Pflanzenbilder von Alexander von Humboldt. Die Orchiden-Familie. Die Monocotyledonen oder die nur mit einem Saamenlappen keimenden Pflanzen, bieten in Hinſicht ſowol der Schönheit ihrer Formen, als der Verſchiedenheit ihrer Farben, die größte Mannigfaltigkeit dar. In der Familie der Orchiden zeigt ſich die Blumendecke, welche bey den Gräſern, den Cypergräſern, bey den Familien der Junceen und der Palmen nur blaß, klein und unanſehnlich iſt, mit dem verſchiedenſten Farbenſchmelze glänzend, ſo daß ſelbſt die prachtvollen Blumen der Amaryllis, der Iris und der Bananen-Gattungen, jenen den Rang laſſen. Die Orchiden machen in der That die Hauptzierde der Pflanzenwelt in den Aequinoctial-Ländern aus; und wenn in Neu-Holland (wo ſo vieles außergewöhnlich und wunderbar erſcheint) dem Zeugniſſe Brown’s zufolge innerhalb der Tropen wenigere Pflanzen jener Familie vorkommen, als hingegen zwiſchen dem 33 und 35 Breitegrad, ſo muß auch dieß als eine Ausnahme betrachtet werden; jedoch erklärt ſich aus ihrer Vorliebe für eine feuchte und milde Atmoſphäre, warum die Epidendron-Orchiden auf der ſüdlichen Halbkugel ſo weit gegen den Südpol vorrücken, indem ſie daſelbſt zur Winterszeit eine den Bergthälern der Tropenländer ähnliche gemäßigte Lufttemperatur antreffen. Es läſſt ſich überall nicht berechnen (wie dieß auch die berühmten Verfaſſer der Flora von Peru bezeugen), welch’ eine reiche Orchiden-Ernte das milde Klima in den tiefen und ſchattigen Thälern der Andenkette künftigen Reiſenden noch aufbewahrt; denn zuverläſſig kennen wir noch kaum den zwanzigſten Theil derſelben. In ganz Europa wachſen nur 70 bis 80 Orchisarten, während in den Aequinoctial- Ländern Amerika’s, deren Bergtheile noch ſo wenig bekannt ſind, bereits 244 Arten durch Pflanzen-Forſcher beobachtet und unter dieſen 61 neue von Humboldt und Bonpland entdeckt wurden. Die bekannten Orchiden beyder Welten betragen noch keine ſiebenhundert; Willdenow hat ihrer nur 394 aufgezählt, worunter ſich 152 amerikaniſche befinden. Obgleich nun zwar die Orchidengewächſe in der alten und in der neuen Welt von den Meeresküſten an bis zur Höhe von 1800 oder 1900 Klaftern zerſtreut vorkommen, ſo läſſt ſich dennoch behaupten, daß durch die Menge ihrer Arten, durch Farbenzeichnung und Wohlgeruch, durch Blättermenge und Farbenglanz, die Schlünde des Andengebirgs von Mexico, Neu-Granada, Quito und Peru, ihr eigentliches Vaterland genennt werden mögen, worin ſie im feuchten Schatten, bey milder Luft, zwiſchen 800 und 1100 Klaftern Höhe, bey einer mittlern Jahreswärme von 19 bis 17 Graden am beſten gedeihen. Die Orchisarten mit ſpornförmigen Blüthen, kommen in der heißen Zone faſt gar nicht vor, und mit wenigen Ausnahmen ſind ihre Formen in der gemäßigten und kalten Zone weſentlich verſchieden, ſo daß auf der nördlichen Halbkugel die Gattungen der Orchis, Habenaria, Cypripedium, Ophrys, Serapias, Epipactes u. ſ. w.; auf der ſüdlichen aber jene der Satyrium, Pteripodium, Disperis, Corycium, Stilidium, Disa, Pterostylis, Acianthus u. ſ. w. wachſen. Die Orchiden der Aequinoctial-Länder gehören großentheils der Epidendron-Gattung an; ſie unterſcheiden ſich durch ein fremdartiges Anſehen und insbeſondere auch dadurch von den Orchiden der gemäßigten und kalten Erdſtriche, daß jene faſt immer geſellig und auf Bäumen wachſen, während dieſe vereinzelt der Erde entkeimen. Sehr wenige Arten, welche (wenn ich mich ſo ausdrücken darf) die Phyſiognomie des Nordens an ſich tragen, wie die Ophrys, Habenaria, Altensteinia, kommen in den Tropen vor, und nicht blos auf dem Rücken der höchſten Berge, ſondern bisweilen auch in den Ebnen. Die gemäßigte Zone beyder großen Feſtlande beſitzt nicht mehr als vier Arten gemeinſam; dieſe ſind: Satyrium viride, Orchis hyperborea, Neottia repens, N. tortilis. Merkwürdig iſt die Beobachtung, daß das auf den Bergen von Jamaica und in den Wäldern von Guiana wachſende Dendrobium polystachion auch auf der Inſel St. Maurice angetroffen wird. (Schwartz flor. Ind. occ. T. 3, p. 1433.) Ob es jedoch wirklich die gleiche Art iſt, darf allerdings noch bezweifelt werden. Die meiſten Orchiden der heißen Zone enthalten in ihren Wurzelknollen eine weiſſe, mehlartige Subſtanz, die auch nicht ſelten nährende Eigenſchaften beſitzt; einige, wie die Pleurothallis sagittifora, enthalten in ihren Knollen einen zähen Saft, der als Tiſchlerleim gebraucht wird. Ueberhaupt beſitzen die Monocotyledonen-Gewächſe einen Ueberfluß von Stärkemehl (amylum) theils in den Früchten (die Gräſer, die unreifen Früchte der Musa, die Palma Pihiguae, ) theils im Stamme (Sagus, Mauritia,) theils in den Wurzeln (die Arums, Orchiden, die Familien der Lilien und Dioscoreen, Maranta indica. ) Zucker hingegen enthalten die Säfte der Gräſer, der Agaven, die Arengpalme, die reifen Früchte des Piſang. Daß in der gleichen Pflanze und oft auch in den gleichen Theilen derſelben, Stärkemehl und Zucker zugleich vorkommen, wird um ſo weniger auffallend erſcheinen, wenn man ſich erinnert, daß die neuern Scheidekünſtler in beiden ungefähr die gleichen Verhältniſſe von Sauerſtoff, Waſſerſtoff und Kohlenſtoff antrafen, und daß aus der keimenden Gerſte das ſüße Bier hervorgeht. Die Verwandlung des Stärkemehls in Zucker ſcheinen die Alten ſchon geahnet zu haben; es erzählt nämlich unter andern Prosper Alpin: der Piſang (Musa paradisiaca) ſey aus dem der Colocaſien-Wurzel eingepropften Zuckerrohr entſproſſen; und gleichmäßig verſichert Abd- Allatif, wenn ein Dattelkern in einer Kolokaſienwurzel keime, ſo entwickle ſich eine Piſangpflanze. Der klebrige Saft, den die Natur in den Wurzelknollen der Orchiden abſondert, iſt von dem wahren Kleber des Getreides verſchieden, wie von dieſem hinwieder der klebrige Saft verſchieden iſt, welcher aus Vogelleimbeeren und der Rinde der Stechpalme bereitet wird. Ein nervenreizendes Aroma findet ſich in den Lilien-Asphodelus- und Narziſſen-Blüthen, in der Narbe des Crocus, in den Früchten der Vanille und des Cardamomum, in den Wurzeln der Canna-Arten und in der ganzen Familie der Peperomien. Säuren, Bitterſtoff, Harze, Kampher, Gifte, Gerbſtoff und Pflanzenmilch, kommen unter den Monocotyledonen-Gewächſen höchſt ſelten oder gar nicht vor (Giftig ſind nur die Colchica und einige Amaryllisarten; als Gegengift dient allein der Saft der Palme, die Humboldt Kunthia nannte; Bitterſtoff enthalten die Smilar und Scilla-Arten; Gummiharz findet ſich in der Aloe.) Ein noch nicht gehörig ergründetes adſtringirendes Prinzip liegt in der Dracæna Draco und in der Agave verborgen, deren Saft als Aetzmittel bey Wunden gebraucht wird. Es iſt unbegreiflich, wie der berühmte Fourcroy den Monocotyledonen das fette Oel überall abſprechen konnte, da doch die Cocospalme in den Tropenländern zu gleichem Behuf wie unſere Olive gepflanzt wird. Decandolle (essai sur les propr. medicales des plantes, 1816, p. 354. 356) hat bereits ſcharfſinnig bemerkt, daß in den Monocotyledonen, weil ihre zurückführenden Saftgefäße durch den ganzen Stamm zertheilt ſind und nicht in eine Rindemaſſe verwachſen, ungefähr alles dasjenige fehlt, was, als der Rindeſubſtanz eigenthümlich, in den Pflanzen die mit zwey Saamenlappen keimen (Dicotyledonen) angetroffen, was hinwieder auch durch Knight’s Verſuche (Phil. Trans. 1801. p. 337) unzweydeutig dargethan wird.