Alex. v. Humboldt's neueste Ansicht von der Wanderung der Pflanzen -- ausgezogen aus dessen Relation historique du voyage etc. 1er Vol. Paris. 4. p. 600. sq. Wenn auch die Natur in Gegenden, von einerlei Klima, seyen es nun Ebenen, die eine gleiche mittlere Wärme haben, oder Berge, wo die Temperatur sich den Polargegenden nähert, nicht immer dieselben Pflanzenarten hervorbringt, so zeigt sich doch in der Vegetation der entferntesten Länder eine auffallende Aehnlichkeit. Dieß ist eine der interessantesten Erscheinungen in der Geschichte der organischen Welt, und obschon die Vernunft gegen alle Hypothesen über den Ursprung der Dinge gar manches einzuwenden hätte, so können wir diese Aufgabe über die Vertheilung der Wesen auf Erden, sollte sie auch nicht zu lösen seyn, doch nicht ganz von der Hand weisen. So kömmt eine Grasart, die in der Schweiz wächst (Phleum alpinum), auf den Granitfelsen der Magellanischen Meerenge vor. Neuholland hat über 40 von unsern europäischen Phanerogamen-Pflanzen, und eine Menge gleicher Gewächse, die in den gemässigten Zonen der beiden Hemisphären zu finden sind, fehlen gänzlich, auf den Bergen sowohl, als in den Ebenen, aller darzwischen liegenden Aequinoctialländer. Viola cheiranthifolia, die hoch oben auf dem Vulkan von Teneriffa an der äussersten Gränze der Phanerogamen, und, wie man lange geglaubt hat, dort ausschliessend vorkömmt, findet sich auf einmal 300 Stunden weiter nördlich auf den Pyreneen, ganz nahe an der Gränze des ewigen Schnees. Die Gramineen und Cyperaceen, die in Teutschland, Arabien und am Senegal zu Hause sind, sanden sich unter den Pflanzen, die Humbold und Bonpland auf den ebenen Bergrücken in Mexico, an den heissen Ufern des Orenoko und in der südlichen Hälfte auf den Bergrücken von Quito gesammelt haben. Wie lässt sich nun eine Wanderung der Pflanzen erklären, zumal durch Gegenden, die ein ganz verschiedenes Klima haben, oder heut zu Tage gar vom Weltmeer überdeckt sind? Wie haben die Keime organischer Wesen, die im Aeussern, und sogar ihrem innern Bau nach, einander so ähnlich sind, in verschiedenen Breiten- und Höhengraden sich überall da entwickeln können, wo in ganz entlegenen Gegenden nur einige Aehnlichkeit in der Temperatur zu finden war? Wenn auch der Druck der Luft, und die grössere oder geringere Abnahme des Lichts auf das Leben der Pflanzen einwirken, so ist doch die Wärme und deren ungleiche Vertheilung in den verschiedenen Jahreszeiten als das Hauptreizmittel für die Vegetation anzusehen. Die Anzahl der gleichen Arten in der alten und neuen Welt, und in den beiden Hemisphären ist bei weitem nicht so groß, als man nach den Angaben der ersten Reisenden geglaubt hatte. Es ist kein Zweifel, daß in den Aequinoctialgegenden von Amerika auf hohen Gebirgen Wegerich, Valerianen, Arenarien, Ranunkeln, Mispeln, Eichen und Fichten vorkommen, die man ihrer Physionomie nach, mit unsern europäischen Arten verwechseln könnte; allein alle diese sind specifisch von den unsrigen verschieden. Liefert die Natur auch nicht immer einerlei Arten, so liebt sie doch die Wiederholung der Gattung. Nahe verwandte Arten stehen in den niedern Gegenden der gemässigten Zone und in der Alpen-Region unter dem Aequator oft in ungeheuer weiten Entfernungen auseinander; ein andermal sind es kaum Arten von unsern europäischen Gattungen, die als Colonisten die Gebirge in der heissen Zone bevölkert haben, sondern blosse in ihren Aeussern schwer zu unterscheidende Stammverwandte, die in verschiedenen Breitengraden einander ablösen. Die Gebirge von Neu-Granada um Bogota sind von der Silla, einem hohen Bergkegel bei Caracas über 200 Stunden entfernt, und dennoch haben beide jene seltene Gruppe von Befaria mit purpurrothen Blumen, von Andromeda, Gaultheria, Myrtillen, von Nertera und Amalien mit einander gemein. Nun hängt zwar die Gebirgskette von Caracas mit den hohen Cordilleren von Santa-Fe zusammen, allein die Gebirge in dieser Kette sind auf eine Strecke von 70 Stunden so niedrig, daß alle diese Gesträuche nicht das kalte Klima fänden, das zu ihrer Entwickelung nothwendig wäre, um ihre Wanderung darüber fortzusetzen. Je genauer man die Vertheilung der organisirten Wesen auf unserer Erde studirt, desto mehr wird man geneigt, alle jene Ideen von Wanderung, wo nicht außugeben, doch wenigstens nicht ferner als ganz befriedigende Hypothesen anzusehen. Die Andeskette theilt ganz Südamerika der Länge nach in zwei Hälften. Am Fuß dieser Kette findet man auf der östlichen und westlichen Seite eine grosse Anzahl gleicher Pflanzenarten, die aus den heissen Gegenden an der Südsee unmöglich durch die Engpässe der Cordilleren an die Ufer des Amazonenstromes gelangen können. Wenn ein Bergkegel, entweder mitten in der Ebene und auf ganz niedern Bergen, oder im Mittelpunct einer durch unterirdische Feuer entstandenen Insel-Gruppe, eine bedeutende Höhe erreicht, so bildet sich auf seinem Haupt ein Kranz von Alpenblumen, wovon mehrere in unermesslicher Entfernung auf andern Bergen, die ein ähnliches Klima haben, sich wieder finden. Dieß sind die allgemeinen Erscheinungen über die Vertheilung der Pflanzen, die die Naturforscher nicht genug studiren können. Weit entfernt bei diesem Angriff auf Hypothesen, an deren Aufstellung man zu leicht gegangen ist, andere vielleicht befriedigendere an ihre Stelle zu setzen, ist der berühmte Reisende vielmehr der Meinung, daß die Probleme, worauf es hier ankomme, gar nicht zu lösen seyen, und der Naturforscher seine Pflicht erfüllt habe, wenn er nur die Gesetze nachweise, nach denen die Natur die vegetabilen Formen auf der Erde vertheilt habe. x. Man sagt auch, ein Berg ist so hoch, daß er bis in die Region von Rododendrum und Befaria geht, wie man schon länger sagt, daß ein Berg die Schneelinie erreicht. Bei diesen Ausdrücken scheint man stillschweigend vorauszusetzen, daß unter dem Einflusse gewisser Temperaturen, gewisse Pflanzenformen sich nothwendig entwickeln müssten. Diese Voraussetzung leidet aber keine ganz allgemeine Anwendung. Der Bergkegel Silla in Caracas hat nicht dieselben Eichen, die in Neu-Granada in gleicher Höhe vorkommen. Gleichheit der Formen verräth eine Aehnlichkeit im Klima; aber unter einem ganzen ähnlichen Klima können auffallend verschiedene Arten vorkommen.