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Alexander von Humboldt: „Briefe aus Paraguay“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1825-xxx_Briefe_aus_Paraguay-4> [abgerufen am 29.03.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1825-xxx_Briefe_aus_Paraguay-4
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Titel Briefe aus Paraguay
Jahr 1825
Ort Stuttgart; Tübingen
Nachweis
in: Hertha, Zeitschrift für Erd-, Völker- und Staatenkunde 2:3 (1825), S. [696]–707.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken und Ziffern; Schmuck: Trennzeichen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: IV.59
Dateiname: 1825-xxx_Briefe_aus_Paraguay-4
Statistiken
Seitenanzahl: 12
Zeichenanzahl: 22951
Bilddigitalisate

Weitere Fassungen
[Briefe aus Paraguay] (Wien, 1825, Deutsch)
Paraguay (Augsburg, 1825, Deutsch)
Paraguay (Kopenhagen, 1825, Dänisch)
Briefe aus Paraguay (Stuttgart; Tübingen, 1825, Deutsch)
|696|

Briefe aus Paraguay,mitgetheiltvonAlexander v. Humboldt.


Seitdem der Direktor der exekutiven Gewalt der Repu-blik Paraguay, (Director supremo de la Republica), nachGrundſaͤtzen der ſpaniſchen Regierungskunſt, das Land ge-ſchloſſen haͤlt, iſt es ſo ſelten, irgend eine Nachricht unmittelbaraus dieſem alten Jeſuiten-Reiche zu empfangen, daß manmit Jntereſſe alles liest, was in Anſicht der Dinge und derBegebenheiten geſchrieben iſt. Das jetzige Paraguay oderwie man in Buenos-Ayres, ſagt Alto-Paraguay, iſt gegenOſten vom Parana, gegen Weſten vom Paraguay, gegenNorden von den Fluͤſſen Yvineima und Mbotetey begraͤnzt.Nach der ſchoͤnen Manuſcript-Karte des Miguel de Laſtarriavon 1804 (Carta orografica del Vireynato de las Provin-cias del Rio de la Plata), die ich benutze, finde ich fuͤr denFlaͤcheninhalt des Landes an 7500 Quadratmeilen, deren 20auf einen Grad gehen. Das Land iſt demnach ſo groß alsEngland und Schottland zuſammen genommen, aber dieganze noͤrdliche Haͤlfte von Paraguay jenſeits des Rio Jpanesund der Berge von Maracayu iſt ohne Anbau, ſelbſt ohneVerſuch von Miſſions-Anſtalten. Das ſpaniſche Gouverne-ment und Dr. Francia, der in die Rechte deſſelben getreten iſt,rechnet als Graͤnz-Fluͤſſe gegen Mato-Groſſo und Cuyabahin die Einmuͤndungen des Yvineima in den Parana (Br.22° 25′) und des Mbotetey in Paraguay (Br. 19° 33′);dort liegen Nova Coimbra, das ſuͤdlichſte, 1775 gegruͤndetePreſidio (Br. 19° 55′) der Braſilianer und die Ruinen|697| der zerſtoͤrten Stadt Xerez. Nach portugaliſchen Karten, die miraus Rio Janeiro zugeſchickt worden ſind, behaupten die Bra-ſilianer, daß ihr Beſitz ſich bis zum Fluß Chichuy (Xexuy)bei der alten Miſſion Belem (Br. 23° 32′) erſtreckte. Dasverrufene Paraguay der Jeſuiten umfaßte mehr oͤſtliche Laͤn-der an dem linken Ufer des Parana, und zwiſchen dem Pa-rana, Uruguay und Jbicuy. Die Landeseinwohner bezeichnendieſe durch Artigas verwuͤſtete Gegend mit dem Namen Un-ter-Paraguay (Baſſo-Paraguay) und die Ausdehnung deſſel-ben Namens gegen die Capitania San Paulo und Montevideohin, hat in unſeren Karten und Erdbeſchreibungen zu vielenVerwirrungen Anlaß gegeben. Vor dem Kriege der Unab-haͤngigkeit und der Trennung der ſpaniſchen Kolonien vondem Mutterlande nannte man officiell 1) Gobierno deMontevideo das Kuͤſtenland bis zum Piratiny und RioNegro; 2) Gobierno del Uruguay das Land zwiſchendem Rio Negro und dem Uruguay-Fluſſe; 3) Gobierno deCorrientes y de Miſſiones das Land zwiſchen dem Uru-guay, Curitiba oder Yguazu, Parana (von der Einmuͤndungdes Curitiba bis zu der verkehrreichen Stadt Corrientes)und Rio Paraguay (abwaͤrts von Corrientes bis Buenos-Ay-res); 4) Gobierno del Paraguay das Meſopotamienzwiſchen dem oͤſtlichen Ufer des Paraguay und dem weſtlichenUfer des Parana. Die neueren politiſchen Ereigniſſe habenGraͤnzen und Nomenklatur zugleich veraͤndert. Es iſt hierhinlaͤnglich zu erinnern, daß Entre Rios das mit Buenos-Ayres konfoͤderirt gebliebene Gobierno de Corrientes ge-nannt wird, in deſſen noͤrdlichem Theile die, unter den Jeſui-ten ſo beruͤhmten, jetzt verheerten Miſſionen, Cande-laria, Loreto und Santes Apoſtoles liegen; daß Provinciade Miſſiones jetzt das Land oͤſtlich vom Uruguay, zwiſchendem Jbicuy, der Berggruppe S. Xavier und der Miſſion SanAngel heißt, wie Provincia Cisplatina die Streckezwiſchen der Muͤndung des Plataſtromes, dem Uruguay, demJbicuy und der Capitania de Rio Grande. Dieſen portuga-liſchen, oder vielmehr braſiliſchen Beſitz der Provincia|698| de Miſſiones und Provincia Cisplatina erkenntdie Republik Buenos-Ayres keinesweges als rechtmaͤßig an.Officiell bezeichnen die ſpaniſchen Amerikaner das ihnen ent-riffene Land mit dem Namen: La Banda oriental. Dasehemalige Vicekoͤnigreich des La Plata-Stromes, aus dem dieRepublik Buenos-Ayres ſich allmaͤhlig als Bundes-Staatgeſtaltet, hat, nach meinen neueſten Berechnungen, 126,770Quadrat-See-Meilen (zu 20 auf den Grad *)). Es iſt dem-nach nur um \( \frac{1}{6} \) kleiner als das europaͤiſche Rußland, zaͤhltaber bis jetzt nur noch 2,300000 Einwohner, waͤhrend daßin dem europaͤiſchen Rußland (mit Polen und Finland) uͤber52 Millionen leben. Jch unterſcheide in dem neu ſich bilden-den Bundesſtaate drei Landesſtrecken: Noͤrdliche Region, das ehemalige Alto-Peru, von dem Tequieri und Mamori bis zumPilcomayo, zwiſchen 13° und 21° ſuͤdl. Breite,Qdt. See-Meilen.zum Theil noch von den koͤniglich ſpaniſchen Trup-pen, unter Olareto’s Befehl, beſetzt ..... 37,020 Weſtliche Region, zwiſchen dem Pilcomayo,La Plata, Rio Negro und dem oͤſtlichen Abfallder Andeskette (mit den Staͤdten Tarija, Salta,Cordova, Santa Fe, San Luis de la Punta undMendoza) ............. 66,518 Oeſtliche Region, das heißt das Land oͤſtlichvon Paraguay und Parana (1s zwiſchen Uruguayund Parana oder Entre Rios 6848,; 2s zwiſchendem Uruguay und der Meereskuͤſte, der ProvinciaCisplatina 8960; 3s zwiſchen dem Rio Para-guay und Parana, das eigentliche Paraguay vonDoktor Francia beherrſcht, 7424) ...... 23,232 Das alte Vicekoͤnigreich des La Plata-Stro-mes oder Buenos-Ayres ........ 126,770
*) Eine geographiſche Quadratmeile (zu 15 auf den Grad) hat1\( \frac{77}{100} \) Quadrat-See-Meilen. Die leztern ſind in dem ſpani-ſchen Amerika die gebraͤuchlichſten.
|699| Ueber die Bevoͤlkerung des Paraguay, welche in neue-ren Zeiten betraͤchtlich zugenommen hat, fehlt es ganz angenauen Nachrichten. Brackenridge in ſeinem trefflichen Werke(Voyage to South-America 1820 T. II. p. 47.) gab ſiezu 140,000 an, aber nach den Dokumenten, welche Hr. Rodney,der Kommiſſaͤr der nordamerikaniſchen Vereinigten Staatenan den Praͤſidenten nach Washington geſandt hat (Mes-sage From the President of the session ofthe fifteenth Congress p. 20. 41.) war dieſe Schaͤz-zung ſelbſt fuͤr das Jahr 1818 zu gering. Die Zahl derWeißen und Meſtizen iſt ſehr betraͤchtlich in Paraguay. DieBevoͤlkerung der Stadt Aſuncion (Br. 25° 20′ und 40′ oͤſtlichvom Meridian von Buenos-Ayres *) wird zu 12000 Einwoh-nern angegeben; in der Candelaria (Provinz Entre Rios) zaͤhlteman im Jahr 1817 an 5000 Seelen, in Buenos-Ayres 60,000. Nachſtehende Briefe, welche uͤber den jetzigen Zuſtandvon Paraguay einiges Licht verbreiten, ſind von einem un-
*) Buenos-Ayres iſt nicht durch abſolute Himmels-Beobachtun-gen beſtimmt, ſondern nur kronometriſch durch Uebertragungder Zeit von Montevideo. Der Meridian-Unterſchied vonBuenos-Ayres und Montevideo wurde durch Malaspina’sExpedition zu 2° 10′ (Espinosa, Memorias de los Na-vigentes Españoles T. I. Costas de America p. 3.6. 140.); durch ſpaͤtere ſpaniſche Seekarten zu 2° 16′ angege-ben. Triesnecker fand fuͤr Montevideo aus dem Merkur-Durch-gange des 5. Nov. 1789 Laͤnge: 58° 32′ 30″ weſtlich von Pa-ris, aus einer Sternbedeckung 58° 37′ 11″. Die wahre Laͤngeſcheint in der That zwiſchen beiden Angaben zu liegen, dennganz neuerlichſt hat, nach Manuſkript-Nachrichten, welche mirder Kontre-Admiral Herr de Roſſel mitgetheilt, der Komman-dant der franzoͤſiſchen Korvette l’Aigrette (Herr Fouque) durchvortreffliche Kronometer den Meridian-Unterſchied von Monte-video und der Jnſel Anhatomirim zu 7° 34′ 18″ beſtimmt. DieſeJnſel iſt aber, nach Rouſſin’s Expedition, der ſicherſte Punkt derbraſiliſchen Kuͤſte, und wird zu 51° 1′ 18″ angenommen,woraus fuͤr Montevideo 58° 35′ 36″, fuͤr Buenos-Ayres 60°52′ 12″ folgen wuͤrde. (Das Deposito hidrograficode Madrid nahm ehemals als abſolute Laͤnge 60° 43′ an!)
|700| ternehmenden Manne, Herrn Grandſire geſchrieben. Dieſerwurde mir in dem Jahre 1823 von dem gelehrten BotanikerHerrn Mirbel (der unter der Staatsverwaltung des Duc deCazes eine wichtige Stelle im Miniſterium des Jnnern be-kleidete) als ein Reiſender vorgeſtellt, der den Entſchluß ge-faßt haͤtte, nach Paraguay uͤber Corrientes vorzudringen, ummeinem Freunde, Herrn Bonpland, den er ehemals in Bue-nos-Ayres ſehr genau gekannt, zu ſeiner endlichen Befreiungnuͤtzlich zu ſein. Eine ſolche Gelegenheit war nicht zu ver-nachlaͤſſigen, und ſo wenig Hoffnung ich auch hatte, daß die-ſer Verſuch gelingen wuͤrde, ſo bot ich doch alles auf, wasHerrn Grandſire’s ruͤhmliches Unternehmen beguͤnſtigen konnte.Jch verſchaffte ihm, gemeinſchaftlich mit Herrn Cuvier, Briefedes Jnſtituts, welche den Wunſch fuͤr Bonpland’s Ruͤckkunftaufs lebhafteſte ausdruͤckten. Der damalige Miniſter derauswaͤrtigen Angelegenheiten, Vicomte de Chateaubriand,empfahl auf meine Bitte Herrn Grandſire an den franzoͤſiſchenGeneral-Konſul in Rio Janeiro. Jch ſchrieb ſelbſt einenlangen ſpaniſchen Brief an den Diktator Doktor Francia.Herr Grandſire meldete mir ſeine Ankunft in Braſilien imMaͤrz 1824. Es hat gewiß nicht an ſeinem guten Willenund an ſeiner Thaͤtigkeit gelegen, wenn ſein Wunſch, Bon-pland zu befreien, unerfuͤllt geblieben iſt.

Sie haben aus meinem letzten Briefe aus Montevideogeſehen, daß ich die Hoffnung hatte, unmittelbar von Bue-nos-Ayres den Rio Paraguay aufwaͤrts und dann durchden Parana nach Candelaria zu gelangen; aber ein unge-gruͤndeter Verdacht, daß meine Reiſe politiſche Zwecke habe,hat mich gehindert, dieſen Plan auszufuͤhren. Jch bin ge-zwungen worden Buenos-Ayres zu verlaſſen und habe inMontevideo bei dem braſiliſchen General-Gouverneur LeCoc, der Jhnen und Herrn Bonpland ſehr ergeben iſt, diefreundlichſte Aufnahme gefunden. Von dort aus habe ich|701| durch die Provincia Cisplatina die ſchwierige Reiſe nachParaguay, wo der Doktor Francia jetzt unter dem Nameneines Diktators herrſcht, fortgeſetzt. Jch lebe noch immerder Hoffnung, durch meine angeſtrengteſten Bemuͤhungen, dieEmpfehlungen des Jnſtituts und Jhre an den Diktator ge-richteten Briefe zur endlichen Befreiung ihres Freundes beizu-tragen. Jch habe hier erfahren, daß er die Gefangenſchaftmit mehr als 60 Perſonen theilt, unter denen ſich einigeSchweizer befinden, die in der Aſuncion (Hauptſtadt von Pa-raguay) ſich mit naturhiſtoriſchen Unterſuchungen beſchaͤf-tigen. Das Land iſt gegenwaͤrtig zum Handel blos den Un-terthanen des Kaiſers von Braſilien geoͤffnet, und da derDiktator die Republik Buenos-Ayres beſchuldigt, ihm ſelbſtnach dem Leben getrachtet zu haben, ſo ſind ihm alle Rei-ſende verdaͤchtig, welche uͤber Corrientes eindringen wollen.Jch hoffe, da ich unter braſiliſchem Schutze hier (in Jta-pua) anlange, meinen Zweck nicht zu verfehlen. MeineAnkunft iſt geſtern durch einen Kurier dem in Tranquierakommandirendem General gemeldet worden, denn ehe nicht dieErlaubniß von dem Doktor Francia perſoͤnlich gegeben wird,kann ich von dieſem Graͤnzorte nicht weiter vorwaͤrts ſchrei-ten. Von San Borja bis hieher in der Provinz Entre Rioshabe ich eine wahre Einoͤde gefunden. Die ganze Gegend iſtdurch Artiga *) verheert; alle Kirchen, welche die Jeſuiten oͤſt-lich von Parana gebaut hatten, und welche nach ihrer Ver-treibung durch Miſſionen anderer Moͤnche unterhalten wur-den, ſind verbrannt. Die Kinder der Jndier irren mitverwilderten Ziegen in den Waͤldern umher. Jch ſchicke Jhnendieſen Brief uͤber San Borja, von wo aus ihn der Komman-dant an den Hofkapellan des Kaiſers nach Rio Janeiro beſor-gen wird. Jch habe auf dieſer Reiſe mich uͤberzeugt, daß die
*) Nachdem dieſer von den Portugalen geſchlagen, ſich nach Pa-raguay fluͤchtete, um dort neue Werbungen zu machen, wurdeihm vom Doktor Francia der Befehl gegeben, ſich in ein Kloſterzu begeben, in dem er jetzt noch ſeiner Freiheit beraubt iſt.
|702| beiden Katarakten (Saltos) des Rio Uuruguay durch kleineNebenkanaͤle vermieden werden koͤnnen, ſo daß Schifſfahrtmit Dampfboͤten kuͤnftig moͤglich ſein wird.

Aus meinem letzten Briefe haben Sie geſehen, daßdem Diktator der Republik Paraguay, Don Gaspar Fran-cia, meine Ankunft gemeldet worden iſt. Die Hoffnung,die ich hatte, bis zur Hauptſtadt zu gelangen, hat leiderſehr abgenommen. Der Diktator legt mir neun Fragenvor, alle politiſchen Jnhalts uͤber die Beſchluͤſſe, welche erden Kontinentalmaͤchten, in einem in Jtalien gehaltenen Kon-greſſe, zuſchreibt und nach denen die independenten Provin-zen unter ſpaniſche Botmaͤßigkeit zuruͤckgebracht werden ſoll-ten. Er iſt voll Beſorgniß uͤber den franzoͤſiſchen Feldzugnach Spanien; er verlangt Antwort auf die feindlichen Ab-ſichten, welche er dem Miniſter des Duc de Cazes gegendie Freiheit von Paraguay zuſchreibt. Er giebt vor, HerrBonpland ſei mit Briefen eines indiſchen Chefs in derProvincia des Miſſiones (Francia’s aͤrgſtem Feinde) auf demweſtlichen Ufer des Rio Parana geſehen worden, um denPlan von Jtapua aufzunehmen; er wiſſe nicht, ſelbſt inder Vorausſetzung, daß auch meine Reiſe wiſſenſchaftlicheZwecke habe, wie das franzoͤſiſche Jnſtitut oder irgend einepolitiſche Macht in Europa ſich berechtigt glauben koͤnne,jemand nach Paraguay zu ſchicken, da allgemein bekanntſei, daß das Land keinem Fremden geoͤffnet werden koͤnne.Sie ſehen aus dieſen bedenklichen Fragen, daß der Diktatordie Angelegenheiten des alten Kontinents genau zu kennenglaubt. Jch habe geantwortet, meine Reiſe habe ſchlechter-dings keinen Bezug auf politiſche Ereigniſſe. Jch habe Pa-raguay durchreiſen wollen, um auf den Punkt zu gelangen,wo durch den Rio Jauru- und den Madeira-Strom eineVerbindung zwiſchen dem Amazonen-Fluſſe und Rio de laPlata moͤglich ſei. Dieſer Zweck meiner Reiſe werde von|703| dem Kaiſer von Braſilien, der mir Empfehlungen nachder Provinz Mato Groſſo gegeben, ganz beſonders beguͤn-ſtigt. Jch fuͤgte hinzu, daß ich der ſpaniſchen Sprachenicht maͤchtig, auf die mir, von dem Majordomo von Jta-pua vorgelegten politiſchen Fragen ſchriftlich nicht zu ant-worten wage, daß ich aber dem Doktor Francia muͤndlichalle Auskunft geben wuͤrde. Es iſt ſehr wahrſcheinlich,daß ich das Schickſal des armen Bonpland theilen werde;doch bin ich es der Wahrheit ſchuldig, zu ſagen, daß nachallem, was ich hier ſehe, ſeit 22 Jahren die Einwohner vonParaguay unter einer guten Adminiſtration, der gluͤcklich-ſten Ruhe genießen. Der Kontraſt mit den Laͤndern, dieich bis hieher durchſtrichen, iſt uͤberaus auffallend. Manreiſet in Paraguay ohne alle Waffen, die Thuͤren der Haͤuſerſind kaum verſchloſſen, denn jeder Diebſtahl wird mit demTode beſtraft, ja der Eigenthuͤmer des Hauſes oder der Ge-meinde, in welcher der Raub geſchehen iſt, werden zum Er-ſatz gezwungen. Bettler ſieht man gar nicht, alle Menſchenarbeiten. Jtapua hat 2000 Seelen, finden ſich Duͤrftigedarunter, ſo wenden ſie ſich an den Diktator, der die Kinderdann auf Koſten des Staats erziehen laͤßt. Die Erziehungiſt ganz militaͤriſch; ſtatt der Glocke werden die Zoͤglingedurch Trommelſchlag in die Klaſſe berufen; faſt alle Ein-wohner koͤnnen leſen und ſchreiben und die Alkalden, welchejaͤhrlich von dem Volke gewaͤhlt werden, beſtimmen, wielange die jungen Leute die Schule beſuchen ſollen. Der Dok-tor Francia wird mir als ein gebildeter Mann geſchildert,der der franzoͤſiſchen Sprache maͤchtig iſt. Er iſt 62 Jahralt, aber noch immer uͤberaus thaͤtig, ſorgſam fuͤr die Ele-ganz ſeiner Kleidung. Dieſes herrliche Land kann einſt fuͤrden europaͤiſchen Handel ſehr wichtig werden, jetzt aber iſtes bloß den Einwohnern von Braſilien zugaͤnglich. Zwoͤlfbis funfzehn Kaufleute dieſer Nation unterhalten allein denVerkehr mit der Provinz Mato Groſſo. Der Diktator iſtſehr gereitzt uͤber allen Tadel, welchen das Gouvernement vonBuenos-Ayres in europaͤiſchen Zeitungen uͤber ihn (wie er|704| behauptet) verbreiten laͤßt. Jch habe geſtern Gelegenheit gehabt,einen Landmann zu ſehen, welcher Bonplands naͤchſter Nach-bar iſt und ihn taͤglich ſieht. Er verſichert, daß es ihm wohl-gehe, daß er Laͤndereien beſitze, die ihm der Doktor Francia ge-geben, er die Arzneikunſt ausuͤbe, ſich mit der Diſtillation vonBrandwein aus Honig beſchaͤftige, und daß er noch immer,wie ſeine taͤglich zunehmenden Sammlungen bezeugen, leiden-ſchaftlich Pflanzen ſammle und beſchreibe. Es iſt mir nichterlaubt worden, Briefe an ihn gelangen zu laſſen. Er iſtnicht in S. Anna bei Corrientes, ſondern in S. Anna un-fern Candelaria aufgehoben worden. Das Klima iſt hier uͤber-aus angenehm, ja bisweilen ſo kalt, daß es dieſe Nachtgefroren hat......

(Jch finde nach der ſchoͤnen Manuſkript-Karte von Las-tarria, daß Jtapua unter 27° 22′ ſuͤdlicher Breite an demweſtlichen Ufer des Rio Parana liegt, faſt Candelaria ge-genuͤber. Was Herr Grandſire von der Kanalverbindungzwiſchen dem Amazonen- und Plata-Strome ſagt, beziehtſich auf die Naͤhe der drei großen Fluͤſſe Topayos, Ma-deira und Paraguay, ſuͤdweſtlich von dem niedrigen Ge-birge Parecis. Der Guaverè oder Jtenes fließt in denMadeira, der Jauru in den Paraguay-Strom. Suͤdlichvon Santa Barbara nahet ſich der Aguapehi ſo ſehr demRio Alegre, daß der Jſthmus nur 5322 portugaliſche Bra-ças breit iſt. Auf dieſem Punkte wollte man, unter derStaatsverwaltung des Grafen von Barca, einen Kanal gra-ben. Die Stadt Villabella, dieſem Jſthmus nahe, auf demrechten Ufer des Guaporè, oder Jtenes, etwas oberhalb derEinmuͤndung des Sarare, kann einſt fuͤr das Verkehr derVoͤlker im Jnnern von Amerika von großer Wichtigkeitwerden. Wenn man bedenkt, daß der Amazonenſtrom mitdem Orinoko durch den Caſſiquiare zuſammenhaͤngt, ſo er-ſicht man, daß das Durchgraben des Jſthmus von Villa-bella eine Flußverbindung zwiſchen dem Delta des Orinoko(der Jnſel Trinidad gegenuͤber) und Buenos-Ayres oder|705| der Muͤndung des Rio de la Plata bewirken wuͤrde. Aufdieſe Weiſe koͤnnte in mehr als tauſend Meilen Laͤngeganz Suͤdamerika durchſchifft werden, wenn nicht mannig-faltige Katarakten (Saltos) den Handelsverkehr erſchwer-ten. Die Lokalverhaͤltniſſe um Villabella kenne ich aus derManuſkript-Karte von Braſilien, die Herr Silva PontesLeme 1804 in Rio Janeiro aus 76 Spezial-Karten zuſam-mengetragen hat).
Der Diktator von Paraguay hat mir nicht erlaubenwollen, durch ſein Land zu reiſen; ich habe den 14. Sept.Jtapua verlaſſen nach einem Aufenthalt von 3 Wochen.Von San Borja aus (an dem oͤſtlichen Ufer des Uruguay)habe ich von neuem an den Doktor Francia geſchrieben,und ihm auf das lebhafteſte die Gruͤnde entwickelt, aus de-nen Herrn Bonpland’s Befreiung ſeiner eigenen Politik nuͤtz-lich ſein wuͤde. Jch habe nicht gewagt, ihm Jhren Briefzu ſchicken, weil bei ſeiner großen Reitzbarkeit zu befuͤrchteniſt, daß jede fremde Einmiſchung ihm verdaͤchtig werde. Jchlebe noch immer der Hoffnung, Jhrem theuren Reiſegefaͤhr-ten, der nie den Diktator ſelbſt hat ſehen koͤnnen, doch nochnuͤtzlich zu ſein. Jch denke bis Nueva Coimbra in derProvinz Cuyaba vorzudringen. Wenn ich von den Quellendes Madeira-Stroms zuruͤckkomme, ſo wird vielleicht aufdieſem Wege, von Norden her, der Doktor Francia keinBedenken tragen, mich zu ſich zu laſſen, da ihm nicht dieBraſilianer, aber alle verhaßt ſind, welche den Weg uͤberBuenos-Ayres und Corrientes nehmen. Jch habe auf demWege hieher durch faſt undurchdringliche Waͤlder viel gelit-ten, vielleicht ſo viel als Sie ſelbſt in den Waͤldern des
*) Der Name des Orts erinnert, nach Herrn Auguſte de Saint-Hilaire, an die nahen Gebuͤſche von Auraucaris und iſt zu-ſammengeſetzt von curii und tiba. Er bedeutet: Gruppevon Nadelholz.
|706| Orinoko. Die Buͤcher, welche ich in Jhrem Namen demDoktor Francia ſchenken ſollte, habe ich in San Borja demGouverneur der Provincia de las Miſſiones verehrt, einemManne, der ſich beeifert, jedem wiſſenſchaftlichen Reiſendenangenehm zu ſein. Haͤtte ich dieſe Buͤcher laͤnger behalten,ſo wuͤrden ſie bei der Naͤſſe, der ich taͤglich ausgeſetzt bin,unfehlbar verrotten. Jn den hieſigen Waͤldern von Curitibaſpricht man uͤberall von der weißen China-Rinde, Quin-quina blanca *). —

Jch fuͤge dieſen Briefen aus Paraguay einen Auszugaus dem Argus bei, einem politiſchen Journale, welchesin Buenos-Ayres gedruckt wird. Corrientes d. 9. Febr. 1822.Jm November v. J. haben wir bereits unſere Zweifel ge-aͤußert uͤber die Frage: ob Herr Bonpland ſtatt gegen Nor-den nach Corrientes zu gehen, nicht nuͤtzlichere Unterſuchungenfuͤr die Naturkunde machen wuͤrde, wenn er die bisher ſo unbe-kannten patagoniſchen Laͤnder im Suͤden, jenſeits des Rio Sa-lado gegen Rio Colrado et Rio Negro hin, zwiſchen dem 36 und40° ſuͤdl. Breite durchreiſte. Dort haͤtte er Sicherheit undRuhe gefunden, ſtatt des blutigen Zwiſtes, des Mißtrauensund des menſchlichen Elendes, von dem jetzt noch die Lan-desſtrecke zwiſchen dem Uruguay und Parana bedraͤngt iſt:Unſere Beſorgniſſe ſind, wie die Erfahrung gelehrt, leidernur zu rechtmaͤßig geweſen. Am 8. Dezember iſt auf Be-fehl des Doktors Francia, des maͤchtigen Herrn (Gran Se-ñor) von Paraguay, ein Haufen Paraguayos (Einwohnerder ehemaligen Jeſuitermiſſionen) in das indiſche Dorf SantaAnna eingefallen, um Herrn Bonpland geſangen zu neh-men, ſeine Pflanzungen von Mate (Yerba del Paraguay)zu zerſtoͤren und das Vieh nebſt den Menſchen uͤber denParana hinuͤber zu ſetzen. Man kann keine andere Urſachedieſes ſchrecklichen Vorfalls errathen, als daß der Gran Se-or de Paraguay gefuͤrchtet hat, die Stadt Corrientes (die
*) Nach Herrn Auguſte de Saint-Hilaire ein Solanum.
|707| zur Republik Buenos-Ayres gehoͤrt) werde durch HerrnBonpland’s ruͤhmliche Bemuͤhung einſt an den Handel mitinlaͤndiſchem Thee Theil nehmen.

Da die Verſuche, welche von Braſilien aus zu Herrn Bon-pland’s Befreiung gemacht worden ſind, bisher keinen gluͤck-lichen Erfolg gehabt haben, ſo iſt jetzt alle meine Hoffnungauf die edeln Bemuͤhungen des englaͤndiſchen Gouverneursgegruͤndet. Der Staatsminiſter George Canning hat mirwiederholende Nachricht von den Schritten mitgetheilt, dieder englaͤndiſche Geſchaͤftstraͤger bei der Republik Buenos-Ayres, Herr Parish, verſucht hat. Es iſt dieſem Geſchaͤfts-traͤger bereits gegluͤckt, die englaͤndiſchen Unterthanen inFreiheit zu ſetzen. Er dringt jetzt, in Briefen an den Dik-tator, auf die Auslieferung meines Freundes, der ſich, wieer ſchreibt, in Santa Roſa (ſuͤdlich von dem Rio Tibiquarietwa 40 Seemeilen von der Hauptſtadt Aſuncion) aufhaͤlt.Herr Parish iſt uͤberzeugt, daß Bonpland’s Gefangennehmungkeinen andern Grund gehabt habe, als die gluͤckliche Anlagevon Pflanzungen des Paraguay-Thee’s (Arvore do Mateoder da congonha). Der Strauch iſt nach Auguſte de S.Hilaire’s Unterſuchung, Ilex Mate, von Cossine Peraguades Linné gaͤnzlich verſchieden. Man doͤrrt die ſteifen Blaͤt-ter und jungen Zweige am Feuer und zerſtampft ſie zu Pulver,daher der Aufguß (um das Pulver von der Fluͤſſigkeit zu tren-nen) durch kleine ſilberne Roͤhren, die in eine Kugel mitvielen kleinen Oeffnungen endigen, eingeſchluͤrft wird. Sohabe ich den Gebrauch des Mate in Peru verbreitet gefunden,und die Laͤnder an der Suͤdſeekuͤſte ſind, bei dem ſtrengenVerbot der Ausfuhr aus Paraguay, ſehr verlegen, ſich dieſesBeduͤrfniß des Luxus, welches ihnen uͤberaus nothwendig ge-worden iſt, zu verſchaffen.

Alexander v. Humboldt.