Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika. Ueber diesen Gegenstand giebt Humboldt -- ein Mann, dem, wenn irgend jemandem, hierüber wohl eine sehr beachtliche Stimme zusteht -- folgende trostvolle Aufklärung: "Noch übersteigt die Bevölkerung des amerikanischen Festlandes die von Frankreich oder Deutschland nur wenig. In den vereinigten Staaten verdoppelt sie sich in 23 bis 25 Jahren; in Mexiko hat sie sich, sogar unter der Herrschaft des Mutterlandes, in 40 bis 45 Jahren verdoppelt. Ohne eitlen Hoffnungen für die Zukunft Raum zu geben, läßt sich annehmen, daß anderthalb Jahrhunderte verfließen werden, bevor die amerikanische Bevölkerung die von Europa erreicht hat. Dieser edle Eifer in Gesittung (Civilisation) Kunstfleiß und Handelsverkehr wird aber, weit entfernt -- wie vielfältig prophezeiht worden ist -- die Verarmung des alten Festlandes zum Vortheil des neuen herbeizuführen, vielmehr den Verbrauchsbedarf, die Masse der produktiven Arbeit und die Thätigkeit des Tauschverkehrs steigern. Freilich muß, nach großen Umwälzungen der menschlichen Gesellschaften, das Staatsvermögen, welches ein Gemeingut der Gesittung ist, zwischen den Völkerschaften beider Halbkugeln sich ungleich vertheilt finden; allein nach und nach stellt das Gleichgewicht sich her, und es wäre ein verderbliches, ich möchte beinahe sagen gottloses Vorurtheil, im zunehmenden Wohlstande irgend einer andern Gegend unsers Planeten, den Untergang oder das Verderben des alten Europa erblicken zu wollen. Die Unabhängigkeit der Kolonien wird keinesweges ihre Trennung und Absonderung befördern, sondern vielmehr sie den Völkern früherer Gesittung annähern. Der Handelsverkehr strebt dasjenige zu vereinbaren, was eine eifersüchtige Staatskunst lange getrennt hielt. Und mehr noch: es liegt in der Natur der Gesittung, daß sie vorwärts schreitet, ohne darum da zu erlöschen, wo sie zuerst entstanden war. Ihre fortschreitende Bewegung von Ost nach West, von Asien nach Europa, beweist nichts gegen diese Behauptung. Eine helle Lichtflamme behält ihren Glanz, auch wenn sie einen größern Raum erleuchtet. Die geistige Bildung, diese fruchtbare Quelle des Nationalreichthums, theilt sich überall hin mit, und dehnt sich aus, ohne deßhalb den Ort zu ändern. Ihre Bewegung ist nicht eine Wanderung; wenn sie uns im Orient also vorkam, so geschah es, weil barbarische Horden sich Egyptens, Kleinasiens und jenes vormals freien Griechenlands, dieser verlassenen Wiege der Gesittung unsrer Altvordern, bemächtigt hatten. Die Verwilderung und Versunkenheit der Völker ist eine Folge erlittener Bedrückung, sei es nun, daß einheimischer Despotismus oder ein fremder Eroberer dieselbe ausübt; der Despotismus ist allezeit von fortschreitender Verarmung und Abnahme des öffentlichen Wohlstandes begleitet. Freie und kräftige, dem Vortheile Aller entsprechende Staatseinrichtungen wenden diese Gefahren ab; und die wachsende Gesittung der Welt, die Konkurrenz von Arbeit und Tauschverkehr richten diejenigen Staaten nicht zu Grunde, deren Wohlstand aus natürlicher Quelle herfließt. Das gewerbfleißige und handeltreibende Europa wird von der im spanischen Amerika sich entwickelnden neuen Ordnung der Dinge Vortheil ziehen, wie ihm solcher hinwieder auch durch vermehrten Verbrauch und Absatz aus Ereignissen zufließen würde, welche in Griechenland, auf den Nordküsten Afrika's und in andern, der Tyrannei der Osmanen unterworfenen Landschaften, der Barbarei ein Ziel setzen möchten. Was den Wohlstand des alten Festlandes bedrohen kann, ist einzig nur die Verlängerung jener innern Kämpfe, welche die Erzeugnisse hemmen und zugleich Zahl und Bedürfnisse der Konsumenten vermindern. Im spanischen Amerika nähert sich nun dieser, sechs Jahre nach meiner Abreise begonnene Kampf seinem Ende. In kurzer Zeit werden wir unabhängige Völkerschaften an beiden Ufergestaden des atlantischen Weltmeers erblicken, die bei sehr abweichenden Regierungsformen, hinwieder durch die Erinnerung an die gemeinsame Herkunft, durch die gleiche Sprache und durch gleichartige Bedürfnisse, wie sie aus der Gesittung überall hervorgehen, vereinbart erscheinen. Durch die unermeßlichen Fortschritte, welche die Kunst des Seefahrers gemacht hat, sind, möchte man sagen, die Wasserbecken der Meere verengert worden. Der atlantische Ozean stellt sich uns in Gestalt eines schmalen Kanales dar, welcher die europäischen Handelsstaaten von der neuen Welt nicht weiter entfernt, als in der Kindheit der Schisffahrtskunde das Wasserbecken vom Mittelmeere die Griechen des Peloponnes von den Bewohnern Joniens, Siciliens, Cyrenea's entfernt hielt." -- (Tüb. Morgenbl. 1826, No. 34.)