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Alexander von Humboldt: „Ueber die Hauptursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1827-Ueber_die_Hauptursachen-1> [abgerufen am 24.04.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1827-Ueber_die_Hauptursachen-1
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Titel Ueber die Hauptursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper
Jahr 1827
Ort Leipzig
Nachweis
in: Annalen der Physik und Chemie 11:1 (1827), S. 1–27.
Entsprechungen in Buchwerken
Separatum, „Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. Von Alexander von Humboldt. Gelesen in der öffentlichen Versammlung der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 3. Julius 1827“, Berlin 1827, 24 Seiten.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua (mit lang-s); Auszeichnung: Kursivierung, Sperrung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen; Tabellensatz.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: IV.81
Dateiname: 1827-Ueber_die_Hauptursachen-1
Statistiken
Seitenanzahl: 27
Zeichenanzahl: 41666

Weitere Fassungen
Ueber die Hauptursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper (Leipzig, 1827, Deutsch)
On the Principal Causes of the Differences of Temperature on the Globe (Edinburgh, 1828, Englisch)
O głównych przyczynach nóżnicy temperatury na kuli ziemskiey (Vilnius, 1829, Polnisch)
Über die Haupt-Ursachen der Tempratur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. (Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 3. Juli 1827) (Berlin, 1830, Deutsch)
Ueber die Hauptursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper (Göttingen, 1833, Deutsch)
Ueber die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper (Trier, 1836, Deutsch)
De las diversas causas de la diferencia de la temperatura en el Globo. (Mexico, 1841, Spanisch)
De las diversas causas de la diferencia de la temperatura en el Globo (Mexico, 1842, Spanisch)
|1|

Ueber die Haupturſachen der Temperatur-Ver-ſchiedenheit auf dem Erdkörper; von Alexan-der von Humboldt. (Auszug aus einer in der öffentlichen Verſammlung der K. Akademiehierſelbſt am 3. Jul. 1827 gehaltenen Vorleſung. *)


Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper iſt ſeitvielen Jahren ein Haupt-Gegenſtand meiner Unter-ſuchungen geweſen: ſie ſteht mit der räumlichen Ver-ſchiedenartigkeit der Producte, mit dem Ackerbauund dem Handelsverkehr der Völker, ja mit mehre-ren Seiten ihres ganzen moraliſchen und politiſchenZuſtandes in der innigſten Verbindung. Die Zeitenſind vorüber, wo man ſich mit unbeſtimmten Anſich-ten über die Differenz geographiſcher und phyſiſcherKlimate begnügte, und alle Modificationen der Tem-peratur bald ſchützenden Bergzügen, bald der Erhö-hung der Erdoberfläche zuſchrieb. Man hat nach undnach eingeſehen, daß die merkwürdigen Abweichun-gen der Klimate, welche man in großen Länderſtrek-ken, zwiſchen denſelben Breite-Graden und in der-
*) Zunächſt für Hörende geſchrieben, hat dieſe Abhandlung nurden Zweck eine kurze und leicht zu folgende Ueberſicht zugeben. Deshalb ſind auch von dem Hrn. Verfaſſer, und nochmehr in dieſem Auszuge, alle für einen ſolchen Zweck nichtpaſſende Einzelheiten geflieſſentlich übergangen. P.
|2| ſelben Höhe über dem Meeresſpiegel wahrnimmt,nicht von dem kleinlichen Einfluſſe individuellerOertlichkeiten herrühren, ſondern allgemeinen Ge-ſetzen unterworfen ſind, welche durch die Geſtalt derContinental-Maſſen, durch ihre Umriſſe, den Zuſtandihrer Oberfläche, beſonders aber durch ihr Stellungs-und Größen-Verhältniß zu den benachbarten Mee-ren beſtimmt wird. Die relative Lage durchſichtigerund undurchſichtiger, tropfbar flüſſiger oder feſterTheile der Erdoberfläche modificirt die Abſorbtionder, unter gleichen Winkeln einfallenden, Sonnen-ſtrahlen, und mit ihr die Erzeugung der Wärme.Dieſe Umſtände, die winterliche Bedeckung mit Eisund Schnee, welche den Continenten, und nur ei-nem ſehr kleinen Theile der Meere eigen iſt, dieLangſamkeit, mit welcher große Waſſermaſſen ſicherwärmen und erkälten; das Strahlen glatter oder rau-her Oberflächen gegen einen wolkenfreien Himmel;die regelmäßigen Strömungen des Oceans und der At-moſphäre, welche Waſſer und Luft aus verſchiede-nen Breiten und aus verſchiedenen Tiefen und Höhenmit einander miſchen, ſind die Hauptmomente, vondenen die Eigenthümlichkeiten klimatiſcher Verhält-niſſe abhängen. Demnach hat jeder Ort gleichſamein zwiefaches Klima: eines, das von allgemeinen undfernen Urſachen, von der Stellung der Continental-Maſſen und ihrer Geſtaltung abhängt; ein anderes,welches ſpecielle, nahe liegende Verhältniſſe der Lo-calität beſtimmen.
Seitdem man angefangen hat, das Problem dergeographiſchen Wärme-Vertheilung in ſeiner ganzenAllgemeinheit zu faſſen, ſind meteorologiſche Beob- |3|achtungen minder geiſtlos und zweckwidrig angeſtelltworden. Eine kleinere Zahl derſelben führt jetzt zubeſtimmten Reſultaten; und Entdeckungen, welche inden letzten Jahrzehenden in den fernſten Theilen derErde gemacht worden ſind, haben den Geſichtspunktallmälig erweitert. Phyſik und Geognoſie ſind nachund nach gleich wichtige Gegenſtände aller großenLand- und See-Reiſen geworden. Um mit dem äu-ßerſten Norden zu beginnen, erwähne ich hier zuerſteines Mannes, den die gefahrvollen und läſtigen Be-ſchäftigungen ſeines Berufs, des Wallfiſchfanges, nichtabgehalten haben, die feinſten meteorologiſchen undzoologiſchen Beobachtungen anzuſtellen. Herr Sco-resby hat zwiſchen der vulkaniſchen Inſel Jan-Mayen und dem von ihm entdeckten Theile von Oſt- Grönland zuerſt die mittlere Lufttemperatur der Po-lar-Meere beſtimmt. Eine nordweſtliche Durchfahrtſuchend, iſt es der engliſchen Regierung gelungen,der Erdkunde, der Klimatologie und der Kenntnißmagnetiſcher Erſcheinungen Dienſte leiſten zu laſſen,welche urſprünglich dem Handelsverkehr der Völkerverheißen waren. Parry, Sabine und Franklin haben aus mehrjährigen Erfahrungen die Tempera-tur-Verhältniſſe der Luft und des Meeres bis Port-Bowen und Mellville’s Inſel, alſo faſt bis zum 75ſtenBreiten-Grade, mit einer Ausdauer erforſcht, vonder die Geſchichte menſchlicher Anſtrengungen undmuthigen Ankämpfens gegen die Elemente kaum einähnliches Beiſpiel aufweiſen kann. Ein altes Vorur-theil, dem Cook’s großer Name zum Schutze diente,die Meinung, als ſey der Südpol, einer allgemeinverbreiteten Eisdecke wegen, unzugänglicher, als der |4| Nordpol, iſt neuerlichſt durch den Seefahrer Wed-dell zerſtört worden. Die Entdeckung eines neuen Archipelagus, Süd-ſüd-öſtlich vom Feuerlande, hatzu einer Expedition Anlaß gegeben, auf welcher(weit jenſeit zweier von dem ruſſiſchen Kapitain Bil-linghausen aufgefundenen Sporaden) unter dem74ſten Grade der Breite Weddell ein völlig eisfreiesMeer vor ſich ſah. Wenden wir uns zu der gemäßigten Zone, ſofinden wir eine große Zahl von Punkten, wo die bis-her für unveränderlich gehaltene mittlere Temperaturgemeſſen worden iſt. Aſtronomen in Neu-Holland und am Fuße des indiſchen Himalaya, katholiſcheund evangeliſche Miſſionarien in Macao, Van-Die-mens-Land und der Gruppe der Sandwich-Inſeln haben neue Thatſachen geliefert, um die nördlicheund ſüdliche, die öſtliche und weſtliche Hemiſphäre(alſo die waſſer- und länderreichſten Theile der Erde)in der heißen und gemäßigten Zone mit einander zuvergleichen. Eben ſo iſt das Verhältniß der Wärmeunter dem Aequator und den beiden Wendekreiſenbeſtimmt worden. Dieſe numeriſchen Elemente ſindals Fixpunkte beſonders wichtig, weil ſie wie die Zonedes wärmſten Meer-Waſſers (zwiſchen 23° und24°,5 R.) in der Folge der Jahrhunderte dazu dienenkönnen, die viel beſtrittene Temperatur-Veränder-lichkeit unſers Planeten zu prüfen. Ich muß hier erinnern, daß klimatologiſche Be-ſtimmungen in dem ſüdlichſten Theile der gemäßig-ten Zone, zwiſchen den Parallel-Kreiſen von 28° und30°, lange vermißt worden ſind. Dieſe Weltgegendbildet gleichſam ein Mittelglied zwiſchen dem eigent- |5|lichen Palmen-Klima und der Zone, in welcher, nachweſtlichen Sagen, die Menſchheit zuerſt (längs dem Mittelmeere, in Vorder-Aſien und Iran) zu geiſtigerBildung, zu Anmuth der Sitten und ſchaffendemKunſtgefühle erwacht iſt. Niebuhr’s, Nouet’s und Coutel’s Beobachtungen in Aegypten, meinesunglücklichen Freundes Ritchie’s Beobachtungenin der Oase von Murzuk, waren ihrer örtlichen Ver-hältniſſe wegen nur dazu geeignet, mißleitende Reſul-tate zu geben. Das große und klaſſiſche Werk überdie Canariſchen Inſeln, welches wir Hrn. Leopoldv. Buch verdanken, hat auch dieſe Lücke ausgefüllt,ſo wie ſeine Reiſe nach Lappland und nach dem nörd-lichſten Vorgebirge unſers Erdtheils zuerſt die Urſa-chen klar entwickelt hat, welche in der Scandinavi-ſchen Halbinſel, jenſeit des Polarkreiſes, die Strengeder Winterkälte mildern, den Quellen die Tempera-tur erhalten, welche ihnen tiefere Erdſchichten gege-ben haben, und die Gränzen des ewigen Schnees undder verſchiedenen Baumarten, unter Einfluß des Con-tinental- und Küſten-Klimas, ungleich erheben. Folgen wir dem Meeresſtrome, welcher das großeThal des Atlantiſchen Oceans von Oſten gegen We-ſten durchſchneidet, ſo finden wir in der neuen Welt,von dem ruſſiſchen Amerika und den Anſiedelungenkanadiſcher Jäger bis an den Plata-Strom und dasſüdlichſte Chili, in einer Länge von mehr als 1500geographiſchen Meilen, reiche Quellen der Belehrungfaſt unerwartet eröffnet. Es ſind nicht mehr fremdeNaturforſcher, die uns mittheilen, was ſie bei demkurzen Aufenthalte in wald- oder grasreichen Ebe-nen, wie auf dem beeiſeten Rücken der Cordilleren |6| flüchtig erforſcht haben; von der mittleren Tempera-tur einzelner Wochen und Monate braucht man nichtmehr auf die mittlere Temperatur des Jahres zu ſchlie-ßen; überall geht von den Einwohnern ſelbſt gründ-liche und vollſtändige Belehrung aus. Die executive Gewalt der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika läßt ſeit 5 Jahren, zwiſchen dem28ſten und 47ſten Grade der Breite, zwiſchen dem Miſſury und den Alleghanis, zwiſchen dem See Michi-gan und der Küſte von Penſacola , auf einem Flächen-raume von 24000 Quadratmeilen, an ſiebzehn ver-ſchiedenen Punkten, wo militairiſche Beſatzungenſtehen, täglich dreimal meteorologiſche Beobachtun-gen anſtellen, aus denen ſich die mittlere Temperaturder Tage, der Monate und des Jahres ergiebt. DieſeBeobachtungen, von dem General-Staabs-Arzte derArmee, Herrn Lovell, berechnet, ſind in zwei Ab-handlungen auf Koſten der Nord-AmerikaniſchenRegierung herausgegeben, und an alle wiſſenſchaftli-che Inſtitute in Europa vertheilt worden *). Wennnach dieſem ſchönen Beiſpiele, in dem öſtlichen Theileunſeres alten Continents, in dem weitausgedehnten,der halben Mondfläche gleichen Raume zwiſchen der Weichſel und der Lena, in wohl ausgewählten Punk-ten, ähnliche unter ſich vergleichbare Thermometer-Beobachtungen, auf Befehl und Koſten eines mächti-gen Monarchen, gemacht würden: ſo müßte in we-nigen Jahren die ganze Klimatologie eine neue undverbeſſerte Geſtalt gewinnen.
*) Ein Auszug aus dieſer Arbeit, deren Mittheilung ich derGüte des Hrn. v. Humboldt verdanke ſoll den Leſern näch-ſtens überliefert werden. P.
|7| Der Eifer, welcher die Vereinigten Staaten vonNord-Amerika beſeelt, iſt in dem jetzt erſt frei ge-wordenen ſpaniſchen Amerika mit gleicher Lebhaf-tigkeit erwacht. Zeitſchriften, die in Bergſtädten biszu 9000 Fuß Höhe gedruckt werden, geben täglich,in der ungeheuern Ausdehnung von 28° nördlicherbis 40° ſüdlicher Breite, den Stand des Thermome-ters, Barometers und Hygrometers, nach genauen,in Paris und London angefertigten, Inſtrumenten an.So iſt die nun vollendete politiſche Revolution dieſerLänder nicht bloß ihrem eigenen Wohlſtande unddem Erwerbfleiße von Europa erſprießlich gewor-den; ſie wird auch unbezweifelt, je nachdem die Be-völkerung zunimmt, und ſich wiſſenſchaftliche Kul-tur über ſo viele Berggehänge und Hochebenen ver-breitet, zu einer gründlicheren Kenntniß der höhe-ren Schichten der Atmoſphäre führen. Ganze Pro-vinzen erheben ſich dort zu der Höhe des Aetna und Pic’s von Teneriffa, inſelförmig im Luftmeere. Woim alten Continente der reiſende Phyſiker, der ewi-gen Schneegränze nahe, ſein Zelt aufſchlägt, da lie-gen hier volkreiche Städte. So wie Afrika, in neueren Zeiten, für einen anPalmen-Formen armen Welttheil erkannt worden iſt,während es die Alten auf Münzen und Denkmählernals Palmenreich ſymboliſirten; ſo haben auch die letz-ten Entdeckungsreiſen unſern Glauben an eine ſtetsgleichförmige Tropenhitze in den afrikaniſchen Wü-ſten ſonderbar modificirt. Von Murzuk in Fezzan ausreiſend (einer Oase, in der Ritchie und Lyon, wahr-ſcheinlich wegen des in der Luft ſchwebenden wär-meſtrahlenden Sandes, im Schatten, 5—6 Fuß über |8| den Boden, mehrere Sommer-Monate hindurch, das Reaumurſche Thermometer um 5 Uhr Morgenszwiſchen 24° und 26°, Mittags zwiſchen 38° und 43°geſehen haben) ſtarb Dr. Oudney vor Kälte, mittenin Afrika, an der Gränze von Bornu, unter dem 13tenBreiten-Grade, zu Ende Decemb. in einem Lande,das nach Barometer-Meſſungen nicht 1200 Fuß überdem Meeresſpiegel erhaben iſt. Man behauptet, Waſ-ſerſchläuche, welche Oudney’s Caravane trug, ſeyenin derſelben Nacht gefroren geweſen; doch hat mir Clapperton’s Reiſegefährte, Major Denham, denich nach ſeiner Rückkehr vom See Tchad um münd-liche Erläuterungen gebeten, erzählt, daß am Mor-gen, einige Stunden nach dem Tode des Dr. Oud-ney, die Luft-Temperatur nicht unter 7\( \frac{1}{2} \) Grad ge-weſen ſey. In Süd-Amerika, dem Aequator näher,bei Bogota und Quito, habe ich, trotz der großenkälteerzeugenden Wirkung der Strahlung hoher Ebe-nen, Waſſer noch nicht in 8500 und 9000 Fuß Höhemit Eis bedeckt geſehen. In den handſchriftlichenTagebüchern des jungen Beaufort, der vor Kurzemim oberen Senegal ein Opfer ſeines wiſſenſchaftlichenEifers geworden iſt, finde ich, unter 16 Grad Breite,das Thermometer im Schatten, an demſelben Tage,auf 36 Grad in der Mittagsſtunde, und auf 12 Gradam frühen Morgen. So tief ſinkt nie die Luft-Tem-peratur in Amerika in der Ebene unter demſelbennördlichen Parallelkreiſe. Als ich im vorigen Jahreder Akademie einen ausführlichen Bericht über dievortrefflichen Arbeiten von Ehrenberg und Hem-perich vorlegte, habe ich bereits der Kälte erwähnt,welcher dieſe gelehrten Reiſenden in der Wüſte von |9| Dongola, unter 19 Grad Breite, ausgeſetzt waren.Nordwinde gelangten bis in dieſe ſüdliche Tropen-Gegend, und im December ſank das Thermometer bis2°,5 R. über dem Gefrier-Punkte herab, alſo volle 12Grad tiefer, als es, nach ſorgfältig von mir geſammel-ten Erfahrungen, je unter derſelben Breite, in Weſt-indien, beobachtet wurde. Man iſt erſtaunt, nichtetwa am äußerſten Rande der Tropen-Zone, ſondernmitten in derſelben, Afrika, in ſeinen Wüſten, käl-ter als das vegetationsreiche Amerika zu finden. Dieeigentlichen Urſachen dieſes ſonderbaren Erkältungs-Proceſſes (vielleicht Wärmeſtrahlung des Bodensdurch trockne Luft gegen einen wolkenfreien Him-mel, plötzliches Ausdehnen beim Ergießen feuchterLuftſchichten in dieſe trockene Luft, Herabſinken deroberen Theile der Atmoſphäre) ſind bis jetzt nichthinlänglich ergründet worden. Es iſt allgemein bekannt, daß mehr als zwei Dritt-theile unſeres Planeten von einer Waſſerhülle be-deckt werden, die durch Berührung mit der Atmo-ſphäre den wichtigſten Einfluß auf das Klima der Con-tinental-Maſſen ausübt. Waſſer, von den Sonnen-ſtrahlen getroffen, erwärmt ſich nach anderen Geſez-zen, als die feſte Erdrinde. Verſchiebbarkeit derTheilchen, aus denen man ſich das Flüſſige zuſammen-geſetzt vorſtellt, erregen Strömungen und ungleicheVertheilung der Temperatur. Durch Strahlung er-kältet und verdichtet, ſinken die Waſſertheilchen zuBoden. Luftreiſen, Erklimmen von iſolirten Berg-ſpitzen, und in das Meer herabgelaſſene thermoskopi-ſche Apparate haben die Schnelligkeit der Wärme-Abnahme beſtimmt, welche, von unten nach oben in |10| der Atmoſphäre, von oben nach unten in dem Oceanund in Süßwaſſer-Seen, zu verſchiedenen Jahreszei-ten, Statt findet. Geſchöpfe, denen beide Elementezum Aufenthalte dienen, finden daher, auf jeglichemPunkte der Erde, im luftförmigen und im tropfbarenElemente, die heterogenſten Klimate ſchichtenweiſeüber einander gelagert. In der Tiefe des Meeres, un-ter dem Aequator, wie in den Alpen-Seen der gemä-ßigten Zone, herrſcht fortwährend ein beſtimmterKälte-Grad, der, bei welchem das Waſſer ſeinegrößte Dichtigkeit erlangt. Ellis’s, Forster’s und Saussure’s Verſuche ſind jetzt unter allen Zonenund in allen Tiefen wiederholt worden; aber was wirüber die niedrigſte Temperatur der Luft und desMeerwaſſers, wie über die größte Wirkung derWärme-Strahlung, zwiſchen den Wende-Kreiſenwiſſen, dient zum unumſtößlichſten Beweiſe, daß dieKälte, welche dort nahe am Meeresboden herrſcht,von einer Strömung herrührt, die in den Tiefen desOceans ſich von den Polen zu dem Aequator richtet,und die unteren Waſſerſchichten der ſüdlichen Meereerkältet, wie in der Atmoſphäre der obere Luftſtrom,der ſich vom Aequator gegen die Pole ergießt, dieWinter-Kälte der nördlichen Länder mildert. Sandbänke werden, wie der unſterbliche Benja-min Franklin zuerſt gelehrt hat, früher durch dasThermometer, als durch das Senkblei erkannt. Esſind ſubmariniſche Inſel-Theile des Meer-Bodens,welche die elaſtiſchen Kräfte nicht über den Waſſer-ſpiegel erheben konnten. Auf dem Abhange der Un-tiefen, durch Stoß anſteigend, miſchen ſich die un-teren kälteren Waſſerſchichten mit den oberen wär- |11|meren. So verräth dem Schiffer plötzliche Meeres-kälte die nahe Gefahr. Durch ihre Temperatur wir-ken die Untiefen auf die darüber ſtehende Luft, inder ſie Nebel und weitgeſehene Gruppen von Wolkenerzeugen. Als man noch wenig über die Verbreitung derWärme auf dem Erdkörper nachgedacht hatte, glaub-te man das Klima zweier Orte nach den Extremenbeurtheilen zu können, welche die Sommer- undWintertemperaturen erreichen. Dieſe Anſicht derDinge hat ſich noch in der Volksmeinung erhalten;von den Phyſikern iſt ſie längſt als unrichtig aufgege-ben worden; denn wenn auch unbezweifelt die Ex-treme einzelner Tage und Nächte in gewiſſem Ver-hältniſſe zu der mittleren Temperatur des Jahresſtehen, ſo iſt doch (und dieſer Umſtand hat den wich-tigſten Einfluß auf das Gedeihen der Gewächſe undden Geſundheitszuſtand der Menſchen), bei einem unddemſelben Grade mittlerer jährlicher Temperatur, dieVertheilung der Wärme unter die verſchiedenen Jah-reszeiten auffallend verſchieden. Den Typus dieſerVertheilung, nach Maaßgabe der Himmelsſtricheund Höhen, habe ich ſorgfältig zu beſtimmen geſucht.Sollen aber vergleichende Reſultate in Zahlen über-ſichtlich gegeben werden, ſo müſſen ſie die mittlereTemperatur jedes Monats, in der Vorausſetzung einerarithmetiſchen Reihe, aus den zwei Extremen einesjeglichen Tages hergeleitet, enthalten. Dieſe Metho-de befolgte zuerſt Reaumur im Jahre 1735; er ver-glich den Ertrag zweier Kornernten, nicht (wie Her-schel ) mit Zahl und Größe der Sonnenflecke undSonnenfackeln, ſondern mit der Quantität-Wärme, |12| welche die Cerealien während ihrer Vegetationszeitempfangen. Viele Arbeiten ſind in den letzten Jah-ren darauf gerichtet geweſen, die Stunde zu beſtim-men, deren mittlere Temperatur zugleich die des gan-zen Jahres ausdrückt. Ich erwähne hier nur derBeobachtungen, welche auf Hrn. Brewster’s rühm-liche Veranſtaltung in Schottland auf dem Fort Leith angeſtellt worden ſind. Man hat die Nachtwacheneines Militairpoſtens dazu benutzt, ein Thermome-ter, zwei ganze Jahre lang, von Stunde zu Stundebeobachten zu laſſen und aus der Maſſe dieſer Beobach-tungen, die man unter anderen Parallelkreiſen wie-derholen ſollte, iſt berechnet worden, daß in derBreite von Edimburg eine einzige tägliche Beobach-tung, Morgens um 9 Uhr 13 Minuten, Abends um8 Uhr 27 Minuten genügen würde, die mittlere jähr-liche Wärme zu beſtimmen *). Unter den Monatengeben dieſes wichtige Reſultat April und October; esſey denn (und dieſe von Leopold v. Buch zuerſtaufgefundene Thatſache hängt mit merkwürdigen Mo-dificationen der obern Luftſtröme zuſammen), daßdurch örtliche Urſachen, wie auf der Inſel Gran Ca-naria, das Maximum der Wärme verſpätet und inden October verſetzt würde. Wenn ich oft in dieſem Vortrage der, in denbeiden letzten Jahrzehnden ſchnell vermehrten, Zahlmeteorologiſcher Beobachtungen erwähne; ſo will ich
*) Ein Reſultat, welches von dem wahren nicht um \( \frac{1}{2} \) Grad desReaumurſchen Thermometers abweicht, erhält man auchdurch das Mittel aus zwei Stunden gleicher Benennung. Re-ſults of the therm. obſ. made at Leith Fort every hour of theday and night during the years 1824 and 1825 p. 19.
|13| keinesweges darauf hindeuten, als ſey die Vervoll-kommnung der Klimatologie vorzugsweiſe auf eineſolche Vermehrung gegründet. Hier, wie in allenAggregaten empiriſcher Kenntniſſe, die zu früh Wiſ-ſenſchaften genannt worden ſind, kommt es „auf eindenkendes Begreifen der Natur,“ auf eine richtigeAnſicht deſſen an, was aus den wohlgeordneten Ein-zelnheiten gefolgert werden darf. Verſuchen wir nundas Problem der Temperaturvertheilung in ſeinerganzen Allgemeinheit zu faſſen, ſo können wir unsplanetariſche Wärme entweder (wie im gegenwärtigenZuſtande der ſchon oxydirten, erhärteten Erdrinde)als Folge der Stellung gegen einen Wärme erregen-den Centralkörper denken; oder aber (wie im erſtenZuſtande des Zuſammenrinnens aufgelöſeter dunſt-förmiger Stoffe) als Folge von inneren Oxydations-proceſſen, Niederſchlägen, chemiſch veränderten Ca-pacitäten oder electro-magnetiſchen Strömungen.Mannichfaltige geognoſtiſche Phänomene, deren ichbereits in einer anderen Abhandlung gedacht habe,deuten auf eine ſolche Entwickelung innerer, vondem Planeten ſelbſt erregter Wärme hin. Dazu hatder geiſtreiche Aſtronom und Phyſiker, Hr. Arago, neuerlichſt die Zweifel, welche man gegen die,den Bergwerken beider Welttheile eigenthümliche,Wärme erhoben hat, durch neue Verſuche über tieferbohrte Quellwaſſer (ſogenannte arteſiſche Brunnen)auf das Vollkommenſte widerlegt *). Je größer die Tie-fe iſt, aus welcher die Waſſer aufſteigen, deſto wär-mer ſind ſie befunden worden. Hier iſt aller Verdachtvon niederſinkenden, ſich verdichtenden und alſo
*) Dieſe Ann. Bd. 76. S. 452. P.
|14| wärmeentbindenden Luftſchichten entfernt; hierſind Menſchennähe und Wirkung bergmänniſchenGeleuchtes nicht zu fürchten. Die Waſſer bringendie Wärme mit ſich, welche ſie durch lange Berüh-rung mit den Geſteinmaſſen, in verſchiedenen Tiefenerhalten haben.
Dieſe denkwürdigen Beobachtungen lehren, wie,unabhängig von der Schiefe der Ekliptik im frühe-ſten gleichſam jugendlichen Zuſtande der Planeten,Tropentemperatur und Tropenvegetation unter jeg-licher Zone entſtehen und ſo lange fortdauern konn-ten, bis durch Wärmeſtrahlung aus der erhärtetenErdrinde, und durch allmälige Ausfüllung der Gang-klüfte mit heterogenen Geſteinmaſſen, ſich ein Zu-ſtand bildete, in welchem (wie Fourier in einemtiefſinnigen mathematiſchen Werke gezeigt hat) dieWärme der Oberfläche und des Luftkreiſes nur vonder Stellung des Planeten gegen einen Centralkörper,die Sonne, abhängt. Wir überlaſſen es gern anderenPhyſikern zu entſcheiden, wie tief unter der oxydir-ten und erhärteten Erdrinde die geſchmolzenen, flüſ-ſigen Maſſen liegen, welche ſich in die Oeffnungennoch jetzt thätiger Vulkane ergießen, die Continenteund den Meeresboden periodiſch erſchüttern unddurch Klüfte in Granit und porphyrartigem Geſteineheiße Mineralquellen emportreiben. Die Tiefe unſe-rer Bergwerke iſt zu gering, um aus der ungleichenWärmezunahme, welche man bisher darin beobach-tet hat, ein Problem befriedigend in Zahlen aufzulö-ſen, welches die Neugier der gleichſam auf einem Fel-ſengewölbe wohnenden Menſchen beſchäftigt. Hiergenügt es, daran zu erinnern, wie die neueren Anſich- |15|ten der Phyſiker und Geognoſten, und zwar derbeobachtenden, nicht leer-hypotheſirenden Geogno-ſten, den alten Mythus vom Pyrophlegeton und von Hephäſtos allverbreiteter Werkſtätte ins Leben zu-rückgerufen haben. Wird ein planetariſcher Weltkörper von elaſti-ſchen Luftſchichten umfloſſen, und iſt die alterndeoxydirte Erdrinde mit faſt überall geſchloſſenen oderausgefüllten Klüften, durch lange Ausſtrahlung derWärme, in den Zuſtand des Gleichgewichts zwiſchendem Empfangen und Verlieren, dergeſtalt gelangt,daß ſeine äußere Temperatur und die Verſchieden-heit der Klimate nur von der Stellung gegen die Son-ne, gegen einen größeren in permanentem Licht-proceß begriffenen Centralkörper, herrühren; ſokann man in größter Allgemeinheit des Problems dieTemperatur eines jeden Ortes als allein abhängig vonder Art betrachten, wie ſich der Einfluß der Mittags-höhe der Sonne äußert. Dieſe Höhe beſtimmt zu-gleich die Größe der halben Tagbögen; die Dicke derLuftschichten, welche von den Sonnenſtrahlen durch-ſtrichen werden, ehe ſie den Horizont erreichen; dieMenge der abſorbirten oder erwärmenden Strahlen(eine Quantität, welche mit der Größe des Einfall-winkels raſch zunimmt); endlich die Zahl der Son-nenſtrahlen, welche, mathematiſch betrachtet, ein ge-gebener Horizont empfängt. Die Wärmeerzeugungkann demnach, wo es auf ein Mehreres oder Minde-res ankommt, als von der erleuchteten Erdfläche aus-gehend betrachtet werden. Die Abſorption, welchedie Sonnenſtrahlen bei ihrem Durchgange durch denLuftkreis erleiden, oder (anders zu reden) die Wärme- |16|erzeugung durch Lichtſchwächung iſt überaus gering,doch bemerkbar auf dem Ocean, wo ich in großerEntfernung von den Küſten, ſelbſt dann, wenn dasWaſſer kälter als die Atmoſphäre war, die Tempera-tur der letzteren, zur Mittagszeit, mit der Sonnen-höhe habe zunehmen ſehen *). Neuere Unterſuchungen **) haben gezeigt, daßes in beiden Welttheilen unter dem Aequator, deſſenmittlere Lufttemperatur ſich auf 22°,2 Reaumur er-hebt, nicht merklich heißer iſt, als in 10 Grad nörd-licher und ſüdlicher Breite. Nach dem Commentardes Geminus zu dem aſtronomiſchen Gedichte des Aratus ***) glaubten einige griechiſche Phyſiker, dieTemperatur der Wendekreiſe übertreffe ſogar die desAequators. Arago hat mit großem Scharfſinnedurch zahlreiche optiſche Verſuche dargethan, daßvon der ſenkrechten Incidenz an, bis zu einem Zenit-abſtande von 20 Graden, die Menge des zurückgewor-fenen Lichtes (und von dieſer Menge hängt die min-dere Erwärmung des erleuchteten Körpers ab) faſtdieſelbe bleibt. Wenn ich die mittleren jährlichenTemperaturen mit einander vergleiche, ſo finde ich,daß, im weſtlichen Theile des alten Continents, die
*) Hr. Arago hat mich zuerſt auf dieſe merkwürdige Wir-kung der Lichtabſorbtion im Luftkreiſe aufmerkſam gemacht. Con. des tems pour 1828. p. 225. **) Vergl. mein Eſſai politique ſur l’Ile de Cuba 1826. T. II. p. 79—92, wo ich die von Hrn. Atkinson ( Mem. of theAſtron. Soc. Vol. II. p. 137—138.) erregten Zweifel beſeitigtzu haben glaube. (Man ſehe auch dieſe Ann. Bd. 84. S. 165. P. ) ***) Isig. in Aratum cap. 13. Strabo Geogr. lib. II. p. 97.
|17| Temperaturen von Süden gegen Norden abnehmen:von 20 bis 30 Grad Breite um 3°,2 Reaumur; von 30bis 40 Grad Breite um 3°,6; von 40 bis 50 Grad Breiteum 5°,7; von 50 bis 60 Grad Breite *) wiederum nurum 4°,4. In beiden Continenten iſt die Region, wodie Wärmeabnahme am ſchnellſten iſt, zwiſchen dem40ſten und 45ſten Grade der Breite zu ſuchen. Indieſem Reſultate ſtimmt die Beobachtung auf einemerkwürdige Weiſe mit der Theorie zuſammen;denn die Variation des Quadrats des Coſinus, welchesdas Geſetz der mittleren Temperatur ausdrückt, iſtdie größtmögliche bei 45 Grad Breite. Dieſer Um-ſtand hat, wie ich ſchon an einem andern Orte er-innert habe, wohlthätig auf den Kulturzuſtand derVölker gewirkt, welche jene milden, von dem mitt-leren Parallelkreiſe durchſchnittenen Gegendenbewohnen. Dort grenzt das Gebiet des Weinbauesan das Gebiet der Oelbäume und der Orangen. Nir-gend anders auf dem Erdboden ſieht man (von Nordengegen Süden fortſchreitend) die Wärme ſchneller mitder geographiſchen Breite zunehmen; nirgend andersfolgen ſchneller auf einander die verſchiedenartigſtenvegetabiliſchen Producte, als Gegenſtände des Garten-und Ackerbaues. Dieſe Heterogeneität belebt die In-duſtrie und den Handelsverkehr der Völker.

*) Im öſtlichen Theile des Neuen Continents ſind die Abnah-men der mittleren Temperaturvon 20° bis 30° ....... 5° Reaumur.30° 40° ....... 5°,740° 50° ....... 7°,250° 60° ....... 5°,8
|18| Es iſt hier der Ort, zu erinnern, daß partielletägliche und monatliche Temperaturveränderungen,bei der Beweglichkeit des Luftkreiſes, durch Herbei-führung kalter oder warmer Luftſchichten, durch diemehr oder minder elektriſche Spannung, durch dieWolkenbildung oder Dunſtzerſtreuung, kurz durcheine faſt unabſehbare Menge variabler Urſachen, diein der Nähe und Ferne wirken, beſtimmt werden.Leider hat das Studium der Meteorologie in einerZone beginnen müſſen, wo die Verwickelung der Ur-ſachen, wo Zahl und Intenſität perturbirender Kräfteam größten ſind. Wenn je die freiere Kultur desmenſchlichen Geiſtes, wie man es gegenwärtig erwar-ten darf, einen ihrer Hauptſitze unter den Wende-kreiſen aufſchlägt; ſo iſt vorauszuſetzen, daß mandort, bei dem einfachen Gange der Erſcheinungen,deutlich erkennen werde, was hier, im Spiel gleich-zeitig wirkender, ſtreitender Kräfte, lange verborgengeblieben iſt. Von dem Einfachen iſt es leicht zu demZuſammengeſetzten überzugehen, und eine wiſſen-ſchaftliche Meteorologie kann man ſich als von denTropen nach dem Norden zurückkehrend denken.Unter dem Palmenklima führt ein ſchwacher Oſtwindimmerdar gleich erwärmte Luftſchichten herbei. DasBarometer zeigt, wie der Gang der Magnetnadel, dieStunde des Tages an. Erderſchütterungen, Stürmeund Donnerwetter ſtören die kleine, aber periodiſcheEbbe und Fluth des Luftmeeres nicht. Die verän-derte Abweichung der Sonne und die dadurch inihrer Stärke modificirten obern Luftſtröme vom Ae-quator gegen die Pole beſtimmen den Anfang derRegenzeit und der elektriſchen Exploſionen, welche |19| beide zu regelmäßigen Epochen eintreten. Nach derRichtung des Wolkenzuges kann der Reiſende ſichfaſt wie nach der Magnetnadel orientiren; und inder trockenen Jahreszeit würde in vielen Gegendender Tropenwelt die Erſcheinung eines Gewölks amdunkelblauen Himmel die Bewohner eben ſo in Er-ſtaunen ſetzen, als uns der Fall eines Aërolithen,oder des rothen Polarſchnees, als den Peruaner dasKrachen des Donners, oder als alle Bewohner tropi-ſcher Ebenen ein Hagelwetter. Dieſe Einfachheitund Regelmäßigkeit meteorologiſcher Erſcheinungenläßt eine leichtere und glücklichere Einſicht in ihrenCausalzuſammenhang erwarten. So lange Beobachtungen über magnetiſche Incli-nation, Declination und Intenſität der Kräfte in denReiſeberichten zerſtreut lagen, und man dieſelben nochnicht durch magnetiſche Linien vereinigt hatte,konnte die Lehre von der Vertheilung des Erdmagne-tismus keine bedeutende Fortſchritte machen. Aufdieſe Analogie geſtützt, hat man angefangen, durchſorgfältige Benutzung vereinzelter Thatſachen, dieverwickelte Lehre von der Verbreitung der Wärmezu vereinfachen. Orte, die eine gleiche mittlereWärme des Jahres, des Sommers oder des Wintershaben, ſind durch Curven miteinander verbundenworden. So iſt das von mir im Jahre 1817 entwickel-te Syſtem iſothermer Linien *) entſtanden, welchedie Parallelkreiſe unter anderen Winkeln als die iſo-chimenen und iſothermen Linien durchkreuzen. Sie
*) De la diſtribution de la chaleur ſur le globe in Mem. de laSoc. d’Arcueil T. III.
|20| ſteigen gegen den Aequator herab, weil man imöſtlichen Aſien und im öſtlichen Theile von Nord-amerika, auf gleichen Höhen über dem Meeresſpie-gel, in einer ſüdlicheren Breite die Temperatur ſu-chen muß, welche in unſerem mittleren Europa weiter gegen Norden hinauf gefunden wird. Dermerkwürdige Umſtand, daß die höchſte Kultur desVölkerſtammes, zu dem wir gehören, ſich unter faſtgleichen Breiten in der gemäßigten Zone an zwei ent-gegengeſetzten Küſten, der öſtlichen des neuen Con-tinents und der weſtlichen des alten, angeſiedelt hat,mußte auf die Ungleichheit der Wärme unter den-ſelben Parallelkreiſen früh aufmerkſam machen. Manfragte, um wie viel Thermometergrade der alte Con-tinent wärmer, als der neue ſey, und erkannte erſtſpät, daß die iſothermen Linien von der Breite von Florida bis zu der von Labrador hin nicht mit einan-der parallel laufen, daß die öſtlichen und weſtlichenKüſten von Nordamerika faſt ſo verſchieden, als dievon Weſteuropa und Oſtaſien ſind. Geſtalt und Glie-derung der Continentalmaſſen und ihr Verhältniß zuden nahen Meeren beſtimmen vorzüglich die In-flexion der iſothermen Linien, die Richtung dergleich warmen Zonen, in welche man ſich den ganzenErdball getheilt vorſtellen kann. Das Vorherrſchender Weſtwinde in den gemäßigten und kalten Him-melsſtrichen begründet den Unterſchied der Klimatean den Oſt- und Weſtküſten ein und deſſelben Conti-nents. Die weſtlichen Winde, welche man als Ge-genwirkungen der tropiſchen Paſſatwinde betrachtet,gelangen zu einer öſtlichen Küſte, wenn ſie im Win-ter den vorliegenden, mit Schnee und Eis bedeckten |21| Continent bereits durchſtrichen haben; dagegen füh-ren zu weſtlichen Küſten (in Europa, wie in Neu-californien und Nootka) weſtliche Winde Luftſchich-ten herbei, die ſich im ſtrengſten Winter in Berüh-rung mit der großen oceaniſchen Waſſerfläche er-wärmt haben. Nach dieſen Ideen habe ich die ge-nauere Kenntniß der niedrigſten Temperatur, zuwelcher das atlantiſche Meer außerhalb dem Golfſtro-me, zwiſchen dem 40ſten und 50ſten Grade der Breite,(alſo in den Breiten von Spanien, Frankreich und Deutſchland) herabſinkt, einer beſonderen Unterſu-chung werth gehalten. Ich habe gefunden, daß imMonate Januar das Meerwaſſer in 40° Breite nicht un-ter 10°,7; in 45° Breite nicht unter 9°,8 herabſinkt.Der allgemein verehrte Geograph von Oſtindien, Ma-jor Rennell, der ſich ſeit dreißig Jahren mit derRichtung der Strömungen im atlantiſchen Ocean be-ſchäftigt und mir bei meinem neueſten Aufenthalte in England einen Theil ſeiner handſchriftlichen Materia-lien mitgetheilt hat, findet für 50 Grad Breite, alſoin der Zone des nördlichen Deutſchlands, eine Win-tertemperatur des Meerwaſſers, welche die Luftſchich-ten ſelbſt in dem glücklichen Klima von Marſeille imJanuar nicht erreichen. Wenn die relative Ausdeh-nung von Aſien und Nordamerika, von der Südſee und dem nördlichen atlantiſchen Ocean anders wäre,als ſie jetzt iſt, ſo würde, durch ungleiche Erwär-mung der feſten und flüſſigen Theile der Erdober-fläche, das ganze Syſtem der Winde in der nörd-lichen Hemiſphäre, ſowohl ihrer Richtung, als ihrerStärke nach, verändert werden.
|22| Unſer Europa verdankt ein milderes Klima ſei-ner Erdſtellung (ſeinem Poſitionsverhältniſſe gegen dasnahe Meer) und ſeiner gegliederten Geſtaltung. Eu-ropa iſt der weſtliche Theil des alten Continents undhat alſo den großen, ſchon an ſich kälteminderndenund dazu noch vom Golfſtrome theilweiſe erwärmten atlantiſchen Ocean in Weſten. Zwiſchen den Meri-dianen, in denen Europa ſich hinſtreckt, fällt dieAequatorialzone nicht in das Becken des Oceans, wieſüdlich von dem eben deshalb kälteren Aſien. DerWelttheil, der unter allen den größten Theil destropiſchen Klima’s genießt, das ſandbedeckte Afrika,iſt ſo gelegen, daß Europa von den Luftſchichten er-wärmt wird, welche, über Afrika aufſteigend, ſich vondem Aequator gegen den Nordpol ergießen. Ohnedie Exiſtenz des mittelländiſchen Meeres würde derEinfluß des nahen Afrika’s auf Temperatur und geo-graphiſche Verbreitung von Pflanzen und Thierennoch wirkſamer ſeyn. Der dritte Hauptgrund desmilderen Klima’s von Europa liegt darin, daß dieſerWelttheil ſich weniger weit gegen den Nordpol er-ſtreckt als Amerika und Aſien, ja daß er dem größ-ten Buſen eisfreien Meerwaſſers gegenüberliegt, denman in der ganzen Polarzone kennt. Die kälteſtenPunkte der Erde, neuerlichſt uneigentlich Kältepolegenannt, fallen nicht wie der ſonſt ſo ſcharfſinnige Brewster in der engliſchen Bearbeitung meinerAbhandlung von den iſothermen Linien zu beweiſengeſucht hat, mit den magnetiſchen Polen zuſammen.Das Minimum der mittleren jährlichen Temperaturder Erdoberfläche liegt, nach Capitain Sabine’s Un-terſuchungen, im Nordweſten von Melville’s-Inſeln, |23| im Meridian der Behrings-Straße, wahrſcheinlichin 82 bis 83 Grad Breite. Die Sommergrenze des Ei-ſes, welche zwiſchen Spitzbergen und Oſtgrönland ſich bis zum 80ſten und 81ſten Grade zurückzieht,findet ſich überall zwiſchen Nova-Zembla, den Kno-chen-Inſeln von Neu-Sibirien und dem weſtlichſten amerikaniſchen Eiscap, ſchon im 75ſten Grade derBreite. Selbſt die Wintergrenze des Eiſes, die Linie,auf welcher die Eisdecke ſich unſerm Welttheile ammeiſten nähert, umgiebt kaum die Bären-Inſel. Vom ſcandinaviſchen Nordcap, welches ein ſüdweſtlicherMeeresſtrom erwärmt, iſt die Fahrt zum ſüdlichſtenVorgebirge von Spitzbergen ſelbſt im ſtrengſten Win-ter nicht unterbrochen. Das Polareis vermindert ſichüberall, wo es frei abfließen kann, wie in der Baffins-Bay und zwiſchen Island und Spitzbergen. Die Lagedes atlantiſchen Oceans hat den wohlthätigſten Einflußauf die Exiſtenz jenes, für das Klima von Nord-Eu-ropa ſo wichtigen, Eis-freien Meerwaſſers in demMeridian von Oſtgrönland und Spitzbergen. Dagegen häufen ſich im Sommer die, aus der Baffins-Bay und Barrows-Straße ſüdlich getriebenenEisberge in dem großen Mittelmeere an, welches dieGeographen mit dem Namen der Hudſons-Bay bezeich-nen. Dieſe Anhäufung vermehrt ſo ſehr die Kälte indem benachbarten Continent, daß man in der Facto-rei York und bei der Mündung des Hayes-Fluſſes,nach Capitain Franklin’s neueſten handſchriftli-chen Berichten, in einer Breite mit Nord-Preußen und Curland, am Ende des Auguſts und im Anfangedes Septembers, beim Brunnengraben, in 4 Fuß Tie-fe, überall Eis findet. Die nördlichſten und ſüdlich- |24|ſten Grenzen des feſten Polareiſes, das heißt die Som-mer- und Wintergrenzen, von deren Lage die Tem-peratur der nördlichen Continentalmaſſen abhängt,ſcheint in den hiſtoriſchen Zeiten, wie gründlichereUnterſuchungen endlich gelehrt haben, wenig ver-ändert worden zu ſeyn. Der ſchädliche Einfluß,welchen kleine, iſolirte, durch Strömungen zuwei-len bis in die Nähe der Azoren getriebene, Eismaſſenauf das Klima von Europa ausüben ſollen, gehört zuden Mythen, die von den Phyſikern ausgehen undſich unter dem Volke verbreiten, wenn die Phyſikerlängſt aufgehört haben, ihnen Glauben beizumeſſen. Finden ſich unter denſelben Breiten-Graden, woin dem nördlichen Europa noch Garten- und Acker-bau getrieben werden, in Nordamerika und Nord-aſien nur ſumpfige, moosbedeckte Länder, ſo äußertdagegen die kräftige Wärmeſtrahlung von Inner-Aſien,zwiſchen den faſt parallelen Bergketten des Himalaya,des Zungling und des Himmelsgebirges (eine Gegend,über welche Klaproth’s geographiſche Unterſu-chungen viel Licht verbreiten) den glücklichſten Ein-fluß auf die aſiatiſche Bevölkerung. Die ewigeSchneegrenze liegt am nördlichen Abhange des Hi-malaya 4000 Fuß höher als am ſüdlichen Abhange,und die phyſikaliſche Erklärung, welche ich von die-ſer ſonderbaren Erſcheinung gegeben *), iſt durchneue Meſſungen und Beobachtungen in Oſtindien,nach Hrn. Colebrooke’s Berichte, beſtätigt worden.Millionen von Menſchen thibetaniſcher Abkunft und
*) Annales de Chimie et de Physique T. III. p. 297. T. IX. p. 310. T. XIV. p. 5.
|25| düſterer, religiöſer Gemüthsſtimmung bewohnenvolkreiche Städte, da, wo, bei einer minderen Aus-dehnung und minderen Continuität der Hochebenen,Felder und Städte, das ganze Jahr hindurch, in tie-fem Schnee vergraben ſeyn würden.
Wie die Strömungen des Luftmeeres durch dieveränderliche Abweichung der Sonne und durch dieRichtung der Bergketten, an deren Abhange ſie her-abgleiten, vielfach modificirt werden, ſo führen auchdie Strömungen des tropfbaren Oceans die wärmerenWaſſer niedriger Breitengrade in die temperirte Zone.Ich brauche nicht in Erinnerung zu bringen, wie dievon den Paſſatwinden immer gleichförmig bewegtenWaſſer des atlantiſchen Oceans, gegen den vorſtehen-den Damm der Landenge von Nicaragua getrieben,ſich nordwärts wenden, in den Golf von Mexiko wir-belnd umhertreiben, durch den Kanal von Bahama ausfließen, ſich als ein Strom warmen Waſſers erſtnordöſtlich gegen die Bank von Neu-Foundland,dann ſüdöſtlich gegen die Gruppe der Azoren hinbewegen, und, wenn ſie vom Nordweſtwinde begün-ſtigt werden, Palmenfrüchte der Antillen, mit fran-zöſiſchen Weinen gefüllte Fäſſer aus verunglücktenSchiffen, ja ſelbſt lebendige Esquimaux aus Oſt-Grönland mit ihren ledernen Böten nach Irland odernach den Hebriden, oder nach den Küſten von Nor-wegen führen. Der vielgereiſte Aſtronom Herr Sa-bine, der, vor Kurzem aus den Polarländern zurück-kehrend, Pendelverſuche im Golf von Guinea, aufder afrikaniſchen Inſel St. Thomas, anſtellte, hat mirerzählt, wie Fäſſer von Palmenöl, die bei dem CapLopez, etwas ſüdlich vom Aequator, durch Schiff- |26|bruch verloren gingen, erſt von dem Aequatorial-,und dann vom Golfſtrome getrieben, den atlantiſchenOcean zweimal, von Oſten gegen Weſten und vonWeſten gegen Oſten, in 3 und 50 Grad nördlicherBreite, durchſchnitten haben und an den ſchotti-ſchen Küſten glücklich angelangt ſind. Das wohler-haltene Zeichen des afrikaniſchen Eigenthümers ließkeinen Zweifel über die Richtung, welche die Fäſſergenommen hatten. Wie hier Aequatorial-Waſſer im atlantiſchenOcean durch den Golfſtrom nördlich geführt werden,ſo habe ich in dem ſtillen Meere, und zwar in derſüdlichen Hemiſphäre, einen Strom erkannt, derlängs dem Littoral von Chili und Peru kälteres Waſ-ſer hoher Breiten unter die Wendekreiſe führt. Indieſem Strome habe ich das Reaumurſche Thermo-meter, im Hafen bei Truxillo, im September bis12°,8; im Hafen von Callao bei Lima zu Ende No-vembers bis 12°,4 ſinken ſehen. Ein junger überauskenntnißvoller däniſcher Seeofficier, der Baron Dir-ckinck v. Holmfeldt, hat auf meine Bitte dieſesſonderbare, ſo lange Zeit unbeobachtete Phänomenim Jahre 1825 zu verſchiedenen Jahreszeiten vonNeuem unterſucht. Er fand mit Reaumurſchen Ther-mometern, welche Hr. Gay-Lussac und ich ſorg-fältig verglichen hatten, bei dem Hafen Callao dasMeerwaſſer im Auguſt wiederum 12°,6; im März15°,7; während daß, außerhalb der Meeresſtrömungbei dem Vorgebirge Pariña, das ruhige Meer wie ge-wöhnlich unter ſolchen Breiten die große Wärmevon 21 bis 22 Grad zeigte. Es iſt hier nicht der Ort,zu entwickeln, wie dieſer Strom kälteren Waſſers, |27| welcher die ſüdliche Schiffahrt von Guayaquill nach Peru und von Peru nach Chili erſchwert, in einigenMonaten von der Garua, das heißt, von den Dünſten,welche die Sonnenſcheibe fortwährend verſchleiern,in ſeiner Temperatur modificirt wird, und wie er dasKlima der Peruaniſchen Ebenen erkältet. So wie jedes Beſtreben des Menſchen nach einemwiſſenſchaftlichen Begreifen von Naturerſcheinungenſein höchſtes Ziel nur in dem klaren Erkennen unſe-rer eigenen Natur erreicht; ſo führt auch die Unter-ſuchung, deren Hauptmomente uns hier beſchäftigthaben, zuletzt auf die Art, wie klimatiſche Verhält-niſſe ſich in dem Charakter, dem Kulturzuſtande,vielleicht ſelbſt in der Sprachentwickelung einzelnerVölkerſtämme, offenbaren. Hier iſt der Punkt, wodie große Lehre von der Vertheilung der Wärmeüber den Erdkörper ſich an die Geſchichte derMenſchheit anknüpft, und wo eben deshalb dasProblem außerhalb des Gebietes einer rein phyſikali-ſchen Empirie fällt.