Jtapua d. 10. Sept. 1824.
Aus meinem letzten Briefe haben Sie geſehen, daßdem
Diktator der Republik Paraguay, Don Gaspar Fran-cia, meine
Ankunft gemeldet worden iſt. Die Hoffnung,die ich hatte,
bis zur Hauptſtadt zu gelangen, hat leiderſehr
abgenommen. Der Diktator legt mir neun Fragenvor, alle
politiſchen Jnhalts uͤber die
Beſchluͤſſe, welche erden
Kontinentalmaͤchten, in einem in Jtalien gehaltenen
Kon-greſſe, zuſchreibt und nach denen die
independenten Provin-zen unter ſpaniſche
Botmaͤßigkeit zuruͤckgebracht werden
ſoll-ten. Er iſt voll Beſorgniß
uͤber den franzoͤſiſchen
Feldzugnach Spanien; er verlangt Antwort auf die feindlichen
Ab-ſichten, welche er dem Miniſter des Duc de
Cazes gegendie Freiheit von Paraguay zuſchreibt. Er
giebt vor, HerrBonpland ſei mit Briefen eines
indiſchen Chefs in derProvincia des
Miſſiones (Francia’s aͤrgſtem
Feinde) auf demweſtlichen Ufer des Rio Parana
geſehen worden, um denPlan von Jtapua aufzunehmen; er
wiſſe nicht, ſelbſt inder
Vorausſetzung, daß auch meine Reiſe
wiſſenſchaftlicheZwecke habe, wie das
franzoͤſiſche Jnſtitut oder irgend
einepolitiſche Macht in Europa ſich berechtigt
glauben koͤnne,jemand nach Paraguay zu ſchicken,
da allgemein bekanntſei, daß das Land keinem Fremden
geoͤffnet werden koͤnne.Sie ſehen aus
dieſen bedenklichen Fragen, daß der Diktatordie
Angelegenheiten des alten Kontinents genau zu kennenglaubt. Jch
habe geantwortet, meine Reiſe habe
ſchlechter-dings keinen Bezug auf politiſche
Ereigniſſe. Jch habe Pa-raguay durchreiſen
wollen, um auf den Punkt zu gelangen,wo durch den Rio Jauru-
und den Madeira-Strom eineVerbindung zwiſchen dem
Amazonen-Fluſſe und Rio de laPlata
moͤglich ſei. Dieſer Zweck meiner Reiſe
werde von|703| dem Kaiſer von
Braſilien, der mir Empfehlungen nachder Provinz Mato
Groſſo gegeben, ganz beſonders
beguͤn-ſtigt. Jch fuͤgte hinzu, daß ich
der ſpaniſchen Sprachenicht maͤchtig, auf
die mir, von dem Majordomo von Jta-pua vorgelegten
politiſchen Fragen ſchriftlich nicht zu
ant-worten wage, daß ich aber dem Doktor Francia
muͤndlichalle Auskunft geben wuͤrde. Es
iſt ſehr wahrſcheinlich,daß ich das
Schickſal des armen Bonpland theilen werde;doch bin ich
es der Wahrheit ſchuldig, zu ſagen, daß
nachallem, was ich hier ſehe, ſeit 22 Jahren die
Einwohner vonParaguay unter einer guten Adminiſtration,
der gluͤcklich-ſten Ruhe genießen. Der
Kontraſt mit den Laͤndern, dieich bis hieher
durchſtrichen, iſt uͤberaus auffallend.
Manreiſet in Paraguay ohne alle Waffen, die
Thuͤren der Haͤuſerſind kaum
verſchloſſen, denn jeder Diebſtahl wird
mit demTode beſtraft, ja der Eigenthuͤmer des
Hauſes oder der Ge-meinde, in welcher der Raub
geſchehen iſt, werden zum Er-ſatz
gezwungen. Bettler ſieht man gar nicht, alle
Menſchenarbeiten. Jtapua hat 2000 Seelen, finden
ſich Duͤrftigedarunter, ſo wenden
ſie ſich an den Diktator, der die Kinderdann auf
Koſten des Staats erziehen laͤßt. Die
Erziehungiſt ganz militaͤriſch;
ſtatt der Glocke werden die Zoͤglingedurch
Trommelſchlag in die Klaſſe berufen;
faſt alle Ein-wohner koͤnnen leſen und
ſchreiben und die Alkalden, welchejaͤhrlich von
dem Volke gewaͤhlt werden, beſtimmen, wielange
die jungen Leute die Schule beſuchen ſollen. Der
Dok-tor Francia wird mir als ein gebildeter Mann
geſchildert,der der franzoͤſiſchen
Sprache maͤchtig iſt. Er iſt 62 Jahralt,
aber noch immer uͤberaus thaͤtig,
ſorgſam fuͤr die Ele-ganz ſeiner
Kleidung. Dieſes herrliche Land kann einſt
fuͤrden europaͤiſchen Handel ſehr
wichtig werden, jetzt aber iſtes bloß den Einwohnern von
Braſilien zugaͤnglich. Zwoͤlfbis funfzehn
Kaufleute dieſer Nation unterhalten allein denVerkehr
mit der Provinz Mato Groſſo. Der Diktator
iſtſehr gereitzt uͤber allen Tadel,
welchen das Gouvernement vonBuenos-Ayres in
europaͤiſchen Zeitungen uͤber ihn (wie
er|704| behauptet) verbreiten
laͤßt. Jch habe geſtern Gelegenheit gehabt,einen
Landmann zu ſehen, welcher Bonplands naͤchſter
Nach-bar iſt und ihn taͤglich ſieht. Er
verſichert, daß es ihm wohl-gehe, daß er
Laͤndereien beſitze, die ihm der Doktor Francia
ge-geben, er die Arzneikunſt ausuͤbe, ſich
mit der Diſtillation vonBrandwein aus Honig
beſchaͤftige, und daß er noch immer,wie
ſeine taͤglich zunehmenden Sammlungen bezeugen,
leiden-ſchaftlich Pflanzen ſammle und
beſchreibe. Es iſt mir nichterlaubt worden,
Briefe an ihn gelangen zu laſſen. Er
iſtnicht in S. Anna bei Corrientes, ſondern in S.
Anna un-fern Candelaria aufgehoben worden. Das Klima iſt
hier uͤber-aus angenehm, ja bisweilen ſo kalt,
daß es dieſe Nachtgefroren hat......