Brasiliens naturhistorische Merkwürdigkeiten. 1. Nach St. Hilaire und Humboldt. St. Hilaire hat sein neustes Pflanzenwerk über Brasilien der Pariser Akademie der Wissenschaften überreicht und Humboldt als Berichterstatter sich darüber im Wesentlichen dahin geäußert: Plantes usuelles des Brasiliens par M. Auguste de St. Hilaire, correspondant de l'Academie des Sciences. I. Livrais. av. planches. Paris 1824. 8. (5 Fr.) Die neusten Statistiker geben Brasilien 2 Mill. Quadratm. und bevölkern seine 17 Provinzen mit mehr als 3,600,000 Menschen. (So viel haben Portugal, Madera und die Azoren zusammen nicht.) Darunter I. Sclaven: 1. Schwarze 1,728,000, 2. Mulatten 202,000. II. Freye: 1. Schwarze 159,500, 2. Mulatten 426,000, 3. Indianer 260,000, 4. Weiße 843,000, darunter [Formel] Europäer, das übrige Brasilianer. "Auguste v. St. Hilaire, der schon vor seiner Abreise aus Europa so viele Beweise gründlicher Kenntnisse über Bau und Verwandtschaften der Pflanzen gab, hat auf seiner sechsjährigen Reise durch Brasilien, die Provinzen disseits des Plata- Stroms und die Missionen in Paraguay, für Zoologie und Botanik ausnehmend viel geleistet. Sein Sammelfleiß bereicherte Frankreich mit einem Herbarium von 7000 Stück, 2000 Vögeln, 16,000 Insekten und 130 Säugethieren. Den wahren Werth erhalten aber erst diese zahlreichen Schätze durch die herrlichen Beobachtungen, welche dieser sich weit über den gemeinen Sammler erhebende, wissenschaftliche Reisende an Ort und Stelle machte und uns dadurch in der Kenntniß der natürlichen Pflanzenfamilien, der Pflanzen- und Thier-Geographie und der Verschiedenheiten des Bodens und seiner Kultur bedeutend weiter brachte. Das erste Heft seiner der Akademie überreichten Nutzpflanzen enthält eine Auswahl der für die Arzneykunde, Industrie oder Ernährung vorzüglich wichtigeren. Drey neue Arten der ächten Quinquina kommen vor, zwey Exortema, eine nach Bonpland mit der Cinchona nahe verwandte Gattung und ein Strychnos, dessen Heilkräfte gegen das Fieber unverkennbar sind. Die Entdeckung der wahren Cinchona, in weiter Ferne von den Cordilleren, im Osten des südlichen Amerika ist für Alle, welche sich mit der Art, wie die Natur die Pflanzen über den Erdball vertheilt hat und wie weit dabey geologische Ursachen eingewirkt haben, genauer bekannt sind, eine auffallende Erscheinung. Man kennt bis auf den heutigen Tag keine einzige Cinchona-, ja nicht einmal eine Exortema-Art, weder in den Bergen von Silla de Caraccas (wo die Befarien, Aralien, Thibandien und andre auf den Alpen Neu- Granada's einheimische Sträuche wachsen), noch auf den bewaldeten Bergen von Caripe und des französischen Guyana. Daß man sogar nichts von den Gattungen Cinchona und Exortema auf der Hochebne von Mexico und in den östlichen Provinzen Süd- Amerika's, nördlich vom Aequator, bis jezt wenigstens, angetroffen, muß um so mehr auffallen; da man doch auf den Antillen die Quinquina- Arten mit glatten Blumenkronen und hervorragenden Staubfäden findet. Die Quinquina's der Cordilleren rücken auf der nördlichen Halbkugel nicht weiter nach Osten, als bis zum 72° westl. Länge von Paris, also bis zum Glimmerschiefer- Gebirge der Sierra Nevada von Merida. St. Hilaire's Cinchona ferruginea, Vollezii und Remijicena, die lange Zeit für Macraenemum-Arten gehalten wurden, wachsen auf den Hochebnen der Provinz Minas-Geraes 3000 Schuh hoch, im gemäßigten Klima, zwischen dem 18. und 22. Grad S. Br. Wo sie erscheinen, sieht man sie (was sehr merkwürdig ist) als sichere Vorboten von nahen Eisenlagern an. Die bittre, adstringirende Rinde dieser auf Brasiliens Bergen wachsenden Quinquina hat denselben Geschmack, wie die Quinquina von Peru und Neu-Grenada. Indessen äußert sie ihre Heilkraft gegen das Fieber weniger, als Strychnos pseudoquina, den man im Diamanten-Distrikt, in den Wüsten von Goyar und im westlichen Theil der Provinz Minas-Geraes autrifft. Unter allen Arzneypflanzen dieser unermeßlichen Regionen ist die Quinquina de Campo (Strychn. pseudoq.) am meisten bewährt gefunden und im Gebrauch. Die Brasilianischen Aerzte geben die Rinde als Pulver und Decokt. Ein wahres Himmelsgeschenk für eine Gegend, in welcher intermittirende Fieber so herrschend sind, wie im Thal Rio de San Francisco. St. Hilaire berichtet, daß in Brasilien angestellte, vergleichende Versuche mit Strychn. quinq. und den besten Cinchona-Arten der Cordilleren bewiesen haben, daß jener eben so vorzügliche Heilkräfte besitze, wie diese. Dieselben Erfahrungen hat man in Paris gemacht und die brasilianische Pseudoquina, womit man sogar in Rio Janeiro noch nicht die fremden Cinchona-Arten zu ersetzen gewußt hat, dürfte bald ein Ausfuhr-Artikel nach Europa werden. Vauquelin hat den Strychnos analysirt und darin eine ganz eigne Säure, außerdem aber, was sehr auffallend ist, weder Brucin, noch Quinin und auch nicht ein Atom jener Giftstoffe gefunden, welche in der Strychnos nux vomica und in den Ignatius-Bohnen enthalten sind. -- Das wußte man schon, daß eine andre Art derselben Gattung, Str. Potatorum, keine jener giftigen Eigenschaften besitze, und daß man das Fleisch von der Frucht der Brechnuß ohne Gefahr essen könne. Einzelne Theile derselben Pflanzen enthalten nicht immer gleiche Grundstoffe; und wenn man, nicht etwa in der nämlichen Familie, sondern in derselben Gattung, bey Pflanzen von sehr ähnlichem Bau eine so auffallende Abweichung ihrer chemischen Mischung antrifft; so darf man doch nicht vergessen, daß diese Unterschiede mehr scheinbar, als wirklich sind, weil, nach Gay- Lüssacs und Thenards chemisch-botanischen Untersuchungen, dieselben Elemente, bey der mindesten Aenderung in ihren Verhältnissen, sich anders zusammenfügen und Verbindungen bilden, welche auf die Nerven die entgegengeseztesten Wirkungen hervorbringen können. Die Rinden von Exortema cuspidatus und australe aus Brasilien haben auch Heilkräfte gegen das Fieber, aber nicht in solchem Grade, wie die Quina da Serra. Sie gleichen den Rinden von der Quinquina auf den Antillen, zeigen aber auch nicht eine Spur von Quinin und Cinchonin, wie leztre. Zu den von St. Hilaire beschriebnen Arzneypflanzen gehört auch noch der bunte Paraiba oder Simaruba, eines der kräftigsten Gegengifte und Erodia febrifuga, die man im Lande selbst mit der peruanischen Quinquina verwechselt, und welche zu derselben Familie gehört, wie Cortex angosturae oder Carpure der amerikanischen Missionen, die ich unter dem Namen Bonplandia trifoliata bekannt machte. Sollte man einst im Innern des französischen Guyana hochgelegene Gegenden mit einem gemäßigten Klima auffinden; so könnte man dahin, nach meinen frühern Vorschlägen, mittelst des Amazonenstroms, die Cinchona-Arten von der Ostseite der Cordilleren (Loxa und Bracampos) verpflanzen, oder nach den interessanten Entdeckungen unsers Reisenden, Brasiliens Heilpflanzen gegen das Fieber dort anbauen." Humboldt rühmt dann noch die vortrefflichen botanischen Beschreibungen St. Hilaire's und das dadurch neu aufgesteckte Licht. Lauter schätzbare Monographien, durch die sehr fleißig lithographirten Blätter erst recht anschaulich gemacht. (Moniteur 16. Avril 1824.) (Die Fortsetzung folgt.)