Alexander von Humboldts Ansichten über Amerika, und dessen eingeborne Völkerstämme. (Aus der Einleitung zu dem pittoresken Atlas seiner Reise übersetzt.) 1. Ich wollte die noch vorhandenen Denkmale des Ursprungs und der frühesten Künste unter den eingebornen amerikanischen Völkern zusammenstellen. Man ist erstaunt, in einer Welt, die wir die neue nennen, am Schlusse des funfzehnten Jahrhunderts, eben jene alterthümlichen Einrichtungen, jene Religionsbegriffe und Architektur-Formen anzutreffen, welche in Asien den frühesten Zeiten der Civilisation anzugehören scheinen. Es verhält sich mit den Charakterzügen der Völker, wie mit dem innern Bau der über den Erdball verbreiteten Pflanzen. Das Gepräge der ursprünglichen Bildung bleibt, der mannichfachen Eindrücke ungeachtet, welche Klima, Boden und andere Zufälligkeiten mehr hervorbrachten, überall unverkennbar. In dem ersten Zeitraume nach der Entdeckung von Amerika war die Aufmerksamkeit der Europäer vorzugsweise auf die gigantischen Gebäudemassen von Couzco , auf die Heerstraßen mitten durch die Cordilleren, auf die stufenförmig ansteigenden Pyramiden, auf den Gottesdienst und die symbolischen Schriften der Mexikaner gerichtet. Verschiedne Landschaften von Mexiko und Peru wurden damals eben so häufig beschrieben, wie in unsern Tagen die Gegend von Port Jackson in Neu-Holland, oder die Insel Otahiti. Man muß selbst an Ort und Stelle gewesen seyn, um die edle Einfalt und den Charakter von Treue und Wahrheit der Schilderungen jener frühesten spanischen Reisenden sattsam zu würdigen, und bey'm Lesen ihrer Werke bedauert man nur den Mangel von Abbildungen, die uns genügendere Begriffe von so vielen, theils durch Fanatismus vertilgten, theils durch strafbare Sorglosigkeit zerfallnen, Denkmalen mittheilen könnten. Der Eifer für diese amerikanischen Forschungen verminderte sich seit Anfang des siebzehnten Jahrhunderts; die spanischen Kolonien, in deren Umfang allein civilisirte Völker gewohnt hatten, blieben für Ausländer verschlossen; und als neuerlich in Italien der Abbe Clavigero sein Werk über die ältere mexikanische Geschichte bekannt machte, wurden viele Thatsachen in Zweifel gezogen, die früher durch zahlreiche und oft nichts weniger als einander befreundete Augenzeugen waren bestätigt worden. Berühmte Schriftsteller, denen die Harmonie der Natur weniger als ihre Contraste Vergnügen machte, haben sich bemüht, ganz Amerika als ein großes Sumpfland darzustellen, welches der Fortpflanzung der Thiergattungen ungünstig, seit Kurzem erst durch solche Menschenstämme bevölkert ward, deren Kultur jene der Südsee-Insulaner nicht übertraf. Ein unbeschränkter Scepticism hatte aus den historischen Untersuchungen über die Amerikaner die gesunde Kritik verdrängt. Die Erfindungen eines Solis und etlicher andrer Reisebeschreiber, welche Europa nie verlassen hatten, wurden mit den treuen und einfachen Erzählungen der frühesten Besucher des neuentdeckten Welttheils zusammen geworfen; und man hielt es für die Pflicht des philosophischen Geschichtschreibers, voraus Alles das zu läugnen, was die Missionare beobachtet hatten. Seit dem Ende des abgeflossnen Jahrhunderts trat eine glückliche Aenderung ein, in Bezug auf das Urtheil über die Civilisation der Völker und über die Ursachen, welche ihre Fortschritte abwechselnd befördern und hemmen. Wir lernten Nationen kennen, deren Sitten, Einrichtungen und Künste von denen der Griechen und Römer beynahe eben so verschieden sind, als die ursprünglichen Gestalten verschwundener Thierarten von jenen abweichen, mit welchen sich gegenwärtig die Naturbeschreiber beschäftigen. Die Gesellschaft von Calcutta hat ein helles Licht über die Geschichte der asiatischen Völker verbreitet. Die Denkmale Egyptens wurden neuerlich theils mit bewundernswerther Genauheit beschrieben, theils mit denjenigen der entferntesten Länder verglichen; und meine Untersuchungen über die einheimischen Völker Amerika's erscheinen in einem Zeitpunkte, wo, was sich dem Style und der Gattung nicht annähert, worin die Griechen unerreichbare Muster zurückliessen, darum nicht minder aller Aufmerksamkeit werth geachtet wird. Mein Bestreben ging dahin, in der Beschreibung der historischen Denkmale Amerika's das richtige Mittel zwischen zwey Pfaden zu beobachten, welche abwechselnd von solchen Gelehrten eingeschlagen wurden, die sich mit Untersuchungen über Denkmale, Sprachen und Völkersagen beschäftigt haben. Die einen, indem sie glänzende, aber auf schwankenden Grundlagen ruhende, Hypothesen verfolgten, haben aus einer kleinen Zahl vereinzelter Thatsachen allgemeine Folgerungen gezogen. Sie fanden in Amerika chinesische und egyptische Kolonien, celtische Dialekte und das Alphabet der Phönizier. Während wir über den asiatischen Ursprung der Osken, Gothen und Celten noch ungewiß sind, wollte man über die Abkunft aller Völkerstämme der neuen Welt entscheidend absprechen. Andere Schriftsteller hinwieder häuften Materialien an, ohne je sich zu allgemeinen Begriffen zu erheben; ein Verfahren, wovon die Völkergeschichte eben so wenig Vortheil ziehen kann, als die verschiednen Zweige der Naturwissenschaften. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn man finden sollte, daß ich beyde Klippen gleichmäßig zu vermeiden gewusst habe. Eine kleine Zahl weit von einander entlegner Völkerschaften, die Hetrusker, Egypter, Tibetaner und Azteken, zeigen auffallende Aehnlichkeiten in ihren Gebäuden, in ihren religiösen Anstalten, in ihrer Jahreseintheilung, in ihren wiederkehrenden Zeitperioden und in ihren mystischen Vorstellungen. Der Geschichtschreiber darf diese Aehnlichkeiten nicht unbeachtet lassen, deren Erklärung gerade eben so schwierig ist, als jene der Verwandtschaften zwischen den Sanscrit, persischen, griechischen und germanischen Sprach-Formen; aber indem man sich zu allgemeinen Begriffen erhebt, muß man da stehen zu bleiben wissen, wo sichere Thatsachen uns verlassen. Diesen Grundsätzen gemäß, will ich die Resultate darzustellen versuchen, die aus den Angaben hervorgehen, welche ich mir bis dahin über die einheimischen Völkerschaften Amerika's sammelte. 2. Eine aufmerksame Prüfung der geologischen Verhältnisse der neuen Welt, und die Betrachtung des Gleichgewichts der über die Erdoberfläche verbreiteten Flüssigkeiten, erlauben uns nicht anzunehmen, daß beyde, das neue und das alte Continent, zu verschiednen Zeiten dem Wasser entstiegen seyn sollten. Auf beyden Halbkugeln nimmt man die gleiche Reihenfolge übereinander liegender Steinschichten wahr, und vermuthlich sind auch die verschiedenen Granit-, Gips- und Sandsteinformationen in den Gebirgen von Peru zu eben der Zeit entstanden, wo die ihnen entsprechenden Gebirgslager in den Schweizeralpen ihren Ursprung nahmen. Der gesammte Erdball hat, wie es scheint, ähnliche Katastrophen erlitten. Auf dem Kamme der Andes, in einer Höhe, die jene des Montblanc übertrifft, finden sich versteinerte Muschelschalen des Weltmeers. Fossile Elephantenknochen sind in den Ländern um den Aequator zerstreut, und, was merkwürdig ist, es finden sich solche nicht etwa unter den Palmen in den heißen Thälern des Orenoko, sondern auf den höchsten und kältesten Ebenen der Cordilleren. In der neuen, wie in der alten Welt, sind ganze Schöpfungen und Gattungen organischer Körper zu Grund gegangen, die Vorläufer derer, welche jetzt Erde, Luft und Wasser bevölkern. Es sind keine Gründe vorhanden, um anzunehmen, Amerika sey viel später als die übrigen festen Länder durch Menschen bewohnt worden. Der üppige Pflanzenwuchs, die breiten Flüsse, und die partiellen Ueberschwemmungen, sind in den Tropenländern mächtige Hindernisse der Völkerwanderungen. Ausgedehnte Landschaften des nördlichen Asiens sind eben so schwach bevölkert, wie die Grasebenen von Neu-Mexiko und Paraguay, und man darf keineswegs voraussetzen, es müssen die am frühesten bewohnten Länder nothwendig auch die stärkste Bevölkerung haben. Die Frage über den Ursprung der Bevölkerung von Amerika kann eben so wenig eine dem Gebiete der Geschichte zugehörige Frage seyn, als die Fragen über den Ursprung der Pflanzen und der Thiere und über die Vertheilung der organischen Keime solche sind, die den Naturwissenschaften angehören. Die Geschichte, wenn sie in die ältesten Zeiten hinaufsteigt, zeigt uns beynahe alle Theile des Erdballs von Menschen bewohnt, die sich für Urvölker (aborigines) halten, weil ihnen ihre Abstammung unbekannt ist. Mitten unter mannichfaltigen Völkerschaften, die auf einander folgten, und sich mit einander vermischten, wird es unmöglich, auf eine sichere Weise die Grundlage, von der zuerst die Bevölkerung ausging, zu unterscheiden, und die Gränze zu bezeichnen, jenseits welcher das Reich der cosmogonischen Sagen gelegen ist. Die Völker Amerika's, mit Ausnahme derer, die sich dem Polarkreise nähern, gehören Alle einem einzigen Stamme an, der sich durch Schädelbildung, Hautfarbe, sehr geringen Bart, und glatten Haarwuchs auszeichnet. Der amerikanische Völkerstamm zeigt auffallende Aehnlichkeiten mit jenem der mongolischen Völker, welcher die vormals unter dem Namen der Hunnen bekannten Abkömmlinge der Hiong-nu, die Kalkasen, Kalmuken und Buratten in sich begreift. Neuerliche Beobachtungen haben sogar dargethan, daß nicht die Bewohner von Unalaska allein, sondern auch mehrere südamerikanische Völkerschaften, durch osteologische Schädelcharaktere einen Uebergang der amerikanischen zur mongolischen Race bezeichnen. Wenn einst die braune afrikanische Race, und jene Völkerschwärme, welche das innere Afrika und seine nordöstlichen Länder bewohnen, und denen systematische Reisebeschreiber den schwankenden Namen der Tartaren oder Tschouden zutheilten, besser gekannt sind, so werden die kaukasischen, mongolischen, amerikanischen, malayischen und Neger-Racen minder vereinzelt dastehen, und man wird in dieser großen Familie des Menschengeschlechts nur ein einziges Urbild erkennen, das durch Umstände, welche uns vielleicht auf immer unbekannt bleiben, mannichfaltige Modifikationen litt. Die eingebornen Völker der neuen Welt, ob sie gleich alle durch sehr wesentliche Charaktere einander verwandt sind, bieten hinwieder in ihren beweglichen Zügen, in der mehr oder minder dunkeln Hautfarbe, in ihrer Gestalt und Größe, Verschiedenheiten dar, die nicht minder auffallend als jene sind, welche wir zwischen den Arabern, Persern und Slaven vom cirkassischen Stamm wahrnehmen. Inzwischen zeigen die Horden, welche die brennenden Thalflächen der Aequinoctalländer durchstreifen, keineswegs eine dunklere Hautfarbe, als die Bergvölker oder die Bewohner der gemäßigten Zone, sey es, daß beym Menschen, wie bey den meisten Thieren, ein gewisser Zeitpunkt im Leben eintritt, über welchem hin der Einfluß von Klima und Nahrung unbedeutend wird, oder daß die Abweichung vom Urgepräge nur erst nach Abfluß vieler Jahrhunderte spürbar ist. Aus Allem ergibt sich jedoch, daß die Amerikaner, gleich den mongolischen Völkerracen, eine minder biegsame Organisation, als die andern europäischen und asiatischen Nationen, besitzen. Die amerikanische Race, geringer an Zahl als alle andere, ist hingegen auf dem größten Raume des Erdballs verbreitet. Sie dehnt sich durch beyde Halbkugeln vom 68 nördlichen bis zum 55 südlichen Breitegrad aus. Sie ist von allen Racen die Einzige, welche gleichzeitig in den heißen das Weltmeer begränzenden Thalflächen, und auf dem Rücken der Berge bis zu Höhen hinauf wohnt, die mehr denn 200 Klafter über den Pic von Teneriffa emporragen. Alexander von Humboldts Ansichten über Amerika, und dessen eingeborne Völkerstämme. 3. Die Zahl der Sprachen, durch welche sich die eingebornen Völker von einander unterscheiden, scheint in Amerika noch größer als in Afrika zu seyn, wo man doch, zu Folge der neuerlich von den Herren Seetzen und Vater angestellten Untersuchungen, deren über hundert und vierzig zählt. In dieser Hinsicht ist ganz Amerika dem Kaucasus, der Landschaft Italien vor Eroberung der Römer, und Kleinasien ähnlich, zur Zeit, wo hier auf kleiner Erdfläche die Cilicier von semitischer Race, die Phrygier aus thracischem Stamme, die Lydier und die Celten beysammen lebten. Die Gestaltung der Erde, die üppig wuchernde Pflanzenwelt, und die Furcht der Tropenbewohner vor der Sonnenhitze der Thäler, erschweren gegenseitige Mittheilungen, und befördern die erstaunliche Mannichfaltigkeit der amerikanischen Mundarten. Auch ist diese Verschiedenheit minder groß in den von Jägern durchstrichenen Grasebenen und Wäldern des Nordens, an den Ufern der großen Flüsse längs den Küsten des Weltmeers, und überall da, wo die Incas durch Waffengewalt ihre Theocratie hinbrachten. Wenn von mehrern hundert Sprachen auf einem festen Lande die Rede ist, dessen Gesammtbevölkerung jener von Frankreich nicht gleich kommt, so versteht man unter verschiednen Sprachen solche, die zu einander in dem Verhältnisse stehen, wie, ich will nicht sagen, die deutsche zur holländischen, oder die italienische zur spanischen, sondern wie die dänische zur deutschen, die chaldäische zur arabischen, die griechische zur lateinischen. So wie man nach und nach mit dem Labyrinthe der amerikanischen Mundarten vertrauter wird, so nimmt man wahr, daß mehrere derselben sich gruppweise in Familien zusammen reihen lassen, während eine große Zahl andrer vereinzelt stehen bleiben, gleich dem Baskischen unter den Sprachen der Europäer, und der japanischen unter jenen der Asiaten. Diese isolirte Stellung ist vielleicht nur scheinbar, und es lässt sich vermuthen, es dürften jene, jeder ethnographischen Klassifikation zu widerstreben scheinende, Mundarten mit solchen in Verwandtschaft stehen, die entweder längst erlöscht sind, oder aber Völkern angehören, welche bisher von keinen Reisenden besucht wurden. Die meisten amerikanischen Sprachen, jene selbst, deren Gruppen untereinander also abweichen, wie die Mundarten von deutscher, celtischer und slavischer Abkunft, bieten eine gewisse Uebereinstimmung im Ganzen ihrer Organisation dar, die, wo nicht auf einen gemeinsamen Ursprung, doch wenigstens auf eine sehr große Analogie der intellectuellen Anlagen der amerikanischen Völker von Grönland bis zum Magellanslande hindeutet. Aeußerst genaue und solche Forschungen, die nach einer bis dahin bey etymologischen Studien unbekannten Methode angestellt wurden, haben dargethan, daß sich eine kleine Zahl von Worten findet, welche den Sprachen der alten und der neuen Welt gemeinsam ist. In drey und achtzig durch die Herren Barton und Vater geprüften amerikanischen Sprachen, haben sich ungefähr hundert und siebenzig Wörter vorgefunden, die gleiche Wurzeln zu haben scheinen; und man überzeugt sich leicht, daß diese Verwandtschaften keineswegs blos zufällig, oder eine nachahmende Harmonie sind, und etwa nur auf jener gleichförmigen Bildung der Organe beruhen, welche die ersten artikulirten Töne der Kinder ungefähr überall gleichlautend macht. Von hundert und siebenzig einander verwandten Worten finden sich drey Fünftheile, welche an die Sprachen der Mantchour, Tungusen, Mongolen und Samojeden, und hinwieder zwey Fünftheile, welche an die celtischen und tschoudischen Mundarten, und an die baskische, coptische und congoische Sprache erinnern. Jene Worte wurden bey der Vergleichung der Gesammtheit aller amerikanischen Sprachen mit der Gesammtheit der Sprachen der alten Welt aufgefunden; denn bis dahin ist uns noch keine amerikanische Mundart bekannt geworden, die, vor den übrigen, mit einer der zahlreichen Gruppen der asiatischen, afrikanischen oder europäischen Sprachen in Verwandtschaft zu stehen erachtet werden könnte. Was von einigen Gelehrten, auf abstrakte Theorien hin, sowol über die vorgebliche Armuth aller amerikanischen Sprachen, als über die ausnehmende Dürftigkeit ihres Zahlensystems behauptet ward, ist eben so gewagt und grundlos, wie hinwieder die Behauptungen über die Schwäche und Stumpfsinnigkeit des Menschengeschlechts in der neuen Welt, über das Kleinerwerden der organischen Körper, und über die Ausartung der von der andern Halbkugel dahin verpflanzten Thiere. Verschiedne Mundarten, welche gegenwärtig nur barbarischen Völkern angehören, scheinen die Ueberreste von reichen und biegsamen Sprachen zu seyn, die eine bedeutend vorgerückte Kultur andeuten. Man will hier nicht in Untersuchung der Frage eintreten: ob der ursprüngliche Zustand des Menschengeschlechts ein Zustand von Rohheit und Dummheit war, oder ob die wilden Horden von Völkern abstammen, deren Verstandeskräfte sowol als die Sprache, worin jene sich abspiegeln, beyde gleichmäßig früher entwickelt waren: es soll einzig hier daran erinnert werden, daß das Wenige, was uns von der Geschichte der Amerikaner bekannt ist, den Beweis zu enthalten scheint, daß jene Stämme, welche vom Norden nach dem Süden wanderten, bereits schon in den Gegenden ihres nördlichsten Aufenthalts jene Verschiedenheit der Sprachen darboten, die wir jetzt unter dem heißen Erdstriche wahrnehmen. Daraus lässt sich der analogische Schluß ziehen, daß die Verästelung (ramification) oder, um einen von allem Systeme unabhängigen Ausdruck zu gebrauchen, die Mannichfaltigkeit der Sprachen eine sehr alte Erscheinung ist. Vielleicht gehören die Sprachen, welche wir amerikanische nennen, diesem Welttheile ursprünglich eben so wenig an, als die madjarische oder hungarische, und die tschoudische oder finnische Sprache Europa zugehören. Es ist zwar allerdings der Fall, daß die Vergleichung der Mundarten der alten und der neuen Welt bis dahin noch zu keinen allgemeinen Resultaten führte; darum aber soll man die Hoffnung nicht aufgeben, daß eben dieses Studium nicht fruchtbarer werden könne, wenn der Scharfsinn der Gelehrten einst einen größern Vorrath von Materialien besitzen wird. Wie viele Sprachen Amerika's sowohl als des innern und östlichen Asiens mögen noch übrig seyn, deren Mechanismus uns gerade eben so unbekannt ist, wie jener der tyrhenischen, oskischen und sabinischen Sprachen. Unter den Völkern, welche in der alten Welt verschwunden sind, gibt es vielleicht mehrere, von denen sich einzelne kleine Stämme in den weiten amerikanischen Wüsten noch erhalten haben. Wenn jedoch die frühere Verbindung zwischen beyden Welten sich durch die Sprachen nur sehr unvollkommen darthun lässt, so geht hingegen eben jene Verbindung auf eine unzweydeutige Weise aus den Cosmogonien, den Denkmalen, den Hieroglyphen, und den Institutionen der amerikanischen und asiatischen Völker hervor. Ich glaube hiefür zu den bereits vorhandenen Beweisen eine nicht geringe Zahl bisher unbekannter hinzugefügt zu haben. Ueberall ließ ich mir dabey angelegen seyn, dasjenige, was auf gemeinen Ursprung hindeutet, von dem zu unterscheiden, was als Resultat gleichartiger Verhältnisse muß betrachtet werden, die zwischen Völkern Statt finden, welche sich auf den ersten Stufen der Civilisation befinden. 4. Die Bestimmung des Zeitpunktes der ältern Verbindung beyder Welten war bis dahin unmöglich, und es würde allzuverwegen seyn, die Völkergruppe der alten Welt bezeichnen zu wollen, die mit den Tolteken, Azteken, Muyscas oder Peruanern in nächster Verwandschaft steht, indem jene Verhältnisse, um die sich's hier handelt, auf solchen Traditionen, Denkmalen und Gewohnheiten beruhen, die leicht älter seyn möchten, als die gegenwärtige Eintheilung der Asiaten in Mongolen, Hindous, Tongousen und Chinesen. Zur Zeit der Entdeckung der neuen Welt, oder, um richtiger zu sprechen, zur Zeit der ersten spanischen Ueberfälle, waren die in der Kultur am weitesten vorgeschrittenen amerikanischen Völkerschaften Bergbewohner. In den Thälern eines gemäßigten Himmelstrichs geborne Menschen rückten auf dem Gebirgsrücken der Cordilleren vor, die, so wie sie sich dem Aequator nähern, höher werden; sie fanden auf diesen Höhen eine ihrem Mutterland ähnliche Temperatur und gleichartige Gewächse. Ueberall, wo der Mensch auf minder fruchtbarem Erdreich Hindernisse der Natur bekämpfen muß, ohne dem allzuermüdenden Kampfe gänzlich zu unterliegen, da entwickeln sich hinwieder auch seine Fähigkeiten am leichtesten. Auf dem Caucasus und im Mittelpunkte von Asien, bieten die unfruchtbaren Berge für freye und wilde Völker eine Zuflucht dar. In den Aequinoctialländern von Amerika, wo sich über der Wolkenregion jene immergrünen Savannen (Grasplätze) befinden, sind einzig die Cordilleren von polizirten Völkern bewohnt; die ersten Kunstfortschritte hatten daselbst mit den seltsamen, der individuellen Freyheit keineswegs günstigen, Verfassungen gleiches Alter. Wie in Asien und Afrika, so nimmt man auch in der neuen Welt verschiedne Mittelpunkte wahr, von denen eine ursprüngliche Civilisation ausging, deren gegenseitige Verhältnisse wir aber eben so wenig näher zu bestimmen im Stande sind, als jene von Meroe, Tibet und China. Mexiko empfängt seine Kultur aus einem nördlich gelegenen Lande. Im südlichen Amerika waren es die großen Gebäude von Tiahuanako, welche jenen Denkmalen zum Muster dienten, die von den Inkas zu Coutzko errichtet wurden. Dämme von ansehnlicher Länge, bronzene Waffen und Steine mit eingegrabenen Bildern, welche mitten in den weiten Flächen von Ober-Canada, in Florida und in der vom Orenoko, Cassiquiare und Guainia begränzten Wüste gefunden werden, bezeugen, daß in diesen, jetzt nur von wilden Jägerhorden durchstreiften, Gegenden einst Kunstfleißübende Völker wohnten. (Der Beschluß folgt.) Alexander von Humboldts Ansichten über Amerika, und dessen eingeborne Völkerstämme. (Beschluß.) Die ungleichartige Vertheilung der Thiergattungen über den Erdball hatte großen Einfluß auf das Schicksal der Nationen, und auf das mehr oder minder schnelle Vorrücken ihrer Ausbildung. In der alten Welt war es das Hirtenleben, welches den Uebergang vom Jäger zum Landbauer bildete. Die unter allen Erdstrichen so leicht zu acclimatisirenden wiederkäuenden Thiere wurden die Begleiter des afrikanischen Negers, wie der Mongolen, Malayen, und der Menschen von kaukasischem Stamme. Obgleich nun zwar mehrere vierfüßige Thiere, und sehr viele Pflanzenarten den nördlichsten Theilen beyden Welten gemein sind, so besitzt jedoch Amerika vom Rindviehgeschlechte nur den Buckel- und den Bisam-Ochs, zwey schwer zu zähmende Arten, deren weibliche Thiere, der reichen Weide ungeachtet, nur wenig Milch geben. Der amerikanische Jäger war demnach durch keine Pflege der Herden, und durch keine Gewöhnungen des Hirtenlebens zum Landbaue vorbereitet. Nie versuchte der Bewohner der Cordilleren, das Lama, Alpaca oder Guanaco zu melken, und Milchspeisen waren vormals den Amerikanern eben so unbekannt, wie sie es für viele Völker des östlichen Asiens sind. Nirgends hat der freye, in den Wäldern des gemäßigten Erdgürtels lebende, Wilde die Jagd gegen den Ackerbau freywillig vertauscht. Dieser Uebergang, der wichtigste und schwierigste in der Geschichte des geselligen Lebens der Menschen, kann nur durch Zwang-Verhältnisse herbeygeführt werden. Wenn auf ihren großen Wanderungen Jägerschaaren, durch andre Kriegerschwärme verfolgt, in die Ebenen der Aequinoktialzone hingelangen, so bringen die undurchdringliche Dichtheit der Wälder, und das üppige Wachsthum der Pflanzen in ihrem Charakter und Lebensart wesentliche Aenderung hervor. Zwischen dem Orenoko, Ukajale und dem Amazonenfluß sind Gegenden gelegen, worin der Mensch so zu sagen außer Bächen und Seen keinen freyen Raum findet. An die Ufer der Flüsse gebannt, umgeben hier auch die wildesten Einwohner ihre Hütten mit der Paradiesfeige, dem Jatropha- Baum, und mit einigen andern Nahrungpflanzen. 5. Weder durch historische Thatsachen, noch durch Völkersagen, wird ein zwischen den süd-amerikanischen und den nördlich der Landenge von Panama wohnenden Völkern bestehender Zusammenhang beurkundet. Die Jahrbücher des mexikanischen Reiches scheinen bis in's sechste Jahrhundert unsrer Zeitrechnung hinaufzureichen. Sie verzeichnen die Zeitpunkte statt gefundener Wanderungen, ihre veranlassenden Ursachen, die Namen der dem erlauchten Familienstamme der Citins angehörenden Heerführer, welche aus den unbekannten Landschaften Aztlan und Teocolhuacan nördliche Völker in die Ebenen von Anahuac geleiteten. Die Gründung von Tenochtilan fällt gleich jener von Rom in das heroische Zeitalter, und nur erst vom zwölften Jahrhundert an enthalten aztekische Jahrbücher, gleich denen der Chineser und Tibetaner, die beynahe ununterbrochnen Angaben der Sekularfeste, die Geschlechtsregister der Könige, die den Besiegten aufgelegten Tribute, die Gründungen der Städte, die Erscheinungen am Himmel, und mancherley oft kleinliche Umstände, welche auf die noch jugendlichen Staatengesellschaften Einfluß hatten. Ob nun aber gleich keinerley Ueberlieferungen eine unmittelbare Verbindung zwischen den Völkern beyder Hälften Amerika's bezeichnen, so bietet hingegen ihre Geschichte auffallende Aehnlichkeiten in den politischen und religiösen Umwälzungen dar, von denen die Civilisation der Azteken, Muyscas und Peruaner ausgeht. Bärtige Männer, von minder dunkler Hautfarbe als die Eingebornen von Anahuac, Cundinamarca und der Ebene von Couzco, treten auf, ohne daß man ihren Geburtsort anzugeben weiß. Als Oberpriester, Gesetzgeber, Freunde des Friedens, und der von ihm begünstigten Künste, wandeln sie einmals die Verhältnisse der Völker um, bey denen sie ehrfurchtsvolle Aufnahme fanden. Quetzalcoatl, Bochica und Mungo-Capac sind die heiligen Namen dieser geheimnißvollen Wesen. Quetzalcoatl kommt in schwarzem Priesterkleide von Panuco und den Ufern des mexikanischen Meerbusens her; Bochica, der Boudha der Muyscas, erscheint in den hochgelegenen Ebenen Bogota's, von den auf der Ostseite der Cordilleren liegenden Savannen her. Die Geschichte dieser Gesetzgeber ist voll wunderbarer Erzählungen, religiöser Dichtungen, und solcher Züge, die eine allegorische Deutung verrathen. Von einigen Gelehrten ward zwar die Vermuthung geäußert, es möchten jene Ausländer durch Schiffbruch verschlagene Europäer, oder Abkömmlinge der Scandinavier seyn, die seit dem eilften Jahrhundert Grönland, Neufundland, und vielleicht sogar Neuschottland besuchten; aber ein auch nur geringes Nachdenken über den Zeitpunkt der ersten toltekischen Wanderungen, über die mönchischen Einrichtungen, die religiösen Symbole, den Kalender und die Formen der Denkmale von Cholula, Sogamozo und Couzco wird zu der Ueberzeugung führen, daß die Gesetzbücher der Quetzalcoatl, Bochica und Mungo-Capac unmöglich aus dem Norden von Europa herstammen konnten. Dagegen scheint Alles nach dem östlichen Asien und nach Völkern hinzudeuten, die mit den Tibetanern, den Shamanisten, Tartaren, und mit den bärtigen Ainos der Inseln von Jesso und Sachalin in Verbindung stunden. Wenn ich mich der Worte Denkmale der neuen Welt, Fortschritte in den zeichnenden Künsten, Verstandeskultur in meinen historischen Forschungen über Amerika bediene, so wollte ich damit keineswegs eine Lage der Dinge bezeichnen, die dasjenige andeuten sollte, was man zwar etwas unbestimmt unter einem höhern Kultur- und Civilisations-Grade versteht. Nichts ist schwieriger als eine Vergleichung zwischen Völkern anzustellen, die auf verschiednen Bahnen sich gesellig ausbildeten. Die Mexikaner und Peruaner dürfen durchaus nicht nach solchen Grundsätzen beurtheilt werden, welche man aus der Geschichte von Völkern entlehnt, an die unsre Studien uns stets erinnern. Es entfernen sich dieselben von den Griechen und Römern in gleichem Maße, wie sie sich den Hetruskern und Tibetanern nähern. Die theokratische Regierung der Peruaner begünstigte auf der einen Seite die Fortschritte des Kunstfleißes, öffentliche Arbeiten, und Alles, was, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, die Civilisation überhaupt und in Masse begreift; dagegen hemmte sie die Entwicklung der individuellen Geisteskräfte. Bey den Griechen verhielt sich's umgekehrt, und bis zu den Zeiten des Perikles stund die freye und schnelle Geistesentwicklung der Einzelnen außer Verhältniß mit den langsamen Fortschritten der Nationalbildung. Das Reich der Incas könnte einer großen klösterlichen Anstalt verglichen werden, worin jedem Ordensgliede, was es für das gemeine Beste thun sollte, vorgeschrieben war. Wer auf Ort und Stelle die Bekanntschaft jener Peruaner machte, welche Jahrhunderte hindurch ihre National-Physiognomie unverändert beybehielten, der wird das Gesetzbuch Mungo-Capacs und dessen Einfluß auf Sittlichkeit und Gemeinwohl sattsam zu würdigen im Stande seyn. Man traf allgemeinen Wohlstand an, aber kein Privatglück; Hingebung in den Willen des Herrschers nahm die Stelle der Liebe des Vaterlands ein; für kühne Unternehmungen war leidender Gehorsam, aber kein ächter Muth vorhanden; ein Geist der Ordnung, der durch kleinliche Vorschriften auch die gleichgültigsten Verrichtungen regelte, erdrückte gleichsam jedes freie Denken, und jede Größe des Charakters. Die verwickeltsten aller Staatsverfassungen, deren die Geschichte Meldung thut, hatten die Keime der individuellen Freyheit erstickt; und der Stifter des Reiches von Couzco, der sich schmeichelte, die Menschen durch Zwang glücklich machen zu können, hatte sie in der That nur in Maschinen verwandelt. Die peruanische Theocratie war zwar allerdings minder drükend, als die Regierung des Königs von Mexiko; aber beyde trugen wesentlich dazu bey, den Denkmalen, dem Cultus und der Mythologie beyder Bergvölker jenes finstere und traurige Aussehen zu ertheilen, das mit den Künsten und den milden Dichtungen der Völker Griechenlands in so schneidendem Kontraste steht. Paris, im April 1813.