Eroͤffnungsrede. „Wenn es mir durch Ihre ehrenvolle Wahl vergoͤnnt iſt, dieſe Verſammlung zu eroͤffnen; ſo habe ich zuerſt eine Pflicht der Dankbarkeit zu erfuͤllen. Die Auszeichnung, welche dem zu Theil geworden, der noch nie Ihren denkwuͤrdigen Vereinen beywohnen konnte, iſt nicht der Lohn wiſſenſchaftlicher Beſtrebungen, einzelner ſchwacher Verſuche, in dem Drange der Erſcheinungen das Beharrende aufzufinden, aus den ſchwindelnden Tiefen der Natur das daͤmmernde Licht der Erkenntniß zu ſchoͤpfen. Ein zarteres Gefuͤhl hat Ihre Aufmerkſamkeit auf mich geleitet. Sie haben ausſprechen wollen, daß ich in vieljaͤhriger Abweſenheit, ſelbſt in einem fernen Welttheile, nach gleichen Zwecken mit Ihnen hinarbeitend, Ihrem Andenken nicht fremd geworden bin. Sie haben meine Ruͤckkunft gleichſam begruͤßen wollen, um durch die heiligen Bande des Dankgefuͤhls mich laͤnger und inniger an das gemeinſame Vaterland zu feſſeln. Was aber kann das Bild dieſes gemeinſamen Vaterlandes erfreulicher vor die Seele ſtellen, als die Verſammlung, die wir heute zum erſten Male in unſern Mauern empfangen. Von dem heitern Neckar-Lande, wo Kepler u. Schiller geboren wurden, bis zu dem letzten Saume der baltiſchen Ebenen; von dieſen bis gegen den Ausfluß des Rheins, wo, unter dem wohlthaͤtigen Einfluſſe des Welthandels, ſeit Jahrhunderten, die Schaͤtze einer exotiſchen Natur geſammelt und erforſcht wurden, ſind, von gleichem Eifer beſeelt, von einem ernſten Gedanken geleitet, Freunde der Natur zu dieſem Vereine zuſammengeſtroͤmt. Ueberall, wo die deutſche Sprache ertoͤnt, und ihr ſinniger Bau auf den Geiſt und das Gemuͤth der Voͤlker einwirkt; von dem hohen Alpengebirge Europa’s, bis jenſeits der Weichſel, wo, im Lande des Copernicus, die Sternkunde ſich wieder zu neuem Glanz erhoben ſieht; uͤberall in dem weiten Gebiete deutſcher Nation, nennen wir unſer jedes Beſtreben, dem geheimen Wirken der Naturkraͤfte nachzuſpuͤren, ſey es in den weiten Himmels-Raͤumen, dem hoͤchſten Problem der Mechanik, oder in dem Innern des ſtarren Erdkoͤrpers, oder in dem zartgewebten Netze organiſcher Gebilde. Von edlen Fuͤrſten beſchirmt, hat dieſer Verein alljaͤhrig an Intereſſe und Umfang zugenommen. Jede Entfernung, welche Verſchiedenheit der Religion und buͤrgerlicher Verfaſſung erzeugen koͤnnten, iſt hier aufgehoben. Deutſchland offenbart ſich gleichſam in ſeiner geiſtigen Einheit; und, wie Erkenntniß des Wahren und Ausuͤbung der Pflicht der hoͤchſte Zweck der Sittlichkeit ſind; ſo ſchwaͤcht jenes Gefuͤhl der Einheit keine der Banden, welche jedem von uns Religion, Verfaſſung und Geſetze der Heimath theuer machen. Eben dieß geſonderte Leben der deutſchen Nation, dieſer Wetteifer geiſtiger Beſtrebungen, riefen (ſo lehrt es die ruhmvolle Geſchichte des Vaterlandes) die ſchoͤnſten Bluͤthen der Humanitaͤt, Wiſſenſchaft und Kunſt hervor. Die Geſellſchaft deutſcher Naturforſcher und Aerzte hat, ſeit ihrer letzten Verſammlung, da ſie in Muͤnchen eine ſo gaſtliche Aufnahme fand, durch die ſchmeichelhafte Theilnahme benachbarter Staaten und Academieen, ſich eines be- ſondern Glanzes zu erfreuen gehabt. Stammverwandte Nationen haben den alten Bund erneuern wollen zwiſchen Deutſchland und dem gothiſch-ſcandinaviſchen Norden. Eine ſolche Theilnahme verdient um ſo mehr unſre Anerkennung, als ſie der Maſſe von Thatſachen und Meynungen, welche hier in einen allgemeinen, fruchtbringenden Verkehr geſetzt werden, einen unerwarteten Zuwachs gewaͤhrt. Auch ruft ſie in das Gedaͤchtniß der Naturkundigen erhebende Erinnerungen zuruͤck. Noch nicht durch ein halbes Jahrhundert von uns getrennt, erſcheint Linne, in der Kuͤhnheit ſeiner Unternehmungen, wie durch das, was er vollendet, angeregt und beherrſcht hat, als eine der großen Geſtalten eines fruͤheren Zeitalters. Sein Ruhm, ſo glaͤnzend er iſt, hat dennoch Europa nicht undankbar gegen Scheele’s und Bergmann’s Verdienſte gemacht. Die Reihe dieſer gefeyerten Namen iſt nicht geſchloſſen geblieben; aber in der Furcht, edle Beſcheidenheit zu verletzen, darf ich hier nicht von dem Lichte reden, welches noch jetzt in reichſtem Maße von dem Norden ausgeht; nicht der Entdeckungen erwaͤhnen, welche die innere chemiſche Natur der Stoffe (im numeriſchen Verhaͤltniß ihrer Elemente) oder das wirbelnde Stroͤmen der electro-magnetiſchen Kraͤfte enthuͤllen. Moͤgen die trefflichen Maͤnner, welche durch keine Beſchwerden von Land- und Seereiſen abgehalten wurden, aus Schweden, Norwegen, Daͤnemark, Holland, England und Polen unſerm Vereine zuzueilen, andern Fremden, fuͤr kommende Jahre, die Bahn bezeichnen, damit wechſelsweiſe jeder Theil des deutſchen Vaterlandes den belebenden Einfluß wiſſenſchaftlicher Mittheilung aus den verſchiedenſten Laͤndern von Europa genieße. Wenn ich aber, im Angeſichte dieſer Verſammlung, den Ausdruck meiner perſoͤnlichen Geſuͤhle zuruͤckhalten muß; ſo ſey es mir wenigſtens geſtattet, die Patriarchen vaterlaͤndiſchen Ruhmes zu nennen, welche die Sorge fuͤr ihr der Nation theures Leben von uns entfernt haͤlt: Goethe, den die großen Schoͤpfungen dichteriſcher Phantaſie nicht abgehalten haben, den Forſcherblick in alle Tiefen des Naturlebens zu tauchen, und der jetzt, in laͤndlicher Abgeſchiedenheit, um ſeinen fuͤrſtlichen Freund, wie Deutſchland um eine ſeiner herrlichſten Zierden trauert; Olbers, der zwey Weltkoͤrper da entdeckt hat, wo er ſie zu ſuchen gelehrt; den groͤßten Anatomen unſeres Zeitalters, Soͤmmerring, der mit gleichem Eiſer die Wunder des organiſchen Baues, wie der Sonnenfackeln und Sonnenflecken (Verdichtungen und Oeffnungen im wallenden Lichtmeere) durchſpaͤht; Blumenbach, auch meinen Lehrer, der durch ſeine Werke und das belebende Wort uͤberall die Liebe zur vergleichenden Anatomie, Phyſiologie und geſammten Naturkunde angefacht, und wie ein heiliges Feuer, laͤnger als ein halbes Jahrhundert, ſorgſam gepflegt hat. Konnte ich der Verſuchung widerſtehen, da die Gegenwart ſolcher Maͤnner uns nicht vergoͤnnt iſt, wenigſtens durch Namen, welche die Nachwelt wiederſagen wird, meine Rede zu ſchmuͤcken? Dieſe Betrachtungen uͤber den geiſtigen Reichthum des Vaterlandes, und die davon abhaͤngige fortſchreitende Entwickelung unſers Inſtituts, leiten unwillkuͤhrlich auf die Hinderniſſe, die ein groͤßerer Umfang (die anwachſende Zahl der Mitarbeiter) der Ausfuͤhrung eines ernſten wiſſenſchaftlichen Unternehmens ſcheinbar entgegenſtellen. Der Hauptzweck des Vereins (Sie haben es ſelbſt an ihrem Stiftungstage ausgeſprochen) beſtehet nicht, wie in andern Academieen, die eine geſchloſſene Einheit bilden, in gegenſeitiger Mittheilung von Abhandlungen, in zahlreichen Vorleſungen, die alle zum Drucke beſtimmt, nach mehr als Jahresfriſt in eignen Sammlungen erſcheinen. Der Hauptzweck dieſer Geſellſchaft iſt die perſoͤnliche Annaͤherung derer, welche daſſelbe Feld der Wiſſenſchaften bearbeiten; die muͤndliche und darum mehr anregende Auswechſelung von Ideen, ſie moͤgen ſich als Thatſachen, Meynungen oder Zweifel darſtellen; die Gruͤndung freundſchaftlicher Verhaͤltniſſe, welche den Wiſſenſchaften Licht, dem Leben heitre Anmuth, den Sitten Duldſamkeit und Milde gewaͤhren. Bey einem Stamme, der ſich zur ſchoͤnſten geiſtigen Individualitaͤt erhoben hatte, und deſſen ſpaͤteſten Nachkommen, wie aus dem Schiffbruche der Voͤlker gerettet, wir noch heute unſre bangen Wuͤnſche weihen, in der Bluͤthezeit des helleniſchen Alterthums, offenbarte ſich am kraͤftigſten der Unterſchied zwiſchen Wort und Schrift. Nicht die Schwierigkeit des Ideenverkehrs allein, nicht die Entbehrung einer deutſchen Kunſt, die den Gedanken wie auf Fluͤgeln durch den Raum verbreitet und ihm lange Dauer verheißt, geboten damals den Freunden der Philoſophie und Naturkunde, Hellas, oder die doriſchen und joniſchen Colonien in Groß-Griechenland und Klein-Aſien, auf langen Reiſen zu durchwandern. Das alte Geſchlecht kannte den Werth des lebendigen Wortes, den begeiſternden Einfluß, welchen durch ihre Naͤhe hohe Meiſterſchaft ausuͤbt, und die aufhellende Macht des Geſpraͤchs, wenn es unvorbereitet, frey und ſchonend zugleich, das Gewebe wiſſenſchaftlicher Meynungen und Zweifel durchlaͤuft. Entſchleierung der Wahrheit iſt ohne Divergenz der Meynungen nicht denkbar, weil die Wahrheit nicht in ihrem ganzen Umfang auf einmal, und von allen zugleich, erkannt wird. Jeder Schritt, der den Naturforſcher ſeinem Ziele zu naͤhern ſcheint, fuͤhrt ihn an den Eingang neuer Labyrinthe. Die Maſſe der Zweifel wird nicht gemindert, ſie verbreitet ſich nur, wie ein beweglicher Nebelduft, uͤber andre und andre Gebiete. Wer golden die Zeit nennt, wo Verſchiedenheit der Anſichten, oder wie man ſich wohl auszudruͤcken pflegt, der Zwiſt der Gelehrten, geſchlichtet ſeyn wird, hat von den Beduͤrfniſſen der Wiſſenſchaft, von ihrem raſtloſen Fortſchreiten, eben ſo wenig einen klaren Begriff, als derjenige, welcher in traͤger Selbſtzufriedenheit, ſich ruͤhmt, in der Geognoſie, Chemie oder Phyſiologie, ſeit mehreren Jahrzehenden, dieſelben Meynungen zu vertheidigen. Die Gruͤnder dieſer Geſellſchaft haben, in wahrem und tiefem Gefuͤhle der Einheit der Natur, alle Zweige des phyſicaliſchen Wiſſens (des beſchreibenden, meſſenden und experimentierenden) innigſt mit einander vereinigt. Die Benennungen Naturforſcher und Aerzte ſind daher hier faſt ſynonym. Durch irdiſche Bande an den Typus niederer Gebilde gekettet, vollendet der Menſch die Reihe hoͤherer Organiſationen. In ſeinem phyſiologiſchen und pathologiſchen Zuſtande bietet er kaum eine eigene Claſſe von Erſcheinungen dar. Was ſich auf dieſen hohen Zweck des aͤrztlichen Studiums bezieht, und ſich zu allgemeinen naturwiſſenſchaftlichen Anſichten erhebt, gehoͤrt vorzugsweiſe fuͤr dieſen Verein. So wichtig es iſt, nicht das Band zu loͤſen, welches die gleichmaͤßige Erforſchung der organiſchen und unorganiſchen Natur umfaßt; ſo werden dennoch der zunehmende Umfang und die allmaͤhliche Entwickelung dieſes Inſtituts die Nothwendigkeit fuͤhlen laſſen, außer den gemeinſchaftlichen oͤffentlichen Verſammlungen, denen dieſe Halle beſtimmt iſt, auch ſectionsweiſe ausfuͤhrlichere Vortraͤge uͤber einzelne Diſciplinen zu halten. Nur in ſolchen engeren Kreiſen, nur unter Maͤnnern, welche Gleichheit der Studien zu einander hinzieht, ſind muͤndliche Discuſſionen moͤglich. Ohne dieſe Art der Eroͤrterung, ohne Anſicht der geſammelten, oft ſchwer zu beſtimmenden, und darum ſtreitigen Naturkoͤrper, wuͤrde der freymuͤthige Verkehr Wahrheit-ſuchender Maͤnner eines belebenden Princips beraubt ſeyn. Unter den Anſtalten, welche in dieſer Stadt zur Aufnahme der Geſellſchaft getroffen worden ſind, hat man vorzuͤglich auf die Moͤglichkeit einer ſolchen Abſonderung in Sectionen Ruͤckſicht genommen. Die Hoffnung, daß dieſe Vorkehrungen ſich Ihres Beyfalls erfreuen werden, legt mir die Pflicht auf, hier in Erinnerung zu bringen, daß, obgleich Ihr Vertrauen zweyen Reiſenden zugleich die Geſchaͤftsfuͤhrung uͤbertragen hat, doch nur einem allein, meinem edlen Freunde, Herrn Lichtenſtein, das Verdienſt ſorgſamer Vorſicht und raſtloſer Thaͤtigkeit zukommt. Den wiſſenſchaftlichen Geiſt achtend, der die Geſellſchaft deutſcher Naturforſcher und Aerzte beſeelt, und die Nuͤtzlichkeit ihres Beſtrebens anerkennend, iſt das Koͤnigliche Miniſterium des Unterrichts, ſeit vielen Monaten, jedem unſrer Wuͤnſche mit der aufopferndſten Bereitwilligkeit zuvorgekommen. In der Naͤhe der Verſammlungsorte, welche auf dieſe Weiſe fuͤr ihre allgemeinen und beſondern Arbeiten vorbereitet worden, erheben ſich die Muſeen, welche der Zergliederungskunſt, der Zoologie, der Oryctognoſie und der Gebirgskunde gewidmet ſind. Sie liefern dem Naturforſcher einen reichen Stoff der Beobachtung und vielfache Gegenſtaͤnde critiſcher Discuſſionen. Der groͤßere Theil dieſer wohlgeordneten Sammlungen zaͤhlt, wie die Univerſitaͤt zu Berlin, noch nicht zwey Decennien; die aͤlteſten, zu welchen der botaniſche Garten (einer der reichſten in Europa) gehoͤrt, ſind in dieſer Periode nicht bloß vermehrt, ſondern gaͤnzlich umgeſchaffen worden. Der frohe und lehrreiche Genuß, den ſolche Inſtitute gewaͤhren, erinnert mit tiefem Dankgefuͤhle, daß ſie das Werk des erhabenen Monarchen ſind, der, geraͤuſchlos, in einfacher Groͤße, jedes Jahr dieſe Koͤnigsſtadt mit neuen Schaͤtzen der Natur und der Kunſt ausſchmuͤckt, und, was einen noch hoͤheren Werth hat, als dieſe Schaͤtze ſelbſt, was dem preußiſchen Volke jugendliche Kraft und inneres Leben und gemuͤthvolle Anhaͤnglichkeit an das alte Herrſcherhaus gibt, der ſich huldreich jedem Talente zuneigt, und freyer Ausbildung des Geiſtes vertrauensvoll ſeinen koͤniglichen Schutz verleiht.“