Die Felshöhle von Guacharo. Von Alex. v. Humboldt. Was neben der außerordentlichen Kühle des Klima's dem Thale von Caripe am meisten Auszeichnung und Ruf verschafft, ist die große Cueva oder die Fehlshöhle von Guacharo. In einem Lande, wo man das Wunderbare liebt, ist eine Felshöhle, aus der ein Fluß entspringt, und die von vielen tausend Nachtvögeln bewohnt wird, deren Fett in den Missionen zur Zubereitung der Speisen dient, ein unerschöpflicher Gegenstand für Unterhaltung und Gespräche. Die Höhle, welche die Eingebornen eine Fettmine nennen, befindet sich nicht im Thale von Caripe selbst, sondern in der Entfernung drei kleiner Meilen vom Kloster west-süd-westlich. Sie öffnet sich in ein Seitenthal, das nach der Sierra del Guacharo ausläuft. Wir machten uns auf den Weg nach der Sierra in Begleitung des Alcaldes oder indianischen Magistrats, und der meisten Ordensleute des Klosters. Ein schmaler Fußpfad führte uns anfänglich anderthalb Stunden in südlicher Richtung durch eine liebliche, mit schönem Rasen bekleidete Ebene; nachher lenkten wir westlich ein längs eines Baches, welcher aus der Oeffnung der Höhle hervorkommt. Während drei Viertelstunden des Emporsteigens ungefähr folgt man, bald im untiefen Wasser, bald zwischen dem Waldstrom und einer Felswand, einem sehr schlüpfrigen und kothigen Pfade. Das Einsinken des Erdreichs, die vereinzelten Baumstämme, über welche die Maulthiere wegzuschreiten Mühe haben, die Rankenpflanzen von denen der Boden überdeckt ist, machen diesen Theil des Weges sehr ermüdend. Wo man sich am Fuße des hohen Guacharo-Berges nur noch 400 Schritte von der Höhle entfernt befindet, erblickt man jedoch ihre Oeffnung noch nicht. Der Waldstrom fließt in einer vom Gewässer ausgehöhlten Schlucht, und der Pfad führt unter einem Felsgesims hin, dessen vorstehender Theil die Aussicht in die Höhe raubt. Wie der Bach, so schlängelt sich auch der Fußsteig; bei der letzten Krümmung steht man plötzlich vor dem sehr geräumigen Eingange der Grotte. Dieser Anblick hat etwas Erhabenes, selbst für den, welcher an die malerischen Bilder der Hochalpen gewöhnt ist. Die Cueva del Guacharo öffnet sich im senkrechten Durchschnitt eines Felsens. Der Eingang steht südwärts; ihr Gewölbe ist achtzig Fuß breit und auf zwei und siebzig Fuß Höhe. Der Fels, der über der Grotte steht, ist mit Bäumen von gigantischem Wuchse besetzt. Der Mamei und der Genipayer (genipa americana) mit breiten, glänzenden Blättern strecken ihre Aeste senkrecht zum Himmel, während die des Coubaril und der Erythrina sich ausbreiten und eine dichte Hausdecke bilden. Pothosgewächse mit saftigem Stengel, Oralisarten und Orchideen von seltsamer Bildung wachsen aus den dürresten Felsritzen hervor, während Rankengewächse, vom Winde gewiegt, vor dem Eingange der Höhle sich in Festons schlingen. Wir unterscheiden in diesen Blumengewinden eine violettblaue Bigonia, den purpurfarbigen Dolichos und zum ersten Male die prächtige Solandra (Solandra scandens), deren orangengelbe Blume eine über vier Zoll lange fleischigte Röhre hat. Es verhält sich mit den Grotteneingängen, wie mit der Ansicht der Wasserfälle; die mehr oder minder ausgezeichnete Umgebung ertheilt den vorzüglichen Reiz, welcher, so zu sagen, den Charakter der Landschaft bestimmt. Welch ein Contrast findet sich zwischen der Cueva de Caripe und jenen nordischen, von Eichen und finstern Lerchenbäumen beschatteten Höhlen! Dieser üppige Pflanzenwuchs verschönert jedoch nicht nur die äußere Wölbung, er ist auch noch im Vordertheil der Grotte sichtbar. Mit Erstaunen bemerken wir prachtvolle Helikonien mit Pisangblättern, die eine Höhe von 18 Fuß erreichen, die Pragapalme und das Arum arborescens längs dem kleinen Flusse in diesem unterirdischen Standorte. Der Pflanzenwachsthum dehnt sich in die Höhle von Caripe aus, wie in jene tiefe Schluchten der Anden, die nur einem halben Tageslichte zugänglich sind, und er hört im Innern der Grotte eher nicht, als in der Entfernung von 30--40 Fuß vom Eingange auf. Wir maßen den Weg vermittelst eines Seils, und hatten 430 Fuß zurückgelegt, ehe Fackeln anzuzünden erforderlich ward. Das Tageslicht dringt so weit vor, weil die Grotte einen einzigen Canal bildet, der sich in unveränderter Richtung von Südost nach Nordost ausdehnt. Hier, wo das Licht zu erlöschen anfängt, hört man noch entfernt das widrige Geschrei der Nachtvögel, von denen die Eingebornen glauben, sie werden ausschließlich in diesen unterirdischen Wohnungen angetroffen. Der Guacharo hat die Größe unserer Hühner, den Rachen der Nachtschwalbe (des Ziegenmelkers), den Wuchs der Geyer, deren krummer Schnabel von steifen Seidepinseln umgeben ist. Wenn wir mit Herrn Cuvier die Ordnung der Spechte (Pici) eingehen lassen, so muß dieser außerordentliche Vogel ins Geschlecht der Sperlinge (passeres) gebracht werden, deren Gattungen durch beinahe unmerkliche Uebergänge mit einander verbunden sind. Ich habe ihn unter dem Namen Steatornis beschrieben. Er macht eine neue, vom Caprimulgus verschiedene Gattung aus, die sich durch den Umfang der Stimme sowohl, als durch den außerordentlich starken, mit einem Doppelzahn versehenen Schnabel, und durch Füße, die zwischen den Vorderzehen keine Verbindungshäute haben, unterscheidet. Er liefert das erste Beispiel eines Nachtvogels unter den Zahnschnäblern der Singvögel (passereaux dentirostres). Durch seine Lebensart ist er sowohl den Nachtschwalben, als den Alpendohlen (corvus Pyrrhocorax) verwandt. Das Gefieder des Guacharo ist von dunkler blaugrauer Farbe, mit kleinen schwarzen Streifen und Punkten vermengt. Große weiße, herzförmige, schwarzgeränderte Flecken kommen am Kopf, auf den Flügeln und am Schwanze vor. Die Augen des Vogels können das Tageslicht nicht vertragen; sie sind blau und kleiner, als die des Ziegenmelkers oder der Nachtschwalbe. Die Weite der ausgebreiteten Flügel, die aus 17 bis 18 Ruderfedern (remiges) bestehen, beträgt vierthalb Fuß. Der Guacharo verläßt seine Höhle bei Anbruch der Nacht, vorzüglich zur Zeit des Mondscheins. Er ist fast der einzige, bis dahin bekannt gewordene Nachtvogel, der sich von Körnern nährt; die Bildung seiner Füße thut sattsam dar, daß er nicht, gleich unseren Eulen, Jäger ist. Er nährt sich mit sehr harten Kernfrüchten, gleich dem Nußheher (Corvus caryocatactes) und dem Pyrrhocorax. Der letztere nistet gleichfalls in Felsspalten, und ist unter dem Namen Nachtrabe bekannt. Die Indianer versichern, der Guacharo verzehre weder Käfer noch Phalenen, mit denen sich hingegen die Nachtschwalbe nährt. Man darf nur die Schnäbel des Guacharo und der Nachtschwalbe mit einander vergleichen, um sich zu überzeugen, daß ihre Lebensart allerdings sehr verschieden sein muß. Observations de Zoologie et d'Anatomie comparee. T. II. Es hält schwer, sich eine richtige Vorstellung von dem furchtbaren Lärm zu machen, welchen viele Tausende dieser Vögel in dem finstern Theile der Höhle verursachen. Er läßt sich nur mit dem Gelärm unserer Krähen, vergleichen, die in den nordischen Tannenwäldern in Gesellschaft leben und ihre Nester auf Bäume bauen, deren Gipfel sich einander berühren. Die scharfe und durchdringende Stimme des Guacharo's wird in den Wölbungen der Felshöhle zurückgeworfen, und das Echo wiederhallt im Grunde der Grotte. Die Indianer banden Fackeln an das Ende einer langen Stange, um uns die Nester dieser Vögel zu zeigen. Sie befanden sich funfzig dis sechzig Fuß über unseren Häuptern in trichterförmigen Löchern, welche in Menge an der Decke der Grotte befindlich waren. Das Geräusch wird stärker, so wie man tiefer hineinkommt, und die Vögel von dem Lichte scheu werden, das die Copalfackeln verbreiten. Ward es etliche Minuten um uns her stille, dann ließen sich die entfernteren Klagetöne der in den Seitengängen der Grotte nistenden Vögel hören. Es war, als ob ihre Schwärme sich einander wechselnd antworteten. Die Indianer begeben sich jährlich einmal, um das St. Johannisfest, mit Stangen bewaffnet, in die Grotte, um den größten Theil der Nester zu zerstören. Es werden alsdann viele tausend Vögel getödtet, und die Alten, gleichsam um ihre Brut zu beschützen, schweben unter fürchterlichem Geschrei über den Häuptern der Indianer. Die Jungen, welche zu Boden fallen, werden sogleich ausgeweidet. Ihr Bauchfell ist reich mit Fett beladen, und eine Schicht von Fett verlängert sich vom Unterleibe bis zur Oeffnung des Hintern und bildet eine Art Knäuel zwischen den Schenkeln des Vogels. Der Ueberfluß von Fett bei pflanzenfressenden Thieren, die im Finstern leben und sich nur wenig Bewegung geben, erinnert an längst gemachte Beobachtungen über die Mästung von Gänsen und Ochsen. Man weiß, wie sehr dieses Geschäft durch Finsterniß und Ruhe befördert wird. Die europäischen Nachtvögel sind mager, weil, statt sich mit Früchten zu nähren wie der Guacharo, sie vom spärlichen Ertrag ihrer Jagd leben. In der Jahreszeit, welche vom Volke in Caripe die Einsammlung des Oels genannt wird, bauen sich die Indianer aus Palmenblättern Hütten, theils nahe beim Eingange, theils im Vordertheil der Höhle. Wir sahen noch einige Ueberreste derselben. Hier wird bei einem mit Buschwerk unterhaltenen Feuer das Fett der jungen, eben erst getödteten Vögel geschmelzt und in thönernen Gefäßen gesammelt. Es ist dasselbe unter dem Namen der Butter oder des Oels (manteca oder aceite) vom Guacharo bekannt, halbflüssig, durchsichtig und geruchlos. Seine Reinheit ist so groß, daß es über ein Jahr aufbewahrt wird, ohne ranzigt zu werden. Im Kloster von Caripe ward in der Küche der Mönche kein anderes Oel gebraucht, als das der Grotte, und nie haben wir einen daher rührenden widrigen Geschmack oder Geruch an den Speisen wahrgenommen. Das Geschlecht der Guacharo's wäre längst vertilgt, wenn seine Erhaltung nicht durch verschiedene Umstände begünstigt würde. Abergläubische Begriffe halten die Eingebornen vom tieferen Eindringen in die Grotte gewöhnlich ab. Es scheint auch, daß benachbarte Höhlen, die ihrer Enge wegen dem Menschen unzugänglich sind, durch Vögel der nämlichen Art bewohnt werden. Vielleicht wird die große Höhle durch Colonieen aus den kleineren Grotten unterhalten und bevölkert; die Missionäre bezeugten uns, es sei bis dahin keine spürbare Abnahme in der Zahl der Vögel bemerkt worden. Man hat junge Guacharo's nach dem Hafen von Cumana versandt, wo sie einige Tage am Leben blieben, ohne irgend eine Nahrung zu sich zu nehmen indem die Körner, die man ihnen vorlegte, ihnen nicht behagten. Bei Oeffnung des Kropfs und des Magens der jungen Vögel in der Grotte finden die Eingebornen mancherlei harte und trockene Kernfrüchte, die unter der seltsamen Benennung der Körner oder Semilla del Guacharo ein berühmtes Mittel gegen das Wechselfieber liefern. Wir folgten, im Fortgange der Höhle, den Ufern des kleinen Flusses, der in ihr entspringt; seine Breite beträgt 28 bis 30 Fuß. Man wandert dem Ufer entlang, so weit die aus kalkigten Inkrustirungen gebildeten Hügel es gestatten; öfters, wenn der Waldstrom zwischen hohen Stalactitenmassen sich durchschlingt, muß man in sein Bett hinabsteigen, das nicht mehr als zwei Fuß Tiefe hat. Ueberraschend war es uns, zu hören daß dieser unterirdische Fluß der Ursprung des Rio Caripe ist, welcher in der Entfernung etlicher Meilen, nachdem er sich mit dem kleinen Rio de Santa Maria vereint hat, für Piroguen schiffbar ist. Er ergießt sich unter dem Namen Canno de Terenzen in den Strom von Areo. Wir fanden am Ufer des unterirdischen Flusses eine große Menge Palmbaumholz. Es sind Ueberbleibsel der Stämme, welche die Indianer erkletterten, um die an der Decke des Gewölbes der Grotte hängenden Vogelnester zu erreichen. Die von den Ueberresten alter Blattstiele gebildeten Ringe versehen gleichsam die Stufen einer senkrecht stehenden Leiter. Die Grotte von Caripe behält in der genau gemessenen Entfernung von 472 Metres oder 1458 Fuß vom Eingange, noch ihre ursprüngliche Richtung, die nämliche Weite und die gleiche Höhe von 60 -- 70 Fuß. Mir ist auf beiden Festlanden keine Berghöhle von so einförmiger und regelmäßiger Bildung bekannt. Wir hatten Mühe, die Indianer zu vermögen, über den Vordertheil der Grotte, welchen sie alljährlich zur Einsammlung des Fettes besuchen, tiefer einzugehen, und es bedurfte des Gewichts und Ansehens der los Padres, um sie zu der Stelle hinzubringen, wo der Boden plötzlich unter einem Winkel von 60° in die Höhe steigt, und wo der Waldstrom einen kleinen unterirdischen Wasserfall bildet. Die Eingebornen verbinden mystische Vorstellungen mit dem von Nachtvögeln bewohnten Raume. Sie glauben, die Geister ihrer Vorfahren halten sich im Hintertheil der Grotte auf. Der Mensch, sagen sie, soll eine heilige Scheu vor Orten tragen, welche weder die Sonne, Zis, noch der Mond, Nana, bescheint. Zu den Guacharo's gehen, bedeutet, zu seinen Vätern gehen, oder sterben. Auch nehmen die Zauberer, Piaches, und die Giftmischer, Imorons, ihre nächtlichen Gauklerkünste am Eingange der Grotte vor, um den Häuptling der bösen Geister, Ivorokiamo, zu beschwören. So gleichen sich einander unter allen Himmelsstrichen die frühesten Dichtungen der Völker, vorzüglich jene, welche die zwei weltregierenden Grundsätze, das Leben der Seelen nach dem Tode, das Glück der Gerechten und die Bestrafung der Sünder betreffen. Die verschiedensten und die rohesten Sprachen enthalten eine Anzahl Bilder, welche sich einander überall ähnlich sind, weil ihre Quelle in unserem Verstande und in unseren Empfindungen liegt. Die Finsterniß gesellt sich allenthalben der Vorstellung vom Tode bei. Die Grotte von Caripe ist der Griechen Unterwelt (Tartaros) und die über dem unterirdischen Fluß schwebenden, Klagetöne ausstoßenden Guacharo's erinnern an die stygischen Vögel. An der Stelle, wo der Fluß den unterirdischen Wasserfall bildet, stellt sich die der Grottenöffnung gegenüberliegende, reich bewachsene Landschaft auf eine sehr malerische Weise dar. Man erblickt sie am Ausgange eines geradlinigten, 240 Toisen langen Canals. Die vom Gewölbe herabhängenden und in der Luft schwebenden, Säulen gleichenden Stalactiten stellen sich auf der grünen Fläche wundersam dar. Die Oeffnung der Grotte erscheint um die Mitte des Tages sehr verengt, und wir sahen sie in jener hellen Beleuchtung, die das gleichzeitige Zurückwerfen des Lichts vom Himmel von Pflanzen und Felsen hervorbringt. Die ferne Tageshelle stand in gewaltigem Abstiche mit der uns in diesen unterirdischen Räumen umzingelnden Finsterniß. Wir hatten unsere Flinten fast zufällig, da wo Vögelgeschrei und Flügelschlag uns das Beisammenstehen vieler Nester vermuthen ließen, losgebrannt. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es dem Herrn Bonpland zwei Guacharo's zu treffen, die, vom Fackellichte geblendet, uns zu verfolgen schienen. Dieser Umstand setzte mich in den Stand den bis dahin den Naturforschern unbekannt gebliebenen Vogel zu zeichnen. Wir erstiegen mit einiger Mühe den kleinen Hügel, von welchem der unterirdische Bach herabfließt. Wir sahen die Grotte sich merklich verengen, indem sie nur noch 40 Fuß Höhe hat, und sich nordostwärts verlängert, ohne von ihrer ursprünglichen Richtung abzuweichen, die mit dem großen Thal von Caripe parallel läuft. In diesem Theile der Höhle setzt das Wasser des Flusses eine schwärzliche Erde ab, welche derjenigen ähnlich ist, die man in der Grotte von Muggendorf in Franken Opfererde der Grotte des hohlen Berges nennt. Wir konnten nicht entscheiden, ob diese feine und leckere Erdart durch Spalten, die mit der Oberfläche des Bodens zusammen hängen, herabfällt, oder ob sie von dem in die Höhle dringenden Regenwasser angeschwemmt wird. Es war eine Mischung von Kiesel-, Thon- und Damm-Erde. Wir wanderten durch dichten Koth bis zu einer Stelle, wo wir mit Erstaunen die Fortschritte des unterirdischen Pflanzenwachsthums wahrnahmen. Die Früchte, welche die Vögel zur Speisung ihrer Jungen in die Grotte tragen, keimen überall, wo sie sich in dem, die kalkigten Inkrustirungen deckenden Erdreich befestigen können. Dünn aufgeschossene, mit einigen Blätterspuren versehene Stämmchen hatten eine Höhe von zwei Fuß erreicht. Es war unmöglich, die durch den Mangel des Lichts in Form, Farbe und Gestalt völlig veränderten Pflanzenarten zu unterscheiden. Diese Spuren organischer Bildung mitten in der Finsterniß hatten die Neugier der sonst so stumpfsinnigen und schwer aufzuregenden Eingeborenen in hohem Grade geweckt. Sie beobachteten dieselben mit der stillen Aufmerksamkeit, welche ein ihnen furchtbarer Ort veranlaßte. Es kam uns beinahe vor, als glaubten sie, in diesen unterirdischen, blassen und entstellten Gewächsen von der Oberfläche der Erde verwiesene Schatten zu sehen. Zu noch weiterem Vordringen in der Grotte konnten die Indianer durch alles Ansehen der Missionare nicht vermogt werden. So wie die Wölbung des unterirdischen Raumes niedriger ward, nahm das Geschrei der Vögel einen durchdringenderen Ton an. Wir mußten der Furchtsamkeit unserer Wegweiser nachgeben und umkehren. Ein Bischof aus St. Thomas in Gujana war, wie es scheint, weiter als wir vorgedrungen. Er hatte vom Eingange bis zu der Stelle, wohin er gelangte, wo aber die Höhle noch nicht zu Ende ging, beinahe 2500 Fuß (960 Varas) gemessen. Man hatte die Erinnerung dieser Thatsache im Kloster von Caripe aufbewahrt, ohne ihre Zeit genau angeben zu können. Der Bischof führte große Kerzen von weißem castillanischem Wachs mit sich; wir hatten nur Fackeln aus inländischer Baumrinde und Harz. Der dicke Rauch, welchen diese Fackeln in einem engen unterirdischen Raume hervorbringen, wird den Augen lästig und macht das Athemholen beschwerlich. Wir folgten dem Laufe des Bergwassers nach der Oeffnung der Grotte zu. Ehe noch unsere Augen vom Tageslicht geblendet wurden, sahen wir außer der Grotte das zwischen Laubwerk durchschimmernde Wasser. Es glich einem fern ausgestellten Gemälde, dem die Oeffnung der Grotte zur Rahme diente. Am Ausgange endlich eingetroffen, setzten wir uns ans Ufer des Flusses, um von dem ermüdenden Gange auszuruhen. Wir waren froh, des widrigkreischenden Geschreies der Vögel entledigt zu sein, und einen Ort zu verlassen, dessen Dunkelheit den Reiz der Stille und Ruhe keineswegs gewährt. Es kam uns fast unbegreiflich vor, daß der Name der Grotte von Caripe bis dahin in Europa völlig unbekannt geblieben sein sollte. Die Guacharo's waren für sich allein schon hinreichend, ihn berühmt zu machen. Außer den Bergen von Caripe und Cumanacoa hat man diese Nachtvögel bis dahin nirgends wo angetroffen. Die Missionäre hatten uns am Eingange der Höhle ein Mahl gerüstet. Pisangblätter und die silberglänzenden Blätter des Vijao (Heliconia bihai) dienten, nach Landessitte, als Tafeltuch. Nichts mangelte unserem Genusse, auch sogar geschichtliche Erinnerungen nicht, welche sonst in diesen Gegenden so selten sind, wo die Geschlechtsfolgen erlöschen und untergehen ohne Spuren ihres Daseins zurückzulassen. Unsere Hauswirthe erzählten, wie die ersten Ordensgeistlichen, die in diesem Berglande das kleine Dorf Santa Maria gründeten, während eines Monats in der Höhle wohnten, und wie hier, bei Fackelschein auf einem Felsstücke religiöse Mysterien von ihnen gefeiert wurden. Der einsame Ort diente den Missionären zur Fluchtstätte gegen die Verfolgungen eines an den Ufern des Rio Caripe gelagerten kriegerischen Anführers der Tuapocans.