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Alexander von Humboldt: „Alex. v. Humboldt’s neueste Ansicht von der Wanderung der Pflanzen“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1818-Alex_v_Humboldts-1> [abgerufen am 23.04.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1818-Alex_v_Humboldts-1
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Titel Alex. v. Humboldt’s neueste Ansicht von der Wanderung der Pflanzen
Jahr 1818
Ort Regensburg
Nachweis
in: Flora oder Botanische Zeitung welche Recensionen, Abhandlungen, Aufsätze, Neuigkeiten und Nachrichten, die Botanik betreffend, enthält 1 (1818), S. 122–126.
Entsprechungen in Buchwerken
Alexander von Humboldt, Relation historique du Voyage aux Régions équinoxiales du Nouveau Continent, 3 Bände, Paris: F. Schoell 1814[–1817], N. Maze 1819[–1821], J. Smith et Gide Fils 1825[–1831], Band 1, S. 600–603.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua (mit lang-s); Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: III.45
Dateiname: 1818-Alex_v_Humboldts-1
Statistiken
Seitenanzahl: 5
Zeichenanzahl: 6354

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Alex. v. Humboldt’s neueste Ansichtvon der Wanderung der Pflanzen —ausgezogen aus dessen Relation hi-storique du voyage etc. 1er Vol.Paris. 4. p. 600. sq.

Wenn auch die Natur in Gegenden, von ei-nerlei Klima, seyen es nun Ebenen, die eine glei-che mittlere Wärme haben, oder Berge, wo dieTemperatur sich den Polargegenden nähert, nichtimmer dieselben Pflanzenarten hervorbringt, sozeigt sich doch in der Vegetation der entfernte-sten Länder eine auffallende Aehnlichkeit. Dießist eine der interessantesten Erscheinungen inder Geschichte der organischen Welt, und ob-schon die Vernunft gegen alle Hypothesen überden Ursprung der Dinge gar manches einzuwen-den hätte, so können wir diese Aufgabe überdie Vertheilung der Wesen auf Erden, sollte sieauch nicht zu lösen seyn, doch nicht ganz vonder Hand weisen. So kömmt eine Grasart, diein der Schweiz wächst (Phleum alpinum), aufden Granitfelsen der Magellanischen Meerengevor. Neuholland hat über 40 von unsern euro-päischen Phanerogamen-Pflanzen, und eineMenge gleicher Gewächse, die in den gemässig-ten Zonen der beiden Hemisphären zu findensind, fehlen gänzlich, auf den Bergen sowohl,als in den Ebenen, aller darzwischen liegendenAequinoctialländer. Viola cheiranthifolia, die |123| hoch oben auf dem Vulkan von Teneriffa an deräussersten Gränze der Phanerogamen, und, wieman lange geglaubt hat, dort ausschliessend vor-kömmt, findet sich auf einmal 300 Stunden wei-ter nördlich auf den Pyreneen, ganz nahe an derGränze des ewigen Schnees. Die Gramineenund Cyperaceen, die in Teutschland, Arabienund am Senegal zu Hause sind, ſanden sich un-ter den Pflanzen, die Humbold und Bon-pland auf den ebenen Bergrücken in Mexico, anden heissen Ufern des Orenoko und in der süd-lichen Hälfte auf den Bergrücken von Quito ge-sammelt haben. Wie lässt sich nun eine Wan-derung der Pflanzen erklären, zumal durch Ge-genden, die ein ganz verschiedenes Klima ha-ben, oder heut zu Tage gar vom Weltmeer über-deckt sind? Wie haben die Keime organischerWesen, die im Aeussern, und sogar ihrem innernBau nach, einander so ähnlich sind, in verschie-denen Breiten- und Höhengraden sich überall daentwickeln können, wo in ganz entlegenen Ge-genden nur einige Aehnlichkeit in der Tempera-tur zu finden war? Wenn auch der Druck derLuft, und die grössere oder geringere Abnahmedes Lichts auf das Leben der Pflanzen einwir-ken, so ist doch die Wärme und deren unglei-che Vertheilung in den verschiedenen Jahreszei-ten als das Hauptreizmittel für die Vegetationanzusehen. |124| Die Anzahl der gleichen Arten in der altenund neuen Welt, und in den beiden Hemisphä-ren ist bei weitem nicht so groß, als man nachden Angaben der ersten Reisenden geglaubt hatte.Es ist kein Zweifel, daß in den Aequinoctialge-genden von Amerika auf hohen Gebirgen Wege-rich, Valerianen, Arenarien, Ranun-keln, Mispeln, Eichen und Fichten vor-kommen, die man ihrer Physionomie nach, mitunsern europäischen Arten verwechseln könnte;allein alle diese sind specifisch von den unsrigenverschieden. Liefert die Natur auch nicht immereinerlei Arten, so liebt sie doch die Wiederho-lung der Gattung. Nahe verwandte Arten stehenin den niedern Gegenden der gemässigten Zoneund in der Alpen-Region unter dem Aequatoroft in ungeheuer weiten Entfernungen auseinan-der; ein andermal sind es kaum Arten von un-sern europäischen Gattungen, die als Colonistendie Gebirge in der heissen Zone bevölkert ha-ben, sondern blosse in ihren Aeussern schwerzu unterscheidende Stammverwandte, die in ver-schiedenen Breitengraden einander ablösen. Die Gebirge von Neu-Granada um Bogotasind von der Silla, einem hohen Bergkegel beiCaracas über 200 Stunden entfernt, und dennochhaben beide jene seltene Gruppe von Befaria mit purpurrothen Blumen, von Andromeda,Gaultheria, Myrtillen, von Nertera und |125| Amalien mit einander gemein. Nun hängt zwardie Gebirgskette von Caracas mit den hohen Cor-dilleren von Santa-Fé zusammen, allein die Ge-birge in dieser Kette sind auf eine Strecke von70 Stunden so niedrig, daß alle diese Gesträu-che nicht das kalte Klima fänden, das zu ihrerEntwickelung nothwendig wäre, um ihre Wande-rung darüber fortzusetzen. Je genauer man die Vertheilung der organi-sirten Wesen auf unserer Erde studirt, destomehr wird man geneigt, alle jene Ideen vonWanderung, wo nicht auſzugeben, doch wenig-stens nicht ferner als ganz befriedigende Hypo-thesen anzusehen. Die Andeskette theilt ganzSüdamerika der Länge nach in zwei Hälften. AmFuß dieser Kette findet man auf der östlichenund westlichen Seite eine grosse Anzahl gleicherPflanzenarten, die aus den heissen Gegenden ander Südsee unmöglich durch die Engpässe derCordilleren an die Ufer des Amazonenstromes ge-langen können. Wenn ein Bergkegel, entwedermitten in der Ebene und auf ganz niedern Ber-gen, oder im Mittelpunct einer durch unterirdi-sche Feuer entstandenen Insel-Gruppe, eine be-deutende Höhe *) erreicht, so bildet sich auf
*) Man sagt auch, ein Berg ist so hoch, daß er bis in dieRegion von Rododendrum und Befaria geht, wie manschon länger sagt, daß ein Berg die Schneelinie erreicht.Bei diesen Ausdrücken scheint man stillschweigend vor-
|126| seinem Haupt ein Kranz von Alpenblumen, wo-von mehrere in unermesslicher Entfernung aufandern Bergen, die ein ähnliches Klima haben,sich wieder finden. Dieß sind die allgemeinenErscheinungen über die Vertheilung der Pflan-zen, die die Naturforscher nicht genug studirenkönnen. Weit entfernt bei diesem Angriff aufHypothesen, an deren Aufstellung man zu leichtgegangen ist, andere vielleicht befriedigenderean ihre Stelle zu setzen, ist der berühmte Rei-sende vielmehr der Meinung, daß die Probleme,worauf es hier ankomme, gar nicht zu lösenseyen, und der Naturforscher seine Pflicht er-füllt habe, wenn er nur die Gesetze nachweise,nach denen die Natur die vegetabilen Formenauf der Erde vertheilt habe. x.

auszusetzen, daß unter dem Einflusse gewisser Tempera-turen, gewisse Pflanzenformen sich nothwendig entwickelnmüssten. Diese Voraussetzung leidet aber keine ganzallgemeine Anwendung. Der Bergkegel Silla in Caracashat nicht dieselben Eichen, die in Neu-Granada in glei-cher Höhe vorkommen. Gleichheit der Formen verrätheine Aehnlichkeit im Klima; aber unter einem ganzen ähn-lichen Klima können auffallend verschiedene Arten vor-kommen.