänomen einer son-derbaren Erkältung von 9 bis 11 Grad des hundertthei-ligen Thermometers ist mir sehr auffallend gewesen. Viel-leicht sind andere Beobachter glücklicher, die Ursache die-ser plötzlichen Erkaltung zu entdecken. Während die |224| Luft am 24. August zwischen 21°,5 und 24°,6 von 10Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends war, fand ich das Meerbei Swinemünde 23°,2, gegenüber Treptow 20°,3. (ImHaff südlich von Swinemünde 18°,2.) Als wir am 25.das Vorgebirge zwischen Leba und Rixhofter umsegelten,da wo die Küste im Meridian der Insel Gotland am mei-sten hervortritt, fiel plötzlich das Thermometer im See-wasser bis 11°,2 und 12 ,0 herab (Luft 19°). Wir wa-ren in demselben Abstande von der Küste, 1\( \frac{1}{2} \) bis 3 See-meilen, 60 auf den Grad gerechnet, geblieben, und dieBeobachtungsstunden waren 10\( \frac{1}{2} \) und 1\( \frac{1}{2} \) Uhr Morgensund Mittags. Ich gebe diese Zeitbestimmung und dieLufttemperatur an, ob ich gleich wenig an ihren Ein-fluß unter den vorliegenden Verhältnissen glaube. Oest-licher von der Landzunge von Hela stieg wieder die See-temperatur bis 22°,2 um 8 Uhr Abends. (Luft 19°,5.)Diese Wärme des Meeres erhielt sich bis Pillau und Kö-nigsberg, und am Frischen Haff bei Peise war das Meernoch 21°,8. (Luft 20°,5.) Dieselben Erscheinungen zeig-ten sich bei der Rückfahrt. Das Meer, das nahe beiFahrwasser (8 Uhr Morgens bei 4 Faden Tiefe) am 3.September nur 17°,8 Wärme zeigte, um 9 Uhr im Golfvon Danzig (bei 15 Faden Tiefe) 17°,5, erwärmte sichgegen Hela hin bis 21°,4 (Tiefe 17 Faden, Luft 20° bis21°); und als wir uns dem Vorgebirge zwischen Rixt-hofter und Leba wieder naheten, sank allmälig die Meer-temperatur erst auf 15°,4, dann auf 10°,6. (Luft 17°,5bis 18°,0; Zeit: Mittag und 3 Uhr Nachmittags.) DerUnterschied der Meerestemperatur auf der Oberfläche waralso bei der Hinreise 20°,3 — 11°,2=9°,1; bei der Her-reise 21°,4 — 10°,6=10°,8. Wie wir uns Stolpe näher-ten, ohne daß die Meerestiefe oder der Abstand vomUfer verschieden waren, stieg die Meereswärme wiederauf 17° und 18°, obgleich bei hoher See, bei starkemWestwinde und bei einer bis 15° gesunkenen Lufttempe-ratur; gegen Rügenwalde und Swinemünde hin zeigte das |225| Thermometer gar 20° und 20°,4. Die Ursachen der son-derbaren Erkältung an dem Vorgebirge zwischen Leba undRixhofter sind nicht Strömungen, bemerkbare auf der Ober-fläche, nicht Untiefen. Der zunehmenden nördlichen Breiteist auch die Erscheinung nicht zuzuschreiben, da man vondem Vorgebirge bei Pillau an meist in demselben Pa-rallelkreise gegen Osten und doch in wärmerem Wasserschifft. Die Ursache liegt vielleicht fern, jenseits desSundes und in Bewegungen unterer Wasserschichten inobliquer Richtung nach oben, wie Erkältungen in demLuftmeere oft ähnlichen herabkommenden Strömungen zu-gehören. Da nach Horner’s Beobachtungen, im Ocean,unter mittleren Breiten, 100 Faden Tiefe kaum eine Er-kältung von 7°,7 hervorbringen, so wird man wenig ge-neigt, das fragliche Phänomen Local-Ursachen im Bek-ken der Ostsee (die nur 15 bis 40 Faden tief ist) zu-zuschreiben. Das Eindringen von Polarwassern, in tie-fen Wasserschichten des Sundes, bietet sich als möglicheUrsache dar; doch auch die langsame Fortpflanzung derWärme nach unten muß, bei der diesjährigen hohen Som-mer-Temperatur, beachtet werden. Im Genfer See hatman, wenn die Oberfläche 21°,2 war, schon in 150 FußTiefe 15° Unterschied gefunden, im See von Annecybei 14°,4 Oberfläche 8°,8 Unterschied (Pouillet, Elem.de Phys. et de Meteorologia, T. II p. 676). Man siehtaus den angegebenen Zahlen, wie das Maaß der Tem-peraturabnahme von verwickeltern Ursachen abhängt, wiedie Abnahme in ruhigen Wasserschichten schneller, beitief bewegteren langsamer ist, wenn nicht etwa Strömun-gen von fern her kälteres Wasser herbeiführen oder garschief aufsteigen gegen die Ueberfläche. Das beträchtliche Areal der Ostsee und ihre Er-streckung nach Norden üben einen großen Einfluß auf |226| die Temperaturverhältnisse des nördlichen Deutschlandsaus, und geben einem Becken, einer Erdsenkung, Wich-tigkeit, die man ausgetrocknet, bei ihrer geringen Tiefe,kaum bemerken würde. Rennell sagt mit Recht in sei-nem noch so wenig benutzten trefflichen Werke: Inve-stigation of the Currents of the Atlantic Ocean, 1832, p. 25, daß eingeschlossene Meere eine höhere Tempera-tur als unter gleichen Umständen der freie Ocean anneh-men. Capitain Gautier, dem wir gleichzeitig mit Smyth die schöne Aufnahme des Mittelmeeres verdanken, fandden 3. August 1819 und 24. Juni 1820 die Oberflächedes Mittelmeers (Lat 38° 46′ bis 39° 12′) zwischen 29°und 29° \( \frac{1}{2} \), das ist 3° mehr als die mittlere Temperaturdes Antillischen Meeres (Relat. hist. T. III Chap. 29 p. 518), und nur 1° weniger als je mit wohl vergliche-nen Thermometern nahe am Aequator das Meer befun-den worden ist. (Sur la bande d’eau la plus chaudel. c. Chap. 28 p. 498). Sie werden in meinen oben an-geführten Beobachtungen bemerkt haben, wie mächtig diehohe Sommertemperatur der Atmosphäre dieses Jahresauf die Sommertemperatur der Ostsee gewirkt hat. Ich fandauf offnem Meere in der Ostsee bei hohem Wellenschlage(nicht bei Windstille) 22°,2, unfern Swinemünde selbst23°,2. Als Temperatur des August- und September-Mo-nats giebt Rennell (in seinem Atlas der Strömungen)für das Mittelmeer zwischen den Küsten von Oran, Gre-nada und Murcia 22° und 23°,8 als die gewöhnlichenMaxima des Jahres an, und welch ein Unterschied derumgebenden Feste! Die gewöhnliche Ostseetemperaturim freien und tiefen Meere soll im August 15° bis 17°,5(also 6° weniger als im August 1834) seyn, währendman dann, im (engeren) Sunde, bei Kopenhagen 22°bis 23°,7, und am Kattegat (unter Einwirkung des At-lantischen Oceans) kaum 16°,2 beobachtet. (Berghaus, Annal. Bd. IV S. 142.) In Danzig ist die mittlere Wärmedes ganzen Sommers 16°,9, in Königsberg 15°,8, undzwar nach 18 und 21 Jahren vortrefflicher Beobachtun- |227| gen. Für Danzig finde ich die mittlere Lufttemperaturdes Augusts in den letzten 6 Jahren 16°,7. Ist dieß un-gefähr auch, wie sehr wahrscheinlich, das Medium Maxi-mum der Ostsee, das heißt die Temperatur der Ober-fläche des Meeres am Ende des August-Monats, wo dasMaximum des Jahres eintritt, so erkennt man in dieserZahl wieder den Einfluß der Beschränktheit eines fastmittelländischen Beckens. Da die Wintertemperatur derOstsee zwischen 1°,7 und 2°,5 fällt, so ist wohl die mitt-lere Temperatur des Jahres in diesem Meere, zwischen54° und 54° \( \frac{1}{2} \) Breite, nicht unter 9° (des hunderttheili-gen Thermometers). Auch der scharfsinnige Kämtz fin-det für den Atlantischen Ocean, bei 54° Breite, durchRechnung 9°,4, durch wirkliche Beobachtungen 10°,5.Für den Atlantischen Ocean nun ist der Unterschied zwi-schen der mittleren jährlichen Temperatur des Wassersund der Augusttemperatur (in der temperirten nördlichenZone) etwas über 3°. (Kämtz, Lehrbuch der Meteo-rologie, Bd. II S. 115. 118.) In der Ostsee scheint die-ser Unterschied 16°,7 — 9°,2=7°,5 zu seyn. Im Mittel-ländischen Meere giebt Rennell für die Süd-SpanischenKüsten 23° \( \frac{1}{2} \) und 24° für Ende August und Anfang Sep-tember an. Das sind wieder 8° mehr als die mittlerejährliche Temperatur des Meeres in dieser Breite, dennNeapel hat eine Lufttemperatur im Winter von 10°,3.im ganzen Jahre von 16°,8 (Breite 40° 51′); Palermohat, bei 38° 6′ Breite, Wintertemperatur 11°,3; jährlicheTemperatur 17°,4. Die eingeschlossenen Meere nehmenim Sommer an der Oberfläche eine weit höhere, im Win-ter eine weit niedere Temperatur an als das Weltmeer,und in höheren Breiten, z. B. in der Ostsee, welche nochfern von den Küsten gefriert, wächst die relative Erniedri-gung der Wintertemperatur.