De Humboldt; allgemeine Betrachtungen über die Zahlzeichen der Völker. Er vergleicht die Zahlen-Hieroglyphen der Mexikaner mit den egyptischen von 1, 10 -- 100 und 1000, die Dr. Thomas Young in seinem gelehrten und sinnreichen Werke Hieroglophical Vocabulary bekannt gemacht hat. Humboldt hat zugleich die Frage untersucht, ob das Kunststück, daß man die Multiplicatoren als Exponenten über die Gruppen Zeichen setzt, und die Anwendung des chinesischen Suanpan (Abacus der Griechen und Römer) auf die indische, fälschlich arabisch genannte Methode lehren konnte, den Zeichen der Einheiten einen Stellen-Werth beyzulegen. Wir wollen dem Autor nicht in den historischen Untersuchungen folgen, die er über das Zahl-System der Völker beyder Continente anstellt, und die einen guten Beytrag zu der von Leslie herausgegebenen Philosophie de l'Arithmetique liefern; wir begnügen uns hier nur den Theil der Abhdl. auszuziehen, der ein allgemeines Interesse gewähren kann. "Wenn es wahr ist, daß die Zeichen, durch die wir unsere Ideen ausdrücken, Einfluß auf die Sprache haben, so wie wiederum die Sprache auf die Ideen wirkt, so ist es nicht weniger wahr, daß die Sprachen, die älter sind als jede Schrift, die Zahlzeichen modificieren und dem System der Zahlzeichen eine besondere Physionomie geben. Man sieht hier nicht auf die Sprachen und die Hieroglyphen der Zahlen in den verschiedenen Verhältnissen, unter denen sie vorkommen können; man betrachtet sie nur so, wie sie wirklich sind, wie man sie aus den Erzählungen der Reisenden kennt, welche nach dem Beyspiele von Pigafetta des Gefährten von Magellan, ihre Aufmerksamkeit auf das in den verschiedenen Regionen der Erde gefundene Zahlen- System gerichtet haben. Die Gränzen, welche das Genie der Sprache dem Menschen steckt, wenn sie die Einheiten in Gruppen vereinigen, wechseln unter jeder Zone. Bald sind diese Gränzen 5, bald 10, bald 20, je nachdem die Völker bey den Fingern einer Hand oder der beyden Hände, oder der Hände und Füße zusammen stehen bleiben. Man sagt 5 und 3 für 8; Fuß 1 für 11, Fuß 2 für 12, 20 plus 10 für 30. Die Fundamental-Gruppe des Zählens ist bald 5, bald 10, bald 20. Alle Völker, welche den Werth der Stellen nicht kennen und sich nicht der Buchstaben des Alphabets bedienen, hatten ursprünglich 3 Zeichen, für die Fundamental-Gruppe, für das Quadrat dieser Gruppe und für ihren Cubus. In der alten Welt findet man allgemeiner die Grundgruppe von 10, in der neuen die von 20 Einheiten. Die letzte führt auf einfache Hieroglyphen von 20, 400 und 8000. Die Mexikaner zählten nach einer sehr regelmäßigen Methode, nach Gruppen von 20, während sie die Zahlzeichen schrieben nach 20, und den Potenzen von 20. Diese Fundamental-Gruppe von 20 Einheiten findet sich auch in einigen Theilen der alten Welt, z. B. bey den Völkern des Caucasus, bey den Tauriern und den Einwohnern von Axrmoricum. Die alte Art, nach den Zehen und Fingern zu zählen, hat in mehreren Sprachen des westlichen Europas Spuren hinterlassen. Unter den römischen Zahlzeichen erkennt man die Reste eines Fünf- Systems. Zur Bezeichnung der Einheiten in der Hieroglyphen- Schrift (die geschriebenen Zahlen sind immer Hieroglyphen), oder, wie die Griechen es nennen, der Grundzeichen, verfielen verschiedene Völker darauf, so viel kleine von einander unterschiedene Formen zu zeichnen, als man Einheiten andeuten will. Diese kleinen Formen oder Grundzeichen sind bey den Mexicanern kleine, farbige Rundele, bey den Chinesen horizontale Linien, senkrechte Striche bey den Egyptern und Römern. Die Rundele der Mexicaner sind identisch mit den ältesten Zahlen-Hieroglyphen der Chinesen; dieß sind die Hotu und Loschu, die angeblichen, in dem gelben Flusse und in dem Fluß Lo gefundenen Täfelchen. Die Einheitszeichen bey den Mexicanern liefen von der Rechten zur Linken, wie die etruskische Schrift und die der semitischen Völker vom Euphrat bis zum Halys. Im östlichen Asien wie bey den Mexicanern sind die Rundele mit Strichen verbunden und stellen (fortlaufend) die Quippos oder Schnüre vor, die man im höchsten Alterthume in Egypten, in China und in beyden America findet, und von denen die Rosenkränze der Christen und die Tesbih der Perser herkommen. Will man diese neben einander gestellten Einheiten lesen, so muß man sie zählen, numerische Zeichen lassen sich nicht eher lesen, als bis mehrere kleine Formen der Einheiten in ein Zeichen zusammengeschmolzen sind. Die 2 und die 3 unter den indischen Zahlzeichen, so wie die alten Zeichen der Chinesen, bieten unzweifelhafte Spuren von der Vereinigung mehrerer Grundstriche in eine einzige Hieroglyphe. Man erkennt 2 und 3 Zähne, Ueberbleibsel von 2 oder 3 durch einen Strich verbundenen Balken. Nur durch diese Verbindung bilden sich die ächten Zahlzeichen, d. h. Zeichen, die man lesen kann und die die Idee von 3 oder 4 Einheiten erwecken, ohne daß man nöthig hat, die nebeneinandergesetzten Zeichen von derselben Form zu zählen. Bey den Nationen, welche die indianische Methode der Stellung nicht kennen, wird das Vielfache der Gruppe auf 2erley Art ausgedrückt, entweder durch Juxta-Position (indem man mehreremale das Zeichen derselben Ordnung ansetzt und wiederholt), oder durch Multiplicatoren, die wie Exponenten über die Hieroglyphe einer Gruppe gesetzt werden. Dieser Juxta-Position bedienten sich die Mexicaner, die Egyptier und die Römer. Die geistreiche Erfindung der Exponenten gehört den Chinesen. Eine 2 (d. h. 2 horizontale Querstriche) unter dem Zeichen 10 bedeutet 12; die nämlichen Querstriche darüber gesetzt, bedeutet 10 oder 20. In den chronologischen Tabellen der Mexicaner findet sich etwas Aehnliches. Um 416 Jahre auszudrücken, stellten sie 8 kleine Rundele oberhalb der Hieroglyphe des Cyclus von 52, welches eine mit einem Seile zusammengebundene Rohrgarbe ist. Diese Zahl 8 ist der Multiplicator von 52, die großen Ligaturen der Jahre wurden 8 mal gemacht. Eine zweyte Art von Zahlzeichen, die man bis jetzt nur in der neuen Welt gefunden hat, stützt sich auf ein ganz sonderbares Princip, auf eine in der Natur beobachtete fortschreitende Entwickelung. Gäbe es eine Pflanze mit einer Blumenkrone mit 10 Blumenblättern und es entwickelte sich jeden Tag eines dieser Blumenblätter, so ist begreiflich, daß das Bild der Blumen in ihren verschiedenen Zuständen als Hieroglyphe für die Einheiten von 1 bis 10 dienen könnte. Auf ähnliche Art haben sich die Zahlzeichen der Einwohner von Neu-Granada gebildet. Sie sind bezeichnend, so wie alle Wörter der Chibcha Sprache, welche diese Zahlen bedeuten. Diese Zeichen und Wörter haben Beziehung mit den Monds-Phasen, dessen Scheibe, nach dem allgemeinen Volksglauben, nach und nach das Bild eines menschlichen Gesichtes zeigt, eine Nase, einen Mund, zwey Augen, sogar Ohren. Dieß sind die Zahlzeichen vor der Alphabet-Schrift, vor der Kunst Töne in Buchstaben zu zerlegen. Unabhängig von der Verschiedenheit der Alphabete und der Sprachen, haben sie seit dem grauesten Alterthum dem auswärtigen Handel unermeßlichen Vortheil gebracht. Wegen ihrer Unabhängigkeit von der Sprache und den Buchstaben des Alphabets konnten sie von einem Volke zum anderen übergehen. Diese Zeichen erhielten sich unverrückt nach der Erfindung der alphabetischen und der Sylben-Schrift. Sie sind die einzigen Hieroglyphen, die wir in unsere Schrift einschieben, und von ihnen ist das Wort Ziffer (uneigentlich gewählt, da es ursprünglich einen leeren Raum, Null bedeutet hat), auf alle Versuche übergegangen, die Ideen durch ein Bild von einem Dinge darzustellen. Eine dritte Methode, unstreitig jünger als die Erfindung des Alphabets, ist diejenige, welche die Zahlen durch eine Reihe von Buchstaben ausdrückt. Hiedurch wird das Wachsen der Einheiten an Ausdrücke gebunden, die man auf einförmige und bestimmte Art sich folgen zu lassen gewohnt ist; diese Methode borgten die Griechen von den Völkern des semitischen Stammes. Die Völker, welche die Vielfache der Gruppen z. B. 20, 30, 200 oder 300 durch die Juxta-Position desselben Zeichens ausdrücken, wie Römer und Egyptier, haben einen Vorzug vor den Völkern, welche die Zahlen durch verschiedene Reihen von 9 Alphabetbuchstaben ausdrücken; sie haben wenigstens Charactere. Die Griechen und die Nationen aus dem semitischen Stamm haben besondere Zeichen für 30 und 40, für 500 und 800; die Vielfachzeichen der nämlichen Gruppe haben nichts mit einander gemein. Da das Alphabet für die Tausende nicht genug Buchstaben liefert, so verfielen die Griechen, anstatt, wie die Araber im Anfange thaten, zu den Juxta-Positionen ihre Zuflucht zu nehmen, darauf, 1000, 2000, 3000 durch dieselben Buchstaben auszudrücken, deren sie sich zur Bezeichnung der Einheiten 1, 2, 3 bedienten indem sie unter die Buchstaben a, b, g noch ein Jota setzten. Dieses Kunststück hätte zu der Methode führen können, alle Zahlen durch die 9 ersten Buchstaben des Alphabets auszudrücken, wenn der Buchstabe b eins, zwey oder dreymal accentuirt würde, um 20, 200 oder 2000 auszudrücken. Zwar hätte diese Methode, die wegen der wenigen Charactere, die dabey gebraucht werden, vortheilhaft ist, keine Positions-Werthe gegeben; dennoch hätte sie bey denjenigen Völkern Beyfall finden müssen, welche in Nord- und Ost-Asien um Tausende von Jahren, Tagen oder Stunden auszudrücken, einer kleinen Anzahl von Characteren (in periodischen Reihen von 12 Thieren oder 10 Cans) sich bedienten. Nun denke man sich an Statt dieser Striche, über die Einheiten gesetzte Puncte, und man hat die arabischen Ziffern in dem Character Gobar, wie er sich in einem kostbaren Manuscripte findet, welches von den Mauren in Mauritanien handelt und aus der Bibliothek St. Germaindes-Pres in die königl. Bibliothek gekommen ist. Diese Gobar-Ziffern sind keine alphabetischen und gehören zu den hinduischen, wovon der größte Theil außerordentlich verändert ist. Eine 2 mit einem Punct drüber, bedeutet 20, 3 mit 2 Puncten 300. Nun finden sich aber die Nullen, die bey den Hindus selten sind, fast immer in den arabischen und persischen Handschriften (die jünger sind als die Einführung der arabischen Ziffern) getroffen werden, sich als Puncte und nicht, wie unsere Nullen, als offene Ringel. Stellte man die Puncte des Gobar-Characters rechts der Ziffern, anstatt sie darüber zu setzen, so hätte man die nach der indischen Methode geschriebenen Zehner und Hunderter. Verrathen diese Gobar-Charactere etwa ein älteres indisches System, das vor dem Vervollkommneten da war und sich neben der guten Methode erhalten hat? Hat man in Indien zuerst Puncte oder Ringel über die Reihen der Einheiten gesetzt, gleichsam um die Gruppen zu bezeichnen, wovon die unten geschriebenen Einheiten die Multiplicatoren sind, ehe man Puncte oder Ringel rechts an die Einheiten setzte? Sind die Coefficienten in der Folge wirkliche Nullen geworden? (De Humboldt will seine Untersuchungen über den Gobar-Character, den man bisher ohne Nulle geglaubt hat, fortsetzen). Wir finden bey den Völkern, welche, da sie ebenfalls den Werth der Positionen nicht kannten, dennoch sehr unterschiedene Ziffern-Systeme hatten, nehmlich bey den Chinesen, Griechen und Römern ein Kunststück von palpabler und manueller Arithmetik, dessen Gebrauch für das indische System vorbereiten mußte. Dieß Kunststück ist das Suanpan der Chinesen und der Abacus der abendländischen Völker. Er ist noch jetzt in Europa bey den Russen in Gebrauch. Wie ist aber das Suanpan bey Nationen entstanden, die es nicht von einander geborgt zu haben scheinen? Wenn man zu dem ersten Zeitalter der Civilisation hinaufgeht, so muß man sich an die Entstehung von Dingen erinnern, deren äußerste Einfachheit sie oft unserer Aufmerksamkeit unwerth macht. Will man an den Fingern 17 zählen, so muß man beachten, wie viel mal man die ganze Hand durchgezählt hat. Nach dem Quinär-System wird man 2 Einheiten haben plus 3 mal 5. Ist die Zahl größer, so kann man jedesmal, wenn alle Finger der linken Hand durchgezählt sind, einen Finger der rechten Hand krumm machen. Auf diese Art kann man an der einen Hand die Gruppen von 5 oder 10 zählen, während die andere Hand die Einheiten bezeichnet. Nach den Händen ist nichts bequemer zu diesem Gebrauch, als die Strickchen, Rosenkränze, Quippo's, Wampum, die man fast bey allen Völkern der beiden Continente findet. Drey Strickchen sind hinreichend, um durch ihre Knoten oder daran gereihte Perlen die Einheiten, Zehner und Hunderter zu bezeichnen. Bevestiget man diese Strickchen parallel auf ein viereckiges Brett, so hat man den Abacus oder den Suanpan der Chinesen. So wie man hinaufgeht, indem man von den Einheiten zu den Gruppen von 10, von 100, von 1000 steigt, so wie man fast nach dem Geiste aller Sprachen, die größten Gruppen, z. B. die Tausende zuerst ausspricht; so zeigt auch das Suanpan in der oberen Reihe die höchsten Gruppen. Die Perlen bezeichnen die Vielfachen der Gruppen, und man liest 3006 auf ein Suanpan von 4 Reihen oder Strickchen, wenn die erste und die letzte Reihe 3 und 6 Perlen haben und die beyden mittleren gar keine. Da alle Perlen sich gleich sind, so ist in Ansehung der ganzen Reihen Positions-Werth da, und die leere Stelle, die Reihe ohne Perlen, drückt die Null Sifroun aus. Der Gebrauch des Suanpan gewöhnte die Völker an den Begriff von mehreren Gruppen-Reihen; sie zeigten einen leeren Platz (ein Sifroun), da, wo eine Zwischen-Gruppe fehlte, die chinesische Kunst die Einheiten als Multiplicatoren über die Gruppen-Zeichen zu setzen, vollendete wahrscheinlich die Entdeckung; sie verpflanzte so zu sagen den Keim der indischen Methode aus dem Gebiete der palpabeln Arithmetik in das Gebiet der figurativen oder graphischen. Wenn man senkrecht schreibt, so erhebt man sich durch verschiedene Reihen von Gruppen und Einheiten zu den Hieroglyphen von 10, 100 1000, wie man in den Sprachen die Gruppen nach der Ordnung ihrer Größe ausspricht. Nun stellen die Chinesen, wenn sie 2000 schreiben, über das Zahlzeichen 1000 das Zeichen des Multiplicators 2. Sie setzen sogar, und dieß ist sehr wichtig, das Zeichen 1 über einfache Gruppen, sie schreiben Ein 10, Ein 100 für 10 und 100, anstatt sich mit den einfachen Characteren der Gruppen n und n 2 zu begnügen. Wenn man senkrecht schreibt, so mußte sich die Idee aufdringen, die Hieroglyphen der Gruppen weglassen zu können, und nur die Multiplicatoren beyzubehalten, welches lauter Einheiten sind. Es sind nur (bey der Fundamental-Gruppe 10) neun Zeichen geblieben, um alle Zahlen auszudrücken. In der indischen Methode zeigen die Ziffern auch nur die Multiplicatoren oder die Coefficienten der verschiedenen Gruppen, zu denen sie in jeder Reihe gehören. Fehlte eine Ordnung von Gruppen, so ließ man einen leeren Platz, wie auf dem Abacus, und füllte diesen leeren Raum mit einem willkürlichen Zeichen, einer Null, Sifroun aus. Es würde unnöthig seyn, diesen Ideengang weiter zu verfolgen, und zu erinnern, daß die bey der senkrechten Schreibart angenommene Ordnung auch bey der horizontalen beybehalten werden mußte. Diese Umwandlung der Multiplicatoren in unabhängige, isolirte Charaktere, geschah wahrscheinlich bey den Hindus oder irgend einem anderen Volke, welches wie diese von der Linken zur Rechten schrieb. Die Ziffern der Hindus sind die ersten 9 Charaktere eines alten Zahlen-Systems, worin Zeichen von 10, 100 und 1000 waren, das durch die Einführung des Positions-Werthes abgekürzt worden ist. Der Charakter für den leeren Raum, die Null, findet sich noch jetzt in der indischen Schrift oder Devanagary. Ein kleines Ringel, ganz wie unsere Null steht in der Linie, um den Leser zu erinnern, daß etwas fehlt, ein Wort oder ein Buchstabe. Man gebraucht es gerade so wie unser u. s. w., wie die kleinen Puncte, deren wir uns bedienen, wenn ein Gedanke nicht völlig ausgedrückt wird, oder der Satz nicht beendet ist. Diese Puncte, diese Ringel, diese Anasuaram sind die Nullen der Hindus oder der Araber.