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Alexander von Humboldt: „Amerika und Europa“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1826-Ueber_die_kuenftigen-7-neu> [abgerufen am 25.04.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1826-Ueber_die_kuenftigen-7-neu
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Titel Amerika und Europa
Jahr 1828
Ort München
Nachweis
in: Das Ausland. Ein Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker 10 (10. Januar 1828), S. [37]–38.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Auszeichnung: Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: IV.69
Dateiname: 1826-Ueber_die_kuenftigen-7-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 2
Spaltenanzahl: 4
Zeichenanzahl: 9789

Weitere Fassungen
Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika (Stuttgart; Tübingen, 1826, Deutsch)
[Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika] (Speyer, 1826, Deutsch)
Blicke in die Zukunft (Nürnberg, 1826, Deutsch)
Blik i fremtiden (Oslo, 1826, Norwegisch)
Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika (Schwerin, 1826, Deutsch)
Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und America (Oldenburg, 1827, Deutsch)
Amerika und Europa (München, 1828, Deutsch)
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Amerika und Europa. Nach Alex. v. Humboldt.

Das Feſtland von Amerika findet ſich gegenwärtig unterdrei Völker europäiſchen Urſprungs vertheilt, wovon daseine und mächtigſte germaniſchen Stammes, die beiden an-dern aber durch Sprache, Literatur und Sitte dem roma-niſchen Europa angehören. Die am meiſten gegen Weſtenliegenden Theile der alten Welt, die iberiſche Halbinſelund Großbritannien, ſind auch diejenigen, deren Kolonienſich am weiteſten in der neuen Welt ausgedehnt haben;aber eine Küſtenſtrecke von viertauſend Meilen, allein be-wohnt von den Abkömmlingen der Spanier und Portu-gieſen, beweiſt das Uebergewicht, welches im 15. und 16.Jahrhundert die Völker der Halbinſel über alle andernſeefahrenden Nationen erlangt hatten. Ihre von Califor-nien bis zum Rio de la Plata, auf dem Rücken der Cor-dilleras und in den Wäldern des Amazonenſtroms verbrei-teten Sprachen ſind die, alle politiſchen Revolutionen über-dauernden, Denkmale ihres Nationalruhms. In dieſem Augenblicke bilden die Einwohner des ſpa-niſchen Amerika’s eine zweimal größere Bevölkerung, alsdie des engliſchen Stammes. Die franzöſiſchen, holländi-ſchen und däniſchen transatlantiſchen Beſitzungen ſind vongeringer Ausdehnung; um aber das Rundgemälde derVölker, die auf das Schickſal Amerika’s Einfluß üben,zu vollenden, dürfen wir weder die Koloniſten ſlavi-ſchen Urſprungs vergeſſen, welche ſich von der HalbinſelAlaska bis nach Californien anzuſiedeln verſuchten, nochjene freien Neger Haity’s, durch welche die im J. 1545gemachte Prophezeiung des italieniſchen Reiſenden Ben-zoni erfüllt iſt. Die Stellung dieſer Afrikaner auf einerInſel, zwei ein halb mal ſo groß als Sicilien, mittenin dem Meere der Antillen, vermehrt noch ihre politiſcheWichtigkeit. Alle Freunde der Menſchheit theilen die Wünſchefür die Entwickelung einer Civiliſation, welche, nach ſo vielenScenen des entfeſſelten Grimmes und des Mords, un-erwartet ſchnell vorwärts ſchreitet. Das ruſſiſche Amerikagleicht bis jetzt weniger einer ackerbauenden Kolonie, alsjenen Factoreien, welche die Europäer, zum Unglück derEingebornen, an den Küſten Afrika’s gegründet haben.Es ſind nur Militairpoſten und Stationen für Fiſcher undſibiriſche Jäger. Gewiß iſt es eine intereſſante Erſchei-nung, den Ritus der griechiſchen Kirche in einem TheileAmerika’s gegründet, und zwei, den äußerſten Oſten undden äußerſten Weſten bewohnende Nationen als Grenz- |Spaltenumbruch| Nachbarn auf einem Kontinente zu erblicken, zu dem ſieauf entgegengeſetzten Wegen gelangten. Indeſſen bildetder beinahe völlig wilde Zuſtand der unbevölkerten Küſtenvon Ochotſk und Kamtſchatka, der Mangel an Zufuhrenvon den Häfen Aſiens, ſo wie das bis jetzt in dieſen ſla-viſchen Kolonien angenommene Verwaltungsſyſtem, Hin-derniſſe, wodurch dieſelben noch lange werden in der Kind-heit gehalten werden. Aus Allem dieſen ergibt ſich, daß wenn man, in derpolitiſchen Oekonomie, gewöhnt iſt, nur die Maſſen imGanzen in Vetrachtung zu ziehen, das amerikaniſche Feſt-land eigentlich nur unter drei großen Nationen, von eng-liſchem, ſpaniſchem und portugieſiſchem Stamme, vertheiltiſt. Die erſte dieſer drei Nationen, die engliſch-amerika-niſche, iſt zugleich diejenige, welche, uach den EngländernEuropa’s, mit ihrer Flagge den ausgebreitetſten Umfangdes Meeres bedeckt. Ohne fernliegende Kolonien, hat ihrHandel eine Ausdehnung erhalten, wie kein Volk der al-ten Welt ſie erreichen konnte, außer eben das, welches demNorden Amerika’s ſeine Sprache, den Ruhm ſeiner Lite-ratur, ſeinen Trieb zur Thätigkeit, ſeine Liebe für Frei-heit und einen großen Theil ſeiner bürgerlichen Inſtitutio-nen mitgetheilt hat. Die engliſchen und portugieſiſchen Anſiedler bevölkertenbloß die Europa gegenüber liegenden Küſtenländer; dieSpanier hingegen überſchritten gleich beim Beginn ihrerEroberungen die Kette der Anden, und verbreiteten ihreNiederlaſſungen bis an die fernſten Geſtade der Weſtküſte.Nur hier, in Mexiko, Cudinamarca, Quito und Perufanden ſie die Spuren einer alten Civiliſation, ackerbauendeVölker, blühende Reiche. Dieſer Umſtand, die Zunahmeeiner eingebornen Gebirgsbevölkerung, der faſt ausſchließ=liche Beſitz großen Metallreichthums, ſo wie die ſeit demAnfang des 16. Jahrhunderts mit dem indiſchen Archipe-lagus angeknüpften Handelsverbindungen gaben den ſpani-ſchen Beſitzungen der amerikaniſchen Aequinoktialländer einenihnen ganz eigenthümlichen Charakter. In den Länderndes Oſtens, welche in die Gewalt der Engländer undPortugieſen fielen, beſtanden die Eingebornen aus herum-ſtreifenden Jägerſtämmen. Weit entfernt, einen Theilder ackerbauenden und arbeitſamen Bevölkerung zu bilden,wie auf dem Plateau von Anahuac, in Guatimala undOberperu, zogen ſie ſich vielmehr bei der Annäherung derWeißen ſtets weiter zurück. So geſchah es denn, daß dasBedürfniß arbeitender Hände, der vermehrte Anbau desZuckerrohrs, des Indigo’s und der Baumwolle, und endlich |38| |Spaltenumbruch| die Habgier, welche ſo oft die Induſtrie begleitet und ent-würdigt, hier jenen ſchändlichen Negerhandel herbeiführten,der für beide Welten gleich traurige Früchte trug. Glück-licher Weiſe iſt dagegen anf dem ſpaniſch-amerikaniſchenFeſtlande die Zahl der Negerſklaven ſo unbedeutend, daßſie im Vergleich mit der Sklavenbevölkerung Braſiliensoder des ſüdlichen Theiles der Vereinigten Staaten ſich nurwie 1 zu 5 verhält. Die ſämmtlichen ſpaniſchen Kolo-nien, Cuba und Portorico mit eingeſchloſſen, haben, aufeiner Flächenausdehnung welche die von Europa wenig-ſtens um ein Fünftheil überſteigt, nicht ſo viel Neger alsder einzige nordamerikaniſche Staat Virginien. Die ſpa-niſchen Amerikaner in der Union von Neu-Spanien undGuatimala bieten, unter der heißen Zone, das einzigeBeiſpiel einer Nation dar, von acht Millionen Einwoh-nern, welche nach europäiſchen Geſetzen und Inſtitutionenregiert werden, Zucker, Cacao und Wein bauen, und den-noch faſt gar keinen dem afrikaniſchen Boden entriſſenenSklaven haben. Die Bevölkerung der neuen Welt iſt gegenwärtig nurum etwas weniges größer, als die von Frankreich oderDeutſchland. Sie verdoppelt ſich in den Vereinigten Staa-ten in 23 oder 25 Jahren. In Mexiko verdoppelte ſieſich, ſelbſt unter der Herrſchaft des Mutterlandes, in 40oder 45 Jahren. Ohne ſich übertriebenen Hoffnungenüber die Zukunft hinzugeben, kann man daher rechnen, daß inweniger als anderthalb Jahrhunderten die BevölkerungAmerika’s der von Europa gleich kommen wird. Der edleWettſtreit der Civiliſation, der Induſtrie und des Han-dels wird, ſtatt den alten Kontinent arm zu machen, wieman ſo oft zu prophezeien ſich gefällt, vielmehr, auf Koſtendes neuen, den Verbrauch der Lebensbedürfniſſe, die Maſſeder produktiven Arbeit und das rege Leben des gegenſeiti-gen Austauſches befördern. Freilich muß nach den großenRevolutionen, welche die Verfaſſungen der Staaten erlit-ten haben, der öffentliche Wohlſtand, das gemeinſameErbtheil der Civiliſation, unter den Völkern der beiden Wel-ten verſchieden vertheilt ſich finden; aber allmählig ſtelltſich das Gleichgewicht wieder her, und es iſt ein trauri-ges, ich möchte faſt ſagen gottloſes, Vorurtheil, wennman das wachſende Glück irgend eines andern Theilesunſers Planeten als ein Unglück für das alte Europa be-trachtet. Die Unabhängigkeit der Kolonien wird ſie nichtvon uns abſondern; ſie wird ſie vielmehr den längſt ge-bildeten Völkern näher bringen. Der Handel wird verei-nen, was eine eiferſüchtige Politik ſo lange getrennt hatte.Außerdem liegt es in der Natur der Civiliſation, daß ſievorwärts ſchreiten kann, ohne deßhalb nothwendig da, woſie entſtand, zu verſchwinden. Ihr fortſchreitender Gangvon Oſten nach Weſten, von Aſien nach Europa, beweiſtnichts gegen dieſen Grundſatz. Ein helles Licht behältſeinen Glanz, ſelbſt wenn es einen größeren Kreis beleuch-tet. Die geiſtige Bildung theilt ſich ſtets auf vielfachernund nähern Wegen mit; ſie breitet ſich aus, ohne dieStelle zu wechſeln. Ihre Bewegung iſt keine Wanderung.Wenn letzteres uns im Oriente der Fall zu ſeyn ſchien: ſogeſchah dieß, weil barbariſche Horden ſich Aegyptens, |Spaltenumbruch| Kleinaſiens, und jenes jetzt entfeſſelten Griechenlands, derWiege der Civiliſation unſerer Väter, bemächtigt hatten. Die Abſtumpfung der Völker iſt die Folge der Unter-drückung, welche entweder innerer Deſpotismus oder einfremder Eroberer ausübt; ſtets iſt ſie von zunehmenderVerarmung begleitet. Freie, kräftige Inſtitutionen, imIntereſſe Aller gegründet entfernen dieſe Gefahren; unddie wachſende Civiliſation der Welt, die Konkurrenz derThätigkeit und des Austauſches, kann den Staaten nichtgefährlich werden, deren Wohlſtand aus natürlichen Quel-len fließt. Das produktive und handelnde Europa wirdbei der im ſpaniſchen Amerika eintretenden neuen Ordnungder Dinge gewinnen, wie es, in Folge vermehrter Kon-ſumtion, durch die Befreiung der Halbinſel des Hämus,der Nordküſte Afrika’s und anderer dem Deſpotismus derOttomannen unterworfenen Länder, gewinnen würde. Imſpaniſchen Amerika iſt der Kampf beendigt. Schon ſehenwir, rings an den Geſtaden des atlantiſchen Oceans, un-abhängige Staaten erblühen, nach ſehr verſchiedenen Ver-faſſungsformen regiert, vereint aber durch die Erinnerungdes gemeinſamen Urſprungs, durch die Gleichheit derSprache und durch die Bedürfniſſe, welche die Civiliſationhervorruft. Die Fortſchritte der Schifffahrt haben dieunermeßliche Fläche des Meeres in einen ſchnell durchſchnit-tenen Raum verwandelt. Der atlantiſche Ocean erſcheintuns nur noch wie ein Kanal, der die Länder der neuenWelt von den Handelsſtaaten Europa’s in keiner größernTrennung hält, als einſt, in der Kindheit der Schifffahrt,das Mittelmeer die Griechen des Peloponneſes von denenJoniens, Siciliens und Cyrenes trennte. (Essai pol. sur l’île de Cuba.)