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Alexander von Humboldt: „Der Vulkan von Teneriffa. (Abgekürzt)“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1818-Der_Pic_de-2-neu> [abgerufen am 24.04.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1818-Der_Pic_de-2-neu
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Titel Der Vulkan von Teneriffa. (Abgekürzt)
Jahr 1842
Ort Wien
Nachweis
in: Wilhelm Podlaha (Hrsg.), Muster deutscher Redekünste mit besonderer Rücksicht auf neuere Literatur zur Bildung des Geschmacks und des Stils, Wien: Fr. Beck’s Universitäts-Buchhandlung 1842, S. 48–59.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: III.49
Dateiname: 1818-Der_Pic_de-2-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 12
Zeichenanzahl: 36397

Weitere Fassungen
Der Pic de Teyde auf Teneriffa (Frankfurt am Main, 1818, Deutsch)
Der Vulkan von Teneriffa. (Abgekürzt) (Wien, 1842, Deutsch)
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Der Vulkan von Teneriffa. (Abgekürzt.)

Bis an den Felſen von la Gayta oder den Eingang in die große Ebeneder Pfriemenkräuter iſt der Pik von Teneriffa mit einer ſchönen Vegetazionbedeckt; nichts trägt auf demſelben den Charakter einer neuen Zerſtörung.Man würde den Abhang eines Vulkans zu durchwandern glauben, deſſenFeuer ſeit ſo langer Zeit her erloſchen iſt, wie jenes des Monte-Cavo bei Rom.Kaum kommt man auf der mit Bimsſtein bedeckten Ebene an, ſo verändertdie Landſchaft ihr Anſehen: mit jedem Schritte begegnet man ungeheurenBlöcken von Obſidian, welche durch den Vulkan ausgeworfen wurden. Allesverkündigt daſelbſt eine tiefe Einſamkeit; einige Ziegen und Kaninchen durch-irren allein dieſe Ebene. Der unfruchtbare Theil des Piks nimmt über zehnQuadratmeilen ein, und da die untern Gegenden, von ferne geſehen, ver-kürzt erſcheinen, ſo hat die Inſel das Anſehen eines ungeheuren Haufens ver-brannter Materien, um welchen die Vegetazion nur einen ſchmalen Saumbildet. Bei dem Austritte aus der Region des Spartium nubigenum gelangtenwir durch enge Schlünde und kleine Schluchten, welche die Bergſtröme inſehr alten Zeiten ausgewühlt haben, zuerſt auf eine höhere Gebirgsplatte,ſodann an den Ort, wo wir die Nacht zubringen mußten. Die Stazion, dieüber 1530 Toiſen Höhe über die Seeküſten hat, führt den Namen: «Halte derEngländer», ohne Zweifel, weil ehemals vorzugsweiſe engliſche Reiſende denPik beſuchten. Zwei geneigte Felſen bilden eine Art von Höhle, welche einenZufluchtsort gegen den Wind darbietet, und bis an dieſen Punkt, der ſchonhöher als die Spitze des Canigou, kann man auf Maulthieren reiten; auchbleiben viele Neugierige, die bei ihrer Abreiſe von Oratava an den Randdes Kraters zu kommen glaubten, an dieſem Punkt ſtehen. Obgleich in der |49|Mitte des Sommers und unter dem ſchönen Himmel Afrika’s, litten wir dochwährend der Nacht von der Kälte. Das Thermometer fiel bis auf 5°. Unſere Führermachten ein großes Feuer mit trockenen Aeſten von Retama. Ohne Zelt undohne Mäntel legten wir uns auf einen Haufen verbrannter Steine, und wirwurden durch die Flammen und den Rauch, welchen der Wind immer gegenuns herblies, ſehr beläſtigt. Wir hatten verſucht mittelſt zuſammengebundenerTücher eine Art von Windſchirm zu errichten, aber das Feuer ergriff die Ein-faſſung, und wir bemerkten dies erſt, nachdem der größte Theil davon durchdie Flammen verzehrt war. Wir hatten niemals eine Nacht in ſolcher Höhe zu-gebracht, und ich bildete mir damals nicht ein, daß wir eines Tages auf demRücken der Cordilleren Städte bewohnen würden, deren Boden höher läge,als der Gipfel des Vulkans, welchen wir den folgenden Tag erreichen ſollten.Je kälter es wurde, deſto mehr bedeckte ſich der Pik mit dichten Wolken. DieNacht unterbricht den Zug des aufſteigenden Luftſtromes, der ſich währenddes Tages von den Ebenen in die hohen Regionen der Atmoſphäre erhebt, unddie Luft verliert, indem ſie ſich erkältet, ihre auflöſende Kraft auf das Waſſer.Der Nordwind jagte gewaltig die Wolken, der Mond blickte bisweilen durchdie Dünſte, und ſeine Scheibe erſchien auf einem außerordentlich dunklen Blau;der Anblick des Vulkans gab dieſer nächtlichen Szene einen majeſtätiſchen Cha-rakter. Bald war der Pik unſern Blicken durch die Nebel völlig entzogen,bald erſchien er in einer furchtbaren Nähe, und einer ungeheuern Pyramideähnlich, warf er ſeinen Schatten auf die Wolken, welche unter uns lagen. Gegen drei Uhr des Morgens machten wir uns bei dem düſtern Scheineiniger fichtenen Fackeln auf den Weg nach dem Gipfel des Pitons. Mankommt dem Vulkan von der nordöſtlichen Seite aus bei, wo die Abhängeaußerordentlich ſteil ſind, und wir gelangten nach zwei Stunden auf eine kleineEbene, die wegen ihrer iſolirten Lage den Namen Alta Vista führt. Ueberdieſem Punkt beginnt das Malpays, eine Benennung, mit welcher man hier,wie in Mexiko, in Peru und überall, wo es Vulkane gibt, ein von Damm-erde entblößtes und mit Bruchſteinen von Lava bedecktes Erdreich bezeichnet.Wir machten einen Umweg rechts, um die Eishöhle zu unterſuchen, welchein einer Höhe von 1728 Toiſen und mithin unter der Gränze liegt, wo indieſer Zone der ewige Schnee anfängt. Es iſt wahrſcheinlich, daß die Kälte,welche in dieſer Höhle herrſcht, von denſelben Urſachen herrührt, die das Eisin den Höhlungen des Jura und der Apenninen erhalten, und über welche dieMeinungen der Phyſiker noch getheilt ſind. Die natürliche Eishöhle des Pikshat übrigens keine ſolche ſenkrechten Oeffnungen, durch welche die warme Luftentweichen kann, während die kalte Luft unbeweglich auf dem Boden bleibt.Es ſcheint, daß ſich das Eis ſowohl durch ſeine Anhäufung als dadurch erhält,daß ſein Schmelzen durch die von ſchneller Verdünſtung hervorgebrachte Kälteverzögert wird. Dieſer kleine unterirdiſche Gletſcher befindet ſich in einer Ge-gend, deren mittlere Temperatur wahrſcheinlich nicht unter 3° beträgt, under wird nicht, wie die eigentlichen Gletſcher der Alpen, durch Schneewaſſererhalten, welche von dem Gipfel der Alpen kommen. Während des Wintersfüllt ſich die Höhle mit Eis und Schnee, und da die Strahlen der Sonne nicht |50|weiter als bis an die Oeffnung reichen, ſo iſt ihre Wärme nicht hinreichend,den Behälter zu entleeren. Die Exiſtenz einer natürlichen Eishöhle hängt folg-lich weniger von der abſoluten Erhöhung der Höhlung und von der mittlernTemperatur der Luftſchichte ab, in der ſie ſich befindet, als von der Mengedes im Winter hereinkommenden Schnees und der geringen Wirkung warmerWinde, die im Sommer wehen. Die im Innern eines Berges eingeſchloſſeneLuft iſt ſchwer von der Stelle zu bewegen, wie dies der Monte-Teſtaccio zuRom beweiſt, deſſen Temperatur ſo ſehr verſchieden von jener der ihn umge-benden Luft iſt. Es fing an zu tagen, als wir die Eishöhle verließen. Wir beobachtetenjetzt während der Dämmerung eine auf hohen Bergen ziemlich gemeine Er-ſcheinung, welche aber die Lage des Vulkans, auf dem wir uns befanden, ziem-lich auffallend machte. Eine Lage von weißen und flockigen Wolken entzog unsden Anblick des Ozeans und der niedern Gegenden der Inſel. Die Lage ſchiennur 800 Toiſen hoch zu ſein; die Wolken waren ſo gleichförmig verbreitet, undhielten ſich ſo genau in einer wagrechten Ebene, daß ſie das Anſehen einer un-geheuren, mit Schnee bedeckten Plaine darſtellten. Die koloſſale Pyramide desPiks, die vulkaniſchen Spitzenden Lancerote, Fortaventura und Palma erho-ben ſich wie Klippen aus der Mitte dieſes ungeheuren Dunſtmeeres: ihreſchwärzlichen Teinten kontraſtirten mit der Weiße der Wolken. Ich wünſchte genau den Augenblick des Aufgangs der Sonne in einer ſobeträchtlichen Höhe, wie die, welche wir auf dem Pik erreicht hatten, beobach-ten zu können. Kein Reiſender, der mit Inſtrumenten verſehen war, hattenoch eine ſolche Beobachtung gemacht. Ich hatte eine Fernröhre und ein Chro-nometer, deſſen Gang ich ſehr genau kannte. Auf der Seite, wo die Sonnen-ſcheibe erſcheinen mußte, war der Horizont frei von Wolken. Wir bemerk-ten den erſten Rand um 4 St. 48′ 55″ wahrer Zeit, und was merkwürdig iſt,der erſte leuchtende Punkt der Scheibe berührte unmittelbar die Gränze des Hori-zonts; folglich ſahen wir den wahren Horizont, d. h. einen Theil des Meeres, in derEntfernung von mehr als 43 Meilen. Es iſt durch Berechnung erwieſen, daß unterder nämlichen Parallele der Aufgang der Sonne in der Ebene um 5 St. 1′ 50,4″ oder11′ 51,3″ ſpäter, als auf der Höhe des Piks hätte erſcheinen müſſen. Der beob-achtende Unterſchied war 12′ 55″, welches ohne Zweifel von der Ungewißheit derRefrakzionen für eine Zenithdiſtanz, wo es an Beobachtung fehlt, herrührt. Wirwurden durch die außerordentliche Langſamkeit in Erſtaunen geſetzt, mit wel-cher der untere Rand der Sonne ſich von dem Horizont loszumachen ſchien.Dieſer Rand wurde erſt um 4 St. 56′ 56″ ſichtbar. Die Sonnenſcheibe, ſehrabgeplattet, erſchien rein begränzt; es gab während des Aufgangs kein reinesBild, noch eine Verlängerung des untern Randes. Da die Dauer des Auf-gangs dreimal ſo groß war, als wir in dieſer Breite erwarten mußten, ſo mußman annehmen, daß eine Lage von Nebel, welche ſehr gleichförmig verbreitetwar, den wahren Horizont verbarg und der Sonne in dem Maße folgte alsſie ſich erhob. Trotz dem Schwanken der Sterne, das wir gegen Oſten beobach-tet hatten, wird man ſchwerlich die Langſamkeit des Aufgangs einer außeror-dentlichen Refrakzion der Lichtſtrahlen, welche von dem Horizont des Meeres |51|herkamen, zuſchreiben können; denn gerade bei dem Aufgang der Sonne er-niedrigt ſich der Horizont wegen der Erhöhung der Temperatur, welche dieLuftſchichte erleidet, die unmittelbar auf der Oberfläche des Ozeans aufliegt. Der Weg, den wir quer über das Malpays zu nehmen genöthigt waren,iſt außerordentlich ermüdend; er geht ſteil aufwärts, und die Blöcke von Lavawichen unter unſern Füßen. Ich kann dieſen Theil des Weges mit nichts ver-gleichen als mit der Moraine der Alpen oder jener Anhäufung von Geröllen,welche man unter den Gletſchern antrifft; auf dem Pik haben dieſe Trümmerder Laven ſcharfe Kanten, und es finden ſich oft Gruben zwiſchen ihnen, indie man mit der Hälfte des Körpers zu fallen, Gefahr läuft. Unglücklicher-weiſe trug die Trägheit und der ſchlechte Wille unſerer Wegweiſer viel dazubei, uns dieſes Bergſteigen beſchwerlich zu machen: ſie waren weder denenvom Thal Chamouny noch den flinken Guanen ähnlich, von denen man er-zählt, daß ſie ein Kaninchen oder eine wilde Ziege im Laufen fangen. UnſereCanariſchen Wegweiſer waren von einem Phlegma zum Verzweifeln; ſie wolltenuns den Abend vorher überreden, nicht über die Stazion der Felſen hinaus zugehen; ſie ſetzten ſich von zehn zu zehn Minuten, um auszuruhen, warfen dieStücke von Obſidian und Bimsſtein weg, welche wir mit Sorgfalt geſammelthatten, und wir entdeckten, daß keiner von ihnen auf dem Gipfel des Vulkansgeweſen war. Nach drei Stunden Weges kamen wir an dem Ende des Malpays aufeiner kleinen Ebene an, melche man la Rambleta nennt; in der Mitte der-ſelben erhebt ſich der Piton oder der Zuckerhut. Von der Seite von Orotavaähnelt dieſer Berg jenen ſtaffelförmigen Pyramiden, welche man in Fejoum undin Mexiko antrifft; denn die Ebenen von Retama und von Rambleta bildenzwei Etagen, wovon die erſte viermal höher iſt als die zweite. Wenn mandie ganze Höhe des Piks zu 1904 Toiſen annimmt, ſo iſt la Rambleta 1820Toiſen über die Oberfläche des Meeres erhoben. Hier findet man die Luftlö-cher, welche die Eingebornen mit dem Namen Naſenlöcher des Piks bezeich-nen. Wäſſerige und heiße Dünſte dringen von Zeit zu Zeit aus mehrerenSpalten, welche ſich in dem Erdreich befinden, hervor; wir ſahen daſelbſt dasThermometer auf 43°, 2 ſteigen. Der ſchroffſte Theil des Berges blieb uns noch zu beſteigen übrig, der Pi-ton, welcher den höchſten Gipfel bildet. Der Abhang dieſes kleinen Kegels,mit vulkaniſchen Aſchen und Bruchſtücken von Bimsſtein bedeckt, iſt ſo ſteil,daß es faſt unmöglich wäre, die Spitze zu erreichen, wenn man nicht einemalten Lavaſtrom folgte, welcher aus dem Krater gefloſſen zu ſein ſcheint, unddeſſen Trümmer den Verwüſtungen der Zeit widerſtanden. Dieſe Trümmer bil-den eine Mauer von verſchlackten Felſen, welche ſich mitten durch die beweg-lichen Aſchen erſtreckt. Wir beſtiegen den Piton, indem wir uns an dieſenSchlacken hielten, deren Kanten ſehr ſcharf ſind, und die halb zerſetzt uns oftin der Hand blieben. Wir brauchten nahezu eine halbe Stunde, um einen Hügel zu erſteigen,deſſen perpendikulare Höhe kaum 90 Toiſen beträgt. Der Veſuv, welcherdreimal niederer iſt als der Vulkan von Teneriffa, endigt ſich in einen drei- |52|mal höheren Aſchenhügel, deſſen Abhang aber viel ſanfter und zugänglicher iſt.Unter allen Vulkanen, welche ich beſucht habe, bietet nur der Jorullo in Me-xiko größere Hinderniſſe als der Pik dar, weil der ganze Berg mit bewegli-cher Aſche bedeckt iſt. Wenn der Zuckerhut mit Schnee bedeckt iſt, wie im Anfang des Winters,ſo kann die ſteile Lage ſeines Abhanges den Reiſenden in die größte Gefahrſetzen. Le Gros zeigte uns den Ort, wo der Kapitän Baudin bei ſeiner Reiſeauf die Inſel Trinidad hätte zu Grunde gehen können. Dieſer Offizier hatteden Muth gehabt, in Verbindung mit den Naturaliſten Adrenier, Mauger undRiedlé gegen das Ende des Dezembers im Jahre 1797 eine Reiſe auf denGipfel des Vulkans zu unternehmen. Als er auf die Hälfte der Höhe des Ke-gels gekommen war, fiel er und rollte bis auf die kleine Ebene Rambletaherab; glücklicherweiſe hinderte ihn ein Haufen Laven, welcher mit Schneebedeckt war, mit beſchleunigter Geſchwindigkeit noch weiter herab zu fallen.Man verſicherte mich, in der Schweiz einen Reiſenden gefunden zu haben, wel-cher durch das Herunterrollen auf dem Abhang des Col de Balme, der mitdem feſten Raſen der Alpen überzogen iſt, erſtickt worden war. Als wir auf der Spitze des Piton ankamen, waren wir erſtaunt, daſelbſtkaum ſo viel Platz zu finden, um bequem ſitzen zu können. Wir wurden durcheine kleine kreisförmige Mauer von porphyrartiger Lava, deren HauptmaſſePechſtein war, aufgehalten; dieſe Mauer entzog uns den Anblick des Kraters.Der Weſtwind wehte mit ſolcher Heftigkeit, daß wir Mühe hatten, uns aufden Beinen zu halten. Es war 8 Uhr Morgens, und wir waren erſtarrt vorKälte, ungeachtet ſich das Thermometer ein wenig über dem Gefrierpunkt er-hielt. Seit langer Zeit waren wir an eine ſehr hohe Temperatur gewöhnt,und der trockene Wind vermehrte die Empfindung der Kälte, weil er jedenAugenblick die kleine warme und trockene Luftſchichte wegführte, welche ſichdurch die Hautausdünſtung um uns her bildete. Der Krater des Piks ähnelt ſeinem Rand nach nicht denen der meiſtenandern Vulkane, welche ich beſucht habe, z. B. den Kratern des Veſuvs, desJorullo und des Pichincha. Bei dieſen erhält der Piton ſeine koniſche Formbis an die Spitze, ihr ganzer Abhang iſt gleich geneigt und gleichförmig miteiner Schichte ſehr zertheilten Bimsſteins überdeckt; kommt man auf die Spitzedieſer drei Vulkane, ſo hindert nichts, den Boden des Schlunds zu ſehen. DerPik von Teneriffa und der Cotopaxi im Gegentheil haben eine ſehr verſchiedeneStruktur; ſie haben auf ihrem Gipfel einen Grat oder eine kreisförmigeMauer, welche den Krater umgibt; von ferne ſieht dieſe Mauer wie ein klei-ner Cylinder aus, welcher auf einem abgeſtumpften Kegel ſitzt. Auf dem Pikvon Teneriffa iſt der Grat oder Kamm, welcher den Krater wie eine Bruſt-wehr umgibt, ſo hoch, daß er völlig den Zugang zu der Caldera hindernwürde, wenn ſich nicht auf der weſtlichen Seite eine Oeffnung fände, welchedie Wirkung eines Erguſſes ſehr alter Lava zu ſein ſcheint. Durch dieſe Oeff-nung ſtiegen wir in den Boden des Trichters hinab, deſſen Figur elliptiſch iſt;die große Axe liegt von Nordweſt nach Südoſt, nahe zu N. 25° W. Diegrößte Breite der Oeffnung ſchien uns 300 Fuß, die kleinſte 200. |53| Die äußern Ränder der Caldera ſind beinahe ſenkrecht: ihr Anſehen iſtdemjenigen ähnlich, welches der Somma von Atrio dei Cavalli aus geſehendarbietet. Wir ſtiegen in den Boden des Kraters auf einen Strich zerbroche-ner Laven, der ſich an der öſtlichen Oeffnung der Einfaſſung endigt. DieWärme war nur an einigen Spalten bemerkbar, aus denen ſich Waſſerdünſtemit einem eigenen Brauſen entwickelten. Einige dieſer Luftlöcher oder Spaltenbefinden ſich außerhalb der Einfaſſung an dem äußern Rand der Bruſtwehr,welche den Krater umgibt. Als wir das Thermometer hinein hielten, ſahenwir es ſchnell auf 68 und 75 Grade ſteigen. Es zeigte ohne Zweifel eine höhereTemperatur an, aber wir konnten das Inſtrument nur beobachten, nachdemwir es herausgenommen hatten, aus Furcht, uns die Hände zu verbrennen.Cordier fand mehrere Spalten, deren Wärme derjenigen des ſiedenden Waſ-ſers gleich war. Ich habe an Ort und Stelle die Anſicht des innern Randes des Kratersgezeichnet, wie er ſich darſtellt, wenn man zur öſtlichen Oeffnung hinabſteigt.Nichts iſt auffallender als die Uebereinſtimmung der Lavaſchichten, welche die-ſelben Biegungen wie die Kalkfelſen in den Hochalpen darſtellen. Bald horizon-tal, bald geneigt und wellenförmig gekrümmt, erinnern dieſe enormen Bänkean die ehemalige Flüßigkeit der ganzen Maſſe und an die Vereinigung mehre-rer ſtörenden Urſachen, welche die Richtung jedes Ausfluſſes beſtimmten. DieGrube der kreisförmigen Mauer zeigt die bizarren Verwüſtungen; welche manbei der entſchwefelten Steinkohle wahrnimmt. Der nördliche Rand iſt der höchſte,gegen Südweſt iſt die Umgürtung bedeutend eingeſunken, und eine enorme Maſſeverſchlackter Laven ſcheint daſelbſt an das Ende des Rands angebacken. GegenWeſten iſt der Felſen bis nach außen geſpalten, und eine weite Ritze läßt denHorizont des Meeres erblicken. Die Gewalt der elaſtiſchen Dämpfe hat viel-leicht dieſe Spalte im Augenblick gebildet, als die aus dem Krater kommen-den Laven über den Rand desſelben austraten. Das Innere dieſes Trichters verkündet einen Vulkan, welcher ſeit Tauſen-den von Jahren nur durch ſeine Seiten Feuer ausgeworfen hat. Dieſe Behaup-tung gründet ſich nicht auf den Mangel großer Oeffnungen, welche man imBoden der Caldera zu finden erwarten könnte. Die Phyſiker, welche ſelbſt dieNatur ſtudiert haben, wiſſen, daß viele Vulkane in den Zwiſchenzeiten voneinem Ausbruch zum andern ausgefüllt und erloſchen ſcheinen, daß aber in die-ſen nämlichen Bergen der vulkaniſche Schlund Schichten von äußerſt unebenen,klingenden und glänzenden Schlacken darbietet. Man bemerkt daſelbſt kleineHügel, Aufblähungen, welche durch die elaſtiſchen Dämpfe bewirkt ſind, Kegelvon zerkleinerten Schlacken und Aſchen, unter denen Dampflöcher verborgen ſind. Keine dieſer Erſcheinungen charakteriſirt den Krater des Piks von Tene-riffa: ſein Grund blieb nicht in dem Zuſtand, welcher durch das Ende einesAusbruchs herbeigeführt wird. Durch den Lauf der Zeit und durch die Wirkungder Dünſte rißen ſich die Wandungen los und bedeckten das Becken mit großenBlöcken ſteinartiger Laven. Man gelangt ohne Gefahr auf den Boden der Caldera. Bei einem Vul-kan, deſſen Thätigkeit vorzugsweiſe gegen die Spitze gerichtet iſt, wie bei dem |54|Veſuv, verändert ſich die Tiefe des Kraters vor und nach jedem Ausbruch;aber bei dem Pik von Teneriffa ſcheint dieſe Tiefe ſeit langer Zeit die nämlichegeblieben zu ſein. Edens ſchätzte ſie im Jahre 1715 zu 115 Fuß, Cordier imJahre 1803 zu 110 Fuß. Nach dem bloßen Augenmaß zu beurtheilen, hätteich den Trichter für noch weniger tief gehalten. Sein gegenwärtiger Zuſtandiſt der einer Solfatara: er bietet eher einen Gegenſtand zu intereſſanten Nach-forſchungen als einen impoſanten Anblick dar. Das Majeſtätiſche der Gegendberuht auf der Erhöhung über die Oberfläche des Ozeans aus der tiefen Ein-ſamkeit dieſer hohen Gegenden und auf der unermeßlichen Weite, welche dasAuge von der Spitze des Berges umfaßt. Die Mauer von kompakten Laven, welche den Gürtel der Caldera bildet,iſt ſchneeweiß auf ihrer Oberfläche. Dieſe nämliche Farbe herrſcht im Innernder Solfatara von Puzzoli. Wenn man dieſe Laven, die man von Weitemfür Kalkſteine halten würde, zerbricht, ſo findet man darin einen bräunlichſchwarzen Kern. Der Pechſteinporphyr iſt äußerlich durch die langſame Wirkungder Dämpfe von ſchwefelig ſaurem Gas gebleicht. Dieſe Dämpfe entwickeln ſichim Ueberfluß, und was merkwürdig iſt, aus Spalten, die keine Verbindungmit den Luftlöchern zu haben ſcheinen, durch welche ſich die Waſſerdämpfe zie-hen. Man kann ſich von der Gegenwart der ſchwefeligen Säure überzeugen,wenn man die ſchönen Kryſtalle von Schwefel betrachtet, die man überallzwiſchen den Spalten der Laven abgeſetzt findet. Dieſe Säure, mit der Feuch-tigkeit des Bodens verbunden, verwandelt ſich durch die Berührung des Sauer-ſtoffes der Atmoſphäre in Schwefelſäure. Ueberhaupt iſt auf dem Krater desPiks die Feuchtigkeit mehr zu fürchten als die Wärme, und man findet ſeineKleider zerfreſſen, wenn man lange auf dem Boden ſitzen bleibt. Während ich an dem nördlichen Rand des Kraters ſaß, grub ich ein Lochvon einigen Zoll Tiefe; das Thermometer in dieſes Loch geſteckt, ſtieg ſchnellauf 42°. Man kann daraus abnehmen, welche Hitze in dieſer Solfatara ineiner Tiefe von 30 bis 40 Toiſen herrſchen muß. Der Schwefeldampf ſetzt ſichin ſchönen Kryſtallen ab, welche indeß an Größe denen nicht gleich kommen,die der Chevalier Dolomieu aus Sicilien zurückgebracht hat: es ſind Oktaeder,halb durchſichtig; ſehr glänzend an der Oberfläche und von muſchelichtemBruch. Dieſe Maſſen, die vielleicht einſtens einen Gegenſtand für den Berg-bau abgeben werden, ſind beſtändig mit ſchwefeliger Säure benetzt. Ich hattedie Unvorſichtigkeit, ſie zur Aufbewahrung einzuwickeln; aber ich bemerkte bald,daß die Säure nicht nur das Papier, in welchem ſie enthalten waren, ſondern un-glücklicher Weiſe auch einen Theil meines mineralogiſchen Tagebuches zer-freſſen hatte. Die Reiſe auf die Spitze des Vulkans von Teneriffa iſt nicht nur wegender großen Anzahl von Erſcheinungen intereſſant, welche ſich unſern wiſſen-ſchaftlichen Forſchungen darbieten: ſie iſt es noch mehr durch die maleriſchenSchönheiten, die ſich denen darbieten, welche die Majeſtät der Natur lebhaftempfinden. Es iſt ein ſchwieriges Beſtreben, dieſe Empfindungen zu malen, ſiewirken um ſo ſtärker auf uns, als ſie etwas gewiſſes Unbeſtimmtes haben,welches durch die Unermeßlichkeit des Raumes wie durch die Größe, Neuheit |55|und Mannigfaltigkeit der Gegenſtände, in deren Mitte wir uns verſetzt finden,hervorgebracht wird. Wenn ein Reiſender die höchſten Gipfel unſers Erdballs,die Katarakten großer Ströme, die gewundenen Thäler der Anden beſchrei-ben ſoll, ſo läuft er Gefahr, ſeine Leſer durch den einförmigen Ausdruck ſeinerBewunderung zu ermüden. Es ſcheint mir dem Plan, den ich mir bei dieſerErzählung vorgeſetzt habe, angemeſſener, den beſonderen Charakter anzugeben,der jede Zone unterſcheidet. Man unterrichtet um ſo mehr über die Phyſiogno-mie einer Landſchaft, je mehr man ſich bemüht, die individuellen Züge zuzeichnen, ſie unter einander zu vergleichen und durch dieſe Art von Analyſendie Quellen der Genüſſe zu entdecken, welche uns das große Gemälde der Na-tur darbietet. Die Erfahrung hat die Reiſenden belehrt, daß die Spitzen ſehr hoherBerge ſelten eine ſo ſchöne Ausſicht, ſo mannigfaltige maleriſche Wirkungendarbieten, als die Bergſpitzen, deren Höhe die des Veſuvs, des Rigi und desPuy-de-Dôme nicht überſteigt. Koloſſale Berge, wie der Chimborazzo, derAntiſana oder der Mont-Roſa haben eine ſo bedeutende Maſſe, daß die Ebe-nen, welche mit einer reichen Vegetazion bedeckt ſind, nur in einer großenEntfernung geſehen werden, und daß ein bläulicher Duft gleichförmig über dieLandſchaft verbreitet iſt. Der Pik von Teneriffa vereinigt durch ſeine ſchlankeGeſtalt und durch ſeine lokale Lage die Vortheile, welche weniger hohe Bergſpitzenhaben, mit denen, welche von einer ſehr großen Höhe entſpringen. Nicht nur entdeckt man an ſeinem Gipfel einen ungeheuren Horizont vonMeer, der ſich über die höchſten Berge der benachbarten Inſeln erhebt, ſon-dern man ſieht auch die Wälder von Teneriffa und den bewohnten Theil derKüſte in derjenigen Nähe, welche geeignet iſt, die ſchönſten Kontraſte vonForm und von Farbe hervorzubringen. Man könnte ſagen, der Vulkan erdrücke mitſeiner Maſſe die kleine Inſel, welche ihm zur Grundlage dient; er ſchwingt ſichaus dem Schoß der Gewäſſer zu einer Höhe, die dreimal größer iſt als die, inwelcher im Sommer die Wolken ſchweben. Wenn ſein Krater, welcher ſeitJahrhunderten halb erloſchen iſt, Feuerbüſchel ausſtrömte, wie der von Strom-boli auf den äoliſchen Inſeln, ſo würde der Pik von Teneriffa, einem Leuchtthurmähnlich, dem Schifffahrer in einem Umfang von mehr als 260 Meilen zurRichtung dienen. Als wir auf dem äußern Rand des Kraters ſaßen, richteten wir unſernBlick nach Nordweſt, wo die Küſten mit Dörfern und Weilern geziert ſind.Zu unſern Füßen gaben Haufen von Dünſten, die beſtändig von den Windengetrieben wurden, das mannigfaltigſte Schauſpiel. Ein gleichförmige Schichtevon Wolken war an mehreren Stellen durch kleine Luftſtröme unterbrochenworden, welche die von der Sonne erhitzte Erde uns zuſchickte. Der Hafenvon Orotava, die darin vor Anker liegenden Schiffe, die Gärten und Wein-berge, mit denen die Stadt umringt iſt, wurden durch eine Oeffnung ſichtbar,welche mit jedem Augenblicke größer zu werden ſchien. Von der Höhe dieſer einſamen Gegenden berührten unſere Blicke eine be-wohnte Welt; wir genoßen den auffallenden Kontraſt, den die entblößten Seitendes Piks, ſeine ſteilen, mit Schlacken bedeckten Abhänge, ſeine aller Vegeta- |56|zion beraubten Ebenen mit dem lachenden Anblick bebauter Gegenden machen;wir ſahen die Pflanzen nach Zonen geordnet, je nachdem die Wärme derAtmoſphäre mit der Höhe der Lage abnimmt. Unter dem Piton fangenLichenen an die verſchlackten und auf der Oberfläche glänzenden Laven zubedecken; eine Veilchenart, verwandt der Viola decumbens, erhebt ſich aufdem Abhang des Vulkans bis auf 1740 Toiſen Höhe, ſie ſteigt nicht nurhöher als die andern krautartigen Pflanzen, ſondern auch als die Gräſer,welche auf den Alpen und auf dem Rücken der Cordilleren unmittelbar diekryptogamiſchen Pflanzen berühren. Büſchel von Retama, mit Blumen bela-den, zieren die kleinen Thäler, welche die Bergſtröme gegraben haben, unddie durch die Wirkung der Seitenausbrüche verſchloſſen ſind; unter der Re-tama kommt die Region der Farrenkräuter, begränzt durch die baumartigenHeiden. Wälder von Lorbeern, von Rhamnus und von Erdbeerbäumentrennen die Heiden von den mit Reben und Fruchtbäumen bepflanzten Ab-hängen. Ein reicher Teppich von Grün erſtreckt ſich von der Ebene der Pfrie-men und von der Zone der Alpenpflanzen bis zu den Gruppen von Dattelnund Muſa, deren Fuß der Ozean zu beſpülen ſcheint. Die ſcheinbare Nähe, in welcher man von dem Gipfel des Piks die Dörfer,die Weinberge und die Gärten der Küſte ſieht, wird durch die außerordentlicheDurchſichtigkeit der Atmoſphäre vermehrt. Trotz der großen Entfernung un-terſchieden wir nicht nur die Häuſer, das Segelwerk der Schiffe und dieStämme der Bäume, wir ſahen auch in ſehr lebhaften Farben die reicheVegetazion der Ebenen prangen. Dieſe Erſcheinungen ſind nicht blos Folgeder Höhe der Gegend; ſie beweiſen beſondere Modifikazionen der Luft in denwarmen Klimaten. In allen Zonen erſcheint ein Gegenſtand, welcher ſichan der Fläche des Meeres befindet und ſein Licht in horizontaler Richtungausſtrahlt, weniger hell als wenn man ihn von der Spitze eines Berges ſieht,wo die Dünſte durch Luftſchichten von abnehmender Dichtigkeit ankommen.Eben ſo auffallende Unterſchiede werden durch den Einfluß der Klimate her-vorgebracht; die Oberfläche eines Sees oder eines breiten Fluſſes glänztweniger, wenn man ſie bei gleicher Entfernung von dem Gipfel der hohenSchweizeralpen, als wenn man ſie von dem hohen Gipfel der Cordilleren vonPeru oder Mexiko ſieht. Je reiner und heiterer die Luft, deſto vollkommeneriſt die Auflöſung der Dünſte, und deſto weniger wird das Licht bei ſeinemDurchgange geſchwächt. Wenn man von der Seite der Südſee auf der Ge-birgsplatte von Quito oder von Antiſana ankommt, ſo iſt man die erſtenTage über die Nähe betreten, in welcher man auf ſieben und acht Meilen ent-fernte Gegenſtände zu ſehen glaubt. Der Pik von Teyde hat nicht den Vor-theil, unter den Tropen gelegen zu ſein, aber die Trockenheit der Luftſäulen,welche ſich beſtändig über die benachbarten Ebenen Afrika’s erheben, undwelche die Oſtwinde mit Geſchwindigkeit herbeiführen, gibt der Atmo-ſphäre der Canariſchen Inſeln eine Durchſichtigkeit, die nicht nur die derLuft von Neapel und Sicilien, ſondern vielleicht ſelbſt die Reinheit desHimmels von Quito und von Peru übertrifft. Dieſe Durchſichtigkeit kannals eine der Haupturſachen der Schönheit des Landes unter der heißen Zone |57|betrachtet werden, ſie hebt den Glanz der Pflanzen, und trägt zu der ma-giſchen Wirkung ihrer Harmonien und Kontraſte bei. Wenn eine großeMaſſe von Licht, welche um die Gegenſtände ſchwebt, während einem Theil desTags die äußern Sinne ermüdet, ſo wird der Bewohner mittäglicher Klimatedurch moraliſche Genüſſe entſchädigt. Eine helle Klarheit in den Begriffen,eine innere Heiterkeit entſpricht der Durchſichtigkeit der umgebenden Luft.Man empfindet dieſe Eindrücke, ohne daß es nöthig iſt, die Gränzen Eu-ropa’s zu verlaſſen: ich berufe mich auf die Reiſenden, welche die durch dieWunder der Einbildungskraft und Künſte berühmten Länder, die glücklichenKlimate von Griechenland und Italien, beſucht haben. Vergebens verlängerten wir unſern Aufenthalt auf dem Gipfel desPiks, um den Augenblick zu erwarten, wo wir den Anblick des ganzen Ar-chipels der glücklichen Inſeln genießen könnten. Wir entdeckten zu unſernFüßen Palma, Gomera und Großcanaria. Die Berge von Lancerote, welchebeim Aufgang der Sonne von Dünſten befreit waren, wurden bald indunkle Wolken gehüllt. Wenn man nur eine gewöhnliche Refrakzion vor-ausſetzt, ſo umfaßt das Auge bei heiterer Zeit von der Spitze des Vulkanseine Oberfläche der Erde von 5700 Quadratmeilen, dem vierten Theil derOberfläche Spaniens gleich. — Die Kälte, die wir auf dem Gipfeldes Piks empfanden, war für die Jahreszeit, in der wir waren (EndeJuni), ſehr bedeutend. Das hunderttheilige Thermometer, entfernt von demBoden und von Dampflöchern, welche heiße Dünſte ausdünſten, fiel imSchatten auf 2°,7. Wir konnten aber die Farbe des azurnen Himmels-gewölbes nicht genugſam bewundern. Ihre Intenſität am Zenith ſchienuns 41° des Cyanometers zu entſprechen. Man weiß aus den Erfahrun-gen von Sauſſure, daß dieſe Intenſität mit der verminderten Dichtigkeitder Luft zunimmt, und daß das nämliche Inſtrument zur nämlichen Zeit39° auf dem Prieuré von Chamouny und 40° auf dem Gipfel des Mont-blanc anzeigte. Dieſer letztere Berg iſt 540 Toiſen höher als der Vulkanvon Teneriffa, und wenn man ungeachtet dieſes Unterſchieds daſelbſt denHimmel in einem weniger falben Blau erblickt, ſo muß man dieſe Erſchei-nung der Trockenheit der afrikaniſchen Luft und der Nähe der heißen Zonezuſchreiben. Wir ſammelten von der Luft am Rand des Kraters, um ſie währendder Schifffahrt nach Amerika chemiſch zu unterſuchen. Die Flaſche blieb ſogut verſchloſſen, daß bei ihrer Eröffnung nach einem Zeitraum von zehnTagen das Waſſer mit Gewalt hineindrang. Mehrere Verſuche, welche inder engen Röhre des Eudiometers von Fontana mittelſt Salpetergas ange-ſtellt wurden, ſchienen zu beweiſen, daß die Luft des Kraters neun Hundert-theile Sauerſtoff weniger enthielt, als die Luft des Meeres: aber ich habewenig Vertrauen zu dieſem Reſultat, das durch ein Mittel erhalten wurde,welches wir heutzutage für ziemlich unzuverläſſig anſehen. Der Krater des Pikshat ſo wenig Tiefe und die Luft erneuert ſich darin mit ſolcher Heftigkeit, daßes nicht wahrſcheinlich iſt, daß die Menge von Stickſtoff darin größer ſei alsan den Küſten. Wir wiſſen überdieß durch die Erfahrungen von Gay-Luſſac |58|und Theodor von Sauſſure, daß die Luft in den höchſten und niederſten Re-gionen der Atmoſphäre auf gleiche Art 0,21 Sauerſtoff enthält. Wir ſahen auf dem Gipfel des Piks keine Spur von Pſora, Lecidea odereiner andern kryptogamiſchen Pflanze. Kein Inſekt flog in den Lüften; manfindet indeß einige Hymenopteren an die Maſſen von Schwefel geklebt, welchermit ſchwefelicher Säure befeuchtet iſt und die Oeffnung der Dampflöcher über-zieht. Es ſind dies Bienen, welche durch die Blumen des Spartium nubi-genum herbeigezogen worden zu ſein ſcheinen, und welche ſchiefe Winde indieſe hohen Gegenden trieben, wie die Schmetterlinge, welche Ramond aufdem Gipfel des Mont-Perdu fand. Dieſe letzteren gehen vor Kälte zu Grunde,während die Bienen des Piks verſengt werden, wenn ſie ſich unvorſichtig denOeffnungen nähern, bei denen ſie Wärme ſuchen wollten. Ungeachtet dieſer Wärme, die man an dem Rand des Kraters in denFüßen empfindet, bleibt doch der Aſchenkegel während mehrerer Wintermo-nate mit Schnee bedeckt. Es iſt wahrſcheinlich, daß ſich unter der Schneedeckegroße Gewölbe bilden, denen ähnlich, welche man unter den Gletſchern derSchweiz findet, deren Temperatur beſtändig geringer iſt als die des Bodens,auf dem ſie ruhen. Der heftige und kalte Wind, welcher ſeit dem Aufgang derSonne wehte, nöthigte uns, am Fuß des Piton einen Zufluchtsort zu ſuchen.Unſere Hände und das Geſicht froren, während unſere Stiefel von dem Bo-den, auf dem wir gingen, verbrannt waren. Wir ſtiegen in wenigen Minutenden Zuckerhut herab, den wir mit ſo vieler Mühe beſtiegen hatten, und dieſeSchnelligkeit war zum Theil unwillkürlich, denn oft rollte man über dieAſchen herab. Wir verließen ungern dieſen einſamen Ort, dieſe Gegend, inwelcher ſich die Natur in ihrer ganzen Majeſtät zeigt; wir ſchmeichelten unseines Tages, die Canariſchen Inſeln wieder zu ſehen; aber dieſes Vorhabenwurde, wie ſo viele andere, die wir damals im Sinne hatten, nicht aus-geführt. Langſam gingen wir durch das Malpays; denn der Fuß kann nicht mitSicherheit auf beweglichen Lavablöcken ruhen. Näher bei der Stazion derFelſen wird das Herabſteigen äußerſt beſchwerlich; der Raſen, kurz und feſt,iſt ſo ſchlüpfrig, daß man, um nicht zu fallen, den Körper beſtändig rückwärtsbeugen muß. In der ſandigen Ebene des Retama erhob ſich das Thermometerauf 22°, 5, und dieſe Wärme ſchien uns erſtickend im Vergleich mit der Em-pfindung der Kälte der Luft, welche wir auf dem Gipfel des Vulkans gehabthatten. Wir hatten durchaus kein Waſſer; unſere Führer, nicht zufrieden, unsdie kleine Proviſion Malvaſier wegzutrinken, hatten auch die Gefäße, welcheWaſſer enthielten, zerbrochen. Glücklicherweiſe jedoch blieb die Flaſche, inwelcher wir die Luft des Kraters aufgefangen hatten, unverſehrt. Endlich genoßen wir einige Kühlung in der ſchönen Region der Farren-kräuter und der baumartigen Heiden. Eine dichte Lage von Wolken umhüllteuns; ſie erhielt ſich 600 Toiſen über der Oberfläche der Ebenen. Indem wirdieſe Lage durchſchnitten, hatten wir Gelegenheit, eine Erſcheinung zu beob-achten, welche ſich uns in der Folge oft auf dem Abhang der Cordillerendarbot. Kleine Luftzüge trieben Streifen von Wolken in entgegengeſetzten |59|Richtungen und mit verſchiedener Schnelligkeit. Wir glaubten Streifen vonWaſſer zu ſehen, welche ſich ſchnell und in jeder Richtung in der Mitte einergroßen Maſſe ruhenden Waſſers bewegten. Die Urſachen dieſer parziellen Be-wegung der Wolken ſind wahrſcheinlich ſehr mannigfaltig; man kann ſie ſuchenentweder in einem Stoß, welcher ſehr weit herkommt, oder in kleinen Un-ebenheiten des Bodens, der mehr oder weniger ſtrahlende Wärme zurückwirft,dann auch in einem Temperaturunterſchied, der durch irgend einen chemiſchenProzeß hervorgebracht wird, oder endlich in einer ſtarken elektriſchen Ladungder bläschenförmigen Dünſte. Als wir uns der Stadt Orotava näherten, begegneten wir großen Zügenvon Canarienvögeln. Dieſe Vögel, die in Europa ſo bekannt ſind, waren ziem-lich gleichförmig grün, einige hatten auf dem Rücken eine gelbliche Färbung, ihrGeſang war der nämliche, wie jener der zahmen Canarienvögel; man beob-achtet indeſſen, daß diejenigen, welche auf der Inſel Gran-Canaria und aufder kleinen Inſel Monte-Clara bei Lancerote gefangen wurden, die ſtärkſteund zugleich am meiſten harmoniſche Stimme haben. Unter allen Zonen hatunter den Vögeln von einerlei Art jede Bande ihre eigene Sprache. Die gel-ben Canarienvögel ſind eine Varietät, die in Europa entſtanden iſt, und die,welche wir in Käfigen zu Orotava und zu Sainte-Croix auf Teneriffa ſahen,waren in Cadix oder in andern Häfen Spaniens gekauft worden. Aber vonallen Vögeln der Canariſchen Inſeln iſt derjenige, welcher den angenehmſtenGeſang hat, in Europa unbekannt: es iſt dies der Capirote, den man niezahm machen konnte, ſo ſehr liebt er die Freiheit. Ich bewunderte ſeinen ſanf-ten und melodiſchen Schlag in einem Garten bei Orotava, aber ich konnte ihnnicht nahe genug ſehen, um zu beſtimmen, zu welchem Geſchlecht er gehört.Was die Papageien betrifft, welche man bei dem Aufenthalte des KapitänsCook auf Teneriffa bemerkt zu haben glaubte, ſo haben dieſe nie andersexiſtirt als in der Erzählung einiger Reiſender, welche ſich von einander ab-ſchreiben. Es gibt weder Papageien noch Affen auf den Canariſchen Inſeln.

Alexander v. Humboldt.