Ueberſicht der Verhandlung der Königlichen Akademie der Wiſſenſchaften in Paris, vom Hornung 1821. 5. Febr. Hr. Al. v. Humboldt liest die Ergebniſſe ſeiner weiteren Forſchungen zu Ausmittlung der Geſetze, nach denen die Pflanzenformen über die Erde vertheilt ſind. Die Vorleſung iſt eine Fortſetzung früherer und der vor vier Jahren erſchienenen Prolegomena de distributione geographica plantarum, secundum cœli temperiem et altitudinem montium. Es gewährt das Studium der Pflanzen-Geographie überhaupt ſowol als insbeſondere desjenigen Theils, womit ſich dieſe Abhandlung zunächſt beſchäftigt und den man auch die botaniſche Rechenkunſt nennen kann, eigenthümliches Vergnügen; denn mitten unter der ſcheinbaren Verwirrung, die aus dem Einfluß mannigfacher örtlicher Urſachen hervorzugehen ſcheint, kommen die unwandelbaren Geſetze der Natur zu Tage, ſobald man entweder eine hinlänglich ausgedehnte Landſchaft vor Augen hat, oder eine ſolche Maſſe von Thatſachen vergleicht, worin die partiellen Störungen ſich gegenſeitig ausgleichen oder aufheben. Aehnliche Berechnungen, wie diejenigen ſind, welche über die Vertheilung der Pflanzenfamilien auf dem Erdball angeſtellt werden, laſſen ſich hinwieder auch auf die verſchiedenen Thierklaſſen anwenden. Aus den reichen, im Muſeum der Naturgeſchichte von Paris aufbewahrten Schätzen ergiebt ſich, daß die Zahl der bisher bekannten, theils verborgen, theils offen blühenden Pflanzen an 56000 Arten reicht, während diejenige der Inſekten bey 44000, der Fiſche bey 2500, der Amphibien bey 700, der Vögel bey 5000 und der Säugthiere bey 500 beträgt. Den Berechnungen des Hrn. Valenciennes und von Humboldt zufolge, kommen auf Europa allein ungefähr 80 Säugthiere, 400 Vögel und 30 Amphibien: ſomit leben in dieſem nördlichen temperirten Erdſtriche fünfmal ſo viel Arten Vögel als Säugthiere, wie hinwieder ebendaſelbſt (in Europa) auf fünfmal mehr Hülſengewächſe denn Orchideen und Euphorbiaceen angetroffen werden. Die kürzlich durch Hr. Delalande vom Vorgebirg der guten Hoffnung zurückgebrachten reichen Sammlungen können, wenn ſie mit den Arbeiten der Herren Temmink und Levaillant verglichen werden, darthun, daß in dieſem ſüdlichen temperirten Erdſtrich die Säugthiere ſich zu den Vögeln gleichfalls wie 1 zu 4, 3 verhalten. Ein ſolches Zuſammentreffen zwey entgegengeſezter Zonen muß auffallend und merkwürdig erſcheinen. Die Vögel, vorzüglich aber die Amphibien, erhalten gegen die Aequatorial- Zone hin einen verhältnißmäßig viel ſtärkeren Zuwachs als die Amphibien. Aus den Entdeckungen des Hrn. Cuvier über die foſſilen Knochen läßt ſich mit Wahrſcheinlichkeit folgern, daß dieſe Verhältniſſe nicht zu allen Zeiten die nämlichen waren, und daß durch die früheren Kataſtrophen, welche unſer Erdball erlitten hat, ungleich mehr Säugthiere als Vögel vertilgt worden ſeyn dürften. Die Forſchungen der Pflanzen-Geographie ſtehen in genauer Verbindung mit den wichtigſten Aufgaben der Meteorologie und der Naturlehre der Erde überhaupt. Das Uebergewicht einzelner Pflanzenfamilien beſtimmt den Charakter einer Landſchaft, ihre heitere oder auch prachtvolle Geſtaltung. Das Vorherrſchen gewiſſer Arten der Gräſerfamilie, welche ausgedehnte Savannen bilden, ſo wie dasjenige der Palmen- und Zapfenbäume, iſt ſehr einflußreich auf den Geſellſchaftsſtand der Völker, auf ihre Lebensart und die ſchnellere oder langſamere Entwicklung ihres Kunſtfleißes geweſen. Die raſchen Fortſchritte, welche das Studium der Pflanzenerdkunde ſeit zwölf Jahren durch die vereinten Arbeiten der Herren Brown, Wahlenberg, de Candolle, Leopold von Buch, Parrot, Ramond, Schouw und Hornemann gemacht hat (ſagt Hr. v. Humboldt, deſſen Name den genannten Naturforſchern vorangeſtellt werden muß), iſt weſentlich durch die Vortheile der natürlichen Methode des Hrn. von Juſſieu befördert worden, indem nicht allein bey der künſtlichen Eintheilung des Sexualſyſtems, ſondern auch bey Annahme ſolcher Familien, die von ſchwankenden und irrigen Grundſätzen ausgehen (Dumosaæ, Oleraceæ u. ſ. w.), es völlig unmöglich wird, die bey der Vertheilung der Pflanzen über den Erdball waltenden allgemeinen Geſetze wahrzunehmen. Unſtreitig liegt noch ſehr Vieles bey allen dieſen Forſchungen im Dunkel. Die Vertheilung organiſcher Geſchöpfe über den Erdball beruht nicht einzig nur auf den ſehr zuſammengeſezten climatiſchen Verhältniſſen, ſondern zum Theil auch auf ſolchen geologiſchen Urſachen, die, weil ſie auf einen vormaligen Zuſtand unſerer Planeten Bezug haben, völlig unbekannt ſind. Die großen dickhautigen Säugethiere mit mehr als zweyſpaltigen Hufen (Pachydermes) werden heutzutage in der neuen Welt nicht angetroffen, wogegen ſie unter analogen Himmelsſtrichen in Aſien und Afrika noch in Menge vorkommen. Die Familie der Palmbäume iſt in der Aequinoctialzone Afrika’s gar wenig zahlreich, in Vergleichung mit der Menge ihrer im ſüdlichen Amerika vorkommenden Arten. Solche Verſchiedenheiten dürfen uns aber keineswegs von dem Studium der Naturgeſetze abhalten, ſondern ſie ſollen uns vielmehr anſpornen, dieſelben in allen ihren Verflechtungen genauer zu erforſchen. Es iſt die Pflanzen-Geographie eine Abtheilung der phyſikaliſchen Erdbeſchreibung. Wenn auch die Geſetze, welche die Natur in der Vertheilung der Pflanzenformen beobachtet, noch ungleich verwickelter wären, als ſie dem erſten Anſcheine nach ſind, ſo müßten dieſelben darum nicht minder ſorgſam erforſcht werden. Die Krümmungen der Flüſſe und die regelloſe Küſtengeſtaltung haben die Aufnahme von Landkarten keineswegs gehindert. Die Geſetze des Magnetismus ſind entdeckt worden, ſo bald man anfieng, Linien gleicher Declination und gleicher Inclination zu ziehen, und eine Menge Anfangs widerſprechend ſcheinender Beobachtungen zu vergleichen. Es hieße den Gang völlig verkennen, auf welchem die Naturwiſſenſchaft allmählig zu ſicheren Reſultaten gelangt iſt, wenn man glauben wollte, es ſey noch allzufrüh, die numeriſchen Elemente der Pflanzen-Geographie ausmitteln zu wollen. Ueberall, wo es um die Erforſchung einer verwickelten Erſcheinung zu thun iſt, wird von der allgemeinen Betrachtung der Verhältniſſe, unter denen die Erſcheinung ſtatt findet oder verändert iſt, ausgegangen. Nachdem eine gewiſſe Menge dieſer Verhältniſſe gekannt ſind, ſo findet ſich’s alsdann, daß die erſten Folgerungen bey denen man zunächſt ſtehen blieb, von örtlichen Einwirkungen nicht hinlänglich frey geblieben ſind. Die numeriſchen Elemente werden alsdann berichtigt und man erkennt jezt einen geregelten Gang, ſogar auch in den Wirkungen der partiellen Störungen. Die Kritik übt ſich an allem, was allzuvoreilig für allgemein gültige Folgerung ausgegeben ward, und der einmal aufgereizte Geiſt der Kritik befördert hinwieder die Erforſchung der Wahrheit, und beſchleunigt die Fortſchritte der Naturwiſſenſchaften. Für ſolche Gelehrte, welche jede Erſcheinung gerne in ſich allein und ganz vereinzelt betrachten, welche die mittleren Temperaturen der Orte, ſo wie die in den Abweichungen des Magnetismus der Erde, oder in den Verhältniſſen zwiſchen Geburten und Sterbefällen entdeckten Geſetze, als gewagte Hypotheſen und für leere theoretiſche Muthmaßungen anſehen, müſſen freylich auch die Rechnungsverſuche der Pflanzen-Geographie, der Aufmerkſamkeit wenig würdig erſcheinen; während Naturforſcher hingegen, welche bey den wechſelſeitigen Verkettungen der organiſchen Weſen gerne verweilen, und wiſſen, daß die Zahlenergebniſſe ſich durch vervielfaltigte und ſorgfältiger erörterte Thatſachen berichtigen laſſen, ein deſto größeres Gefallen an Forſchungen haben werden, die über den Haushalt der Natur, wie über den zwiſchen climatiſchen Verhaltniſſen und den Formen der Geſchöpfe wahrgenommenen Zuſammenhang, und über die Vertheilung von Pflanzen und Thieren auf die verſchiedenen Regionen unſers Planeten, mancherley Licht verbreiten können. Durch Zählung und Vergleichung der Arten einzig nur, mag man ſich richtige Begriffe von den Verhältniſſen der Vegetation in einem gegebenen Lande verſchaffen; eben ſo von dem Einfluſſe der Temperatur auf die Vervielfältigung beſtimmter Formen, in der Nähe des Aequators, unter den mittleren Parallelkreiſen und gegen den Polarkreis; von den Charakterzügen, welche die beyden Hauptſyſteme der Flora der alten und der neuen Welt in den Zonen gleichartiger Wärme bezeichnen.