In der Haude- und Spenerſchen Zeitung vom 8. Mai wird der Koͤnigl. Baierſche Profeſſor Neumann beſchuldigt: er gebe vor, in den, ihm von mir mitgetheilten Pekinger Staats- Zeitungen des Jahres 1823 eine Anekdote uͤber die Chineſiſche Cenſur geleſen zu haben, die in den Mémoires concernant la Chine vom Jahre 1791 abgedruckt iſt. Ich glaube, dem Publikum zur Rechtfertigung eines abweſenden Gelehrten, dem wir eine ſehr merkwuͤrdige Abhandlung uͤber den Armeniſchen Philoſophen David aus Herthen und die Armeniſchen Ueberſetzungen des Ariſtoteles verdanken, folgende Erklaͤrung ſchuldig zu ſeyn: Als ich von meiner Reiſe in dem ſuͤdlichen Rußland und Sibirien im Anfange dieſes Jahres zuruͤckkehrte, wuͤnſchte ich, die Armeniſchen, Chineſiſchen, Perſiſchen, Mongoliſchen und Tuͤbetaniſchen Schriften, die ich Gelegenheit gehabt hatte, an den Graͤnzen der Dzungarei, in Aſtrachan, Sarepta und der Kalmuͤcken-Steppe zu ſammeln, vorlaͤufig unterſuchen zu laſſen. Von Mongoliſchen und Tuͤbetaniſchen Manuſkripten beſaß ich nur kleine Fragmente; die Perſiſchen, Armeniſchen und Chineſiſchen ſchienen mehr Aufmerkſamkeit zu verdienen. Ich bat daher den tiefen Kenner der Orientaliſchen Literatur, Herrn Ober-Bibliothekar Wilken, die Perſiſchen; Herrn Profeſſor Neumann, der ſeine Armeniſchen Studien in Venedig, ſeine Chineſiſchen in Paris gemacht hatte, die Armeniſchen und Chineſiſchen Werke zu unterſuchen. Der Baierſche Gelehrte konnte dieſer Arbeit nur wenig Muße, vor ſeiner Abreiſe nach London und Canton, ſchenken. Dieſer Mangel an Muße hat wahrſcheinlich zu einigen Verwechſelungen Anlaß gegeben. Auch hat der Verfaſſer eines kritiſchen Aufſatzes (Spenerſche Zeitung Nr. 91) mehrere Berichtigungen uͤber den hiſtoriſchen Roman der drei Reiche geliefert. Man erkennt leicht in dieſer Kritik einen beruͤhmten und gruͤndlichen Kenner der Chineſiſchen Sprache und Aſiatiſchen Geſchichte. Herr Neumann, der jetzt auf einer Seereiſe von England nach China begriffen iſt, um mit ſeltener Aufopferung literariſche Zwecke zu erfuͤllen, wird ſich jeder Belehrung erfreuen, wo er aus Uebereilung geirrt hat. Der Vorwurf aber, als habe er vorgegeben, in den Chineſiſchen Zeitungen vom Februar und April 1823 (ein Geſchenk des Baron Schilling von Canſtadt in Petersburg) zu leſen, was im Jahr 1778 vorgefallen iſt, muß Jedem ungerecht erſcheinen, der ſich die Muͤhe nimmt, Herrn Profeſſor Neumann’s Notiz (Staats-Zeitung Nr. 111) ernſthaft zu pruͤfen. Es wird in dieſer Notiz zuerſt, aus der Pekinger Zeitung vom 25. Februar, ein Vorfall erzaͤhlt, uͤber welchen der Hof mit dem Wald von Federn, das heißt, mit der Akademie, Ruͤckſprache genommen; dieſe Zeitung nennt Herr Neumann „die erſte“ und fuͤgt nun die Anekdote von der Strenge der Cenſur mit dem ausdruͤcklichen Vorworte hinzu: „in einer fruͤheren Zeitung kam folgender Vorfall vor“. Nun ſind die von mir mitgebrachten Zeitungen (Staats-Zeitung Nr. 83, S. 616) vom 25ſten und 26ſten Februar, vom 2ten, 5ten, 6ten und 11ten April 1823. Wenn alſo Herr Neumann ſagt, er wolle etwas aus einer fruͤheren Zeitung (fruͤher als die erſte der ihm zum Durchſehen mitgetheilten) anfuͤhren, ſo darf man ihn keinesweges beſchuldigen, er habe vorgegeben, etwas in Zeitungen von 1823 zu leſen, was dieſe nicht enthalten. Er tritt als Erzaͤhler auf, ohne zu ſagen, daß er ſelbſt das Erzaͤhlte aus einer Zeitung geſchoͤpft habe. Ich kann, um der Rechtfertigung eines abweſenden Gelehrten mehr Gewicht zu geben, noch folgendes Umſtandes erwaͤhnen. Herr Neumann hat mir, bei ſeiner Abreiſe, eine Franzoͤſiſche Notiz uͤber die Armeniſchen und Chineſiſchen Schriften (die ich der Koͤnigl. Bibliothek zu Berlin verehrt habe) fuͤr die Société Asiatique anvertraut. Als ich zufaͤllig fragte, warum er die Anekdote von der Hinrichtung des Redacteurs der Chineſiſchen Staats-Zeitung und der oͤffentlichen Verſteigerung ſeiner Frauen, Konkubinen und Kinder, in der Franzoͤſiſchen Notiz (die noch vor mir liegt) weggelaſſen, antwortete er, die Anekdote ſey alt und denen, welche ſich mit der Chineſiſchen Literatur beſchaͤftigen, hinlaͤnglich bekannt. So viel und ſchon zu viel uͤber die Pekinger Staats- Zeitung „aus der Regierungs-Periode des Lichts der Vernunft“. Als Reiſender hielt ich es fuͤr meine Pflicht, einen Reiſenden und Abweſenden, der mir mitten unter den Bedraͤngniſſen einer Abreiſe nach China einen Theil ſeiner Muße gewidmet hat, gegen einen ungerechten Angriff, welcher etwas Wichtigeres im Menſchen, als Sprach-Erudition beruͤhrt, oͤffentlich zu rechtfertigen. A. v. Humboldt.