Amerika und Europa. Nach Alex. v. Humboldt. Das Feſtland von Amerika findet ſich gegenwärtig unter drei Völker europäiſchen Urſprungs vertheilt, wovon das eine und mächtigſte germaniſchen Stammes, die beiden andern aber durch Sprache, Literatur und Sitte dem romaniſchen Europa angehören. Die am meiſten gegen Weſten liegenden Theile der alten Welt, die iberiſche Halbinſel und Großbritannien, ſind auch diejenigen, deren Kolonien ſich am weiteſten in der neuen Welt ausgedehnt haben; aber eine Küſtenſtrecke von viertauſend Meilen, allein bewohnt von den Abkömmlingen der Spanier und Portugieſen, beweiſt das Uebergewicht, welches im 15. und 16. Jahrhundert die Völker der Halbinſel über alle andern ſeefahrenden Nationen erlangt hatten. Ihre von Californien bis zum Rio de la Plata, auf dem Rücken der Cordilleras und in den Wäldern des Amazonenſtroms verbreiteten Sprachen ſind die, alle politiſchen Revolutionen überdauernden, Denkmale ihres Nationalruhms. In dieſem Augenblicke bilden die Einwohner des ſpaniſchen Amerika’s eine zweimal größere Bevölkerung, als die des engliſchen Stammes. Die franzöſiſchen, holländiſchen und däniſchen transatlantiſchen Beſitzungen ſind von geringer Ausdehnung; um aber das Rundgemälde der Völker, die auf das Schickſal Amerika’s Einfluß üben, zu vollenden, dürfen wir weder die Koloniſten ſlaviſchen Urſprungs vergeſſen, welche ſich von der Halbinſel Alaska bis nach Californien anzuſiedeln verſuchten, noch jene freien Neger Haity’s, durch welche die im J. 1545 gemachte Prophezeiung des italieniſchen Reiſenden Benzoni erfüllt iſt. Die Stellung dieſer Afrikaner auf einer Inſel, zwei ein halb mal ſo groß als Sicilien, mitten in dem Meere der Antillen, vermehrt noch ihre politiſche Wichtigkeit. Alle Freunde der Menſchheit theilen die Wünſche für die Entwickelung einer Civiliſation, welche, nach ſo vielen Scenen des entfeſſelten Grimmes und des Mords, unerwartet ſchnell vorwärts ſchreitet. Das ruſſiſche Amerika gleicht bis jetzt weniger einer ackerbauenden Kolonie, als jenen Factoreien, welche die Europäer, zum Unglück der Eingebornen, an den Küſten Afrika’s gegründet haben. Es ſind nur Militairpoſten und Stationen für Fiſcher und ſibiriſche Jäger. Gewiß iſt es eine intereſſante Erſcheinung, den Ritus der griechiſchen Kirche in einem Theile Amerika’s gegründet, und zwei, den äußerſten Oſten und den äußerſten Weſten bewohnende Nationen als Grenz- Nachbarn auf einem Kontinente zu erblicken, zu dem ſie auf entgegengeſetzten Wegen gelangten. Indeſſen bildet der beinahe völlig wilde Zuſtand der unbevölkerten Küſten von Ochotſk und Kamtſchatka, der Mangel an Zufuhren von den Häfen Aſiens, ſo wie das bis jetzt in dieſen ſlaviſchen Kolonien angenommene Verwaltungsſyſtem, Hinderniſſe, wodurch dieſelben noch lange werden in der Kindheit gehalten werden. Aus Allem dieſen ergibt ſich, daß wenn man, in der politiſchen Oekonomie, gewöhnt iſt, nur die Maſſen im Ganzen in Vetrachtung zu ziehen, das amerikaniſche Feſtland eigentlich nur unter drei großen Nationen, von engliſchem, ſpaniſchem und portugieſiſchem Stamme, vertheilt iſt. Die erſte dieſer drei Nationen, die engliſch-amerikaniſche, iſt zugleich diejenige, welche, uach den Engländern Europa’s, mit ihrer Flagge den ausgebreitetſten Umfang des Meeres bedeckt. Ohne fernliegende Kolonien, hat ihr Handel eine Ausdehnung erhalten, wie kein Volk der alten Welt ſie erreichen konnte, außer eben das, welches dem Norden Amerika’s ſeine Sprache, den Ruhm ſeiner Literatur, ſeinen Trieb zur Thätigkeit, ſeine Liebe für Freiheit und einen großen Theil ſeiner bürgerlichen Inſtitutionen mitgetheilt hat. Die engliſchen und portugieſiſchen Anſiedler bevölkerten bloß die Europa gegenüber liegenden Küſtenländer; die Spanier hingegen überſchritten gleich beim Beginn ihrer Eroberungen die Kette der Anden, und verbreiteten ihre Niederlaſſungen bis an die fernſten Geſtade der Weſtküſte. Nur hier, in Mexiko, Cudinamarca, Quito und Peru fanden ſie die Spuren einer alten Civiliſation, ackerbauende Völker, blühende Reiche. Dieſer Umſtand, die Zunahme einer eingebornen Gebirgsbevölkerung, der faſt ausſchließ= liche Beſitz großen Metallreichthums, ſo wie die ſeit dem Anfang des 16. Jahrhunderts mit dem indiſchen Archipelagus angeknüpften Handelsverbindungen gaben den ſpaniſchen Beſitzungen der amerikaniſchen Aequinoktialländer einen ihnen ganz eigenthümlichen Charakter. In den Ländern des Oſtens , welche in die Gewalt der Engländer und Portugieſen fielen, beſtanden die Eingebornen aus herumſtreifenden Jägerſtämmen. Weit entfernt, einen Theil der ackerbauenden und arbeitſamen Bevölkerung zu bilden, wie auf dem Plateau von Anahuac, in Guatimala und Oberperu, zogen ſie ſich vielmehr bei der Annäherung der Weißen ſtets weiter zurück. So geſchah es denn, daß das Bedürfniß arbeitender Hände, der vermehrte Anbau des Zuckerrohrs, des Indigo’s und der Baumwolle, und endlich die Habgier, welche ſo oft die Induſtrie begleitet und entwürdigt, hier jenen ſchändlichen Negerhandel herbeiführten, der für beide Welten gleich traurige Früchte trug. Glücklicher Weiſe iſt dagegen anf dem ſpaniſch-amerikaniſchen Feſtlande die Zahl der Negerſklaven ſo unbedeutend, daß ſie im Vergleich mit der Sklavenbevölkerung Braſiliens oder des ſüdlichen Theiles der Vereinigten Staaten ſich nur wie 1 zu 5 verhält. Die ſämmtlichen ſpaniſchen Kolonien, Cuba und Portorico mit eingeſchloſſen, haben, auf einer Flächenausdehnung welche die von Europa wenigſtens um ein Fünftheil überſteigt, nicht ſo viel Neger als der einzige nordamerikaniſche Staat Virginien. Die ſpaniſchen Amerikaner in der Union von Neu-Spanien und Guatimala bieten, unter der heißen Zone, das einzige Beiſpiel einer Nation dar, von acht Millionen Einwohnern, welche nach europäiſchen Geſetzen und Inſtitutionen regiert werden, Zucker, Cacao und Wein bauen, und den- noch faſt gar keinen dem afrikaniſchen Boden entriſſenen Sklaven haben. Die Bevölkerung der neuen Welt iſt gegenwärtig nur um etwas weniges größer, als die von Frankreich oder Deutſchland. Sie verdoppelt ſich in den Vereinigten Staaten in 23 oder 25 Jahren. In Mexiko verdoppelte ſie ſich, ſelbſt unter der Herrſchaft des Mutterlandes, in 40 oder 45 Jahren. Ohne ſich übertriebenen Hoffnungen über die Zukunft hinzugeben, kann man daher rechnen, daß in weniger als anderthalb Jahrhunderten die Bevölkerung Amerika’s der von Europa gleich kommen wird. Der edle Wettſtreit der Civiliſation, der Induſtrie und des Handels wird, ſtatt den alten Kontinent arm zu machen, wie man ſo oft zu prophezeien ſich gefällt, vielmehr, auf Koſten des neuen, den Verbrauch der Lebensbedürfniſſe, die Maſſe der produktiven Arbeit und das rege Leben des gegenſeitigen Austauſches befördern. Freilich muß nach den großen Revolutionen, welche die Verfaſſungen der Staaten erlitten haben, der öffentliche Wohlſtand, das gemeinſame Erbtheil der Civiliſation, unter den Völkern der beiden Welten verſchieden vertheilt ſich finden; aber allmählig ſtellt ſich das Gleichgewicht wieder her, und es iſt ein trauriges, ich möchte faſt ſagen gottloſes, Vorurtheil, wenn man das wachſende Glück irgend eines andern Theiles unſers Planeten als ein Unglück für das alte Europa betrachtet. Die Unabhängigkeit der Kolonien wird ſie nicht von uns abſondern; ſie wird ſie vielmehr den längſt gebildeten Völkern näher bringen. Der Handel wird vereinen, was eine eiferſüchtige Politik ſo lange getrennt hatte. Außerdem liegt es in der Natur der Civiliſation, daß ſie vorwärts ſchreiten kann, ohne deßhalb nothwendig da, wo ſie entſtand, zu verſchwinden. Ihr fortſchreitender Gang von Oſten nach Weſten, von Aſien nach Europa, beweiſt nichts gegen dieſen Grundſatz. Ein helles Licht behält ſeinen Glanz, ſelbſt wenn es einen größeren Kreis beleuchtet. Die geiſtige Bildung theilt ſich ſtets auf vielfachern und nähern Wegen mit; ſie breitet ſich aus, ohne die Stelle zu wechſeln. Ihre Bewegung iſt keine Wanderung. Wenn letzteres uns im Oriente der Fall zu ſeyn ſchien: ſo geſchah dieß, weil barbariſche Horden ſich Aegyptens, Kleinaſiens, und jenes jetzt entfeſſelten Griechenlands, der Wiege der Civiliſation unſerer Väter, bemächtigt hatten. Die Abſtumpfung der Völker iſt die Folge der Unterdrückung, welche entweder innerer Deſpotismus oder ein fremder Eroberer ausübt; ſtets iſt ſie von zunehmender Verarmung begleitet. Freie, kräftige Inſtitutionen, im Intereſſe Aller gegründet entfernen dieſe Gefahren; und die wachſende Civiliſation der Welt, die Konkurrenz der Thätigkeit und des Austauſches, kann den Staaten nicht gefährlich werden, deren Wohlſtand aus natürlichen Quellen fließt. Das produktive und handelnde Europa wird bei der im ſpaniſchen Amerika eintretenden neuen Ordnung der Dinge gewinnen, wie es, in Folge vermehrter Konſumtion, durch die Befreiung der Halbinſel des Hämus, der Nordküſte Afrika’s und anderer dem Deſpotismus der Ottomannen unterworfenen Länder, gewinnen würde. Im ſpaniſchen Amerika iſt der Kampf beendigt. Schon ſehen wir, rings an den Geſtaden des atlantiſchen Oceans, unabhängige Staaten erblühen, nach ſehr verſchiedenen Verfaſſungsformen regiert, vereint aber durch die Erinnerung des gemeinſamen Urſprungs, durch die Gleichheit der Sprache und durch die Bedürfniſſe, welche die Civiliſation hervorruft. Die Fortſchritte der Schifffahrt haben die unermeßliche Fläche des Meeres in einen ſchnell durchſchnittenen Raum verwandelt. Der atlantiſche Ocean erſcheint uns nur noch wie ein Kanal, der die Länder der neuen Welt von den Handelsſtaaten Europa’s in keiner größern Trennung hält, als einſt, in der Kindheit der Schifffahrt, das Mittelmeer die Griechen des Peloponneſes von denen Joniens, Siciliens und Cyrenes trennte. (Essai pol. sur l’île de Cuba.)