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Alexander von Humboldt: „A. v. Humboldt, über die Zunahme des Schalls während der Nacht“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1820-Sur_l_accroissement-03-neu> [abgerufen am 28.03.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1820-Sur_l_accroissement-03-neu
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Titel A. v. Humboldt, über die Zunahme des Schalls während der Nacht
Jahr 1820
Ort Jena; Leipzig
Nachweis
in: Isis 1:7 (1820), Sp. 363–369.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: IV.2
Dateiname: 1820-Sur_l_accroissement-03-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 4
Spaltenanzahl: 8
Zeichenanzahl: 19374

Weitere Fassungen
Sur l’Accroissement nocturne de l’intensité du son. (Mémoire lu à l’Academie des Sciences le 13 mars 1820) (Paris, 1820, Französisch)
[Sur l’Accroissement nocturne de l’intensité du son. (Mémoire lu à l’Academie des Sciences le 13 mars 1820)] (Stuttgart; Tübingen, 1820, Deutsch)
A. v. Humboldt, über die Zunahme des Schalls während der Nacht (Jena; Leipzig, 1820, Deutsch)
Ueber die zunehmende Stärke des Schalls in der Nacht. (Eine Vorles. gehalt. am 13. März 1820 in d. Akad. d. Wiss. in Paris) (Leipzig, 1820, Deutsch)
On the Nocturnal Increase in the Intensity of Sound (London, 1821, Englisch)
Comparative intensity of sounds (London, 1821, Englisch)
Nocturnal Increase of Sounds (London, 1821, Englisch)
Nocturnal increase of sounds (London, 1821, Englisch)
Nocturnal increase of sounds (Philadelphia, Pennsylvania; New York City, New York, 1821, Englisch)
Sur l’Accroissement nocturne de l’intensité du Son (Paris, 1821, Französisch)
Nocturnal increase of Sounds (London, 1822, Englisch)
Over de meerdere sterkte die het geluid by nacht dan bij dag heeft (Amsterdam, 1823, Niederländisch)
Ueber die nächtliche Verstärkung des Schalls (Stuttgart; Tübingen, 1854, Deutsch)
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A. v. Humboldt, uͤber die Zunahme des Schalls waͤhrend der Nacht.

Es gibt Erſcheinungen in der Natur, die beſtimmtenMaaßen und directen Erfahrungen ſich unterwerfen laſſen;andere hingegen ſind von fremden Nebenumſtaͤnden umge-ben, und zugleich durch eine Menge ſtoͤrender Urſachen mo-dificirt, ſo daß ſie nur durch Schluͤſſe und Analogie ſich er-klaͤren laſſen. Als Beyſpiel der erſten Claſſe will ich hierdie vom Pole zum Aequator hin abnehmende Staͤrke dermagnetiſchen Kraft anfuͤhren; die Biegung der Lichtſtrah-len, wodurch die Kimmungen erzeugt werden; die Veraͤn-derungen in der Temperatur der Luft; die Beſchaffenheit derHarz- oder Glas-Electricitaͤt in den mehr oder wenigervon der Erde entfernten Schichten. Die 2te Claſſe der Er-ſcheinungen begreift alles, was auf das Ungeſunde der At-moſphaͤre ſich bezieht; was in den hoͤchſten, unzugaͤnglich-ſten Regionen der Luft vorgeht; die Bildung der Wolkenund des Hagels; das Beharren der blaſigen Duͤnſte beyeiner Temperatur unter Gefrierpunct; das Geraͤuſch desDonners; die Vermehrung der Elaſticitaͤt durch Entwicke-lung der Waͤrme, welche die Fortpflanzung des Schalls be-gleitet und durch das Zuſammenpreſſen der Luft erzeugtwird. Als die Naturphiloſophie noch nicht die ſtrenge Me-thode befolgte, der alle große Entdeckungen des letztenJahrhunderts zu verdanken ſind, fiel alles, was nicht ge-nauen und unmittelbaren Meſſungen unterworfen werden |364| konnte, in das Gebiet der ausſchweifendſten, gewagteſtenHypotheſen. Man vergaß, daß, wenn man in den an-ſcheinend zuſammengeſetzten Erſcheinungen dasjenige abſon-dert, was durch fremde Umſtaͤnde erzeugt iſt, man aufdem Wege der Excluſion, von dem Bekannten zum Unbe-kannten fortruͤcken und die natuͤrlichen Geſetze beſtimmenkann, entweder nach aus mathematiſcher Analyſe gezogenenAnſichten, oder nach der Analogie der Erfahrungen und un-mittelbaren Meſſungen. Die zunehmende Staͤrke des Schalles bey der Nacht,von der ich hier rede, gehoͤrt zu denen Problemen, die inden phyſicaliſchen Schriften noch nicht erklaͤrt worden ſind.Ich will daruͤber eine Erklaͤrung zu geben ſuchen, die ausder Theorie der Schall-Wellen hergeleitet iſt; ehe ichaber von den Urſachen dieſes Phaͤnomens rede, will ichvorher den Geſichtspunct angeben, von dem ich ausgehe. Schon in den allerfruͤheſten Zeiten hat man die Be-obachtung gemacht, daß waͤhrend der Nacht der Schallſtaͤrker wird. Ariſtoteles in ſeinen Problemen (Arist.Probl, sect. XI. quaest. 5 und 33) und Plutarch inſeinen Dialogen (Plut. Sympos. lib. VIII. cap. 3. T. II.p. 720; Frankfurt. Ausgabe 1620 fol.) haben dieß erwaͤhnt.Ich betrachte hier das Zunehmen der Staͤrke des Schallesnur bey ganz ſtiller Luft, ich rede hier nicht von der Ver-ſtaͤrkung, welche durch eine Veraͤnderung des Windes inder Nacht bewirkt wird, und die von dem Verhaͤltniß zwi-ſchen der Richtung des Windes und der der Schallſtrahlenabhaͤngt. Unter einer gleichen Zone, z. B. zwiſchen denWendekreiſen, ſchien mir die zunehmende Staͤrke desSchalls bey der Nacht in den Ebenen groͤßer als auf demRuͤcken der Andes auf 3000 Meter uͤber der Meeresflaͤ-che; auch in niedrigen Gegenden des feſten Landes kam ſiemir betraͤchtlicher vor, als auf der offenen See; dieſe Be-merkungen gruͤnden ſich auf das Geraͤuſch der beyden Vul-cane, des von Guacamayo und des von Cotopaxi, das ichGelegenheit gehabt habe, bey Tage und bey Nacht zu hoͤ-ren, den einen auf einer ebenen Anhoͤhe zwiſchen der StadtGuito und der Maierey Chillo, den andern auf der Suͤd-ſee, 20 Stunden weſtlich von den Kuͤſten von Peru. DasBruͤllen (bramidos) der Vulcane auf den Cordilleren folgtgewoͤhnlich mit großer Gleichfoͤrmigkeit von 5 Minuten zu5 Minuten. Es iſt mit kleinen ſichtlichen Ausbruͤchen ober-halb des Randes des Kraters begleitet, und gleicht balddem fern vollenden Donner, bald wiederholten Schuͤſſenvon ſchwerem Geſchuͤtz. Es wuͤrde ſehr intereſſant ſeyn,wenn man in den Gegenden, wo in der Naͤhe einer Cas-cade die Erde mit Schnee bedeckt wird, Unterſuchungen an-ſtellte; ob die naͤchtliche Verſtaͤrkung des Schalles waͤhrenddes Winters nicht geringer waͤre als im Sommer, wo derErdboden am Tage durch die Sonnenſtrahlen ſehr erwaͤrmtwird. Bey den angegebenen Verſchiedenheiten zwiſchen denhohen und niedrigen Gegenden von America unter denWendekreiſen, betrachte ich die Verhaͤltniſſe der Staͤrke nurunter einem gleichen barometriſchen Druck. Ich vergleichenicht die abſolute Staͤrke in verſchiedenen Hoͤhen, ſondernden Unterſchied zwiſchen der Staͤrke bey Nacht und beyTag auf den hohen und niederen Ebenen. Die in unter-ſchiedenen Hoͤhen der Atmoſphaͤre beobachteten Abwechſelun-gen der Staͤrke ſind ein Problem, das ſeit langer Zeit |Seitenumbruch| |365| durch die mathematiſche Theorie des Schalles aufgeloͤſt wor-den iſt. Poiſſon (Journ. d. l’Ecole polytech. t. VII.(1808) p. 328) hat ſogar das merkwuͤrdige Reſultat her-ausgebracht, daß die Staͤrke des Schalls von oben nachunten oder von unten nach oben, ſenkrecht oder in ſchiefenSchallſtrahlen, nur von der Dichtigkeit der Luftſchicht ab-haͤngt, von der der Schall ausgegangen iſt. Man mußnicht gaͤnzlich verſchiedene Probleme verwechſeln. Wenn man das Geraͤuſch der großen Cataracten vom Oronoko hoͤrt, in der Ebene um die Miſſion von Atu-res, in mehr als 1 Stunde weiten Entfernung; ſo glaubtman nahe an einer Kuͤſte voll Klippen und Brandungen zuſeyn. Das Geraͤuſch iſt bey der Nacht 3 mal ſtaͤrker alsam Tage und gibt dieſer einſamen Gegend einen unaus-ſprechlichen Reiz. Was kann wohl die Urſache dieſer zu-nehmenden Staͤrke ſeyn in einer Wuͤſte, wo nichts dieStille der Natur zu unterbrechen ſcheint? Die Geſchwin-digkeit der Fortpflanzung des Schalls, weit entfernt zuzu-nehmen, wird mit dem Fallen der Temperatur ſchwaͤcher.Die Staͤrke vermindert ſich, wenn die Luft von einem derRichtung des Schalls entgegengehenden Winde in Bewe-gung geſetzt wird; auch die Ausdehnung der Luft macht ſiegeringer; ſchwaͤcher iſt der Schall in den oberen Regionen derAtmoſphaͤre als in den niedrigeren, wo in demſelben Strah-le die erſchuͤtterten Luft-Molekulen mehr Dichtigkeit undElaſticitaͤt haben. Gleich bleibt die Staͤrke ſich in trockenerund in mit Duͤnſten vermiſchter Luft; in kohlenſaurem Gasaber iſt ſie geringer als in Miſchungen von Stickſtoff undOxygen. Nach dieſen Thatſachen (die einzigen, welche wirmit einiger Sicherheit kennen) iſt es ſchwer, eine Erſchei-nung zu erklaͤren, die man bey jeder Cascade in Europabemerkt, und die ſchon lange vor meiner Ankunft in demDorfe Aturés dem Miſſionaͤr und den Indianern aufgefal-len war. Die naͤchtliche Temperatur iſt um 3° niedriger,als die am Tage; auch wird die wahrnehmbare Feuchtigkeitbey Nacht groͤßer und der Nebel, der die Waſſerfaͤlle be-deckt, wird dichter. Wir haben nun geſehen, daß der hy-groſcopiſche Zuſtand der Luft gar keinen Einfluß auf dieFortpflanzung des Schalls hat, und die Erkaltung der Luftdie Geſchwindigkeit deſſelben vermindert. Man moͤchte glauben, daß ſelbſt in den nicht vonMenſchen bewohnten Gegenden das Geſumſe der Inſecten,der Geſang der Voͤgel, das Zittern der, auch von demleichteſten Winde bewegten Blaͤtter bey Tag ein verworrenesGeraͤuſch verurſachen, das wir um ſo weniger bemerken,da es gleichfoͤrmig iſt und unſere Ohren unaufhoͤrlich trifft.Nun kann dieſes Geraͤuſch, ſo wenig bemerkbar es auchſey, die Staͤrke eines groͤßeren Geraͤuſches ſchwaͤchen, unddieſes Schwaͤchen kann aufhoͤren, wenn bey der Nacht derGeſang der Voͤgel, das Geſumſe der Inſecten und die Be-wegung der Blaͤtter unterbrochen werden. Dieſer Schlußaber, wenn man ihn auch als richtig annimmt, iſt den-noch auf die Waͤlder vom Oronoko nicht anwendbar, wodie Luft unaufhoͤrlich von einer unzaͤhligen Menge Moski-to angefuͤllt iſt, wo das Sumſen der Inſecten bey derNacht ungleich ſtaͤrker iſt als am Tage, und wo der kuͤhleWind, wenn er uͤberhaupt bemerkbar wird, nie eher alsnach Untergang der Sonne anfaͤngt. |366| Ich glaube vielmehr, daß die Gegenwart der Sonneauf die Fortpflanzung und die Staͤrke des Schalles inſo-fern Einfluß habe, daß dieſe in den Luftſtroͤmen von ver-ſchiedener Dichte, in den theilweiſen, durch die ungleicheErwaͤrmung der verſchiedenen Stellen des Erdbodens verur-ſachten Wellenbewegungen der Atmoſphaͤre Hinderniſſe fin-de. Bey ruhiger Luft, ſie mag trocken oder mit gleichmaͤ-ßig vertheilten blaſigen Duͤnſten untermiſcht ſeyn, pflanztdie Schallwelle ſich ohne Schwierigkeit fort. Wenn aberdieſe Luft in allen Richtungen von kleinen waͤrmeren Luft-ſtroͤmen durchkreuzt wird, ſo zertheilt die Schallwelle ſichda, wo die mittlere Dichtigkeit ſich ploͤtzlich veraͤndert, esbilden ſich theilweiſe Wiederhalle, durch die der Schall ge-ſchwaͤcht wird, weil eine von den Wellen umkehrt. Es ent-ſtehen ſolche Theilungen der Wellen, wovon neuerlichPoiſſon die Theorie entwickelt hat. Es iſt alſo nicht dieUebergangs-Bewegung der Luftmolekulen von unten nachoben in einem aufſteigenden Strom, nicht die kleinen ſchie-fen Stroͤme, welche wir als der Fortpflanzung der Schall-Wellen durch einen Stoß gleichſam ſich widerſetzend betrach-ten. Stoͤßt man auf die Oberflaͤche einer Fluͤſſigkeit, ſobilden ſich Kreiſe rund um den Erſchuͤtterungspunct, ſelbſtdann, wenn die Fluͤſſigkeit geſchuͤttelt wird. Mehrere Ar-ten von Wellen koͤnnen im Waſſer wie in der Luft ſichdurchkreuzen, ohne in ihrer Fortpflanzung ſich zu ſtoͤren;kleine Bewegungen ſchieben ſich uͤbereinander, unddie wahre Urſache der minderen Staͤrke des Schalls waͤh-rend des Tages ſcheint der Mangel der Uebereinſtimmungin dem elaſtiſchen Mittel zu ſeyn. Es entſtehen dann ploͤtz-liche Unterbrechungen der Dichtigkeit allenthalben, wo klei-ne Luftſtreifen von hoher Temperatur, von den ungleich er-waͤrmten Theilen des Bodens aufſteigen. Die Schallwellentheilen ſich, wie die Lichtſtrahlen ſich brechen und die Kim-mung bilden, allenthalben, wo Luftſchichten von ungleicherDichte aneinanderſtoßen. Man muß einen Unterſchied feſtſe-tzen zwiſchen der Intenſitaͤt des Schalles oder der des Lichtesund den Richtungen der Schall- und der Lichtwellen. Wenn dieſe Wellen durch Schichten von verſchiedener Dich-tigkeit gehen, ſo werden ſie gemeinſchaftlich 2 Wirkungenhervorbringen, es wird eine Veraͤnderung der Richtung derFortpflanzung und Erloͤſchung des Lichtes und des Schalls er-folgen. Die Reflexion, welche jede Brechung begleitet,ſchwaͤcht die Staͤrke des Lichtes; die Theilung der Schall-welle erzeugt theilweiſe Wiederhalle, und der Theil der Wel-le, welcher umkehrt, da, wo die Dichtigkeit der Fluͤſſigkeitſich ploͤtzlich aͤndert, wird, bey einem ſehr ſchwachen Geraͤu-ſche unſerem Ohre unvernehmbar. Bey den Kimmungen mit doppelten Bildern iſt dasjeni-ge, das nahe an der Erde gebrochen wird, allemal ſchwaͤcherals das Bild, welches direct geſehen wird. Schichten vonFluͤſſigkeiten ſehr verſchiedener Dichtigkeit koͤnnen auf ſolcheArt abwechſeln, daß die urſpruͤnglichen Richtungen des Licht-ſtrahls und des Schallſtrahls dieſelben bleiben; allein dieStaͤrke des Lichtes und des Schalls wird deſſen ungeachtetdarunter leiden. Waͤhrend der Nacht erkaltet die Oberflaͤchedes Bodens; die mit Raſen oder mit Sand bedeckten Stellennehmen eine gleiche Temperatur an; die Atmoſphaͤre wirdnicht mehr von den waͤrmeren Luftſtreifen, die ſenkrecht oderſchief in jeder Richtung aufſteigen, durchkreuzt. In einergleichartiger gewordenen Luftſchicht pflanzt die Schallwelle ſich |Seitenumbruch| |367| mit weniger Schwierigkeit fort, und die Staͤrke des Schallswaͤchſt, weil die Theilungen der Wellen und die theilwei-ſen Wiederhalle ſeltener werden. Zur groͤßeren Deutlichkeit der Urſache dieſer warmenLuftſtreifen, welche am Tage von einem unregelmaͤßig er-waͤrmten Boden aufſteigen, will ich einige Erfahrungen an-fuͤhren, die ich unter den Wendekreiſen gemacht habe (Re-lat. historique d’un voyage aux regions équinoctialesT. I. p. 164 — 625 und T. II. p. 201 — 203 303 — 576).In den Llanos oder Steppen von Venezuela fand ich denSand um 2 Uhr auf 52°, 5 centigr.; bisweilen gar 60°.Die Temperatur der Luft im Schatten eines Bombax war36°, 2; in der Sonne, 18 Zoll uͤber dem Boden 42°, 8.Bey Nacht war der Sand nur 28°, er hatte mehr als 24°verloren. Bey den Waſſerfaͤllen des Oronoko, erwaͤrmtedas mit Kraͤutern bedeckte Land ſich am Tage nur auf 30°,wenn die Luft 26° war; allein die Granitbaͤnke, welcheweite Strecken bedecken, erwaͤrmten zu gleicher Zeit ſich auf48°. Ich habe eine Menge aͤhnlicher Beobachtungen be-kannt gemacht in dem Aufſatz uͤber meine Meſſungen undErfahrungen, die ich an der Kimmung zu Cumana gemachthabe, zu gleicher Zeit, als Wollaſton ſich mit dieſemPhaͤnomen in Europa beſchaͤftigte. Wenn die Urſache, welche ich von dem naͤchtlichenWachſen des Schalles angebe, die richtige iſt, ſo darf manſich nicht wundern, das unter der heißen Zone dieſes Wach-ſen ſtaͤrker iſt im Innern des Landes als auf der offenenSee, in der Ebene ſtaͤrker als auf dem Ruͤcken der Cordil-leren. Die Oberflaͤchen der See unter dem Aequator er-waͤrmt ſich gleichmaͤßig und nicht uͤber 29°; waͤhrend dieOberflaͤche des feſten Landes, von ungleicher Farbe und ausStoffen beſtehend, die verſchieden ſtrahlen, nahe am Ae-quator, Temperaturen annimmt, die zwiſchen 30° und 52°abwechſeln. Unter den Wendekreiſen bleibt gewoͤhnlich dieErde waͤhrend der Nacht waͤrmer als die Luft; in der ge-maͤßigten Zone wird der Boden in ruhigen und heiterenNaͤchten 4° bis 5° kaͤlter als die Luft. Anſtatt daß dieTemperatur, je weiter man ſich vom Boden entfernt, ab-nehmen ſollte, ſteigt ſie in Europa bey der Nacht bis inder Hoͤhe von 50 bis 60 Fuß in zunehmender Progreſſion.Daher muß man ſich nicht wundern, daß die Brechungenauf der Erde bisweilen bey Nacht faſt eben ſo betraͤchtlichſind als am Tage. Es ſind beſtaͤndig Luftſchichten vonverſchiedener Dichtigkeit da, welche horizontal auf einanderruhen; allein die warmen Luftſtreifen, welche ſchief durchdie Atmoſphaͤre gehen, ſind bey Nacht ſeltener als am Ta-ge. In einer Hoͤhe von 3000 Meter iſt in dem Theil derAnden unter dem Aequator die mittlere Temperatur derLuft nur 14° und die Staͤrke des Strahlens gegen einenwolkenloſen Himmel, durch eine ſehr trockene und ſehr rei-ne Luft, verhindert die betraͤchtliche Erwaͤrmung des Bo-dens waͤhrend des Tages. Ich will mich aber bey dieſenoͤrtlichen Umſtaͤnden nicht laͤnger aufhalten; es iſt genug,daß ich im allgemeinen das naͤchtliche Wachſen des Schal-les aus der Theorie der Schallwellen und ihren Theilun-gen erwieſen habe. Die ganze Erſcheinung beruht auf die-ſem Mangel an Gleichheit in den vertikalen Saͤulen derAtmoſphaͤre, und dieſer Mangel iſt auch (nach der ſinnrei-chen Anwendung, welche Arago von der Interferenz |368| und der Neutraliſirung der Strahlen gemacht hat) die ein-zige Urſache des ſtaͤrkeren oder ſchwaͤcheren Funkelns derSterne. Bekanntlich wird die Fortpflanzung des Schallsmerklich veraͤndert, wenn man in einer an einem Ende ver-ſchloſſene Roͤhre eine Schicht Waſſerſtoffgas uͤber einerSchicht atmoſphaͤriſcher Luft aufſteigen laͤßt. Bey Ausſprechung dieſer Idee koͤnnte ich mich auf dieAutoritaͤt eines Philoſophen berufen, den die Phyſiker mitGleichguͤltigkeit behandeln, dem aber die ausgezeichnetſtenZoologen ſchon ſeit langer Zeit wegen ſehr verſtaͤndigen Be-merkungen ausgezeichnete Gerechtigkeit wiederfahren laſſen.„Warum, ſagt Ariſtoteles in ſeinen merkwuͤrdigen Proble-men, warum laͤßt der Schall bey Nacht ſich beſſer hoͤren?weil mehr Ruhe da iſt, wegen der Abweſenheit der Waͤr-me. *) Dieſe Abweſenheit macht alles ruhiger; denn dieSonne iſt das Princip aller Bewegung (Arist. Opera om-nia edit. du Val. 1639 T. II. p. 115 — 123). Ariſtote-les hatte eine unbeſtimmte Ahnung von der Urſache der Er-ſcheinung; allein er ſchreibt der Bewegung der Luft, demStoße dasjenige zu, was nur von der ploͤtzlichen Veraͤnde-rung der Dichtigkeit in den aneinander liegenden Luftwogenentſteht. Weder Ariſtoxenes in ſeinem Buche von derMuſik, noch Seneca in ſeinen Questiones naturales, noch Theophilactes Simocatta haben das naͤchtliche Wach-ſen des Schalles zu erklaͤren geſucht. Betrachtet man denunvollkommenen Zuſtand der Phyſik bey den Alten und ih-re Unerfahrenheit in der Experimentirmethode, ſo muß manerſtaunen uͤber die Menge richtiger und oft feiner Bemer-kungen in den Werken des Philoſophen von Stagira uͤberden Thau, uͤber die Urſache der Kimmung, uͤber die Hoͤheder Wolken, als Wirkung des aufſteigenden Stroms be-trachtet.
*) Laurencit, der mit den Alten ſehr vertraut iſt, hat Bioteine Stelle aus Plutarch (Pariſ. Ausgabe 1624 Th. 2.S. 721 D.) mitgetheilt, wodurch das, was ich eben ausAriſtoteles angefuͤhrt habe, beſtaͤtiget wird. Ich will ſienach Amyats ſchlichter Ueberſetzung mittheilen: „Boethius,die erſte redende Perſon, behauptet, daß die Kaͤlte derNacht die Luft gerinnen mache und verdicke, und daß manam Tage den Schall ſchlecht hoͤre, weil weniger leereRaͤume da ſind; Ammonius, die zweyte redende Perſon,verwirft B. leere Raͤume, und glaubt mit Anaxagoras,daß, am Tage, die Sonne die Luft in eine zitternde undklopfende Bewegung ſetze; daß man am Tage ſchlecht hoͤ-re wegen des Staubes, der in der Luft umherfliegt,ziſcht und murmelt, daß aber bey Nacht die Erſchuͤtte-rungen nachlaſſen und alſo auch das Ziſchen des Staubes.Ammonius will Anaxagoras nicht zurechtweiſen; er glaubtaber, man muͤſſe auf den Schall kleiner Koͤrper verzich-ten, und es ſey hinlaͤnglich, das Schwanken und die Be-wegung derſelben anzunehmen. Die ſtille Luft ſey daszur Stimme geeignete Weſen, ſie laſſe den kleinen Theil-chen und den Bewegungen der Stimme aus jeder Ent-fernung ganz geraden, zuſammenhaͤngenden, ununterbro-chenen Durchgang. Die Windſtille und die ruhige Mee-resſtille iſt wiederhallend, der Sturm hingegen iſt dumpf.Die Bewegung der Luft erlaubt nicht, daß das aus-druͤckliche articulirte Bild der Stimme zu unſerer Em-pfindung gelange, ſondern ſie raubt ihm immer etwasvon ſeiner Kraft und Groͤße. Die Sonne, dieſer großeStatthalter und Fuͤrſt des Himmels, ſetzt auch die klein-ſten Theile der Luft in Bewegung, und ſobald ſie ſich zeigt,erregt und bewegt ſie alles.
|Seitenumbruch| |369| Die Alpenbewohner wie die der Anden betrachten einungewoͤhnliches Wachſen des Schalls bey ſtillen Naͤchten, alsein ſicheres Anzeichen von veraͤnderter Witterung. „Es wirdregnen,“ ſagen ſie, “weil man das Murmeln der Bergſtroͤ-me naͤher hoͤrt.“ Deluc hat dieſe Erſcheinung durch einenveraͤnderten barometriſchen Druck, durch eine groͤßere Men-ge Luftblaſen, die auf der Oberflaͤche des Waſſers zerpla-tzen, zu erklaͤren geſucht; dieſe Erklaͤrung iſt aber gezwun-gen und hat wenig Genuͤgendes; ich will hier nicht verſu-chen, an ihre Stelle eine andere Hypotheſe aufzuſtellen; icherinnere hier nur an die Aehnlichkeit der aus dem Wachſendes Schalles gezogenen Vorbedeutung und einer anderen auseiner geringeren Lichtſchwaͤche genommenen. Die Bergbe-wohner verkuͤnden eine Witterungsveraͤnderung, wenn miteinem Male, bey ſtiller Luft, die mit ewigem Schnee be-deckten Berge dem Beobachter naͤher zu kommen ſcheinen,und wenn ihre Umriſſe ſich außerordentlich deutlich am Ho-rizonte zeigen. Was nun auch fuͤr eine Beſchaffenheit derAtmoſphaͤre dieſe Erſcheinungen zu Wege bringen mag, ſoiſt es doch merkwuͤrdig, eine neue Analogie zwiſchen denSchallwellen und den Lichtwellen dabey zu erkennen. |370|