Die Höhle von Guacharo. von A. v. Humboldt. In einem Lande wo man das Wunderbare liebt, ist eine Felshöhle, aus der ein Fluß entspringt und die von tausend Nachtvögeln bewohnt wird, deren Fett zur Zubereitung der Speisen dient, ein unerschöpflicher Gegenstand für Unterhaltung und Gespräche; und da, wo keine gesellschaftlichen Verhältnisse sind und wo eine traurige Einförmigkeit des Lebens nur sehr einfache und die Neugier wenig beschäftigende Gegenstände darbietet, da erhält sich allenthalben ein lebhaftes Interesse an Naturerscheinungen. Ein solches Interesse hat für den Reisenden in Venezuala die Höhle von Guacharo im Gebiete des Thales von Caripe, in der Nähe der Stadt Cumana. Die Höhle, welche die Eingebornen eine Fettmine nennen, befindet sich nicht im Thale von Caripe selbst, sondern in der Entfernung dreier kleiner Meilen west-süd-westlich. Sie öffnet sich in ein Seitenthal, welches nach der Sierra del Guacharo ausläuft. Ein schmaler Fußpfad führt Anfangs anderthalb Stunden in südlicher Richtung durch eine liebliche, mit schönen Rasen begleitete Ebene, jenseits derselben lenkt man westlich ein, längs eines Baches, welcher aus der Oeffnung der Höhle hervorkommt. Während drei Viertelstunden des Emporsteigens ungefähr folgt man, bald im untiefen Wasser, bald zwischen dem Waldstrome und einer Felswand, einem sehr schlüpfrigen und kothigen Pfade. Das Einsinken des Erdreiches, die vereinzelten Baumstämme, über welche die Maulthiere wegzuschreiten Mühe haben, die Rankenpflanzen, von denen der Boden überdeckt ist, machen diesen Theil des Weges sehr ermüdend. Wo man sich am Fuße des hohen Guachero-Berges, nur noch 400 Schritte von der Höhle entfernt befindet, erblickt man jedoch ihre Oeffnung noch nicht. Der Waldstrom fließt in einer vom Gewässer ausgehöhlten Schlucht, und der Pfad führt unter einem Felsgesimse hin, dessen vorstehender Theil die Aussicht in die Höhe raubt. Wie der Bach, so schlängelt sich auch der Fußsteig, und bei der letzten Krümmung steht man plötzlich vor dem sehr geräumigen Eingange der Grotte. Dieser Anblick hat etwas Erhabenes, selbst für den, welcher an die malerischen Bilder der Hochalpen gewöhnt ist. Die Höhle von Guacharo öffnet sich im senkrechten Durchschnitte eines Felsens. Der Eingang steht südwärts; ihr Gewölbe ist 80 Fuß breit und 72 Fuß hoch. Der Fels, der über der Grotte steht, ist mit Bäumen von gigantischem Wuchse besetzt. Der Mamei und der Genipayer, mit breiten, glänzenden Blättern, strecken ihre Aeste senkrecht zum Himmel, während die des Coubaril und der Erythrina sich ausbreiten und eine dichte Laubdecke bilden. Pothosgewächse mit saftigem Stengel, Oxalisarten und Orchideen von seltsamer Bildung wachsen aus den dürresten Felsenritzen hervor, während Rankengewächse, vom Winde gewiegt, vor dem Eingange der Höhle sich in Festons schlingen. Es verhält sich mit den Grotteneingängen wie mit der Ansicht der Wasserfälle; die mehr oder minder ausgezeichnete Umgebung ertheilt den vorzüglichen Reiz, welcher, so zu sagen, den Charakter der Leidenschaft bestimmt. Welch ein Contrast findet sich zwischen der Höhle von Guacharo und den nordischen, von Eichen und finsteren Lerchenbäumen beschatteten Höhlen! Der üppige Pflanzenwuchs verschönert jedoch nicht nur die äußere Wölbung, er ist auch noch im Vordertheile der Grotte sichtbar. Der Pflanzenwachsthum dehnt sich in die Höhle aus, wie in jene tiefen Schluchten der Andes, die nur einem halben Tageslichte zugänglich sind, und er hört im Inneren der Grotte eher nicht als in der Entfernung von 30 bis 40 Fuß vom Eingange auf. Erst 430 Fuß vom Eingange entfernt ist es nöthig, Fackeln anzuzünden. Das Tageslicht dringt so weit vor, weil die Grotte einen einzigen Canal bildet, der sich in unveränderter Richtung von Südost nach Nordost ausdehnt. Hier, wo das Licht zu erlöschen anfängt, hört man noch entfernt das widrige Geschrei der Nachtvögel, von denen die Eingebornen glauben, sie werden ausschließlich in diesen unterirdischen Wohnungen angetroffen. Der Guacharo hat die Größe unserer Hühner, den Rachen der Nachtschwalbe, den Wuchs der Geier, deren krummer Schnabel von steifen Seidepinseln umgeben ist. Sein Gefieder ist von dunkler, blaugrauer Farbe, mit kleinen, schwarzen Streifen und Punkten vermengt. Große weiße, herzförmige, schwarzgeränderte Flecken kommen am Kopfe, auf den Flügeln und am Schwanze vor. Die Augen des Vogels können das Tageslicht nicht vertragen; sie sind blau und kleiner, als die der Nachtschwalbe. Die Weite der ausgebreiteten Flügel, welche aus 17 bis 18 Ruderfedern bestehen, beträgt 41/2 Fuß. Der Guacharo verläßt seine Höhle bei Anbruch der Nacht, vorzüglich zur Zeit des Mondscheines. Er ist fast der einzige, bis dahin bekannt gewordene Nachtvogel, der sich von Körnern nährt; die Bildung seiner Füße thut sattsam dar, daß er nicht, gleich unseren Eulen, Jäger ist. Er nährt sich mit sehr harten Kernfrüchten, gleich dem Nußheher und dem Nachtraben, welch' letzterer gleichfalls in Felsspalten nistet. Die Indianer versichern, der Guacharo verzehre keine Käfer, mit denen sich hingegen die Nachtschwalbe nährt. Man darf nur die Schnäbel des Guacharo und der Nachtschwalbe miteinander vergleichen, um sich zu überzeugen, daß ihre Lebensart allerdings sehr verschieden sein muß. Es hält schwer, sich eine richtige Vorstellung von dem furchtbaren Lärm zu machen, welche viele Tausende dieser Vögel in dem finsteren Theile der Höhle verursachen. Er läßt sich nur mit dem Gelärme unserer Krähen vergleichen, die in den nordischen Tannenwäldern in Gesellschaft leben und ihre Nester auf Bäume bauen, deren Gipfel sich einander berühren. Die scharfe und durchdringende Stimme der Guacharo's wird in den Wölbungen der Felshöhle zurückgeworfen und das Echo widerhallt im Grunde der Grotte. Um den Reisenden die Nester dieser Vögel zu zeigen, binden die Indianer Fackeln an das Ende einer langen Stange. Die Nester selbst befinden sich oben in trichterförmigen Löchern, welche in Menge an der Decke der Grotte wahrnehmbar sind. Das Geräusch wird stärker, sowie man tiefer hineinkommt und die Vögel vor dem Lichte scheu werden, welches die Fackeln verbreiten. Wird es etliche Minuten stille, dann lassen sich die entfernten Klagetöne der in den Seitengängen der Grotte nistenden Vögel hören. Es ist, als ob ihre Schwärme sich einander wechselnd antworten. Die Indianer begeben sich alljährlich einmal um das St. Johannesfest mit Stangen bewaffnet in die Grotte, um den größten Theil der Nester zu zerstören. Es werden alsdann viele Tausend Vögel getödtet, und die Alten, gleichsam um ihre Brut zu beschützen, schweben unter fürcherlichem Geschrei über den Häuptern der Indianer. Die Jungen, welche zu Boden fallen, werden sogleich ausgeweidet. Ihr Bauchfell ist reich mit Fett beladen, und eine Schichte von Fett vom Unterleibe nach hinten bildet eine Art Knäuel zwischen den Schenkeln des Vogels. Dieser Ueberfluß von Fett bei pflanzenfressenden Thieren, die im Finsteren leben und sich nur wenig Bewegung machen, erinnert an die längst gemachte Beobachtung über die Mästung von Gänsen und Ochsen. Man weiß, wie sehr dieses Geschäft durch Finsterniß und Ruhe befördert wird. Die europäischen Nachtvögel sind mager, weil, statt sich mit Früchten zu nähren, wie der Guacharo, sie vom spärlichen Ertrage ihrer Jagd leben. In der Jahreszeit, welche vom Volke in Caripe die Einsammlung des Oeles (la cosecha de la manteca) genannt wird, bauen sich die Indianer aus Palmenblättern Hütten, theils nahe beim Eingange, theils im Vordertheile der Höhle. Hier wird bei einem mit Buschwerk unterhaltenen Feuer das Fett der jungen, eben erst getödteten Vögel geschmelzt und in thönernen Gefäßen gesammelt. Es ist dasselbe unter dem Namen der Butter oder des Oeles vom Guacharo bekannt, halbflüssig, durchsichtig und geruchlos. Seine Reinheit ist so groß, daß es über ein Jahr aufbewahrt wird, ohne ranzig zu werden. Im Kloster von Caripe wird in der Küche kein anderes Oel gebraucht, als das der Grotte, und nie wird an den Speisen ein daher rührender widriger Geschmack oder Geruch wahrgenommen. Die Menge des eingesammelten Oeles steht in keinem Verhältnisse zu der Metzelei, welche die Indianer jährlich in der Grotte anrichten. Es scheint, daß nicht über 150 bis 160 Flaschen (zu 60 Kubikzoll) vollkommen reinen Oeles eingesammelt werden; der minder durchsichtige Ueberrest wird in großen irdenen Gefäßen aufbewahrt. Der Gebrauch des Guacharo-Oeles in Caripe ist sehr alt, und die Missionäre haben nur seine Bereitungsart regelmäßiger geordnet. Die Glieder einer indianischen Familie, welche Morocaymas heißt, behaupten, als Abkömmlinge der ersten Colonisten des Thales, rechtmäßige Eigenthümer der Grotte zu sein, indem sie das Monopol des Fettes ansprechen. Das Geschlecht der Guacharo's wäre längst vertilgt, wenn seine Erhaltung nicht durch verschiedene Umstände begünstigt würde. Abergläubische Begriffe halten die Eingebornen vom tieferen Eindringen in die Grotte gewöhnlich ab. Es scheint auch, daß benachbarte Höhlen, die ihrer Enge wegen den Menschen unzugänglich sind, durch Vögel der nämlichen Art bewohnt werden. Vielleicht wird die große Höhle durch Colonien aus den kleineren Grotten unterhalten und bevölkert. Man hat junge Guacharo's nach dem Hafen von Cumana versandt, wo sie einige Tage am Leben blieben, ohne irgend eine Nahrung zu sich zu nehmen, indem die Körner, die man ihnen vorlegte, ihnen nicht behagten. Bei Oeffnung des Kropfes und des Magens der jungen Vögel in der Grotte finden die Landeseingebornen mancherlei harte und trockene Kernfrüchte, die unter der seltsamen Benennung der Guacharo-Körner (semilla del Guacharo) ein berühmtes Mittel gegen das Wechselfieber liefern. Die alten Vögel tragen ihren Jungen diese Körner zu, die man sorgfältig sammelt, um sie den Kranken in den übrigen tiefgelegenen fieberhaften Orten zukommen zu lassen. Um in das Innere der Höhle zu gelangen, folgt man den Ufern des kleinen Flusses, welcher in ihr entspringt; seine Breite beträgt 28 bis 30 Fuß. Man wandert dem Ufer entlang, soweit die aus kalkigten Incrustirungen gebildeten Hügel es gestatten; öfters, wenn der Waldstrom zwischen hohen Stalaktiten-Massen sich durchschlingt, muß man in sein Bett hinabsteigen, das nicht mehr als 2 Fuß Tiefe hat. Am Ufer dieses unterirdischen Flusses findet man eine große Menge von Palmbaumholz. Es sind Ueberbleibsel der Stämme, welche die Indianer erklettern, um die an der Decke des Gewölbes der Grotte hängenden Vogelnester zu erreichen. Die von den Ueberresten alter Blattstiele gebildeten Ringe versehen gleichsam die Stufen einer senkrecht stehenden Leiter. Die Grotte behält in der genau gemessenen Entfernung von 1458 Fuß vom Eingange noch ihre ursprüngliche Richtung, die nämliche Weite und die gleiche Höhe von 60 bis 70 Fuß. Es kommt auf beiden Continenten nicht leicht eine Berghöhle von so einförmiger und regelmäßiger Bildung vor. Man hat Mühe, die Indianer zu vermögen, über den Vordertheil der Grotte, welchen sie alljährlich zur Einsammlung des Fettes besuchen, tiefer einzugehen, und es bedarf eines besonderen Gewichtes und des Ansehens der Missionäre, um sie zu der Stelle zu bringen, wo der Boden plötzlich unter einem Winkel von 60° in die Höhe steigt, und wo der Waldstrom einen kleinen unterirdischen Wasserfall bildet. Die Eingebornen verbinden mystische Vorstellungen mit dem von Nachtvögeln bewohnten Raume. Sie glauben, die Geister ihrer Vorfahren halten sich im Hintertheile der Grotte auf. Der Mensch, sagen sie, soll eine heilige Scheu vor Orten tragen, welche weder die Sonne, noch der Mond bescheint. Zu den Guacharo's gehen, bedeutet, zu seinen Vätern gehen oder sterben. Auch nehmen die Zauberer und die Giftmischer ihre nächtlichen Gauklerkünste am Eingange der Grotte vor, um den Häuptling der bösen Geister, Ivorokiamo, zu beschwören. An der Stelle, wo der Fluß den unterirdischen Wasserfall bildet, stellt sich die, der Grottenöffnung gegenüberliegende, reich bewachsene Landschaft auf eine sehr malerische Weise dar. Man erblickt sie am Ausgange eines geradlinigen, 240 Toisen langen Canales. Die vom Gewölbe herabhängenden und in der Luft schwebenden, Säulen gleichenden Stalaktiten stellen sich auf der grünen Fläche wundersam dar. Die Oeffnung der Grotte erscheint um die Mitte des Tages sehr verengt, und man sieht sie in jener hellen Beleuchtung, welche das gleichzeitige Zurückwerfen des Lichtes vom Himmel, von Pflanzen und Felsen hervorbringt. Die ferne Tageshelle steht in gewaltigem Abstiche mit der in diesen unterirdischen Räumen herrschenden Finsterniß. Sobald man den kleinen Hügel, von welchem der unterirdische Bach herabfließt, bestiegen hat, so verengert sich die Grotte auf 40 Fuß Höhe und verlängert sich nordostwärts. In diesem Theile der Höhle setzt das Wasser des Flusses eine schwärzliche Erde ab, welche derjenigen gleicht, die man in der Grotte von Muggendorf Opfererde der Grotte des hohlen Berges nennt. Man kann schwer unterscheiden, ob diese feine und lockere Erdart durch Spalten, die mit der Oberfläche des Bodens zusammenhängen, herabfällt, oder ob sie von dem in die Höhle dringenden Regenwasser angeschwemmt wird. Es ist eine Mischung von Kiesel-, Thon- und Damm-Erde. Wandert man durch den dichten Koth weiter, so kommt man an eine Stelle, wo man mit Erstaunen die Fortschritte des unterirdischen Pflanzenwachsthumes wahrnehmen kann. Die Früchte, welche die Vögel zur Speisung ihrer Jungen in die Grotte tragen, keimen überall, wo sie sich in dem die kalkigen Incrustirungen deckenden Erdreiche befestigen können. Dünn aufgeschossene, mit einigen Blätterspuren versehene Stämmchen erreichen eine Höhe von 2 Fuß, aber es ist unmöglich, die durch den Mangel des Lichtes in Form, Farbe und Gestalt völlig veränderten Pflanzenarten zu unterscheiden. Zu weiterem Vordringen in der Grotte kann man die Indianer durch nichts bewegen, denn sowie die Wölbung des unterirdischen Raumes niedriger wird, so nimmt auch das Geschrei der Vögel einen durchdringenderen Ton an. Folgt man von da rückwärts dem Laufe des Bergwassers nach der Oeffnung der Grotte zu, so sieht man, ehe noch das Auge vom Tageslichte geblendet werden kann, außer der Grotte das zwischen Laubwerk durchschimmernde Wasser. Es gleicht einem fern aufgestellten Gemälde, dem die Oeffnung der Grotte zur Rahme dient. Am Ausgange angelangt, genießt man am Ufer des Flusses gerne der Ruhe nach dem ermüdenden Gange, und man ist froh, des widrig kreischenden Geschreies der Vögel entledigt zu sein und einen Ort verlassen zu haben, dessen Dunkelheit den Reiz der Stille und Ruhe keineswegs gewährt.