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Alexander von Humboldt: „Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1826-Ueber_die_kuenftigen-5-neu> [abgerufen am 23.04.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1826-Ueber_die_kuenftigen-5-neu
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Titel Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika
Jahr 1826
Ort Schwerin
Nachweis
in: Freimüthiges Abendblatt 8:405 (6. Oktober 1826), Beilage, Sp. 811–812.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Auszeichnung: Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: IV.69
Dateiname: 1826-Ueber_die_kuenftigen-5-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 1
Spaltenanzahl: 2
Zeichenanzahl: 4686

Weitere Fassungen
Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika (Stuttgart; Tübingen, 1826, Deutsch)
[Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika] (Speyer, 1826, Deutsch)
Blicke in die Zukunft (Nürnberg, 1826, Deutsch)
Blik i fremtiden (Oslo, 1826, Norwegisch)
Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika (Schwerin, 1826, Deutsch)
Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und America (Oldenburg, 1827, Deutsch)
Amerika und Europa (München, 1828, Deutsch)
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Ueber die künftigen Verhältniſſe von Europaund Amerika.


Ueber dieſen Gegenſtand giebt Humboldt — einMann, dem, wenn irgend jemandem, hierüber wohl eineſehr beachtliche Stimme zuſteht — folgende troſtvolle Auf-klärung: „Noch überſteigt die Bevölkerung des amerikani-ſchen Feſtlandes die von Frankreich oder Deutſchlandnur wenig. In den vereinigten Staaten verdoppelt ſieſich in 23 bis 25 Jahren; in Mexiko hat ſie ſich, ſogarunter der Herrſchaft des Mutterlandes, in 40 bis 45Jahren verdoppelt. Ohne eitlen Hoffnungen für dieZukunft Raum zu geben, läßt ſich annehmen, daß an-derthalb Jahrhunderte verfließen werden, bevor dieamerikaniſche Bevölkerung die von Europa erreicht hat.Dieſer edle Eifer in Geſittung (Civiliſation) Kunſtfleißund Handelsverkehr wird aber, weit entfernt — wievielfältig prophezeiht worden iſt — die Verarmung desalten Feſtlandes zum Vortheil des neuen herbeizuführen,vielmehr den Verbrauchsbedarf, die Maſſe der produk-tiven Arbeit und die Thätigkeit des Tauſchverkehrs ſtei-gern. Freilich muß, nach großen Umwälzungen dermenſchlichen Geſellſchaften, das Staatsvermögen, wel-ches ein Gemeingut der Geſittung iſt, zwiſchen den Völ-kerſchaften beider Halbkugeln ſich ungleich vertheilt fin-den; allein nach und nach ſtellt das Gleichgewicht ſichher, und es wäre ein verderbliches, ich möchte beinaheſagen gottloſes Vorurtheil, im zunehmenden Wohlſtandeirgend einer andern Gegend unſers Planeten, den Un-tergang oder das Verderben des alten Europa erblickenzu wollen. Die Unabhängigkeit der Kolonien wird kei-nesweges ihre Trennung und Abſonderung befördern,ſondern vielmehr ſie den Völkern früherer Geſittungannähern. Der Handelsverkehr ſtrebt dasjenige zu ver-einbaren, was eine eiferſüchtige Staatskunſt lange ge-trennt hielt. Und mehr noch: es liegt in der Naturder Geſittung, daß ſie vorwärts ſchreitet, ohne darumda zu erlöſchen, wo ſie zuerſt entſtanden war. Ihrefortſchreitende Bewegung von Oſt nach Weſt, von Aſiennach Europa, beweiſt nichts gegen dieſe Behauptung.Eine helle Lichtflamme behält ihren Glanz, auch wennſie einen größern Raum erleuchtet. Die geiſtige Bil-dung, dieſe fruchtbare Quelle des Nationalreichthums,theilt ſich überall hin mit, und dehnt ſich aus, ohnedeßhalb den Ort zu ändern. Ihre Bewegung iſt nichteine Wanderung; wenn ſie uns im Orient alſo vorkam,ſo geſchah es, weil barbariſche Horden ſich Egyptens,Kleinaſiens und jenes vormals freien Griechenlands,dieſer verlaſſenen Wiege der Geſittung unſrer Altvor-dern, bemächtigt hatten. Die Verwilderung und Verſunkenheit der Völkeriſt eine Folge erlittener Bedrückung, ſei es nun, daßeinheimiſcher Deſpotismus oder ein fremder Erobererdieſelbe ausübt; der Deſpotismus iſt allezeit von fort-ſchreitender Verarmung und Abnahme des öffentlichenWohlſtandes begleitet. Freie und kräftige, dem Vor-theile Aller entſprechende Staatseinrichtungen wendendieſe Gefahren ab; und die wachſende Geſittung der |Spaltenumbruch| Welt, die Konkurrenz von Arbeit und Tauſchverkehrrichten diejenigen Staaten nicht zu Grunde, deren Wohl-ſtand aus natürlicher Quelle herfließt. Das gewerb-fleißige und handeltreibende Europa wird von der imſpaniſchen Amerika ſich entwickelnden neuen Ordnungder Dinge Vortheil ziehen, wie ihm ſolcher hinwiederauch durch vermehrten Verbrauch und Abſatz aus Er-eigniſſen zufließen würde, welche in Griechenland, aufden Nordküſten Afrika’s und in andern, der Tyranneider Osmanen unterworfenen Landſchaften, der Barbareiein Ziel ſetzen möchten. Was den Wohlſtand des altenFeſtlandes bedrohen kann, iſt einzig nur die Verlän-gerung jener innern Kämpfe, welche die Erzeug-niſſe hemmen und zugleich Zahl und Bedürfniſſe derKonſumenten vermindern. Im ſpaniſchen Amerika nä-hert ſich nun dieſer, ſechs Jahre nach meiner Abreiſebegonnene Kampf ſeinem Ende. In kurzer Zeit wer-den wir unabhängige Völkerſchaften an beiden Uferge-ſtaden des atlantiſchen Weltmeers erblicken, die bei ſehrabweichenden Regierungsformen, hinwieder durch dieErinnerung an die gemeinſame Herkunft, durch diegleiche Sprache und durch gleichartige Bedürfniſſe, wieſie aus der Geſittung überall hervorgehen, vereinbarterſcheinen. Durch die unermeßlichen Fortſchritte, welchedie Kunſt des Seefahrers gemacht hat, ſind, möchteman ſagen, die Waſſerbecken der Meere verengert wor-den. Der atlantiſche Ozean ſtellt ſich uns in Geſtalteines ſchmalen Kanales dar, welcher die europäiſchenHandelsſtaaten von der neuen Welt nicht weiter ent-fernt, als in der Kindheit der Schiſffahrtskunde dasWaſſerbecken vom Mittelmeere die Griechen des Pelo-ponnes von den Bewohnern Joniens, Siciliens,Cyrenea’s entfernt hielt.“ — (Tüb. Morgenbl. 1826, No. 34.)