Ueber den terreſtriſchen Magnetismus. Fragment der Rede des Herrn v. Humboldt, in der Kaiſerl. Akademie der WW. „Die Schiffahrtskunſt, die unter der Leitung eines großen Seefahrers ſich in dieſem Reiche ſo gluͤcklich entwickelt hat, fuͤhlt ſeit Jahrhunderten das Beduͤrfniß einer genauen Kenntniß der Variationen, welchen der terreſtriſche Magnetismus ruͤckſichtlich der Declination, der Jnclination und der intenſiven Staͤrke unterworfen iſt; denn die Abweichung der Magnetnadel in verſchiedenen Gegenden des Erballs, ſteht in genauer Verbindung mit jenen andern Eigenſchaften. Niemals fruͤher hat die Kenntniß dieſer Veraͤnderungen ſolche Fortſchritte gemacht, als in den letzten dreißig Jahren. Die Winkel, welche die Magnetnadel mit der Verticale und dem Meridiane des Ortes bildet, die Jntenſitaͤt der magnetiſchen Kraft, deren Wachſen von dem Aequator zu dem magnetiſchen Pol ich ſo gluͤcklich geweſen bin zu beobachten, die ſtuͤndlichen Abweichungen in der Jnclination, Declination und Jntenſitaͤt, die ſo oft durch Nordlichte, Erdbeben oder andere geheimnißvolle Bewegungen im Jnnern des Erballs bedingt werden, die unperiodiſchen Jrrungen und Stoͤrungen der Nadel, die ich in einer langen Reihe von Beobachtungen mit dem Namen magnetiſcher Stuͤrme bezeichnet habe, alle dieſe Erſcheinungen ſind nach und nach den eifrigſten Nachforſchungen unterworfen worden. Die großen Entdeckungen eines Oerſtedt, Arago, Ampere, Seebeck, Morichini und der Miſtriß Somerville, haben uns die gegenſeitigen Beziehungen des Magnetismus zur Electricitaͤt, der Waͤrme und dem Sonnenlicht kennen gelehrt. Es ſind jetzt nicht mehr drei Metalle, Eiſen, Nickel und Kobalt, die die magnetiſche Kraft annehmen, ſondern das erſtaunenswuͤrdige Phaͤnomen des Rotations-Magnetismus, welches mein Freund Arago zuerſt erkannt hat, beweiſt uns, daß faſt alle Koͤrper in der Natur voruͤbergehend fuͤr die Einwirkungen des Electro-Magnetismus empfaͤnglich ſind. Das Ruſſiſche Reich iſt das einzige Land der Erde, welches von zwei Linien ohne Abweichung der Magnetnadel, d. h. wo ſie ſich gerade nach den Erdpolen richtet, durchſchnitten iſt. Die eine dieſer beiden Linien, deren ſichere Beſtimmung und periodiſche Seitenbewegung von Oſten nach Weſten die Grundlage einer dereinſtigen Theorie des terreſtriſchen Magnetismus bildet, zieht ſich, nach den letzten Unterſuchungen der HH. Hanſteen und Erman, zwiſchen Mourom und Niſhni-Nowgorod, die andere einige Grade oͤſtlich von Jrkutzk zwiſchen Parchinskaja und Jarbinsk hindurch. Noch kennt man ihre Verlaͤngerung nach Norden oder die Schnelligkeit ihrer Bewegung nach Weſten nicht. Die Phyſik des Erdballs erfordert eine vollſtaͤndige Darſtellung dieſer beiden Linien ohne Declination der Nadel, und in gleichmaͤßigen Zeitraͤumen, z. B. jede zehn Jahre, die genaueſte Unterſuchung der abſoluten Abweichungen der Jnclination und Jntenſitaͤt auf allen den Punkten, wo Hr. Hanſteen, Erman und ich zwiſchen St. Petersburg, Kaſan, Aſtrachan, und im noͤrdlichen Aſien, Beobachtungen angeſtellt haben. Dieſe Reſultate koͤnnen nicht von Fremden erreicht werden, die das Land einmal und in einer Richtung durchreiſen. Zu dieſem Zweck muß ein Syſtem von Beobachtungen mit Umſicht organiſirt und einen langen Zeitraum hindurch den Gelehrten des Landes anvertraut werden. St. Petersburg, Moskau und Kaſan liegen gluͤcklicherweiſe ſehr nahe bei der erſten der bezeichneten Linien, die das Europaͤiſche Rußland durchſchneidet; andere bedeutende Staͤdte ſind nicht zu entfernt von der zweiten Linie. Bedenkt man dabei, wie genaue Beobachtungen zur See und zu Lande mittelſt der Jnſtrumente von Borda, Beſſel und Gambez geſchehen ſind, ſo uͤberzeugt man ſich leicht, daß Rußland binnen zwanzig Jahren Rieſenfortſchritte der Theorie des Magnetismus bewirken kann.“ U. ſ. w.