Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika. v. Alex. v. Humbold. Bevor ich die Küsten des Festlandes verlasse, um von der politischen Wichtigkeit der Insel Cuba, des größten der Antillen-Eilande, zu sprechen, will ich noch aus einem Standpunkte alles dasjenige überblicken, was eine richtige Ansicht der künftigen europäischen Handelsverhältnisse mit den vereinten Staaten von Venezuela zu geben vermögend ist. Als ich bald nach meiner Rückkunft nach Deutschland den politischen Versuch über Neu-Spanien ( Essai politique sur la Nouvelle-Espagne ) herausgab, machte ich zugleich einen Theil der Materialien bekannt, welche ich über den Territorial-Reichthum von Süd-Amerika besitze. Diese vergleichende Schilderung der Bevölkerung, der Agrikultur und des Handels aller spanischen Kolonien ward in einem Zeitpunkt abgefaßt, wo die Fortschritte der Gesittung, durch mangelhafte gesellschaftliche Institutionen, durch das Prohibitiv-System und durch mehr andere verderbliche Irrthümer der Staatsverwaltung gehemmt wurden. Seitdem ich jene unermeßlichen Hülfsmittel dargestellt und entwickelt habe, welche die Völker beyder Amerika's, unter dem Schutz einer weisen Freyheit, in ihrer individuellen Lage und in ihren Verhältnissen zum handeltreibenden Europa und Asia finden können, hat eine der großen Revolutionen, welche von Zeit zu Zeit das Menschengeschlecht in stürmische Bewegung bringen, den Stand der Gesellschaft in den weitläufigen von mir durchwanderten Ländern umgewälzt. Das Festland der neuen Welt findet sich gegenwärtig zwischen drey Völker europäischer Herkunft gleichsam getheilt: das eine, und das mächtigste, ist von germanischer Abstammung; die beyden andern gehören durch ihre Sprache, Literatur und Sitten dem lateinischen Europa an. Die westlichst gelegenen Theile der alten Welt, die iberische Halbinsel und die brittischen Eilande sind auch diejenigen, deren Kolonien den weitesten Umfang besaßen; allein viertausend Meilen Küstenlandes, von den Abkömmlingen der Spanier und Portugiesen ausschließlich bewohnt, bezeugen das Uebergewicht, welches im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert die Völker der Halbinsel durch ihre Unternehmungen zur See vor den übrigen Schifffahrtsvölkern sich erworben hatten. Man kann sagen, ihre von Kalifornien bis zum Rio de la Plata, auf dem Rücken der Kordilleren, wie in den Wäldern vom Amazonenstrom, verbreiteten Sprachen sind Denkmale des Nationalruhms, welche alle politischen Revolutionen überleben werden. Gegenwärtig bilden die Bewohner vom spanischen und portugiesischen Amerika zusammen eine zweymal größere Bevölkerung, als jene von englischer Abstammung ist. Die französischen, holländischen und dänischen Besitzungen auf dem neuen Festlande sind von geringem Umfang: um aber die Aufzählung derjenigen Völker, welche auf die Schicksale der andern Halbkugel Einfluß haben können, zu vervollständigen, dürfen wir weder der Kolonisten slavischer Herkunft, die sich von der Halbinsel Alaska bis in Kalifornien anzusiedeln trachten, noch die freyen Afrikaner auf Haiti vergessen, welche die im Jahr 1545 von dem mailändischen Reisenden Belzoni ausgesprochene Prophezeihung in Erfüllung gebracht haben. Die Stellung der Afrikaner auf einer Insel, die dritthalb Mal größer ist als Sicilien, in Mitte des mittelländischen Antillenmeeres, erhöht ihr politisches Gewicht. Alle Freunde der Menschheit vereinbaren ihre Wünsche für die Entwicklung einer Gesittung, welche, nach so vielfacher Wuth und Blutvergießen, auf unerwartet gedeihliche Weise vorschreitet. Das russische Amerika gleicht bis dahin weniger einer landwirthschaftlichen Kolonie, als jenen Comptoirs, welche die Europäer zum größten Unglück der Landeseingebornen auf den afrikanischen Küsten errichtet haben. Es besteht dasselbe lediglich in Militär-Posten, und Stationen von Fischern sowohl als siberischen Jägern. Eine auffallende Erscheinung ist es unstreitig, den Ritus der griechischen Kirche auf amerikanischem Boden anzutreffen, und zu sehen, wie zwey Nationen, welche die östlichen und westlichen Endtheile von Europa bewohnen, die Russen und die Spanier, auf einem Festlande, welches sie von entgegengesetzten Richtungen aus erreicht haben, Nachbarn werden; allein der beynahe wilde Zustand der unbevölkerten Küsten von Ochotsk und Kamtschatka, der Mangel aller Unterstützungen aus den asiatischen Häfen und das bis dahin in den slavischen Kolonien der neuen Welt befolgte Regime sind eben so viele Hemmungen, welche dieselben auf lange Zeit im Zustand der Kindheit erhalten werden. Aus Vorstehendem erhellt, daß, wenn man bey staatswirthschaftlichen Unternehmungen sich gewöhnt hat, nur Massen in's Auge zu fassen, das amerikanische Festland alsdann unverkennbar, genau gesprochen, unter drey große Nationen, von englischer, spanischer und portugiesischer Herkunft getheilt erscheint. Die erste dieser drey Nationen, die der Anglo- Amerikaner, ist zugleich diejenige, welche, nach den europäischen Britten, mit ihrer Flagge die größte Ausdehnung der Meere bedeckt. Ohne entfernte Kolonien hat ihr Handelsverkehr einen Umfang erhalten, welchen kein anderes Volk der alten Welt erreichen mochte, außer etwa demjenigen, welches nach dem amerikanischen Norden seine Sprache, den Glanz seiner Literatur, seine Arbeitslust, seine Freyheitsliebe und einen Theil seiner bürgerlichen Institutionen übertragen hat. Durch die brittischen und portugiesischen Kolonisten wurden einzig nur die Europa gegenüber liegenden Küsten bevölkert; die Kastilianer hingegen haben gleich zu Anfang der Eroberung die Andenkette überstiegen und ihre Ansiedlungen bis in die westlichsten Landschaften ausgedehnt. Hier nur, in Mexiko, in Cundinamarca, in Quito und Peru, haben sie die Spuren einer vormaligen Gesittung, Landwirthschaft treibende Völker, blühende Reiche angetroffen. Dieser Umstand, der Zuwachs einer Bevölkerung von Landeseingebornen und Bergbewohnern, der fast ausschließliche Besitz großer Metall-Reichthümer und eines seit Anfang des sechszehnten Jahrhunderts mit dem indischen Archipel gepflognen Handelsverkehrs mußten den spanischen Besitzungen im äquinoktialen Amerika einen eigenthümlichen Charakter verleihen. In den östlichen, den brittischen und portugiesischen Kolonisten zu Theil gewordenen Landschaften waren die Landeseingeborne jagdtreibende Völker von unstäten Wohnsitzen. Statt zur Bildung einer landbautreibenden und arbeitsfleißigen Bevölkerung beyzutragen, wie dieß auf dem Plateau von Anahuac, in Guatimala und Ober-Peru der Fall war, haben sie bey Annäherung der Weißen meist sich zurückgezogen. Der Arbeitsbedarf, der Vorzug, welchen die Kulturen des Zuckerrohrs, des Indigo und der Baumwolle erhielten, die Habsucht, welche öfters den Gewerbsfleiß begleitet und ihn herabwürdigt, haben daselbst jenen schändlichen Negerhandel eingeführt, der für beyde Halbkugeln gleich verderblich geworden ist. Glücklicherweise ist es der Fall, daß auf dem Festlande vom spanischen Amerika die Zahl der afrikanischen Sklaven verhältnißmäßig zur Sklavenbevölkerung von Brasilien oder vom südlichen Theile der vereinten Staaten gering, und nicht stärker denn 1 zu 5 ist. Alle spanischen Kolonien, die Inseln Kuba und Portoriko mitgerechnet, haben auf einer Landesfläche, welche die von Europa mindestens um einen fünften Theil übersteigt, nicht so viel Negersklaven, als der einzige Staat von Virginien deren besizt. Die spanischen Amerikaner gewähren unter der heißen Zone das einzige Beyspiel, einer Nation von acht Millionen Einwohner, die, nach europäischen Gesetzen und Institutionen regiert, Zucker, Kakao, Getreide und Wein pflanzt und die fast keine dem afrikanischen Gebiet entrissene Sklaven hat. (Die Fortsetzung folgt.) Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika. Von Alex. von Humbold. (Beschluß.) Noch übersteigt die Bevölkerung des amerikanischen Festlandes die von Frankreich oder Deutschland nur wenig. In den vereinten Staaten verdoppelt sie sich in drey-undzwanzig bis fünf-und-zwanzig Jahren; in Mexiko hat sie sich, sogar unter der Herrschaft des Mutterlandes, in vierzig bis fünf-und-vierzig Jahren verdoppelt. Ohne eitlen Hoffnungen für die Zukunft Raum zu geben, läßt sich annehmen, daß keine anderthalb Jahrhunderte verfließen werden, bevor die amerikanische Bevölkerung die von Europa erreicht hat. Dieser edle Wetteifer in Gesittung, Kunstfleiß und Handelsverkehr wird aber, weit entfernt, (wie vielfältig prophezeiht worden ist) die Verarmung des alten Festlandes zum Vortheil des neuen herbeyzuführen, vielmehr den Verbrauchsbedarf, die Masse der produktiven Arbeit und die Thätigkeit des Tauschverkehrs steigern. Freylich muß nach großen Umwälzungen der menschlichen Gesellschaften das Staatsvermögen, welches ein Gemeingut der Gesittung ist, zwischen den Völkerschaften beyder Halbkugeln sich ungleich vertheilt finden; allein nach und nach stellt das Gleichgewicht sich her, und es wäre ein verderbliches, ich möchte beynahe sagen gottloses Vorurtheil, im zunehmenden Wohlstand irgend einer andern Gegend unsers Planeten den Untergang oder das Verderben des alten Europa erblicken zu wollen. Die Unabhängigkeit der Kolonien wird keineswegs ihre Trennung und Absonderung befördern, sondern vielmehr sie den Völkern früherer Gesittung annähern. Der Handelsverkehr strebt dasjenige zu vereinbaren, was eine eifersüchtige Staatskunst lange Zeit getrennt hielt. Und mehr noch: es liegt in der Natur der Gesittung, daß sie vorwärts schreitet, ohne darum da zu erlöschen, wo sie zuerst entstanden war. Ihre fortschreitende Bewegung von Ost nach West, von Asien nach Europa, beweist nichts gegen diese Behauptung. Eine helle Lichtflamme behält ihren Glanz, auch wenn sie einen größeren Raum erleuchtet. Die intellektuelle Bildung, diese fruchtbare Quelle des Nationalreichthums, theilt sich überall hin mit und dehnt sich aus, ohne deßhalb den Ort zu ändern. Ihre Bewegung ist nicht eine Wanderung: wenn sie uns im Orient also vorkam, so geschah es, weil barbarische Horden sich Aegyptens, Kleinasiens und jenes vormals freyen Griechenlandes, dieser verlassenen Wiege der Gesittung unsrer Altvordern, bemächtigt hatten. Die Verwilderung und Versunkenheit der Völker ist eine Folge erlittener Bedrückung, sey es nun, daß einheimischer Despotismus oder ein fremder Eroberer dieselbe ausübt: der Despotismus ist allzeit von fortschreitender Verarmung und Abnahme des öffentlichen Wohlstandes begleitet. Freye und kräftige, dem Vortheile Aller entsprechende Staatseinrichtungen wenden diese Gefahren ab; und die wachsende Gesittung der Welt, die Konkurrenz von Arbeit und Tauschverkehr richten diejenigen Staaten nicht zu Grund, deren Wohlstand aus natürlicher Quelle herfließt. Das gewerbfleißige und handeltreibende Europa wird von der im spanischen Amerika sich entwickelnden neuen Ordnung der Dinge Vortheil ziehen, wie ihm solcher hinwieder auch durch vermehrten Verbrauch und Absatz aus Ereignissen zufließen würde, welche in Griechenland, auf den Nordküsten Afrika's und in andern der Tyranney der Osmanen unterworfenen Landschaften, der Barbarey ein Ziel setzen möchten. Was den Wohlstand des alten Festlandes bedrohen kann, ist einzig nur die Verlängerung jener innern Kämpfe, welche die Erzeugnisse hemmen und zugleich Zahl und Bedürfnisse der Konsumenten vermindern. Im spanischen Amerika nähert sich nun dieser, sechs Jahre nach meiner Abreise begonnene Kampf seinem Ende. In kurzer Zeit werden wir unabhängige Völkerschaften an beyden Ufergestaden des atlantischen Weltmeeres erblicken, die bey sehr abweichenden Regierungsformen, hinwieder durch die Erinnerung an die gemeinsame Herkunft, durch die gleiche Sprache und durch gleichartige Bedürfnisse, wie sie aus der Gesittung überall hervorgehen, vereinbart erscheinen. Durch die unermeßlichen Fortschritte, welche die Kunst des Seefahrers gemacht hat, sind, möchte man sagen, die Wasserbecken der Meere verengert worden. Der atlantische Ocean stellt sich uns in Gestalt eines schmalen Kanales dar, welcher die europäischen Handelsstaaten von der neuen Welt nicht weiter entfernt, als in der Kindheit der Schifffahrtskunde das Wasserbecken vom Mittelmeere die Griechen des Peloponnes von den Bewohnern Joniens, Siciliens, Cyrenea's entfernt hielt.