Da wir bereits früher schon aus französischen Journalen Auszüge aus den, von Hrn. Al. v. Humboldt mitgetheilten, Briefen aus Paraguay gegeben haben, so dürfte es für unsere Leser von Interesse seyn, nun auch die Einleitung des Hrn. v. Humboldt zu diesen Briefen zu erhalten. "Das jetzige Paraguay, bemerkt Hr. v. Humboldt, oder wie man in Buenos-Ayres sagt, Alto-Paraguay, ist gegen Osten von Parana, gegen Westen von Paraguay, gegen Norden von den Flüssen Yvineima und Mbotetey begränzt. Nach der schönen Manuscript-Karte des Miguel de Lastarria von 1804 (Carta orografica del Vireynato de las Provincias del Rio de la Plata), die ich benutze, finde ich für den Flächeninhalt des Landes an 7500 Quadratmeilen, deren 20 auf einen Grad gehen. Das Land ist demnach so groß als England und Schottland zusammen genommen, aber die ganze nördliche Hälfte von Paraguay jenseits des Rio Ipanes und der Berge von Maracayu ist ohne Anbau, selbst ohne Versuch von Missions-Anstalten. Das spanische Gouvernement und Dr. Francia, der in die Rechte desselben getreten ist, rechnet als Grenz-Flüsse gegen Mato-Grosso und Cuyaba hin die Einmündungen des Yvineima in den Parana (Br. 20° 25') und des Mbotetey in Paraguay (Br. 19° 33); dort liegen Nova Coimbra, das südlichste, 1775 gegründete Presidio (Br. 19° 55') der Brasilianer und die Ruinen der zerstörten Stadt Xerez. Nach portugalischen Karten, die mir aus Rio de Janeiro zugeschickt worden sind, behaupten die Brasilianer, daß ihr Besitz sich bis zum Fluß Chichuy (Xexuy) bei der alten Mission Belem (Br. 23° 32') erstreckte. Das bekannte Paraguay der Jesuiten umfaßte mehr östliche Länder am linken Ufer des Parana, und zwischen dem Parana, Uruguay und Ibicuy. Die Landeseinwohner bezeichnen diese durch Artigas verwüstete Gegend mit dem Namen Unter-Paraguay (Basso-Paraguay) und die Ausdehnung desselben Namens gegen die Capitania San Paulo und Monte-Video hin, hat in unseren Karten und Erdbeschreibungen zu vielen Verwirrungen Anlaß gegeben. Vor dem Kriege der Unabhängigkeit und der Trennung der spanischen Colonien von dem Mutterlande nannte man offiziell: 1) Gobierno de Monte-Video das Küstenland bis zum Piratiny und Rio Negro; 2) Gobierno del Uruguay das Land zwischen dem Rio Negro und dem Uruguay-Flusse; 3) Gobierno de Corrientes y de Missiones das Land zwischen dem Uruguay, Curitiba oder Yguazu, Parana (von der Einmündung des Curitiba bis zu der verkehrreichen Stadt Corrientes) und Rio Paraguay (abwärts von Corrientes bei Buenos-Ayres); 4) Gobierno del Paraguay das Mesopotamien zwischen dem östlichen Ufer des Paraguay und dem westlichen des Parana. Die neueren politischen Ereignisse haben Grenzen und Nomenklatur zugleich verändert. Es ist hier hinlänglich zu erinnern, daß Entre Rios das mit Buenos-Ayres conföderirt gebliebene Gobierno de Corrientes genannt wird, in dessen nördlichem Theile die, unter den Jesuiten so berühmten, jetzt verheerten Missionen, Candelaria, Lorete und Santes Apostoles liegen; daß Provincia de Missiones jetzt das Land östlich vom Uruguay, zwischen dem Ibicuy, der Berggruppe S. Xavier und der Mission San Angel heißt, wie Provincia Cisplatina die Strecke zwischen der Mündung des Platastromes, dem Uruguay, dem Ibicuy und der Capitania de Rio Grande. Diesen portugalischen oder vielmehr brasilischen Besitz der Provincia de Missiones und Provincia Cisplatina erkennt die Republik Buenos-Ayres keineswegs als rechtmäßig an. Offiziell bezeichnen die spanischen Amerikaner das ihnen entrissene Land mit dem Namen: La Banda oriental. Das ehemalige Vice-Königreich des la Platastromes, aus dem die Republik Buenos-Ayres sich allmählig als Bundes-Staat gestaltet hat, nach meinen neuesten Berechnungen, 126,770 Quadrat-Seemeilen (zu 20 auf den Grad . Es ist demnach nur um [Formel] kleiner als das europäische Rußland, zählt aber bis jetzt nur noch 2.300,000 Einwohner, während daß in dem europäischen Rußland (mit Pohlen und Finnland) über 52 Millionen leben. Ich unterscheide in dem neu sich bildenden Bundes-Staate drei Landesstrecken: Nördliche Region, das ehemalige Alto-Peru von dem Tequieri und Mamori bis zum Pilcomayo, zwischen 13° und 21° südlicher Breite, zum Theil noch von den königlich spanischen Truppen, unter Olaneta's Befehl besetzt, 37,020 Quadrat-Meilen. Westliche Region, zwischen dem Pilcomayo, la Plata, Rio Negro und dem östlichen Abfall der Andeskette (mit den Städten Tarija, Salta, Cordova, Santa Fe, San Luis de la Punta und Mendoza), 66,518 Quadrat-Meilen. Oestliche Region, das heißt das Land östlich von Paraguay und Parana (1. zwischen Uruguay und Parana oder Entre Rios 6848; 2. zwischen dem Uruguay und der Meeresküste, der Provincia Cisplatina 8960; 3. zwischen dem Rio Paraguay und Parana, das eigentliche Paraguay von Dr. Francia beherrscht, 7424), 23,232 Quadrat- Meilen. Das alte Vice-Königreich des la Platastromes oder Buenos-Ayres 126,770 Quadrat-Meilen. Ueber die Bevölkerung des Paraguay, welche in neuern Zeiten beträchtlich zugenommen hat, fehlt es ganz an genauen Nachrichten. Brackwridge in seinem trefflichen Werke (Voyage to South America 1820 T. II. p. 47) gab sie zu 140,000 an, aber nach den Documenten, welche Hr. Rodney, der Commissär der nordamerikanischen vereinigten Staaten an den Präsidenten nach Washington gesandt hat (Message from the President of the session of the fifteenth Congress p. 20. 41) war diese Schätzung selbst für das Jahr 1818 zu gering. Die Zahl der Weißen und Mestizen ist sehr beträchtlich in Paraguay. Die Bevölkerung der Stadt Asuncion (Br. 25° 20' und 40' östlich vom Meridian von Buenos-Ayres wird zu 12,000 Einwohnern angegeben; in der Candelaria (Provinz Entre Rios) zählte man im Jahre 1817 an 5000 Seelen, in Buenos-Ayres 60,000." Eine geographische Quadratmeile (zu 15 auf den Grad) hat 1 [Formel] Quadrat-Seemeilen. Die letztern sind in dem spanischen Amerika die gebräuchlichsten. Buenos Ayres ist nicht durch absolute Himmels- Beobachtungen bestimmt, sondern nur kronometrisch durch Uebertragung der Zeit von Monte-Video. Der Meridian-Unterschied von Buenos-Ayres und Monte-Video wurde durch Malaspina's Expedition zu 2° 10' (Espinosa, Memorias de los Navigentes Espano les T. I. Costas de America p. 3. 6. 140.); durch spätere spanische Seekarten zu 2° 16' angegeben. Triesnecker fand für Monte-Video aus dem Merkur- Durchgange des 5. November 1789 Länge: 58° 32' 30" westlich von Paris, aus einer Sternbedeckung 58° 37' 11". Die wahre Länge scheint in der That zwischen beiden Angaben zu liegen, denn ganz neuerlichst hat nach Manuscript-Nachrichten, welche mir der Contre-Admiral Hr. de Rossel mitgetheilt, der Commandant der französischen Korvette l'Aigrette (Hr. Fouquet) durch vortreffliche Kronometer den Merdian-Unterschied von Monte-Video und der Insel Anhatomirim zu 7° 34' 18" bestimmt. Diese Insel ist aber nach Roussin's Expedition, der sicherste Punct der brasilianischen Küste, und wird zu 51° 1' 18" angenommen, woraus für Monte-Video 58° 35' 36", für Buenos-Ayres 60° 52' 12" folgen würde. (Das Deposito hidografico de Madrid nahm ehemals als absolute Länge 60° 43' an!) "Die in Rede stehenden Briefe, welche über den jetzigen Zustand von Paraguay einiges Licht verbreiten, sind von einem unternehmenden Manne, Hrn. Gransire, geschrieben. Dieser wurde mir im Jahre 1823 von dem gelehrten Botaniker Hrn. Mirbel (der unter der Staatsverwaltung des Duc de Cazes eine wichtige Stelle im Staatsministerium bekleidete) als ein Reisender vorgestellt, der den Entschluß gefaßt hätte, nach Paraguay über Corrientes vorzudringen, um meinem Freunde, Hrn. Bonpland, den er ehemals in Buenos-Ayres sehr genau gekannt, zu seiner endlichen Befreiung nützlich zu seyn. Eine solche Gelegenheit war nicht zu vernachlässigen, und so wenig Hoffnung ich auch hatte, daß dieser Versuch gelingen würde, so bot ich doch alles auf, was Hrn. Grandsire's rühmliches Unternehmen begünstigen konnte. Ich verschaffte ihm, gemeinschaftlich mit Hrn. Cuvier, Briefe des Instituts, welche den Wunsch für Bonplands Rückkunft aufs lebhafteste ausdrückten. Der damalige Minister der auswärtigen Angelegenheiten Vicomte de Chateaubriand empfahl auf meine Bitte Hrn. Grandsire an den französischen General-Consul in Rio de Janeiro. Ich schrieb selbst einen langen spanischen Brief an den Dictator Doctor Francia. Hr. Grandsire meldete mir seine Ankunft in Brasilien im März 1824. Es hat gewiß nicht an seinem guten Willen und an seiner Thätigkeit gelegen, wenn sein Wunsch, Bonpland zu befreien, unerfüllt geblieben. Die Briefe des Hrn. Grandsire sind aus Itapua vom 18. August und 10. September 1824 und aus Curitiba vom 20. November 1824. -- Hr. v. Humboldt fügt am Schluß noch Folgendes hinzu: "Da die Versuche, welche von Brasilien aus zu Hrn. Bonplands Befreiung gemacht worden sind, bisher keinen glücklichen Erfolg gehabt haben, so ist jetzt alle meine Hoffnung auf die edlen Bemühungen des englischen Gouverneurs gegründet. Der Staatsminister George Canning hat mir wiederholende Nachricht von den Schritten mitgetheilt, die der englische Geschäftsträger bei der Republik Buenos-Ayres Hr. Parish, versucht hat. Es ist diesem Geschäftsträger bereits geglückt, die englischen Unterthanen in Freiheit zu setzen. Er dringt jetzt, in Briefen an den Dictator, auf die Auslieferung meines Freundes, der sich, wie er schreibt, in Santa Rosa (südlich von dem Rio Tibiquari etwa 40 Seemeilen von der Hauptstadt Asuncion) aufhält. Hr. Parish ist überzeugt, daß Bonplands Gefangennehmung keinen andern Grund gehabt habe, als die glückliche Anlage von Pflanzungen des Paraguay-Thee's (Arvore do Mate oder da congonha). Der Strauch ist nach Auguste de S. Hilaire's Untersuchung, Ilex Mate, von Cossine Peragua des Linne gänzlich verschieden. Man dörrt die steifen Blätter und jungen Zweige am Feuer und zerstampft sie zu Pulver, daher der Aufguß (um das Pulver von der Flüssigkeit zu trennen) durch kleine silberne Röhren, die in eine Kugel mit vielen kleinen Oeffnungen endigen, eingeschärft wird. So habe ich den Gebrauch des Mate in Peru verbreitet gefunden, und die Länder an der Südseeküste sind, bei dem strengen Verbot der Ausfuhr aus Paraguay, sehr verlegen, sich dieses Bedürfniß des Luxus, welches ihnen überaus nothwendig geworden ist, zu verschaffen. Paris, den 28. Juni 1825. Alexander v. Humboldt."