Zwei Bruchſtuͤcke aus der am 24. Jan. in der Berliner Akademie gehaltene Vorleſung des Hrn. Alexander von Humboldt: „Über den Bau und die Wirkungsart der Vulkane in verſchiednen Erdſtrichen.“ 1. „Wenn es ein ruͤhmliches Geſchaͤft gelehrter Geſellſchaften iſt, den cosmiſchen Veraͤnderungen der Waͤrme, des Luftdrucks, der magnetiſchen Richtung und Ladung beharrlich nachzuſpuͤren, ſo iſt es dagegen die Pflicht des reiſenden Geognoſten bei Beſtimmung der Unebenheiten der Erdoberfläche hauptſaͤchlich auf die veraͤnderliche Hoͤhe der Vulkane Ruͤckſicht zu nehmen. Was ich vormals in den mexikaniſchen Gebirgen, am Toluca Nauhcampatepetl und Xorullo in den Anden von Quito am Pichincha verſucht, habe ich Gelegenheit gehabt, ſeit meiner Ruͤckkehr nach Europa, zu verſchiedenen Epochen am Veſuv zu wiederholen. Sauſſure hatte dieſen Berg im Jahre 1773 in einer Zeit gemeſſen, wo beide Raͤnder des Craters, der norweſtliche und ſuͤdoͤſtliche, ihm gleich hoch ſchienen. Er fand ihre Hoͤhe uͤber der Meeresflaͤche 609 Toiſen. Die Eruption von 1794 verurſachte einen Abſturz gegen Suͤden, eine Ungleichheit der Craterraͤnder, welche das ungeuͤbteſte Auge ſelbſt in großer Entfernung unterſcheidet. Wir maßen, Herr von Buch, Gay-Luſſac und ich, im Jahr 1805 den Veſuv dreimal, und fanden den noͤrdlichen Rand, der der Somma gegenuͤber ſteht, la Rocca del Palo, genau wie Sauſſure; den ſuͤdlichen Rand aber 71 Toiſen niedriger, als 1773. Die ganze Hoͤhe des Vulkans hatte gegen Torre del Greco hin, (nach einer Seite, gegen welche ſeit 30 Jahren das Feuer gleichſam vorzugsweiſe hinwirkt) um [Formel] abgenommen. Der Aſchenkegel verhaͤlt ſich zur ganzen Hoͤhe des Berges am Veſuv wie 1 zu 3, am Pichincha wie 1 zu 10, am Pico von Teneriffa wie 1 zu 22. Der Veſuv hat alſo verhaͤltnißmaͤßig den hoͤchſten Aſchenkegel, wahrſcheinlich ſchon darum, weil er, als ein niedriger Vulkan, am meiſten durch ſeinen Gipfel gewirkt hat. Vor wenigen Monaten iſt es mir gegluͤckt, nicht bloß meine fruͤheren Barometer-Meſſungen am Veſuv zu wiederholen, ſondern auch, bei dreimaliger Beſteigung des Berges, eine vollſtaͤndigere Beſtimmung aller Craterraͤnder zu unternehmen. Dieſe Arbeit verdient vielleicht darum einiges Intereſſe, weil ſie die Epoche großer Eruptionen von 1805 — 1822 umfaßt, und vielleicht die einzige in allen ihren Theilen vergleichbare Meſſung iſt, welche man bisher von einem Vulkan bekannt gemacht hat. Sie beweißt, daß die Raͤnder der Crater, nicht blos da, wo ſie (wie am Pic von Teneriffa und an allen Vulkanen der Andeskette) ſichtbar aus Trachyt beſtehen, ſondern auch ſonſt uͤberall ein weit beſtaͤndigeres Phaͤnomen ſind, als man bisher geglaubt hat. Einfache Hoͤhenwinkel aus denſelben Punkten beſtimmt, eignen ſich zu dieſen Unterſuchungen noch mehr, als vollſtaͤndige trigonometriſche und barometriſche Meſſungen. Nach meinen letzten Beſtimmungen hat ſich der nordweſtliche Rand des Veſuvs ſeit Sauſſure, alſo ſeit 49 Jahren, gar nicht, der ſuͤdoͤſtliche Rand, gegen Boſche-tre-Caſe hin, welcher 1794 um 400 Fuß niedriger ward, uͤberaus wenig veraͤndert.“ „Wenn man in oͤffentlichen Blaͤttern, bei der Beſchreibung großer Auswuͤrfe, ſo oft der gaͤnzlich veraͤnderten Geſtalt des Veſuvs erwaͤhnt findet, wenn man dieſe Anſichten durch die pittoresken Anſichten bewaͤhrt glaubt, welche in Neapel von dem Berge entworfen werden, fo liegt die Urſache des Irrthums darin, daß man die Umriſſe der Craterraͤnder mit den Umriſſen der Auswurfskegel verwechſelt, welche zufaͤllig in der Mitte des Craters auf dem durch Daͤmpfe gehobenen Boden des Feuerſchlundes ſich bilden. Ein ſolcher Auswurfskegel, von Rapilli und Schlacken locker aufgethuͤrmt, war in den Jahren 1816 und 1818 allmaͤhlich uͤber dem ſuͤdoͤſtlichen Craterrand ſichtbar geworden. Die Eruption vom Monat Februar 1822 hatte ihn dergeſtalt vergroͤßert, daß er ſelbſt 70 bis 80 Fuß hoͤher, als der nordweſtliche Craterrand (die Rocca del Palo) geworden war. Dieſer merkwuͤrdige Kegel nun, den man ſich in Neapel als den eigentlichen Gipfel des Veſuvs zu betrachten gewoͤhnt hatte, iſt bei dem letzten Auswurf, in der Nacht vom 22. Oktober, mit furchtbarem Krachen eingeſtuͤrzt, ſo daß der Boden des Craters, der ſeit 1811 ununterbrochen zugaͤnglich war, gegenwaͤrtig 750 Fuß tiefer liegt, als der noͤrdliche, 200 Fuß tiefer als der ſuͤdliche Rand des Vulkans. Die veraͤnderliche Geſtalt und relative Lage der Auswurfskegel, deren Öffnungen man ja nicht, wie ſo oft geſchieht, mit dem Crater des Vulkans verwechſeln muß, giebt dem Veſuv zu verſchiedenen Epochen eine eigenthuͤmliche Phyſionomie, und der Hiſtoriograph des Vulkans koͤnnte aus dem Umriſſe des Berggipfels, nach dem bloßen Anblicke der Hackertſchen Landſchaften im Pallaſte von Portici, je nachdem die noͤrdliche oder ſuͤdliche Seite des Berges hoͤher angedeutet iſt, das Jahr errathen, in welchem der Kuͤnſtler die Skizze zu ſeinem Gemaͤlde entworfen hat.“ „Einen Tag nach dem Einſturz des 400 Fuß hohen Schlackenkegels, als bereits die kleinen aber zahlreichen Lavaſtroͤme abgefloſſen waren, in der Nacht vom 23. zum 24. Oktober, begann der feurige Ausbruch der Aſche und der Rapilli. Er dauerte ununterbrochen 12 Tage fort, doch war er in den erſten 4 Tagen am groͤßten. Waͤhrend dieſer Zeit wurden die Detonationen im Innern des Vulkans ſo ſtark, daß die bloße Erſchuͤtterung der Luft (von Erdſtoͤßen hat man durchaus nichts geſpuͤrt) die Decken der Zimmer im Pallaſte von Portici ſprengte. In den nahe gelegenen Doͤrfern Roſina, Torre del Greco, Torre dell’ Annunciata und Boſche tre Caſe zeigte ſich eine merkwuͤrdige Erſcheinung. Die Atmoſphaͤre war dermaßen mit Aſche erfuͤllt, daß die ganze Gegend, in der Mitte des Tages, mehrere Stunden lang in das tiefſte Dunkel gehuͤllt blieb. Man ging mit Laternen in den Straßen, wie es ſo oft in Quito, bei den Ausbruͤchen des Pichincha geſchieht. Nie war die Flucht der Einwohner allgemeiner geweſen. Man fuͤrchtet Lavaſtroͤme weniger als einen Aſchenauswurf, ein Phaͤnomen, das in ſolcher Staͤrke hier unbekannt iſt, und durch die dunkle Sage von der Zerſtoͤrungsweiſe von Herculanum, Pompeji und Stabi die Einbildungskraft der Menſchen mit Schreckbildern erfuͤllte.“ „Der heiße Waſſerdampf, welcher waͤhrend der Eruption aus dem Crater aufſtieg, und ſich in die Atmoſphaͤre ergoß, bildete beim Erkalten ein dickes Gewoͤlk um die 9000 Fuß hohe Aſchen- und Feuerſaͤule. Eine ſo ploͤtzliche Condenſation der Daͤmpfe, und wie Gay-Luſſac gezeigt hat, die Bildung des Gewoͤlkes ſelbſt, vermehrten die elektriſche Spannung. Blitze fuhren ſchlaͤngelnd nach allen Richtungen aus der Aſchenſaͤule umher, und man unterſchied deutlich den rollenden Donner von dem innern Krachen des Vulkans. Bei keinem andern Ausbruche war das Spiel der elektriſchen Schlaͤge ſo auffallend geweſen. Am Morgen des 26. Oktobers verbreitete ſich die ſonderbare Nachricht: ein Strom ſiedenden Waſſers ergieße ſich aus dem Crater und ſtuͤrze den Aſcheniegel herab. Monticelle, der eifrige und gelehrte Beobachter des Vulkans, erkannte bald, daß eine optiſche Taͤuſchung dies irrige Geruͤcht veranlaßt habe. Der vorgebliche Strom war eine große Menge trockener Aſche, die aus einer Kluft in dem oberſten Rande des Craters, wie Triebſand hervorſchoß. Nachdem eine die Felder veroͤdende Duͤrre dem Ausbruch des Veſuvs vorhergegangen war, erregte, gegen das Ende deſſelben, das ſo eben beſchriebene vulkaniſche Gewitter, einen wolkenbruchartigen, aber lang anhaltenden Regen. Solch eine Erſcheinung charakteriſirt, unter allen Zonen, das Ende einer Eruption. Da waͤhrend derſelben gewoͤhnlich der Aſchenkegel in Wolken gehuͤllt iſt, und da in ſeiner Naͤhe die Regenguͤſſe am ſtaͤrkſten ſind, ſo ſieht man Schlammſtroͤme von allen Seiten herabfließen. Der erſchrockene Landmann haͤlt dieſelben fuͤr Waſſer, die aus dem Innern des Vulkans aufſteigen, und ſich durch den Crater ergießen; der getaͤuſchte Geognoſt glaubt in ihnen Meerwaſſer zu erkennen, oder kothartige Erzeugniſſe des Vulkans, ſogenannte eruptions boueuses, oder wie die alten franzoͤſiſchen Syſtematiker ſagten, Produkte einer feurig-waͤßrigen Liquefaction.“ — — — — 2. „Es iſt oft die Frage aufgeworfen worden, was in den Vulkanen brenne, was die Waͤrme errege, bei der Erde und Metalle ſchmelzend ſich miſchen. Die neuere Chemie antwortet: was da brennt, ſind die Erden, die Metalle, die Alkalien ſelbſt, das heißt die Metalloide dieſer Stoffe. Die feſte bereits oxydirte Erdrinde ſcheidet das umgebende ſauerſtoffhaltige Luftmeer von den brennbaren unoxydirten Stoffen im Innern unſeres Planeten. Die Erfahrungen, die man unter allen Zonen in Bergwerken und Hoͤhlen gemacht, und die ich mit Herrn Arago in einer eigenen Abhandlung zuſammengeſtellt, beweiſen, daß ſchon in geringer Tiefe die Waͤrme des Erdkoͤrpers um vieles hoͤher, als an demſelben Orte die mittlere Temperatur des Luftkreiſes iſt. Eine ſo merkwuͤrdige und faſt allgemein bewaͤhrte Thatſache ſteht in Verbindung mit dem, was die vulkaniſchen Erſcheinungen uns lehren. Laplace hat ſogar ſchon die Tiefe zu berechnen verſucht, in welcher man den Erdkoͤrper als eine geſchmolzene Maſſe betrachten koͤnne. Welche Zweifel man auch, trotz der gerechten Verehrung, die einem ſo großen Namen gebuͤhrt, gegen die numeriſche Richtigkeit einer ſolchen Rechnung erheben kann, ſo bleibt es doch wahrſcheinlich, daß alle vulkaniſchen Erſcheinungen aus einer ſehr einfachen Urſache, aus einer ſteten oder voruͤbergehenden Verbindung zwiſchen dem Innern und Äußern unſeres Planeten entſtehen. Elaſtiſche Daͤmpfe druͤcken die geſchmolzenen, ſich oxydirenden Stoffe durch tiefe Spalten aufwaͤrts. Vulkane ſind ſo zu ſagen, intermittirende Erdquellen; die fluͤſſigen Gemenge von Metallen, Alkalien und Erden, die zu Lavaſtroͤmen erſtarren, fließen ſanft und ſtille, wenn ſie, gehoben, irgendwo einen Ausgang finden. Auf aͤhnliche Weiſe ſtellten ſich die Alten (nach Platon’s Phaͤdon), alle vulkaniſchen Feuerſtroͤme, als Ausfluͤſſe des Pyriphlegethon vor. Dieſen Betrachtungen ſey es mir erlaubt, eine andere noch gewagtere anzuſchließen. Vielleicht liegt auch in der inneren Waͤrme des Erdkoͤrpers, auf welche Thermometer-Verſuche und Beobachtungen uͤber die Vulkane hindeuten, die Urſach eines der wunderbarſten Phaͤnomene, welche die Petrefactenkunde uns darbietet.“ „Tropiſche Thiergeſtalten, baumartige Farrenkraͤuter, Palmen und Bambus-Gewaͤchſe liegen vergraben im kalten Norden. Uͤberall zeigt uns die Urwelt eine Vertheilung organiſcher Bildungen, mit der die dermalige Beſchaffenheit der Climate im Widerſpruch ſteht. Zur Loͤſung eines ſo wichtigen Problem’s hat man mehrerlei Hypotheſen erſonnen, Annaͤherung eines Cometen , veraͤnderte Schiefe der Ecliptik, vermehrte Intenſitaͤt des Sonnenlichtes. Keine derſelben hat den Aſtronomen, den Phyſiker und den Geognoſten zugleich befriedigen koͤnnen. Ich meines Theils laſſe gern unveraͤndert die Axe der Erde, oder das Licht der Sonnenſcheibe, aus deren Flecken ein beruͤhmter Sternkundiger Fruchtbarkeit und Mißwachs der Felder erklaͤrt hat, aber ich glaube zu erkennen, daß in jeglichem Planeten, unabhaͤngig von ſeinen Verhaͤltniſſen zu einem Centralkoͤrper und von ſeinem aſtronomiſchen Stande, mannichfaltige Urſachen der Waͤrmeentbindung liegen, durch Oxydationsproceſſe, Niederſchlaͤge und chemiſch veraͤnderte Capacitaͤt der Koͤrper, durch Zunahme elektriſch-magnetiſcher Ladung, durch geoͤffnete Communikation zwiſchen den innern und aͤußeren Theilen.“ „Wo in der Vorwelt die tiefgeſpaltete Erdrinde aus ihren Kluͤften Waͤrme ausſtrahlte, da konnten vielleicht Jahrhunderte lang, in ganzen Laͤnderſtrecken, Palmen und baumartige Farrenkraͤuter und alle Thiere der heißen Zone gedeihen. Nach dieſer Anſicht der Dinge, die ich in einem eben erſchienenen Werke: Geognoſtiſcher Verſuch uͤber die Lagerung der Gebirgsarten in beiden Hemiſphaͤren bereits angedeutet habe, waͤre die Temperatur der Vulkane die des innern Erdkoͤrpers ſelbſt und die Urſache, welche jetzt ſo ſchauervolle Verwuͤſtungen anrichtet, haͤtte einſt auf der neu oxydirten Erdrinde, auf den tiefzerkluͤfteten Felsſchichten, unter jeglicher Zone den uͤppigſten Pflanzenwuchs hervorrufen koͤnnen.“ „Iſt man geneigt anzunehmen, um die wunderbare Vertheilung der Tropenbildungen in ihren alten Grabſtaͤtten zu erklaͤren, daß langbehaarte elephantenartige Thiere, jetzt von Eisſchollen umſchloſſen, einſt den noͤrdlichen Climaten urſpruͤnglich eigen waren, und daß aͤhnliche, demſelben Haupttypus zugehoͤrige Bildungen, wie Loͤwen und Luchſe, zugleich in ganz verſchiedenen Climaten leben konnten, ſo wuͤrde eine ſolche Erklaͤrungsweiſe ſich doch wohl nicht auf die Pflanzenprodukte ausdehnen laſſen. Aus Gruͤnden, welche die Phyſiologie der Gewaͤchſe entwickelt, koͤnnen Palmen, Piſang-Gewaͤchſe und baumartige Monocotyledonen nicht die nordiſche Kaͤlte ertragen, und in dem geognoſtiſchen Problem, das wir hier beruͤhren, ſcheint es mir ſchwer, Pflanzen- und Thierbildungen von einander zu trennen. Dieſelbe Erklaͤrungsart muß beide Bildungen umfaſſen.“