Hr. von Humboldt liest eine merkwürdige Denkschrift über die Linien gleichartiger Wärme (lignes isothermes). Die mittlere Wärme oder die Mittel- Temperaturen des Jahres zeigen den Wärmegrad an, welcher den verschiedenen Gegenden der Erde eigenthümlich seyn würde, wenn die ungleiche Menge der Wärme, die sich in verschiedenen Jahrszeiten und in verschiedenen Stunden den Tag und die Nacht über entwickelt, gleichmäßig im Verlauf eines Jahres vertheilt seyn würde. Seit den neuesten Untersuchungen, welche über die Wärme im Innern der Erde, unter verschiedenen Breitegraden und in verschiedenen Höhen angestellt wurden, kann man die mittleren Temperaturen der untern Schichten der Atmosphäre und jene der Steinrinde des Erdballs, an einem gegebenen Orte, nicht mehr als identisch betrachten. Auch die oft wiederholte Behauptung, daß die mittleren Wärmegrade durch eine einzige Zahl das Klima der verschiedenen Breitegrade bezeichnen, ist nicht ganz richtig. Um das Klima eines Ortes zu kennen, muß man wissen, wie die Wärme in die verschiedenen Jahreszeiten vertheilt ist, und zwey Orte, zum Beyspiel Mailand und Pekin, deren mittlere Temperatur (von 13° des 100° Wärmemessers) die nämliche ist, können, das erste einen Winter von +2°, 4, und einen Sommer von 22° 8; das zweyte einen Winter von --3° und einen Sommer von 28° haben. Richtig ist es, daß überall, wo die mittlere Jahrestemperatur auf 15° ansteigt, die mittlere winterliche Temperatur auch nicht mehr unter Null herabsinkt. Bringt man nun mittelst einer krummen Linie (courbe isotherme) diejenigen Orte in Verbindung, deren mittlere Jahrestemperatur die gleiche ist, so ersieht man, daß die Vertheilung der Wärme zwischen Sommer und Winter in einem bestimmten Gleichmaße (proportion fixe) statt findet, das will sagen, daß die Verschiedenheiten gewisse Grenzen nicht überschreiten. Immerhin sind sie jedoch groß genug, um einen bedeutenden Einfluß auf den Anbau der dem Menschen nützlichen Pflanzen auszuüben. Will man das für den Weinbau geeignete Klima (climat de vigne) bezeichnen, so genügt es nicht zu sagen: die Temperatur des Jahres müsse über 8°,7 oder 9° betragen: man muß hinzufügen, um trinkbaren Wein zu erhalten, müsse der Winter nicht unter +1°, und der Sommer nicht unter 18°,5 bis 19° betragen. Im Neuen Festlande aber (in den vereinten Staaten), steht die Temperatur des Winters unter Null, wo die mittlere Jahresremperatur nicht über 9° ansteigt. Auf der Isothermlinie von 9°, sinkt der Wärmemesser im System des transatlantischen Klima's nicht selten bis zu 18° unter Null. Die mittlere Temperatur eines Tages, im mathematischen Sinne des Ausdrucks, ist der Durchschnitt sämmtlicher Temperaturen oder des Wärmegrades aller Augenblicke, aus denen der Tag besteht. Setzt man die Dauer dieser Augenblicke auf Minuten fest, so müsste man die Summe der 1440 (oder 24 Mal 60) thermometrischer von Minute zu Minute angestellter Beobachtungen mit 1440 dividiren, um dadurch die gewünschte Zahl zu erhalten: der Gesammtbetrag aller dieser partiellen Resultate, mit 365 dividirt, würde alsdann die mittlere Jahrestemperatur liefern. Weil die Extreme der thermometrischen Abweichung während eines Tages überhaupt sich einander sehr annähern, so leuchtet von selbst ein, daß die gleichen Wärmegrade einer großen Zahl Augenblicke gemeinsam zugehören; so daß jeder Wärmegrad, auf den gesuchten Durchschnitt, im Doppelverhältniß seines Betrages und seiner Dauer einwirkt. Nimmt man hierauf bey den Durchschnittberechnungen Rücksicht, so lassen sich genaue Resultate erhalten, wenn gleich die Zwischenräume der einzelnen Beobachtungen viel größer sind, als oben angenommen ward. Bey Berechnung einer großen Zahl zwischen dem 46sten und 48sten Breitegrad angestellter Beobachtungen fand Hr. von Humboldt, daß der Zeitpunkt des Sonnenuntergangs eine mittlere Temperatur darbietet, welche nur um etliche Zehnttheile eines Grades von derjenigen abweicht, die aus den Beobachtungen der höchsten und niedrigsten Temperatur jedes Tages (um 2 Uhr Nachmittags und bey Sonnenaufgang) berechnet ward. Und vorher hatte er gefunden, daß die halbirte Temperatur der höchsten und niedrigsten Temperatur jedes Tages, überhaupt nur um etliche Zehnttheile eines Grades von der strengen Durchschnittstemperatur abweicht und solche ersetzen kann. Weil Reisende nur selten Gelegenheit haben, an den Orten, wo sie sich aufhalten, eine hinlängliche Anzahl von Beobachtungen für die Ausmittlung der Durchschnittstemperatur des Jahres sammeln zu können, so war es wünschenswerth, die Monate kennen zu lernen, welche jene unmittelbar liefern können. Aus nachstehenden Angaben mag man abnehmen, daß, bis zu sehr hohen Breitegraden hinan, die Monate April und Oktober, vorzüglich aber der letztere diese Eigenschaft besitzen. Mittlere Temperatur. Orte. des Jahres. des Oktobers. des Aprils. Cairo. 22°,4. 22°,4. 25°,5. Algier. 21,0. 22,3. 17,0. Rom. 15,8. 16,7. 13,0. Mailand 13,2. 14,5. 13,1. Philadelphia 11,9. 12,2. 12,0. New-York 12,1. 12,5. 9,5. London 11,0. 11,3. 9,9. Paris 10,6. 10,7. 9,0. Genf 9,6. 9,6. 7,6. Edinburg 8,8. 9,0. 8,3. Göttingen 8,3. 8,4. 6,9. Copenhagen 7,6. 9,3. 5,0. Stockholm 5,7. 5,8. 3,6. Upsal 5,4. 6,3. 4,3. Petersburg 3,8. 3,9. 2,8. Abo 5,2. 5,0. 4,9. Cap-Nord 0,0. 0,0. --1,0. Die Durchschnitts-Temperaturen der Jahrgänge sind gar viel gleichförmiger als man, nach sinnlichem Gefühl und nach dem verschiedenen Ertrag der Ernten, anzunehmen versucht seyn könnte. Die größten Abweichungen erreichen kaum 2° des 100° Wärmemessers. Zu Paris fand man für die Jahre 1803 bis 1816 einschließlich, folgende Angaben der mittleren Jahreswärme: +10°,6.. 11°,1..9°,7.. 11°,9.. 10°,8.. 10°,3. 10°,5. 10°,5.. 11°,5.. 9°,9.. 9°,9.. 9°,7.. 10°,5.. 9°,4. In Genf ergaben sich für die Jahre 1803 bis 1815 einschließlich folgende Resultate: +10°,2..10°,6..8°,8..10°,8.. 9°,6.. 8°,3.. 9°,4. 10°,6.. 10°,9..8°,8.. 9°,2..9°,0..10°,0. Die Abweichungen der Mitteltemperatur betragen für den Monat Jenner 7°; für den Monat August erreichen sie nur selten 4°. Durch die Isotherm-Linien werden die Orte der Erdkugel in Verbindung gebracht, welche gleiche mittlere Temperatur, in dem bisher erklärten Sinne des Ausdrucks haben, oder mit andern Worten, es werden jene Linien durch diejenigen Orte des Erdballs gezogen, deren Durchschnitt-Temperatur dem Nullgrad, 5°, 10° oder 15° u. s. w. am nächsten kömmt. Die Isotherm-Binde (bande isotherme) von 5° z. B. nimmt ihren Weg 0°,5 nördlich von Quebek; 1° nördlich von Christiania; 0°,5 nördlich von Upsal; durch Petersburg und Moskau. Hinwieder die Isotherm-Binde von 15° nimmt ihren Weg 4°,5 nördlich von Natchez; durch Montpellier; 1° nördlich von Rom, und 1°,5 nördlich von Nangasacki. Der Gebrauch dieser bildlichen Mittel, bemerkt Hr. von Humboldt, wird einst große Aufschlüsse über Erscheinungen an die Hand bieten, welche für die Landwirthschaft und die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen ausnehmend wichtig sind. Würden wir, statt der Landcharten, nur Netze haben, welche die Orte nach Breite-, Länge- und Höhe-Graden geordnet anzeigen, so wären uns eine Menge merkwürdiger Verhältnisse der Festlande, die auf ihrer Gestaltung und der Ungleichheiten ihrer Oberfläche beruhen, völlig unbekannt geblieben. (Beschluß.) Die Isothermlinien weichen von den Parallelkreisen der Erde sehr bedeutend ab. Ihre Gipfel, die in Europa convex erscheinen, befinden sich fast auf dem nämlichen Meridian. Von diesen Punkten nach West hin, senken sich diese Linien dem Equator zu, mit dem sie, von den atlantischen Küsten der neuen Welt bis östlich von Missisipi und Missouri, ungefähr wagerecht laufen; unbezweifelt erheben sie sich wieder jenseits der Felsengebirge auf den gegenüber gelegenen Küsten Asiens, zwischen dem 35sten und 55sten Breitegrad. Auch weiß man, daß der Olivenbaum dem Kanal von Santa-Barbara entlang in Neu-Californien mit Erfolg gepflanzt wird, und daß in Noutka, beynahe in der gleichen Breite mit Labrador, auch die kleinsten Bäche vor dem Monat Jenner nicht gefrieren. Wollte man, statt der Linien gleicher Durchschnittwärme (isothermes) die Linien gleicher Wintertemperatur (lignes isochimenes) auf einer Charte zeichnen, so würde man alsbald wahrnehmen, daß die letztern von den Parallelkreisen der Erdkugel noch viel mehr abweichen, als die erstern. Im System der europäischen Klimate, sagt Hr. von Humboldt, können die geographischen Breiten zweyer Orte, welche gleiche jährliche Temperatur haben, nicht über 4 bis 5 Grade von einander abweichen; dahingegen zwey Orte, deren mittlere Wintertemperatur die nämliche ist, um 9 bis 10 Grad geographischer Breite von einander verschieden seyn können; je weiter man ostwärts vorrückt, desto schneller zeigt sich das Wachsthum dieser Verschiedenheiten. Die Krümmungen der Linien gleichartiger Sommerwärme (courbes isotheres) sind sehr verschieden von den Krümmungen der Wintertemperatur-Linien (courbes isochimenes). Man trifft die gleiche Sommertemperatur in Moskau, mitten in Rußland, und an der Mündung der Loire, des Unterschiedes von 11 Breitegraden unerachtet, an. Man versteht übrigens bey diesen Berechnungen, unter dem Namen Winter, den ganzen Christmonat mit den zwey darauf folgenden Monaten, so wie hinwieder der Brachmonat, Heumonat und August den Sommer ausmachen.