Über Amerika und deſſen eingeborne Völkerſtämme. (Aus Alexanders von Humboldt Einleitung zu dem pittoresken Atlas ſeiner Reiſe überſetzt.) Ich wollte die noch vorhandenen Denkmahle des Urſprungs und der früheſten Künſte unter den eingebornen amerikaniſchen Völkern zuſammenſtellen. Man iſt erſtaunt, in einer Welt, die wir die neue nennen, am Schluſſe des fünfzehnten Jahrhunderts eben jene alterthümlichen Einrichtungen, jene Religionsbegriffe und Architecturformen anzutreffen, welche in Aſien den früheſten Zeiten der Civiliſation anzugehören ſcheinen. Es verhält ſich mit den Charakterzügen der Völker, wie mit dem inneren Bau der über dem Erdball verbreiteten Pflanzen. Das Gepräge der urſprünglichen Bildung bleibt der mannigfachen Eindrücke ungeachtet, welche Klima, Boden und andere Zufälligkeiten mehr hervor brachten, überall unverkennbar. In dem erſten Zeitraume nach der Entdeckung von Amerika war die Aufmerkſamkeit der Europäer vorzugsweiſe auf die gigantiſchen Gebäudemaſſen von Couzco , auf die Heerſtraßen mitten durch die Cordilleren, auf die ſtufenförmig anſteigenden Pyramiden, auf den Gottesdienſt und die ſymboliſchen Schriften der Mexikaner gerichtet. Verſchiedene Landſchaften von Mexiko und Peru wurden damahls eben ſo häufig beſchrieben, wie in unſeren Tagen die Gegend von Port Jackſon in Neu-Holland, oder die Inſel Otahiti. Man muß ſelbſt an Ort und Stelle geweſen ſeyn, um die edle Einfalt, und den Charakter von Treue und Wahrheit der Schilderungen jener früheſten ſpaniſchen Reiſenden ſattſam zu würdigen, und beym Leſen ihrer Werke bedauert man nur den Mangel von Abbildungen, die uns genügendere Begriffe von ſo vielen, theils durch Fanatismus vertilgten, theils durch ſtrafbare Sorgloſigkeit zerfallenen Denkmahlen mittheilen könnten. Der Eifer für dieſe amerikaniſchen Forſchungen vermindert ſich ſeit Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts; die ſpaniſchen Colonien, in deren Umfang allein civiliſirte Völker gewohnt hatten, blieben für Ausländer verſchloſſen; und als neuerlich in Italien der Abbe Clavigero ſein Werk über die ältere mexicaniſche Geſchichte bekannt machte, wurden viele Thatſachen in Zweifel gezogen, die früher durch zahlreiche, und oft nichts weniger als einander befreundete Augenzeugen waren beſtätigt worden. Berühmte Schriftſteller, die ſich an der Harmonie der Natur weniger als an ihren Contraſten vergnügen, haben ſich bemüht, ganz Amerika als ein großes Sumpfland darzuſtellen, welches der Fortpflanzung der Thiergattungen ungünſtig, ſeit Kurzem erſt durch ſolche Menſchenſtamme bevölkert ward, deren Cultur jene der Südſee-Inſulaner nicht übertraf. Ein unbeſchränkter Skepticism hatte aus den hiſtoriſchen Unterſuchungen über die Amerikaner die geſunde Vernunft verdrängt. Die Erfindungen eines Solis und etlicher anderer Reiſebeſchreiber, welche Europa nie verlaſſen hatten, wurden mit den treuen und einfachen Erzählungen der früheſten Beſucher des neu entdeckten Welttheils zuſammen geworfen; und man hielt es für die Pflicht des philoſophiſchen Geſchichtſchreibers, voraus alles das zu läugnen, was die Miſſionäre beobachtet hatten. Seit dem Ende des abgefloſſenen Jahrhunderts trat eine glückliche Änderung ein, in Bezug auf das Urtheil über die Civiliſation der Völker, und über die Urſachen, welche ihre Fortſchritte abwechſelnd befördern und hemmen. Wir lernten Nationen kennen, deren Sitten, Einrichtungen und Künſte, von denen der Griechen und Römer beynahe eben ſo verſchieden ſind, als die urſprünglichen Geſtalten verſchwundener Thierarten von jenen abweichen, mit welchen ſich gegenwärtig die Naturbeſchreiber beſchäftigen. Die Geſellſchaft von Calcutta hatte ein helles Licht über die Geſchichte der aſiatiſchen Völker verbreitet. Die Denkmahle Ägyptens wurden neuerlich theils mit bewundernswerther Genauigkeit beſchrieben, theils mit denjenigen der entfernteſten Länder verglichen, und meine Unterſuchungen über die einheimiſchen Völker Amerika’s erſcheinen in einem Zeitpuncte, wo, was ſich dem Style und der Gattung nicht annähert, worin die Griechen unerreichbare Muſter zurück ließen, darum nicht minder aller Aufmerkſamkeit werth geachtet wird. Mein Beſtreben ging dahin, in der Beſchreibung der hiſtoriſchen Denkmahle Amerika’s das richtige Mittel zwiſchen zwey- Pfaden zu beobachten, welche abwechſelnd von ſolchen Gelehrten eingeſchlagen wurden, die ſich mit Unterſuchungen über Denkmahle, Sprachen und Völkerſchaften beſchäftigt haben. Die einen, indem ſie glänzende, aber auf ſchwankenden Grundlagen ruhende Hypotheſen verfolgten, haben aus einer kleinen Zahl vereinzelter Thatſachen allgemeine Folgerungen gezogen. Sie fanden in Amerika chineſiſche und ägyptiſche Colonien, celtiſche Dialekte, und das Alphabet der Phönizier. Während wir über den aſiatiſchen Urſprung der Osken, Gothen und Celten noch ungewiß ſind, wollte man über die Abkunft aller Völkerſtämme der neuen Welt entſcheidend abſprechen. Andere Schriftſteller hinwieder häuften Materialien an, ohne ſich je zu allgemeinen Begriffen zu erheben; ein Verfahren, wovon die Völkergeſchichte eben ſo wenig Vortheil ziehen kann, als die verſchiedenen Zweige der Naturwiſſenſchaften. Ich würde mich glücklich ſchätzen, wenn man finden ſollte, daß ich beyde Klippen gleichmäßig zu vermeiden gewußt habe. Eine kleine Zahl weit von einander entlegener Völkerſchaften, die Hetrusker, Ägypter, Tibetaner, und Azteken zeigen auffallende Ähnlichkeiten in ihren Gebäuden, in ihren religiöſen Anſtalten, in ihrer Jahreseintheilung, in ihren wiederkehrenden Zeitperioden, und in ihren myſtiſchen Vorſtellungen. Der Geſchichtſchreiber darf dieſe Ähnlichkeiten nicht unbeachtet laſſen, deren Erklärung gerade eben ſo ſchwierig iſt, als jene der Verwandtſchaften zwiſchen dem Sanskrit, den perſiſchen, griechiſchen, und germaniſchen Sprachformen; aber indem man ſich zu allgemeinen Begriffen erhebt, muß man da ſtehen zu bleiben wiſſen, wo ſichere Thatſachen uns verlaſſen. Dieſen Grundſätzen gemäß will ich die Reſultate darzuſtellen verſuchen, die aus den Angaben hervorgehen, welche ich mir bis dahin über die einheimiſchen Völkerſchaften Amerika’s ſammelte. Eine aufmerkſame Prüfung der geologiſchen Verhältniſſe der neuen Welt, und die Betrachtung des Gleichgewichts der über die Erdoberfläche verbreiteten Flüſſigkeiten erlauben uns nicht anzunehmen, daß beyde, der neue und der alte Continent zu verſchiedenen Zeiten dem Waſſer entſtiegen ſeyn ſollten. Auf beyden Halbkugeln nimmt man die gleiche Reihenfolge über einander liegender Steinſchichten wahr, und vermuthlich ſind auch die verſchiedenen Granit- Gyps- und Sandſteinformationen in den Gebirgen von Peru zu eben der Zeit entſtanden, wo die ihnen entſprechenden Gebirgslager in den Schweitzer Alpen ihren Urſprung nahmen. Der geſammte Erdball hat, wie es ſcheint, ähnliche Kataſtrophen erlitten. Auf dem Kamme der Andes, in einer Höhe, die jene des Montblanc übertrifft, finden ſich verſteinerte Muſchelſchalen des Weltmeeres. Foſſile Elephantenknochen ſind in den Ländern um den Äquator zerſtreut, und was merkwürdig iſt, es finden ſich ſolche nicht etwa unter den Palmen in den heißen Thälern des Orenoko, ſondern auf den höchſten und kälteſten Ebenen der Cordilleren. In der neuen, wie in der alten Welt ſind ganze Schöpfungen und Gattungen organiſcher Körper zu Grunde gegangen, die Vorläufer derer, welche jetzt Erde, Luft und Waſſer bevölkern. Es ſind keine Gründe vorhanden, um anzunehmen, Amerika ſey viel ſpäter als die übrigen feſten Länder durch Menſchen bewohnt worden. Der üppige Pflanzenwuchs, die breiten Flüſſe, und die partiellen Überſchwemmungen ſind in den Tropenländern mächtige Hinderniſſe der Völkerwanderungen. Ausgedehnte Landſchaften des nördlichen Aſiens ſind eben ſo ſchwach bevölkert, wie die Grasebenen von Neu-Mexiko und Paraguay, und man darf keineswegs vorausſetzen, es müſſen die am früheſten bewohnten Länder nothwendig auch die ſtärkſte Bevölkerung haben. Die Frage über den Urſprung der Bevölkerung von Amerika kann eben ſo wenig eine dem Gebiethe der Geſchichte zugehörige Frage ſeyn, als die Fragen über den Urſprung der Pflanzen und der Thiere, und über die Vertheilung der organiſchen Keime ſolche ſind, die den Naturwiſſenſchaften angehören. Die Geſchichte, wenn ſie in die älteſten Zeiten hinauf ſteigt, zeigt uns beynahe alle Theile des Erdballs von Menſchen bewohnt, die ſich für Urvölker (aborigines) halten, weil ihnen die Abſtammung unbekannt iſt. Mitten unter mannigfaltigen Völkerſchaften, die auf einander folgten, und ſich mit einander vermiſchten, wird es unmöglich, auf eine ſichere Weiſe die Grundlage, von der zuerſt die Bevölkerung ausging, zu unterſcheiden, und die Gränze zu bezeichnen, jenſeits welcher das Reich der kosmogoniſchen Sagen gelegen iſt. Die Völker Amerika’s mit Ausnahme derer, die ſich dem Polarkreiſe nähern, gehören Alle einem einzigen Stamme an, der ſich durch Schädelbildung, Hautfarbe, ſehr geringen Bart und glatten Haarwuchs auszeichnet. Der amerikaniſche Völkerſtamm zeigt auffallende Ähnlichkeiten mit jenem der mongoliſchen Völker, welcher die vormahls unter dem Nahmen der Hunnen bekannten Abkömmlinge der Hiong-nu, die Kalkaſen, Kalmuken und Buraten in ſich begreift. Neuerliche Beobachtungen haben ſogar dargethan, daß nicht die Bewohner von Unalaska allein, ſondern auch mehrere ſüdamerikaniſche Völkerſchaften durch oſteologiſche Schädelcharaktere einen Übergang der amerikaniſchen zur mongoliſchen Race bezeichnen. Wenn einſt die braune afrikaniſche Race und jene Völkerſchwärme, welche das innere Afrika, und ſeine nordöſtlichen Länder bewohnen, und denen ſyſtematiſche Reiſebeſchreiber den ſchwankenden Nahmen der Tartaren oder Tſchauden zutheilten, beſſer gekannt ſind, ſo werden die kaukaſiſchen, mongoliſchen, amerikaniſchen, malayiſchen, und Neger-Racen minder vereinzelt da ſtehen, und man wird in dieſer großen Familie des Menſchengeſchlechts nur ein einziges Urbild erkennen, das durch Umſtände, welche uns vielleicht auf immer unbekannt bleiben, mannigfaltige Modificationen litt. Die eingebornen Völker der neuen Welt, ob ſie gleich alle durch ſehr weſentliche Charaktere einander verwandt ſind, biethen hinwieder in ihren beweglichen Zügen, in der mehr oder minder dunkeln Hautfarbe, in ihrer Geſtalt und Größe Verſchiedenheiten dar, die nicht minder auffallend als jene ſind, welche wir zwiſchen den Arabern, Perſern und Slaven vom cirkaſſiſchen Stamm wahrnehmen. Inzwiſchen zeigen die Horden, welche die brennenden Thalflächen der Äquinoctialländer durchſtreifen, keineswegs eine dunklere Hautfarbe als die Bergvölker oder die Bewohner der gemäßigten Zone; ſey es, daß beym Menſchen wie bey den meiſten Thieren ein gewiſſer Zeitpunct im Leben eintritt, über welchen hin der Einfluß von Klima und Nahrung unbedeutend, oder daß die Abweichung vom Urgepräge nur erſt nach Abfluß vieler Jahrhunderte ſpürbar iſt. Aus allem ergibt ſich jedoch, daß die Amerikaner gleich den mongoliſchen Völkerracen, eine minder biegſame Organiſation als die anderen europäiſchen und aſtatiſchen Nationen beſitzen. Die amerikaniſche Race, geringer an Zahl als alle andere, iſt hingegen auf dem größten Raume des Erdballs verbreitet. Sie dehnt ſich durch beyde Halbkugeln vom 68. nördlichen, bis zum 55. ſüdlichen Breitengrad aus. Sie iſt von allen Racen die Einzige, welche gleichzeitig in den heißen, das Weltmeer begränzenden Thalflächen, und an dem Rücken der Berge bis zu Höhen hinauf wohnt, die mehr denn 200 Klafter über den Pic von Teneriffa empor ragen. Die Zahl der Sprachen, durch welche ſich die eingebornen Völker von einander unterſcheiden, ſcheint in Amerika noch größer als in Afrika zu ſeyn, wo man doch, zu Folge der neuerlich von den Herren Seetzen und Vater angeſtellten Unterſuchungen, deren über hundert und vierzig zählt. In dieſer Hinſicht iſt ganz Amerika dem Kaukaſus, der Landſchaft Italien vor Eroberung der Römer, und Kleinaſien ähnlich, zur Zeit, wo hier auf einer Erdfläche die Cilicier von ſemitiſcher Race, die Phrygier aus thraciſchem Stamme, die Lydier und die Celten beyſammen lebten. Die Geſtaltung der Erde, die üppig wuchernde Pflanzenwelt, und die Furcht der Tropenbewohner vor der Sonnenhitze der Thäler, erſchweren gegenſeitige Mittheilungen, und befördern die erſtaunliche Mannigfaltigkeit der amerikaniſchen Mundarten. Auch iſt dieſe Verſchiedenheit minder groß in den von Jägern durchſtrichenen Grasebenen und Wäldern des Nordens, an den Ufern der großen Flüſſe längs den Küſten des Weltmeeres, und überall da, wo die Incas durch Waffengewalt ihre Theokratie hinbrachten. Wenn von mehreren hundert Sprachen auf einem feſten Lande die Rede iſt, deſſen Geſammtbevölkerung jener von Frankreich nicht gleich kommt; ſo verſteht man unter verſchiedenen Sprachen ſolche, die zu einander in dem Verhältniſſe ſtehen, wie, ich will nicht ſagen, die deutſche zur holländiſchen, oder die italieniſche zur ſpaniſchen, ſondern wie die däniſche zur deutſchen, die chaldäiſche zur arabiſchen, die griechiſche zur lateiniſchen. So wie man nach und nach mit dem Labyrinthe der amerikaniſchen Mundarten vertrauter wird, ſo nimmt man wahr, daß mehrere derſelben ſich gruppenweiſe in Familien zuſammenreihen laſſen, während eine große Zahl anderer vereinzelt ſtehen bleiben, gleich dem Baskiſchen unter den Sprachen der Europäer, und der japaniſchen unter jenen der Aſiaten. Dieſe iſolirte Stellung iſt vielleicht nur ſcheinbar, und es läßt ſich vermuthen, es dürften jene, jeder ethnographiſchen Claſſification zu widerſtreben ſcheinende Mundarten mit ſolchen in Verwandtſchaft ſtehen, die entweder längſt erlöſcht ſind, oder aber Völkern angehören, welche bisher von keinen Reiſenden beſucht wurden. Die meiſten amerikaniſchen Sprachen, jene ſelbſt, deren Gruppen unter einander alſo abweichen, wie die Mundarten von deutſcher, celtiſcher, und ſlaviſcher Abkunft, biethen eine gewiſſe Übereinſtimmung im Ganzen ihrer Organiſation dar, die, wo nicht auf einen gemeinſamen Urſprung, doch wenigſtens auf eine ſehr große Analogie der intellectuellen Anlagen der amerikaniſchen Völker von Grönland bis zum Magellanslande hindeutet. Äußerſt genaue und ſolche Forſchungen, die nach einer bis dahin bey etymologiſchen Studien unbekannten Methode angeſtellt wurde, haben dargethan, daß ſich eine kleine Zahl von Worten findet, welche den Sprachen der alten und der neuen Welt gemeinſam iſt. In drey und achtzig durch die Herren Barton und Vater geprüften amerikaniſchen Sprachen haben ſich ungefähr hundert und ſiebzig Wörter vorgefunden, die gleiche Wurzeln zu haben ſcheinen; und man überzeugt ſich leicht, daß dieſe Verwandtſchaften keineswegs bloß zufällig, oder eine nachahmende Harmonie ſind, und etwa nur auf jener gleichförmigen Bildung der Organe beruhen, welche die erſten articulirten Töne der Kinder ungefähr überall gleichlautend macht. Von hundert und ſiebzig einander verwandten Wörtern finden ſich drey Fünftheile, welche an die Sprachen der Mandſhuur, Tunguſen, Mongolen und Samojeden, und hinwieder zwey Fünftheile, welche an die celtiſchen und tſchoudiſchen Mundarten, und an die baskiſche, coptiſche, und congoiſche Sprache erinnern. Jene Wörter wurden bey der Vergleichung der Geſammtheit aller amerikaniſchen Sprachen mit der Geſammtheit der Sprachen der alten Welt aufgefunden; denn bis dahin iſt uns auch keine amerikaniſche Mundart bekannt geworden, die vor den übrigen mit einer der zahlreichen Gruppen der aſtatiſchen, afrikaniſchen, oder europäiſchen Sprachen in Verwandtſchaft zu ſtehen erachtet werden könnte. Was von einigen Gelehrten auf abſtracte Theorien hin ſowohl über die vorgebliche Armuth aller amerikaniſchen Sprachen, als über die ausnehmende Dürftigkeit ihres Zahlenſyſtems behauptet wird, iſt eben ſo gewagt und grundlos, wie hinwieder die Behauptungen über die Schwäche und Stumpfſinnigkeit des Menſchengeſchlechts in der neuen Welt, über das Kleinerwerden der organiſchen Körper, und über die Ausartung der von der anderen Halbkugel dahin verpflanzten Thiere. Verſchiedene Mundarten, welche gegenwärtig nur barbariſchen Völkern angehören, ſcheinen die Überreſte von reichen und biegſamen Sprachen zu ſeyn, die eine bedeutend vorgerückte Cultur andeuten. Man will hier nicht in Unterſuchung der Frage eintreten, ob der urſprüngliche Zuſtand des Menſchengeſchlechts ein Zuſtand von Rohheit und Dummheit war, oder ob die wilden Horden von Völkern abſtammen, deren Verſtandeskräfte ſowohl als die Sprachen, worin ſich jene abſpiegeln, beyde gleichmäßig früher entwickelt waren; es ſoll einzig hier daran erinnert werden, daß das Wenige, was uns von der Geſchichte der Amerikaner bekannt iſt, den Beweis zu enthalten ſcheint, daß jene Stämme, welche vom Norden nach dem Süden wanderten, bereits ſchon in den Gegenden ihres nördlichſten Aufenthalts jene Verſchiedenheit der Sprachen darbothen, die wir jetzt unter dem heißen Erdſtriche wahrnehmen. Daraus läßt ſich der analogiſche Schluß ziehen, daß die Ramification, oder um einen von allem Syſteme unabhängigen Ausdruck zu gebrauchen, die Mannigfaltigkeit der Sprachen eine ſehr alte Erſcheinung iſt. Vielleicht gehören die Sprachen, welche wir amerikaniſche nennen, dieſem Welttheile urſprünglich eben ſo wenig an, als die madjariſche oder hungariſche, und die tſchoudiſche oder finniſche Sprache Europa zugehören. Es iſt zwar allerdings der Fall, daß die Vergleichung der Mundarten der alten und der neuen Welt bis dahin noch zu keinen allgemeinen Reſultaten führte; darum aber ſoll man die Hoffnung nicht aufgeben, daß eben dieſes Studium nicht fruchtbarer werden könne, wenn der Scharfſinn der Gelehrten einſt einen größeren Vorrath von Materialien beſitzen wird. Wie viele Sprachen Amerika’s ſowohl, als des inneren und öſtlichen Aſiens mögen noch übrig ſeyn, deren Mechanismus uns gerade eben ſo unbekannt iſt, wie jener der tyrrheniſchen, oskiſchen und ſabiniſchen Sprachen. Unter den Völkern, welche in der alten Welt verſchwunden ſind, gibt es vielleicht mehrere, von denen ſich einzelne kleine Stämme in den weiten amerikaniſchen Wüſten noch erhalten haben. Wenn jedoch die frühere Verbindung zwiſchen beyden Welten ſich durch die Sprachen nur ſehr unvollkommen darthun läßt, ſo geht hingegen eben jene Verbindung auf eine unzweydeutige Weiſe aus den Kosmogonien, den Denkmahlen, den Hieroglyphen, und den Inſtitutionen der amerikaniſchen und aſiatiſchen Völker hervor. Ich glaube hierfür zu den bereits vorhandenen Beweiſen eine nicht geringe Zahl bisher unbekannter hinzugefügt zu haben. Überall ließ ich mir dabey angelegen ſeyn, dasjenige, was auf gemeinen Urſprung hindeutet, von dem zu unterſcheiden, was als Reſultat gleichartiger Verhältniſſe muß betrachtet werden, die zwiſchen Völkern Statt finden, welche ſich auf den erſten Stufen der Civiliſation befinden. Die Beſtimmung des Zeitpunctes der älteren Verbindung beyder Welten war bis dahin unmöglich, und es würde allzu verwegen ſeyn, die Völkergruppe der alten Welt bezeichnen zu wollen, die mit den Tolteken, Azteken, Muyscas oder Peruanern in nächſter Verwandtſchaft ſteht; indem jene Verhältniſſe, um die ſich es hier handelt, auf ſolchen Traditionen, Denkmahlen und Gewohnheiten beruhen, die leicht älter ſeyn möchten, als die gegenwärtige Eintheilung der Aſiaten in Mongolen, Hindans, Tongouſen und Chineſen. Zur Zeit der Entdeckung der neuen Welt, oder um richtiger zu ſprechen, zur Zeit der erſten ſpaniſchen Überfälle waren die in der Cultur am weiteſten vorgeſchrittenen amerikaniſchen Völkerſchaften Bergbewohner. In den Thälern eines gemäßigten Himmelsſtriches geborne Menſchen rückten auf dem Gebirgsrücken der Cordilleren vor, die, ſo wie ſie ſich dem Äquator nähern, höher werden; ſie fanden auf dieſen Höhen eine, ihrem Mutterland ähnliche Temperatur, und gleichartige Gewächſe. Überall, wo der Menſch auf minder fruchtbarem Erdreich Hinderniſſe der Natur bekämpfen muß, ohne dem allzu ermüdenden Kampfe gänzlich zu unterliegen, da entwickeln ſich hinwieder auch ſeine Fähigkeiten am leichteſten. Auf dem Kaukaſus und im Mittelpuncte von Aſien biethen die unfruchtbaren Berge für freye und wilde Völker eine Zuflucht dar. In den Äquinoctialländern von Amerika, wo ſich über der Wolkenregion jene immer grünen Savannen (Grasplätze) befinden, ſind einzig die Cordilleren von polizirten Völkern bewohnt; die erſten Kunſtfortſchritte hatten daſelbſt mit den ſeltſamen, der individuellen Freyheit keineswegs günſtigen Verfaſſungen gleiches Alter. Wie in Aſien und Afrika, ſo nimmt man auch in der neuen Welt verſchiedene Mittelpuncte wahr, von denen eine urſprüngliche Civiliſation ausging, deren gegenſeitige Verhältniſſe wir aber eben ſo wenig näher zu beſtimmen im Stande ſind, als jene von Meroe, Tibet und China. Mexiko empfängt ſeine Cultur aus einem nördlich gelegenen Lande. Im ſüdlichen Amerika waren es die großen Gebäude von Tiahuanako, welche jenen Denkmahlen zum Muſter dienten, die von den Incas zu Coutzko errichtet wurden. Dämme von anſehnlicher Länge, bronzene Waffen und Steine mit eingegrabenen Bildern, welche mitten in den weiten Flächen von Ober-Canada, in Florida, und in der vom Orenoko, Caſſiquiare, und Guainia begränzten Wüſte gefunden werden, bezeugen, daß in dieſen, jetzt nur von wilden Jägerhorden durchſtreiften Gegenden einſt Kunſtfleiß übende Völker wohnten. Die ungleichartige Vertheilung der Thiergattungen über den Erdball hatte großen Einfluß auf das Schickſal der Nationen, und auf das mehr oder minder ſchnelle Vorrücken ihrer Ausbildung. In der alten Welt war es das Hirtenleben, welches den Übergang vom Jäger zum Landbauer bildete. Die unter allen Erdſtrichen ſo leicht zu akklimatiſirenden, wiederkäuenden Thiere wurden die Begleiter des afrikaniſchen Negers, wie der Mongolen, Malayen, und der Menſchen von kaukaſiſchem Stamme. Obgleich nun zwar mehrere vierfüßige Thiere, und ſehr viele Pflanzenarten den nördlichſten Theilen beyder Welten gemein ſind; ſo beſitzt jedoch Amerika vom Rindviehgeſchlechte nur den Buckel- und den Biſamochs, zwey ſchwer zu zähmende Arten, deren weibliche Thiere, der reichen Weide ungeachtet, nur wenig Milch geben. Der amerikaniſche Jäger war demnach durch keine Pflege der Heerden, und durch keine Gewöhnungen des Hirtenlebens zum Landbau vorbereitet. Nie verſuchte der Bewohner der Cordilleren, das Lama, Alpaca oder Guanaco zu melken, und Milchſpeiſen waren vormahls den Amerikanern eben ſo unbekannt, wie ſie es für viele Völker des öſtlichen Aſiens ſind. Nirgends hat der freye, in den Wäldern des gemäßigten Erdgürtels lebende Wilde die Jagd gegen den Ackerbau freywillig vertauſcht. Dieſer Übergang, der wichtigſte und ſchwierigſte in der Geſchichte des geſelligen Lebens der Menſchen, kann nur durch Zwangverhältniſſe herbeygeführt werden. Wenn auf ihren großen Wanderungen Jägerſchaaren durch andere Kriegerſchwärme verfolgt, in die Ebenen der Äquinoctialzone hingelangen, ſo bringen die undurchdringliche Dichtheit der Wälder, und das üppige Wachsthum der Pflanzen in ihrem Charakter und Lebensart weſentliche Änderung hervor. Zwiſchen dem Orenoko, Ukajale, und dem Amazonenfluß ſind Gegenden gelegen, worin der Menſch ſo zu ſagen außer Bächen und Seen keinen freyen Raum findet. An die Ufer der Flüſſe gebannt, umgeben hier auch die wildeſten Einwohner ihre Hütten mit der Paradiesfeige, dem Jatrophabaum, und mit einigen anderen Nahrungspflanzen. Weder durch hiſtoriſche Thatſachen, noch durch Völkerſagen wird ein, zwiſchen den ſüdamerikaniſchen, und den nördlich der Landenge von Panama wohnenden Völkern beſtehender Zuſammenhang beurkundet. Die Jahrbücher des mexikaniſchen Reichs ſcheinen bis in das ſechſte Jahrhundert unſerer Zeitrechnung hinaufzureichen. Sie verzeichnen die Zeitpuncte ſtatt gefundener Wanderungen, ihre veranlaſſenden Urſachen, die Nahmen der dem erlauchten Familienſtamme der Citins angehörenden Heerführer, welche aus den unbekannten Landſchaften Aztlan und Teocolhuacan nördliche Völker in die Ebenen von Anahuac geleiteten. Die Gründung von Tenochtilan fällt gleich jener von Rom in das heroiſche Zeitalter, und nur erſt vom zwölften Jahrhundert an enthalten aztekiſche Jahrbücher gleich denen der Chineſer und Tibetaner, die beynahe ununterbrochenen Angaben der Säcularfeſte, die Geſchlechtsregiſter der Könige, die den Beſiegten aufgelegten Tribute, die Gründungen der Städte, die Erſcheinungen am Himmel, und mancherley oft kleinliche Umſtände, welche auf die, noch jugendlichen Staatengeſellſchaften Einfluß hatten. Ob nun aber gleich keinerley Überlieferungen eine unmittelbare Verbindung zwiſchen den Völkern beyder Hälften Amerika’s bezeichnen, ſo biethet hingegen ihre Geſchichte auffallende Ähnlichkeiten in den politiſchen und religiöſen Umwälzungen dar, von denen die Civiliſation der Azteken, Muyscas und Peruaner ausgeht. Bärtige Männer von minder dunkler Hautfarbe als die Eingebornen von Anahuac, Cundinamarca, und der Ebene von Couzco, treten auf, ohne daß man ihren Geburtsort anzugeben weiß. Als Oberprieſter, Geſetzgeber, Freunde des Friedens, und der von ihm begünſtigten Künſte, wandeln ſie einſtmahls die Verhältniſſe der Völker um, bey denen ſie ehrfurchtsvolle Aufnahme fanden. Quetzalcoatl, Bochica und Mungo- Capac ſind die heiligen Nahmen dieſer geheimnißvollen Weſen. Quetzalcoatl kommt im ſchwarzen Prieſterkleide von Panuco und den Ufern des mexikaniſchen Meerbuſens her; Bochica, der Boudha der Muyscas erſcheint in den hoch gelegenen Ebenen Bogota’s, von den auf der Oſtſeite der Cordilleren liegenden Savannen her. Die Geſchichte dieſer Geſetzgeber iſt voll wunderbarer Erzählungen, religiöſer Dichtungen, und ſolcher Züge, die eine allegoriſche Deutung verrathen. Von einigen Gelehrten ward zwar die Vermuthung geäußert, es möchten jene Ausländer durch Schiffbruch verſchlagene Europäer, oder Abkömmlinge der Scandinavier ſeyn, die ſeit dem eilften Jahrhundert Grönland, Neu-Foundland, und vielleicht ſogar Neu-Schottland beſucheten; aber ein auch nur geringes Nachdenken über den Zeitpunct der erſten toltekiſchen Wanderungen, über die mönchiſchen Einrichtungen, die religiöſen Symbole, den Kalender und die Formen der Denkmahle von Gholula, Sogamozo und Couzco wird zu der Überzeugung führen, daß die Geſetzbücher der Quetzalcoatl, Bochica und Mungo-Capac unmöglich aus dem Norden von Europa herſtammen konnten. Dagegen ſcheint Alles nach dem öſtlichen Aſien, und nach Völkern hinzudeuten, die mit den Tibetanern, den Schamoniſten, Tartaren, und mit den bärtigen Ainos der Inſeln von Jeſſo und Sachalin in Verbindung ſtanden. Wenn ich mich der Worte: „Denkmahle der neuen Welt, Fortſchritte in den zeichnenden Künſten, Verſtandescultur” in meinen hiſtoriſchen Forſchungen über Amerika bediene, ſo wollte ich damit keineswegs eine Lage der Dinge bezeichnen, die dasjenige andeuten ſollte, was man zwar etwas unbeſtimmt unter einem höheren Cultur- und Civiliſationsgrade verſteht. Nichts iſt ſchwieriger, als eine Vergleichung zwiſchen Völkern anzuſtellen, die auf verſchiedenen Bahnen ſich geſellig ausbildeten. Die Mexikaner und Peruaner dürfen durchaus nicht nach ſolchen Grundſätzen beurtheilt werden, welche man aus der Geſchichte von Völkern entlehnt, an die unſere Studien uns ſtets erinnern. Es entfernen ſich dieſelben von den Griechen und Römern in gleichem Maße, wie ſie ſich den Hetruskern und Tibetanern nähern. Die theokratiſche Regierung der Peruaner begünſtigte auf der einen Seite die Fortſchritte des Kunſtfleißes, öffentliche Arbeiten und Alles, was, wenn ich mich des Ausdruckes bedienen darf, die Civiliſation überhaupt und in Maſſe begreift; dagegen hemmte ſie die Entwickelung der individuellen Geiſteskräfte. Bey den Griechen verhielt ſich es umgekehrt, und bis zu den Zeiten des Perikles ſtand die freye und ſchnelle Geiſtesentwickelung der Einzelnen außer Verhältniß mit den langſamen Fortſchritten der Nationalbildung. Das Reich der Incas könnte einer großen klöſterlichen Anſtalt verglichen werden, worin jedem Ordensgliede, was es für das gemeine Beſte thun ſollte, vorgeſchrieben war. Wer auf Ort und Stelle die Bekanntſchaft jener Peruaner machte, welche Jahrhunderte hindurch ihre Nationalphyſiognomie unverändert beybehielten, der wird das Geſetzbuch Mungo-Capacs und deſſen Einfluß auf Sittlichkeit und Gemeinwohl ſattſam zu würdigen im Stande ſeyn. Man traf allgemeinen Wohlſtand an, aber kein Privatglück; Hingebung in den Willen des Herrſchers nahm die Stelle der Liebe des Vaterlandes ein; für kühne Unternehmungen war leidender Gehorſam, aber kein ächter Muth vorhanden; ein Geiſt der Ordnung, der durch kleinliche Vorſchriften auch die gleichgültigſten Verrichtungen regelte, erdrückte gleichſam jedes freye Denken, und jede Größe des Charakters. Die verwickeltſte aller Staatsverfaſſungen, deren die Geſchichte Meldung thut, hatte die Keime der individuellen Freyheit erſtickt, und der Stifter des Reiches von Couzco, der ſich ſchmeichelte, die Menſchen durch Zwang glücklich machen zu können, hatte ſie in der That nur in Maſchinen verwandelt. Die peruaniſche Theokratie war zwar allerdings minder drückend, als die Regierung des Königs von Mexiko, aber beyde trugen weſentlich dazu bey, den Denkmahlen, dem Cultus und der Mythologie beyder Bergvölker jenes finſtere und traurige Ausſehen zu ertheilen, das mit den Künſten und den milden Dichtungen der Völker Griechenlands in ſo ſchneidendem Contraſte ſteht.