Die Grotte von Caripe oder die Felshöhle von Guacharo. (Reise in die Aequinoctialgegenden des neuen Continents in den Jahren 1799--1804. Verfaßt von A. v. Humboldt u. A. Bonplandt Zweiter Theil. Stuttg. u. Tübing. 1818. S. 102.) Was neben der außerordentlichen Kühle des Klima dem Thal von Caripe am meisten Auszeichnung und Ruf verschafft, ist die große Cueva oder die Felshöhle von Guacharo. In einem Land, wo man das Wunderbare liebt, ist eine Felshöhle, aus der ein Fluß entspringt und die von vielen tausend Nachtvögeln bewohnt wird, deren Fett in den Missionen zur Zubereitung der Speisen dient, ein unerschöpflicher Gegenstand für Unterhaltung und Gespräche. Auch sind die ersten Dinge, von denen ein in Cumana eingetroffener Fremder sprechen hört, der Augenstein von Araya, der Landbauer von Arenas, welcher sein Kind säugte, und die Felsenhöhle von Guacharo, deren Länge man auf mehrere Meilen angibt. Ein lebhaftes Interesse an Naturerscheinungen erhält sich allenthalben, wo keine gesellschaftlichen Verhältnisse vorhanden sind, und wo eine traurige Einförmigkeit des Lebens nur sehr einfache und die Neugier wenig beschäftigende Gegenstände darbietet. Die Provinz von Guacharucu, welches Delgado mit der Expedition des Hieronimo de Ortal im J. 1534 besucht hatte, scheint südlich oder süd-östlich von Macarapana zu liegen. Findet zwischen seinem Namen und denen der Höhle und des Vogels eine Verbindung statt, oder ist der letzte Name spanischer Herkunft? (Laet, Nov. Orb. p. 676.) Guacharo bezeichnet im castillanischen einen, der schreit und jammert: es sind aber sowohl der Vogel in der Höhle von Caripe, als der Guacharaca (Phasianus Parraka), gewaltige Schreivögel. Die Höhle, welche die Eingebornen eine Fettmine nennen, befindet sich nicht im Thal von Caripe selbst, sondern in der Entfernung drey kleiner Meilen vom Kloster, west-süd-westlich. Sie öffnet sich in ein Seitenthal, das nach der Sierra del Guacharo ausläuft. Am 18. Herbstmonat machten wir uns auf den Weg nach der Sierra, in Begleit der Alcades oder indianischen Magistrate und der meisten Ordensleute des Klosters. Ein schmaler Fußpfad führte uns anfangs anderthalb Stunden in südlicher Richtung durch eine liebliche mit schönem Rasen bekleidete Ebene; nachher lenkten wir westlich ein, längs eines Baches, welcher aus der Oeffnung der Höhle hervorkommt. Während drey Viertelstunden des Emporsteigens ungefähr, folgt man, bald im untiefen Wasser, bald zwischen dem Waldstrom und einer Felswand, einem sehr schlüpfrigen und kothigen Pfad. Das Einsinken des Erdreichs, die vereinzelten Baumstämme, über welche die Maulthiere wegzuschreiten Mühe haben, die Ranken-Pflanzen, von denen der Boden überdeckt ist, machen diesen Theil des Weges sehr ermüdend. Es überraschte uns hier, kaum fünfhundert Toisen über der Meeresfläche eine Pflanze aus der Familie der Kreuzblumen, den Raphanus pinnatus, anzutreffen. Bekanntlich kommen die Gewächse dieser Familie in den Tropenländern sehr selten vor; sie haben, so zu sagen, eine nördliche Gestaltung, und deshalb war uns ihre Erscheinung auf der niedrigen Bergebene von Caripe unerwartet. Eben diese nördlichen Formen schienen sich im Gallium caripense, in der Valeriana scandens und in einer Sanicula, welche sich der S. marilandica nähert, zu wiederholen. Wo man sich am Fuß des hohen Guacharo-Berges, nur noch vierhundert Schritte von der Höhle entfernt befindet, erblickt man jedoch ihre Oeffnung noch nicht. Der Waldstrom fließt in einer vom Gewässer ausgehöhlten Schlucht, und der Pfad führt unter einem Felsgesims hin, dessen vorstehender Theil die Aussicht in die Höhe raubt. Wie der Bach, so schlängelt sich auch der Fußsteig; bey der letzten Krümmung steht man plötzlich vor dem sehr geräumigen Eingang der Grotte. Dieser Anblick hat etwas erhabenes, selbst für den, welcher an die malerischen Bilder der Hochalpen gewöhnt ist. Ich war damals mit den Berghöhlen des Pic von Derbyshire bekannt, wo man, in einem Boote liegend, unter der zwey Fuß hohen Wölbung über einen unterirdischen Fluß setzt. Ich hatte die schöne Grotte von Treshemienshiz in den Karpathen, und die Berghöhlen auf dem Harz besucht, auch die Höhlen in Franken, diese weiten Grabstätten für Knochengerippe von Tigern, Hyänen und Bären, die an Größe unsern Pferden gleichen. Die Natur befolgte unter allen Zonen unwandelbare Gesetze in Anordnung der Felsschichten, in der äußern Gestaltung der Berge, und selbst auch in den stürmischen Veränderungen, die der Rinde unsers Planeten zu Theil wurden. Eine so allgemeine Uebereinstimmung ließ mich vermuthen, es werde das Aussehen der Höhle von Caripe nur wenig von dem verschieden seyn, was ich auf meinen früheren Reisen zu sehen den Anlaß hatte: ich fand meine Erwartung weit übertroffen. Wenn einerseits die Gestaltung der Grotten, der Glanz der Stalactiten und alle Erscheinungen der unorganischen Natur auffallende Aehnlichkeit darbieten, so ertheilt anderseits der majestätische Pflanzenwuchs der Tropenländer dem Eingang der Höhle einen eigenthümlichen Charakter. Das Erdreich, welches seit Jahrtausenden den Grund der Felsenhöhlen von Gaylenreuth und von Muggendorf in Franken deckt, dünstet jetzt noch, in gewissen Jahreszeiten, Mofetten oder gasartige Mischungen von Wasserstoff und Stickstoff aus, die zur Wölbung der Höhle ansteigen. Diese Thatsache ist allen, welche jene Höhlen den Reisenden zeigen, wohl bekannt, und zur Zeit, wo ich Aufseher der Bergwerke des Fichtelgebirges war, hatte ich öfteren Anlaß, sie im Sommer zu beobachten. Herr Laugier fand in dem Erdreich von Muggendorf, außer den phosphorsauren Kalken, [Formel] thierischen Stoff (Cuvier, Recherches sur les ossem. fossiles, Tom. IV. Ours., p. 14). Der stinkende und amoniacalische Geruch, welcher sich aus dieser Erde entwickelt, wenn sie auf glühendes Eisen gestreut wird, war mir während meines Aufenthalts in Steeben auffallend. Die Cueva del Guacharo öffnet sich im senkrechten Durchschnitt eines Felsens. Der Eingang steht südwärts; ihr Gewölbe ist achtzig Fuß breit auf zwey und siebenzig Fuß Höhe. Es kommt diese Erhöhung bis auf einen Fünftheil ungefähr derjenigen des Säulengangs in Louvre gleich. Der Fels, der über der Grotte steht, ist mit Bäumen von gigantischem Wuchse besetzt. Der Mamei und der Genipayer mit breiten, glänzenden Blättern, strecken ihre Aeste senkrecht zum Himmel, während die des Coubaril und der Erythrina sich ausbreiten und eine dichte Laubdecke bilden. Pothosgewächse mit saftigem Stengel, Oxalisarten und Orchideen von seltsamer Bildung wachsen an den dürresten Felsritzen hervor, während Rankengewächse, vom Winde gewiegt, vor dem Eingang der Höhle sich in Festons schlingen. Wir unterschieden in diesen Blumengewinden eine violettblaue Bignonia, den purpurfarbigen Dolichos, und zum erstenmal die prächtige Solandra , deren orangengelbe Blume eine über vier Zoll lange fleischigte Röhre hat. Es verhält sich mit den Grotteneingängen, wie mit der Ansicht der Wasserfälle; die mehr oder minder ausgezeichnete Umgebung ertheilt den vorzüglichen Reiz, welcher so zu sagen den Charakter der Landschaft bestimmt. Welch ein Contrast findet sich zwischen der Cueva de Caripe und jenen nordischen von Eichen und finstern Lerchenbäumen beschatteten Höhlen! Caruto, genipa americana. Die Blume zeigt in Caripe abwechselnd fünf bis sechs Staubfäden. Ein Dendrobium mit goldfarbner, schwarzgefleckter, drey Zoll langer Blume. Solandra scandens. Es ist der Gousaticha der Chaymas-Indianer. Dieser üppige Pflanzenwuchs verschönert jedoch nicht nur die äußere Wölbung, er ist auch noch im Vordertheil der Grotte sichtbar. Mit Erstaunen bemerkten wir prachtvolle Heliconien mit Pisangblättern, die eine Höhe von achtzehn Fuß erreichen, die Praga-Palme und das Arum arborescens längs dem kleinen Fluß in diesem unterirdischen Standort. Der Pflanzenwachsthum dehnt sich in die Höhle von Caripe aus, wie in jene tiefen Schluchten der Anden, die nur einem halben Tageslicht zugänglich sind, und er hört im Innern der Grotte eher nicht als in der Entfernung von 30 bis 44 Fuß vom Eingang auf. Wir maßen den Weg vermittelst eines Seils, und hatten vierhundert und dreyßig Fuß zurückgelegt, ehe Fackeln anzuzünden erforderlich ward. Das Tageslicht dringt so weit vor, weil die Grotte einen einzigen Kanal bildet, der sich in unveränderter Richtung von Südost nach Nordwest ausdehnt. Hier, wo das Licht zu erlöschen anfängt, hört man noch entfernt das widrige Geschrei der Nachtvögel, von denen die Eingebornen glauben, sie werden ausschließlich in diesen unterirdischen Wohnungen angetroffen. Der Guacharo hat die Größe unsrer Hühner, den Rachen der Nachtschwalbe (des Ziegenmelkers), den Wuchs der Geyer, deren krummer Schnabel von steifen Seidepinseln umgeben ist. Wenn wir mit Herrn Cuvier die Ordnung der Spechte (Pici) eingehen lassen, so muß dieser außerordentliche Vogel in's Geschlecht der Sperlinge (Passeres) gebracht werden, deren Gattungen durch beinahe unmerkliche Uebergänge mit einander verbunden sind. Ich habe ihn unter dem Namen Steatornis in einer besonderen Monographie beschrieben, die im zweyten Band meiner Observations de Zoologie et d' Anatomie comparee enthalten ist: er macht eine neue vom Caprimulgus verschiedene Gattung aus, die sich durch den Umfang der Stimme sowol, als durch den außerordentlich starken mit einem Doppelzahn versehenen Schnabel, und durch Füße, die zwischen den Vorderzehen keine Verbindungshäute haben, unterscheidet. Er liefert das erste Beyspiel eines Nachtvogels unter den Zahnschnäblern der Singvögel (passereaux dentirostres). Durch seine Lebensart ist er sowol den Nachtschwalben als den Alpendohlen verwandt. Das Gefieder des Guacharo ist von dunkler blau-grauer Farbe, mit kleinen schwarzen Streifen und Punkten vermengt. Große weiße, herzförmige, schwarzgeränderte Flecken kommen am Kopf, auf den Flügeln und am Schwanze vor. Die Augen des Vogels können das Tageslicht nicht vertragen; sie sind blau und kleiner, als die des Ziegenmelkers oder der Nachtschwalbe. Die Weite der ausgebreiteten Flügel, die aus 17 bis 18 Ruderfedern (remiges) bestehen, beträgt vierthalb Fuß. Der Guacharao verläßt seine Höhle bei Anbruch der Nacht, vorzüglich zur Zeit des Mondscheins. Er ist fast der einzige, bis dahin bekannt gewordene Nachtvogel, der sich von Körnern nährt; die Bildung seiner Füße thut sattsam dar, daß er nicht, gleich unsern Eulen, Jäger ist. Er nährt sich mit sehr harten Kernfrüchten, gleich dem Nußheher und dem Pyrrhocorax. Der letztere nistet gleichfalls in Felsspalten und ist unter dem Namen Nachtrabe bekannt. Die Indianer versichern, der Guacharo verzehre weder Käfer noch Phalenen, mit denen sich hingegen die Nachtschwalbe nährt. Man darf nur die Schnäbel des Guacharo und der Nachtschwalbe miteinander vergleichen, um sich zu überzeugen, daß ihre Lebensart allerdings sehr verschieden seyn muß. Es hält schwer, sich eine richtige Vorstellung von dem furchtbaren Lerm zu machen, welchen viele Tausende dieser Vögel in dem finstern Theil der Höhle verursachen. Er läßt sich nur mit dem Gelerm unsrer Krähen vergleichen, die in den nordischen Tannenwäldern in Gesellschaft leben, und ihre Nester auf Bäume bauen, deren Gipfel sich einander berühren. Die scharfe und durchdringende Stimme der Guacharos wird in den Wölbungen der Felshöhle zurückgeworfen, und das Echo wiederhallt im Grunde der Grotte. Die Indianer banden Fackeln an das Ende einer langen Stange, um uns die Nester dieser Vögel zu zeigen. Sie befanden sich fünfzig bis sechszig Fuß über unsern Häuptern in trichterförmigen Löchern, welche in Menge an der Decke der Grotte befindlich waren. Das Geräusch wird stärker, so wie man tiefer hineinkommt, und die Vögel vor dem Licht scheu werden, das die Copalfackeln verbreiten. Ward es etliche Minuten um uns her stille, dann ließen sich die entfernteren Klagetöne der in den Seitengängen der Grotte nistenden Vögel hören. Es war, als ob ihre Schwärme sich einander wechselnd antworteten. Die Indianer begeben sich jährlich einmal, um das St. Johannesfest, mit Stangen bewaffnet in die Grotte, um den größten Theil der Nester zu zerstören. Es werden alsdann viele tausend Vögel getödtet, und die Alten, gleichsam um ihre Brut zu beschützen, schweben, unter fürchterlichem Geschrey, über den Häuptern der Indianer. Die Jungen, welche zu Boden fallen, werden sogleich ausgeweidet. Ihr Bauchfell ist reich mit Fett beladen, und eine Schichte von Fett verlängert sich vom Unterleib bis zur Oeffnung des Hintern, und bildet eine Art Knäuel zwischen den Schenkeln des Vogels. Dieser Ueberfluß von Fett bei pflanzenfressenden Thieren, die im Finstern leben und sich nur wenig Bewegung geben, erinnert an längst gemachte Beobachtungen über die Mästung von Gänsen und Ochsen. Man weiß, wie sehr dieses Geschäft durch Finsterniß und Ruhe befördert wird. Die europäischen Nachtvögel sind mager, weil, statt sich mit Früchten zu nähren, wie der Guacharo, sie vom spärlichen Ertrag ihrer Jagd leben. In der Jahreszeit, welche vom Volke in Caripe die Einsammlung des Oehles genannt wird, bauen sich die Indianer aus Palmenblättern Hütten, theils nahe beym Eingang, theils im Vordertheil der Höhle. Wir sahen noch einige Ueberreste derselben. Hier wird bey einem mit Buschwerk unterhaltenen Feuer das Fett der jungen eben erst getödteten Vögel geschmelzt und in thönernen Gefäßen gesammelt. Es ist dasselbe unter dem Namen der Butter oder des Oehls (manteca oder aceite) vom Guacharo bekannt, halbflüssig, durchsichtig und geruchlos. Seine Reinheit ist so groß, daß es über ein Jahr aufbewahrt wird, ohne ranzigt zu werden. Im Kloster von Caripe ward in der Küche der Mönche kein anderes Oehl gebraucht als das der Grotte, und nie haben wir einen daher rührenden widrigen Geschmack oder Geruch an den Speisen wahrgenommen. Die Menge des eingesammelten Oehls steht in keinem Verhältniß zu der Metzeley, welche die Indianer jährlich in der Grotte anrichten. Es scheint, daß nicht über 150--160 Flaschen vollkommen reinen Manteca's eingesammelt werden; der minder durchsichtige Ueberrest wird in großen irdenen Gefäßen aufbewahrt. Es erinnert dieser Industriezweig der Eingebornen an die Einsammlung des Taubenöhls, wovon vormals in Carolina einige Tausend großer Fässer bereitet wurden. Der Gebrauch des Guacharos-Oehl in Caripe ist sehr alt, und die Missionare haben nur seine Bereitungsart regelmäßiger geordnet. Die Glieder einer indianischen Familie, welche Morocoymas heißt, behaupten, als Abstämmlinge der ersten Kolonisten des Thals, rechtmäßige Eigenthümer der Grotte zu seyn, und sie sprechen das Monopol des Fettes an. Die Mönchsanstalten haben glücklicher Weise diese Rechte in bloße Ehrenberechtigungen umgeschaffen. Dem Systeme der Missionare zufolge, müssen die Indianer das zum Unterhalt der Kirchenlampe erforderliche Oehl liefern; das Uebrige wird ihnen, wie man versichert, bezahlt. Wir wollen weder über die Rechtmäßigkeit der Ansprüche der Morocoymas, noch über den Ursprung der den Eingebornen von den Mönchen auferlegten Verpflichtungen entscheiden. Es möchte natürlich scheinen, daß der Jagdertrag den Jägern gehöre; aber in den amerikanischen Wäldern, wie im Mittelpunkte der europäischen Kultur, wird das gemeine Recht häufig durch die Verhältnisse abgeändert, welche zwischen dem Starken und Schwachen, zwischen den Eroberern und Eroberten Statt finden. Das Geschlecht der Guacharos wäre längst vertilgt, wenn seine Erhaltung nicht durch verschiedene Umstände begünstigt würde. Abergläubische Begriffe halten die Eingebornen vom tiefern Eindringen in die Grotte gewöhnlich ab. Es scheint auch, daß benachbarte Höhlen, die ihrer Enge wegen dem Menschen unzugänglich sind, durch Vögel der nämlichen Art bewohnt werden. Vielleicht wird die große Höhle durch Kolonien aus den kleinern Grotten unterhalten und bevölkert; die Missionare bezeugten uns, es sey bis dahin keine spürbare Abnahme in der Zahl der Vögel bemerkt worden. Man hat junge Guacharos nach dem Hafen von Cumana versandt, wo sie einige Tage am Leben blieben, ohne irgend eine Nahrung zu sich zu nehmen, indem die Körner, die man ihnen vorlegte, ihnen nicht behagten. Bey Oeffnung des Kropfs und des Magens der jungen Vögel in der Grotte, finden die Landeseingebornen mancherley harte und trockne Kernfrüchte, die unter der seltsamen Benennung der Körner oder Semilla del Guacharo ein berühmtes Mittel gegen das Wechselfieber liefern. Die alten Vögel tragen ihren Jungen diese Körner zu, die man sorgfältig sammelt, um sie den Kranken in Cariaco und in den übrigen tiefgelegenen fieberhaften Orten zukommen zu lassen. Wir folgten, im Fortgang der Höhle, den Ufern des kleinen Flusses, der in ihr entspringt; seine Breite beträgt 28 bis 30 Fuß. Man wandert dem Ufer entlang, so weit die aus kalkigten Incrustirungen gebildeten Hügel es gestatten; öfters, wenn der Waldstrom zwischen Stalactiten-Massen sich durchschlingt, muß man in sein Bett hinabsteigen, das nicht mehr als zwey Fuß Tiefe hat. Ueberraschend war es uns, zu hören, daß dieser unterirdische Fluß der Ursprung des Rio Caripe ist, welcher in der Entfernung etlicher Meilen, nachdem er sich mit dem kleinen Rio de Santa Maria vereint hat, für Piroguen schiffbar ist. Er ergießt sich unter dem Namen Canno de Terezen in den Strom von Areo. Wir fanden am Ufer des unterirdischen Flusses eine große Menge Palmbaumholz. Es sind Ueberbleibsel der Stämme, welche die Indianer erklettern, um die an der Decke des Gewölbes der Grotte hängenden Vogelnester zu erreichen. Die von den Ueberresten alter Blattstiele gebildeten Ringe versehen gleichsam die Stufen einer senkrecht stehenden Leiter. Die Grotte von Caripe behält in der genau gemessenen Entfernung von 472 Metres oder 1458 Fuß, vom Eingang, noch ihre ursprüngliche Richtung, die nämliche Weite, und die gleiche Höhe von 60 bis 70 Fuß. Mir ist auf beyden Festlanden keine Berghöhle von so einförmiger und regelmäßiger Bildung bekannt. Wir hatten Mühe die Indianer zu vermögen, über den Vordertheil der Grotte, welchen sie alljährlich zur Einsammlung des Fettes besuchen, tiefer einzugehen, und es bedurfte des Gewichts und Ansehens der los Padres, um sie zu der Stelle hinzubringen, wo der Boden plötzlich unter einem Winkel von 60° in die Höhe steigt, und wo der Waldstrom einen kleinen unterirdischen Wasserfall bildet. Die Eingebornen verbinden mystische Vorstellungen mit dem von Nachtvögeln bewohnten Raum. Sie glauben, die Geister ihrer Vorfahren halten sich im Hintertheil der Grotte auf. Der Mensch, sagen sie, soll eine heilige Scheu vor Orten tragen, welche weder die Sonne, Zis, noch der Mond, Nana, bescheint. Zu den Guacharos gehen, bedeutet, zu seinen Vätern gehen, oder sterben. Auch nehmen die Zauberer, Piaches, und die Giftmischer, Imorons, ihre nächtlichen Gauklerkünste am Eingang der Grotte vor, um den Häuptling der bösen Geister, Ivorokiamo, zu beschwören. So gleichen sich einander unter allen Himmelsstrichen die frühesten Dichtungen der Völker, vorzüglich jene, welche die zwey weltregierenden Grundsätze, das Leben der Seelen nach dem Tod, das Glück der Gerechten und die Bestrafung der Sünder, betreffen. Die verschiedensten und die rohesten Sprachen enthalten eine Anzahl Bilder, welche sich einander überall ähnlich sind, weil ihre Quelle in unserm Verstand und in unsern Empfindungen liegt. Die Finsterniß gesellt sich allenthalben der Vorstellung vom Tode bey. Die Grotte von Caripe ist der Griechen Unterwelt (Tartaros), und die über dem unterirdischen Fluß schwebenden, Klagetöne ausstoßenden Guacharos, erinnern an die stygischen Vögel. Diese Erscheinung eines unterirdischen Wasserfalls trifft man aber in ungleich größerem Maaßstab auch in der brittischen Grafschaft York, in der Nähe von Kingsdale, in Yordas-Cave an. An der Stelle, wo der Fluß den unterirdischen Wasserfall bildet, stellt sich die der Grottenöffnung gegenüberliegende, reich bewachsene Landschaft auf eine sehr malerische Weise dar. Man erblickt sie am Ausgang eines geradlinigten, 240 Toisen langen Kanals. Die vom Gewölbe herabhängenden und in der Luft schwebenden Säulen gleichenden Stalactiten stellen sich auf der grünen Fläche wundersam dar. Die Oeffnung der Grotte erscheint um die Mitte des Tages sehr verengt, und wir sahen sie in jener hellen Beleuchtung, die das gleichzeitige Zurückwerfen des Lichts vom Himmel, von Pflanzen und Felsen hervorbringt. Die ferne Tageshelle stand in gewaltigem Abstiche mit der uns in diesen unterirdischen Räumen umzingelnden Finsterniß. Wir hatten unsre Flinten fast zufällig, da wo Vögelgeschrey und Flügelschlag uns das Beysammenstehen vieler Nester vermuthen ließen, losgebrannt. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es dem Herrn Bonpland zwey Guacharos zu treffen, die, vom Fackellichte geblendet, uns zu verfolgen schienen. Dieser Umstand setzte mich in den Stand, den bis dahin den Naturforschern unbekannt gebliebenen Vogel zu zeichnen. Wir erstiegen mit einiger Mühe den kleinen Hügel, von welchem der unterirdische Bach herabfließt. Wir sahen die Grotte sich merklich verengern, indem sie nur noch 40 Fuß Höhe hat, und sich nordostwärts verlängert, ohne von ihrer ursprünglichen Richtung abzuweichen, die mit dem großen Thal von Caripe parallel läuft. In diesem Thal der Höhle setzt das Wasser des Flusses eine schwärzlichte Erde ab, welche derjenigen ähnlich ist, die man in der Grotte von Mugendorf in Franken Opfererde der Grotte des hohlen Bergs nennt. Wir konnten nicht entscheiden, ob diese feine und lockere Erdart durch Spalten, die mit der Oberfläche des Bodens zusammenhängen, herabfällt, oder ob sie von dem in die Höhle dringenden Regenwasser angeschwemmt wird. Es war eine Mischung von Kiesel-, Thon- und Damm-Erde. Wir wanderten durch dichten Koth bis zu einer Stelle, wo wir mit Erstaunen die Fortschritte des unterirdischen Pflanzenwachsthums wahrnahmen. Die Früchte, welche die Vögel zur Speisung ihrer Jungen in die Grotte tragen, keimen überall, wo sie sich in dem die kalkigten Incrustirungen deckenden Erdreich befestnen können. Dünne aufgeschossene, mit einigen Blätterspuren versehene Stämmchen hatten eine Höhe von zwey Fuß erreicht. Es war unmöglich, die durch den Mangel des Lichtes in Form, Farbe und Gestalt völlig veränderten Pflanzenarten zu unterscheiden. Diese Spuren organischer Bildung mitten in der Finsterniß hatten die Neugierde der sonst so stumpfsinnigen und schwer aufzuregenden Eingebornen in hohem Grade geweckt. Sie beobachteten dieselben mit der stillen Aufmerksamkeit, welche ein ihnen furchtbarer Ort veranlaßte. Es kam uns beynahe vor, als glaubten sie, in diesen unterirdischen, blassen und entstellten Gewächsen von der Oberfläche der Erde verwiesene Schatten zu sehen. Mich erinnerten dieselben an einen der glücklichsten Zeitpunkte meiner ersten Jugend, an einen langen Aufenthalt in den Bergwerken von Freiberg, wo ich über die, je nachdem die Luft rein, oder mit Wasserstoff und Stickstoff überladen ist, sehr ungleichen Erscheinungen des unterirdischen Pflanzenwachsthums (etiolement) Versuche anstellte. Zu noch weiterem Vordringen in der Grotte konnten die Indianer durch alles Ansehen der Missionare nicht vermocht werden. So wie die Wölbung des unterirdischen Raumes niedriger ward, nahm das Geschrey der Vögel einen durchdringenderen Ton an. Wir mußten der Furchtsamkeit unsrer Wegweiser nachgeben und umkehren. Der Anblick, den die Höhle gewährte, hatte übrigens etwas sehr einförmiges. Ein Bischof aus St. Thomas in Guiana war, wie es scheint, weiter als wir vorgedrungen. Er hatte vom Eingang bis zu der Stelle, wohin er gelangte, wo aber die Höhle noch nicht zu Ende ging, beynahe 2500 Fuß (960 Varas) gemessen. Man hatte die Erinnerung dieser Thatsache im Kloster von Caripe aufbewahrt, ohne ihre Zeit genau angeben zu können. Der Bischof führte große Kerzen von weißem castillanischem Wachs mit sich; wir hatten nur Fackeln aus inländischer Baumrinde und Harz. Der dicke Rauch, welchen diese Fackeln in einem engen unterirdischen Raume hervorbringen, wird den Augen lästig und macht das Athemholen beschwerlich. Wir folgten dem Lauf des Bergwassers nach der Oeffnung der Grotte zu. Ehe noch unsere Augen von Tageslicht geblendet wurden, sahen wir außer der Grotte das zwischen Laubwerk durchschimmernde Wasser. Es glich einem fern ausgestellten Gemälde, dem die Oeffnung der Grotte zur Rahme diente. Am Ausgang endlich eingetroffen, setzten wir uns an's Ufer des Flusses, um von dem ermüdenden Gange auszuruhen. Wir waren froh, des widrig kreischenden Geschreies der Vögel entledigt zu seyn, und einen Ort zu verlassen, dessen Dunkelheit den Reiz der Stille und Ruhe keineswegs gewährt. Es kam uns fast unbegreiflich vor, daß der Name der Grotte von Caripe bis dahin in Europa völlig unbekannt geblieben seyn sollte. Die Guacharos waren für sich allein schon hinreichend, ihn berühmt zu machen. Außer den Bergen von Caripe und Cumanacoa hat man diese Nachtvögel bis dahin nirgendswo angetroffen.