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Alexander von Humboldt: „Alexander von Humboldts Ansichten über Amerika, und dessen eingeborne Völkerstämme“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1810-Pittoreske_Ansichten_in-02-neu> [abgerufen am 06.12.2024].

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Titel Alexander von Humboldts Ansichten über Amerika, und dessen eingeborne Völkerstämme
Jahr 1814
Ort Stuttgart; Tübingen
Nachweis
in: Morgenblatt für gebildete Stände 29 (3. Februar 1814), S. 113–115; 30 (4. Februar 1814), S. 117–119; 31 (5. Februar 1814), S. 121–122.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: III.3
Dateiname: 1810-Pittoreske_Ansichten_in-02-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 8
Spaltenanzahl: 16
Zeichenanzahl: 29843

Weitere Fassungen
Pittoreske Ansichten in den Cordilleren (Stuttgart; Tübingen, 1810, Deutsch)
Alexander von Humboldts Ansichten über Amerika, und dessen eingeborne Völkerstämme (Stuttgart; Tübingen, 1814, Deutsch)
Über Amerika und dessen eingeborne Völkerstämme (Wien, 1814, Deutsch)
View of America and its native tribes (London, 1814, Englisch)
Researches Concerning the Institutions and Monuments of the Ancient Inhabitants of America; with descriptions and views of some of the most striking scenes in the Cordilleras (London, 1815, Englisch)
Travels in South America (Ipswich, 1815, Englisch)
Ueber die Lage, Form u. s. w. des Kotopaxi, dieses kolossalen Feuerberges (Frankfurt am Main, 1817, Deutsch)
Natuurlijke brug over den Icononzo, een dal in het cordillerisch gebergte (Amsterdam, 1818, Niederländisch)
Gang der Völkercultur der neuen Welt, verglichen mit jenem europäischer Natur, Kunst und Sitte (Brünn, 1819, Deutsch)
The works of god displayed (London, 1820, Englisch)
Cotopaxi (London, 1820, Englisch)
[Über die Anden-Kordillera] (Frankfurt am Main, 1820, Deutsch)
Description of the volcano at Cotopaxi (Chillicothe, Ohio, 1821, Englisch)
Description of the volcano at Cotopaxi (Cincinnati, Ohio, 1821, Englisch)
Cotopaxi (Hartford, Connecticut, 1822, Englisch)
[Researches Concerning the Institutions and Monuments of the Ancient Inhabitants of America; with descriptions and views of some of the most striking scenes in the Cordilleras] (Boston, Massachusetts, 1822, Englisch)
Ancient mexican cities and pyramids (Shrewsbury, 1823, Englisch)
Chimborazo and Cotopaxi (London, 1823, Englisch)
Remarks on the Union of the Atlantic and Pacific Oceans, by a Canal across the Isthmus of Darien or Panama (Montreal, 1824, Englisch)
The works of God displayed in the history of Cotopaxi a mountain in South America (New York City, New York, 1825, Englisch)
Cotopaxi (Black Rock, New York, 1825, Englisch)
[Pittoreske Ansichten in den Cordilleren] (London, 1827, Englisch)
Extrait de l’ouvrage de M. de Humboldt sur les monumens de l’Amérique (London, 1831, Französisch)
Traditions du nouveau monde, en conformité avec nos croyances (Paris, 1832, Französisch)
Calendrier mexicain (Paris, 1833, Französisch)
Cargueroes, or Man-Carriers of Quindiu (Edinburgh, 1836, Englisch)
Extrait des Vues des Cordillières et monuments des peuples indigènes de l’Amérique (Paris, 1836, Französisch)
Cargueroes, or man-carriers of Quindiu (New York City, New York; Boston, Massachusetts; Cincinnati, Ohio, 1837, Englisch)
Humboldt on the Heads of the American Indians (Edinburgh; London; Glasgow; New York City, New York, 1843, Englisch)
Cotopaxi (Philadelphia, Pennsylvania; Boston, Massachusetts; New York City, New York, 1851, Englisch)
Extinct Species (Wells, 1852, Englisch)
Extinct Species (Sligo, 1852, Englisch)
Extinct Species (Belfast, 1852, Englisch)
Extinct Species (Armagh, 1852, Englisch)
The Volcano of Cotopaxi (Hertford, 1853, Englisch)
The Volcano of Cotopaxi (Wells, 1853, Englisch)
Antediluvian America (Hertford, 1853, Englisch)
Antediluvian America (Wells, 1853, Englisch)
Mexique (Paris, 1853, Französisch)
Cotopaxi (Hartford, Connecticut, 1856, Englisch)
Visita del Chimborazo, desde la mesa de Tapia (Panama City, 1858, Spanisch)
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Alexander von Humboldts Anſichten überAmerika, und deſſen eingeborne Völkerſtämme.(Aus der Einleitung zu dem pittoresken Atlas ſeiner Reiſeüberſetzt.)1.

Ich wollte die noch vorhandenen Denkmale des Ur-ſprungs und der früheſten Künſte unter den eingebornenamerikaniſchen Völkern zuſammenſtellen. Man iſt erſtaunt,in einer Welt, die wir die neue nennen, am Schluſſedes funfzehnten Jahrhunderts, eben jene alterthümlichenEinrichtungen, jene Religionsbegriffe und Architektur-For-men anzutreffen, welche in Aſien den früheſten Zeiten derCiviliſation anzugehören ſcheinen. Es verhält ſich mit denCharakterzügen der Völker, wie mit dem innern Bau derüber den Erdball verbreiteten Pflanzen. Das Gepräge derurſprünglichen Bildung bleibt, der mannichfachen Eindrückeungeachtet, welche Klima, Boden und andere Zufälligkei-ten mehr hervorbrachten, überall unverkennbar. In dem erſten Zeitraume nach der Entdeckung von Ame-rika war die Aufmerkſamkeit der Europäer vorzugsweiſeauf die gigantiſchen Gebäudemaſſen von Couzco, auf dieHeerſtraßen mitten durch die Cordilleren, auf die ſtufen-förmig anſteigenden Pyramiden, auf den Gottesdienſt unddie ſymboliſchen Schriften der Mexikaner gerichtet. Ver-ſchiedne Landſchaften von Mexiko und Peru wurden da-mals eben ſo häufig beſchrieben, wie in unſern Tagen dieGegend von Port Jackſon in Neu-Holland, oder die InſelOtahiti. Man muß ſelbſt an Ort und Stelle geweſen |Spaltenumbruch| ſeyn, um die edle Einfalt und den Charakter von Treueund Wahrheit der Schilderungen jener früheſten ſpaniſchenReiſenden ſattſam zu würdigen, und bey’m Leſen ihrerWerke bedauert man nur den Mangel von Abbildungen,die uns genügendere Begriffe von ſo vielen, theils durchFanatismus vertilgten, theils durch ſtrafbare Sorgloſig-keit zerfallnen, Denkmalen mittheilen könnten. Der Eifer für dieſe amerikaniſchen Forſchungen vermin-derte ſich ſeit Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts; dieſpaniſchen Kolonien, in deren Umfang allein civiliſirteVölker gewohnt hatten, blieben für Ausländer verſchloſ-ſen; und als neuerlich in Italien der Abbé Clavigero ſein Werk über die ältere mexikaniſche Geſchichte bekanntmachte, wurden viele Thatſachen in Zweifel gezogen, diefrüher durch zahlreiche und oft nichts weniger als einanderbefreundete Augenzeugen waren beſtätigt worden. Be-rühmte Schriftſteller, denen die Harmonie der Natur we-niger als ihre Contraſte Vergnügen machte, haben ſich be-müht, ganz Amerika als ein großes Sumpfland darzuſtel-len, welches der Fortpflanzung der Thiergattungen ungün-ſtig, ſeit Kurzem erſt durch ſolche Menſchenſtämme bevöl-kert ward, deren Kultur jene der Südſee-Inſulaner nichtübertraf. Ein unbeſchränkter Scepticism hatte aus den hiſtoriſchen Unterſuchungen über die Ameri-kaner die geſunde Kritik verdrängt. Die Erfindungeneines Solis und etlicher andrer Reiſebeſchreiber, welcheEuropa nie verlaſſen hatten, wurden mit den treuen undeinfachen Erzählungen der früheſten Beſucher des neuent- |114| |Spaltenumbruch|deckten Welttheils zuſammen geworfen; und man hielt esfür die Pflicht des philoſophiſchen Geſchichtſchreibers, vor-aus Alles das zu läugnen, was die Miſſionare beobach-tet hatten. Seit dem Ende des abgefloſſnen Jahrhunderts trat eineglückliche Aenderung ein, in Bezug auf das Urtheil überdie Civiliſation der Völker und über die Urſachen, welcheihre Fortſchritte abwechſelnd befördern und hemmen. Wirlernten Nationen kennen, deren Sitten, Einrichtungenund Künſte von denen der Griechen und Römer beynaheeben ſo verſchieden ſind, als die urſprünglichen Geſtaltenverſchwundener Thierarten von jenen abweichen, mit wel-chen ſich gegenwärtig die Naturbeſchreiber beſchäftigen. DieGeſellſchaft von Calcutta hat ein helles Licht über die Ge-ſchichte der aſiatiſchen Völker verbreitet. Die DenkmaleEgyptens wurden neuerlich theils mit bewundernswertherGenauheit beſchrieben, theils mit denjenigen der entfern-teſten Länder verglichen; und meine Unterſuchungen überdie einheimiſchen Völker Amerika’s erſcheinen in einemZeitpunkte, wo, was ſich dem Style und der Gattung nichtannähert, worin die Griechen unerreichbare Muſter zurück-lieſſen, darum nicht minder aller Aufmerkſamkeit werthgeachtet wird. Mein Beſtreben ging dahin, in der Beſchreibung derhiſtoriſchen Denkmale Amerika’s das richtige Mittel zwi-ſchen zwey Pfaden zu beobachten, welche abwechſelnd vonſolchen Gelehrten eingeſchlagen wurden, die ſich mit Un-terſuchungen über Denkmale, Sprachen und Völkerſagenbeſchäftigt haben. Die einen, indem ſie glänzende, aberauf ſchwankenden Grundlagen ruhende, Hypotheſen verfolg-ten, haben aus einer kleinen Zahl vereinzelter Thatſachenallgemeine Folgerungen gezogen. Sie fanden in Amerikachineſiſche und egyptiſche Kolonien, celtiſche Dialekte unddas Alphabet der Phönizier. Während wir über den aſia-tiſchen Urſprung der Osken, Gothen und Celten noch un-gewiß ſind, wollte man über die Abkunft aller Völkerſtämmeder neuen Welt entſcheidend abſprechen. Andere Schrift-ſteller hinwieder häuften Materialien an, ohne je ſich zuallgemeinen Begriffen zu erheben; ein Verfahren, wovondie Völkergeſchichte eben ſo wenig Vortheil ziehen kann,als die verſchiednen Zweige der Naturwiſſenſchaften. Ichwürde mich glücklich ſchätzen, wenn man finden ſollte, daßich beyde Klippen gleichmäßig zu vermeiden gewuſſt habe.Eine kleine Zahl weit von einander entlegner Völkerſchaf-ten, die Hetrusker, Egypter, Tibetaner und Azteken,zeigen auffallende Aehnlichkeiten in ihren Gebäuden, inihren religiöſen Anſtalten, in ihrer Jahreseintheilung, inihren wiederkehrenden Zeitperioden und in ihren myſti-ſchen Vorſtellungen. Der Geſchichtſchreiber darf dieſe Aehn-lichkeiten nicht unbeachtet laſſen, deren Erklärung geradeeben ſo ſchwierig iſt, als jene der Verwandtſchaften zwi-ſchen den Sanscrit, perſiſchen, griechiſchen und germani- |Spaltenumbruch| ſchen Sprach-Formen; aber indem man ſich zu allgemeinenBegriffen erhebt, muß man da ſtehen zu bleiben wiſſen, woſichere Thatſachen uns verlaſſen. Dieſen Grundſätzen ge-mäß, will ich die Reſultate darzuſtellen verſuchen, die ausden Angaben hervorgehen, welche ich mir bis dahin überdie einheimiſchen Völkerſchaften Amerika’s ſammelte. 2. Eine aufmerkſame Prüfung der geologiſchen Verhält-niſſe der neuen Welt, und die Betrachtung des Gleichge-wichts der über die Erdoberfläche verbreiteten Flüſſigkei-ten, erlauben uns nicht anzunehmen, daß beyde, dasneue und das alte Continent, zu verſchiednen Zeiten demWaſſer entſtiegen ſeyn ſollten. Auf beyden Halbkugelnnimmt man die gleiche Reihenfolge übereinander liegen-der Steinſchichten wahr, und vermuthlich ſind auch dieverſchiedenen Granit-, Gips- und Sandſteinformationenin den Gebirgen von Peru zu eben der Zeit entſtanden,wo die ihnen entſprechenden Gebirgslager in den Schwei-zeralpen ihren Urſprung nahmen. Der geſammte Erdballhat, wie es ſcheint, ähnliche Kataſtrophen erlitten. Aufdem Kamme der Andes, in einer Höhe, die jene des Mont-blanc übertrifft, finden ſich verſteinerte Muſchelſchalen desWeltmeers. Foſſile Elephantenknochen ſind in den Län-dern um den Aequator zerſtreut, und, was merkwürdigiſt, es finden ſich ſolche nicht etwa unter den Palmen inden heißen Thälern des Orenoko, ſondern auf den höchſtenund kälteſten Ebenen der Cordilleren. In der neuen, wiein der alten Welt, ſind ganze Schöpfungen und Gattungenorganiſcher Körper zu Grund gegangen, die Vorläufer de-rer, welche jetzt Erde, Luft und Waſſer bevölkern. Es ſind keine Gründe vorhanden, um anzunehmen,Amerika ſey viel ſpäter als die übrigen feſten Länder durchMenſchen bewohnt worden. Der üppige Pflanzenwuchs,die breiten Flüſſe, und die partiellen Ueberſchwemmungen,ſind in den Tropenländern mächtige Hinderniſſe der Völ-kerwanderungen. Ausgedehnte Landſchaften des nördlichenAſiens ſind eben ſo ſchwach bevölkert, wie die Grasebenenvon Neu-Mexiko und Paraguay, und man darf keineswegsvorausſetzen, es müſſen die am früheſten bewohnten Län-der nothwendig auch die ſtärkſte Bevölkerung haben. Die Frage über den Urſprung der Bevölkerung von Ame-rika kann eben ſo wenig eine dem Gebiete der Geſchichtezugehörige Frage ſeyn, als die Fragen über den Urſprungder Pflanzen und der Thiere und über die Vertheilungder organiſchen Keime ſolche ſind, die den Naturwiſſen-ſchaften angehören. Die Geſchichte, wenn ſie in die älte-ſten Zeiten hinaufſteigt, zeigt uns beynahe alle Theiledes Erdballs von Menſchen bewohnt, die ſich für Urvöl-ker (aborigines) halten, weil ihnen ihre Abſtammungunbekannt iſt. Mitten unter mannichfaltigen Völkerſchaf-ten, die auf einander folgten, und ſich mit einander ver-miſchten, wird es unmöglich, auf eine ſichere Weiſe die |115| |Spaltenumbruch|Grundlage, von der zuerſt die Bevölkerung ausging, zuunterſcheiden, und die Gränze zu bezeichnen, jenſeits wel-cher das Reich der cosmogoniſchen Sagen gelegen iſt. Die Völker Amerika’s, mit Ausnahme derer, die ſichdem Polarkreiſe nähern, gehören Alle einem einzigenStamme an, der ſich durch Schädelbildung, Hautfarbe,ſehr geringen Bart, und glatten Haarwuchs auszeichnet.Der amerikaniſche Völkerſtamm zeigt auffallende Aehnlich-keiten mit jenem der mongoliſchen Völker, welcher dievormals unter dem Namen der Hunnen bekannten Ab-kömmlinge der Hiong-nu, die Kalkaſen, Kalmuken undBuratten in ſich begreift. Neuerliche Beobachtungen ha-ben ſogar dargethan, daß nicht die Bewohner von Unalas-ka allein, ſondern auch mehrere ſüdamerikaniſche Völker-ſchaften, durch oſteologiſche Schädelcharaktere einen Ueber-gang der amerikaniſchen zur mongoliſchen Raçe bezeichnen.Wenn einſt die braune afrikaniſche Raçe, und jene Völ-kerſchwärme, welche das innere Afrika und ſeine nordöſt-lichen Länder bewohnen, und denen ſyſtematiſche Reiſe-beſchreiber den ſchwankenden Namen der Tartaren oderTſchouden zutheilten, beſſer gekannt ſind, ſo werden diekaukaſiſchen, mongoliſchen, amerikaniſchen, malayiſchenund Neger-Raçen minder vereinzelt daſtehen, und manwird in dieſer großen Familie des Menſchengeſchlechts nurein einziges Urbild erkennen, das durch Umſtände, welcheuns vielleicht auf immer unbekannt bleiben, mannichfal-tige Modifikationen litt. Die eingebornen Völker der neuen Welt, ob ſie gleichalle durch ſehr weſentliche Charaktere einander verwandtſind, bieten hinwieder in ihren beweglichen Zügen, in dermehr oder minder dunkeln Hautfarbe, in ihrer Geſtaltund Größe, Verſchiedenheiten dar, die nicht minder auf-fallend als jene ſind, welche wir zwiſchen den Arabern, Per-ſern und Slaven vom cirkaſſiſchen Stamm wahrnehmen.Inzwiſchen zeigen die Horden, welche die brennenden Thal-flächen der Aequinoctalländer durchſtreifen, keineswegs einedunklere Hautfarbe, als die Bergvölker oder die Bewoh-ner der gemäßigten Zone, ſey es, daß beym Menſchen, wiebey den meiſten Thieren, ein gewiſſer Zeitpunkt im Lebeneintritt, über welchem hin der Einfluß von Klima undNahrung unbedeutend wird, oder daß die Abweichung vomUrgepräge nur erſt nach Abfluß vieler Jahrhunderte ſpür-bar iſt. Aus Allem ergibt ſich jedoch, daß die Amerika-ner, gleich den mongoliſchen Völkerraçen, eine minderbiegſame Organiſation, als die andern europäiſchen undaſiatiſchen Nationen, beſitzen. Die amerikaniſche Raçe, geringer an Zahl als alle an-dere, iſt hingegen auf dem größten Raume des Erdballsverbreitet. Sie dehnt ſich durch beyde Halbkugeln vom68 nördlichen bis zum 55 ſüdlichen Breitegrad aus. Sieiſt von allen Raçen die Einzige, welche gleichzeitig in denheißen das Weltmeer begränzenden Thalflächen, und auf |Spaltenumbruch| dem Rücken der Berge bis zu Höhen hinauf wohnt, diemehr denn 200 Klafter über den Pic von Teneriffa empor-ragen. |117| |Spaltenumbruch| |Spaltenumbruch|

Alexander von Humboldts Anſichten überAmerika, und deſſen eingeborne Völkerſtämme.3.

Die Zahl der Sprachen, durch welche ſich die eingebor-nen Völker von einander unterſcheiden, ſcheint in Amerikanoch größer als in Afrika zu ſeyn, wo man doch, zu Folgeder neuerlich von den Herren Seetzen und Vater an-geſtellten Unterſuchungen, deren über hundert und vierzigzählt. In dieſer Hinſicht iſt ganz Amerika dem Kauca-ſus, der Landſchaft Italien vor Eroberung der Römer, undKleinaſien ähnlich, zur Zeit, wo hier auf kleiner Erdflächedie Cilicier von ſemitiſcher Raçe, die Phrygier aus thra-ciſchem Stamme, die Lydier und die Celten beyſammen |118| |Spaltenumbruch|lebten. Die Geſtaltung der Erde, die üppig wucherndePflanzenwelt, und die Furcht der Tropenbewohner vor derSonnenhitze der Thäler, erſchweren gegenſeitige Mitthei-lungen, und befördern die erſtaunliche Mannichfaltigkeitder amerikaniſchen Mundarten. Auch iſt dieſe Verſchie-denheit minder groß in den von Jägern durchſtrichenenGrasebenen und Wäldern des Nordens, an den Ufern dergroßen Flüſſe längs den Küſten des Weltmeers, und über-all da, wo die Incas durch Waffengewalt ihre Theocratiehinbrachten. Wenn von mehrern hundert Sprachen auf einem feſtenLande die Rede iſt, deſſen Geſammtbevölkerung jener vonFrankreich nicht gleich kommt, ſo verſteht man unter ver-ſchiednen Sprachen ſolche, die zu einander in dem Verhält-niſſe ſtehen, wie, ich will nicht ſagen, die deutſche zurholländiſchen, oder die italieniſche zur ſpaniſchen, ſondernwie die däniſche zur deutſchen, die chaldäiſche zur arabi-ſchen, die griechiſche zur lateiniſchen. So wie man nachund nach mit dem Labyrinthe der amerikaniſchen Mund-arten vertrauter wird, ſo nimmt man wahr, daß meh-rere derſelben ſich gruppweiſe in Familien zuſammen rei-hen laſſen, während eine große Zahl andrer vereinzelt ſte-hen bleiben, gleich dem Baskiſchen unter den Sprachender Europäer, und der japaniſchen unter jenen der Aſiaten.Dieſe iſolirte Stellung iſt vielleicht nur ſcheinbar, und esläſſt ſich vermuthen, es dürften jene, jeder ethnographi-ſchen Klaſſifikation zu widerſtreben ſcheinende, Mundartenmit ſolchen in Verwandtſchaft ſtehen, die entweder längſterlöſcht ſind, oder aber Völkern angehören, welche bishervon keinen Reiſenden beſucht wurden. Die meiſten amerikaniſchen Sprachen, jene ſelbſt, de-ren Gruppen untereinander alſo abweichen, wie die Mund-arten von deutſcher, celtiſcher und ſlaviſcher Abkunft, bie-ten eine gewiſſe Uebereinſtimmung im Ganzen ihrer Or-ganiſation dar, die, wo nicht auf einen gemeinſamen Ur-ſprung, doch wenigſtens auf eine ſehr große Analogie derintellectuellen Anlagen der amerikaniſchen Völker von Grön-land bis zum Magellanslande hindeutet. Aeußerſt genaue und ſolche Forſchungen, die nach einerbis dahin bey etymologiſchen Studien unbekannten Me-thode angeſtellt wurden, haben dargethan, daß ſich einekleine Zahl von Worten findet, welche den Sprachen deralten und der neuen Welt gemeinſam iſt. In drey undachtzig durch die Herren Barton und Vater geprüftenamerikaniſchen Sprachen, haben ſich ungefähr hundert undſiebenzig Wörter vorgefunden, die gleiche Wurzeln zu habenſcheinen; und man überzeugt ſich leicht, daß dieſe Verwandt-ſchaften keineswegs blos zufällig, oder eine nachahmendeHarmonie ſind, und etwa nur auf jener gleichförmigen Bil-dung der Organe beruhen, welche die erſten artikulirtenTöne der Kinder ungefähr überall gleichlautend macht. Vonhundert und ſiebenzig einander verwandten Worten finden |Spaltenumbruch|ſich drey Fünftheile, welche an die Sprachen der Mantchour,Tunguſen, Mongolen und Samojeden, und hinwiederzwey Fünftheile, welche an die celtiſchen und tſchoudiſchenMundarten, und an die baskiſche, coptiſche und congoiſcheSprache erinnern. Jene Worte wurden bey der Verglei-chung der Geſammtheit aller amerikaniſchen Sprachen mitder Geſammtheit der Sprachen der alten Welt aufgefun-den; denn bis dahin iſt uns noch keine amerikaniſche Mund-art bekannt geworden, die, vor den übrigen, mit einer derzahlreichen Gruppen der aſiatiſchen, afrikaniſchen oder eu-ropäiſchen Sprachen in Verwandtſchaft zu ſtehen erachtetwerden könnte. Was von einigen Gelehrten, auf abſtrakteTheorien hin, ſowol über die vorgebliche Armuth alleramerikaniſchen Sprachen, als über die ausnehmende Dürf-tigkeit ihres Zahlenſyſtems behauptet ward, iſt eben ſogewagt und grundlos, wie hinwieder die Behauptungenüber die Schwäche und Stumpfſinnigkeit des Menſchen-geſchlechts in der neuen Welt, über das Kleinerwerden derorganiſchen Körper, und über die Ausartung der von derandern Halbkugel dahin verpflanzten Thiere. Verſchiedne Mundarten, welche gegenwärtig nur bar-bariſchen Völkern angehören, ſcheinen die Ueberreſte vonreichen und biegſamen Sprachen zu ſeyn, die eine bedeu-tend vorgerückte Kultur andeuten. Man will hier nicht inUnterſuchung der Frage eintreten: ob der urſprünglicheZuſtand des Menſchengeſchlechts ein Zuſtand von Rohheitund Dummheit war, oder ob die wilden Horden von Völ-kern abſtammen, deren Verſtandeskräfte ſowol als die Spra-che, worin jene ſich abſpiegeln, beyde gleichmäßig früherentwickelt waren: es ſoll einzig hier daran erinnert wer-den, daß das Wenige, was uns von der Geſchichte derAmerikaner bekannt iſt, den Beweis zu enthalten ſcheint,daß jene Stämme, welche vom Norden nach dem Südenwanderten, bereits ſchon in den Gegenden ihres nördlich-ſten Aufenthalts jene Verſchiedenheit der Sprachen dar-boten, die wir jetzt unter dem heißen Erdſtriche wahrneh-men. Daraus läſſt ſich der analogiſche Schluß ziehen, daßdie Veräſtelung (ramification) oder, um einen von allemSyſteme unabhängigen Ausdruck zu gebrauchen, die Man-nichfaltigkeit der Sprachen eine ſehr alte Erſcheinung iſt.Vielleicht gehören die Sprachen, welche wir amerikaniſchenennen, dieſem Welttheile urſprünglich eben ſo wenig an,als die madjariſche oder hungariſche, und die tſchoudiſcheoder finniſche Sprache Europa zugehören. Es iſt zwar allerdings der Fall, daß die Vergleichungder Mundarten der alten und der neuen Welt bis dahinnoch zu keinen allgemeinen Reſultaten führte; darum aberſoll man die Hoffnung nicht aufgeben, daß eben dieſes Stu-dium nicht fruchtbarer werden könne, wenn der Scharfſinnder Gelehrten einſt einen größern Vorrath von Materia-lien beſitzen wird. Wie viele Sprachen Amerika’s ſowohlals des innern und öſtlichen Aſiens mögen noch übrig ſeyn, |119| |Spaltenumbruch|deren Mechanismus uns gerade eben ſo unbekannt iſt,wie jener der tyrheniſchen, oskiſchen und ſabiniſchen Spra-chen. Unter den Völkern, welche in der alten Welt ver-ſchwunden ſind, gibt es vielleicht mehrere, von denen ſicheinzelne kleine Stämme in den weiten amerikaniſchen Wü-ſten noch erhalten haben. Wenn jedoch die frühere Verbindung zwiſchen beydenWelten ſich durch die Sprachen nur ſehr unvollkommendarthun läſſt, ſo geht hingegen eben jene Verbindung aufeine unzweydeutige Weiſe aus den Cosmogonien, denDenkmalen, den Hieroglyphen, und den Inſtitutionen deramerikaniſchen und aſiatiſchen Völker hervor. Ich glaubehiefür zu den bereits vorhandenen Beweiſen eine nichtgeringe Zahl bisher unbekannter hinzugefügt zu haben.Ueberall ließ ich mir dabey angelegen ſeyn, dasjenige, wasauf gemeinen Urſprung hindeutet, von dem zu unterſchei-den, was als Reſultat gleichartiger Verhältniſſe muß be-trachtet werden, die zwiſchen Völkern Statt finden, wel-che ſich auf den erſten Stufen der Civiliſation befinden.

4.

Die Beſtimmung des Zeitpunktes der ältern Verbin-dung beyder Welten war bis dahin unmöglich, und eswürde allzuverwegen ſeyn, die Völkergruppe der altenWelt bezeichnen zu wollen, die mit den Tolteken, Azte-ken, Muyſcas oder Peruanern in nächſter Verwandſchaftſteht, indem jene Verhältniſſe, um die ſich’s hier han-delt, auf ſolchen Traditionen, Denkmalen und Gewohn-heiten beruhen, die leicht älter ſeyn möchten, als die ge-genwärtige Eintheilung der Aſiaten in Mongolen, Hin-dous, Tongouſen und Chineſen. Zur Zeit der Entdeckung der neuen Welt, oder, umrichtiger zu ſprechen, zur Zeit der erſten ſpaniſchen Ueber-fälle, waren die in der Kultur am weiteſten vorgeſchrit-tenen amerikaniſchen Völkerſchaften Bergbewohner. Inden Thälern eines gemäßigten Himmelſtrichs geborneMenſchen rückten auf dem Gebirgsrücken der Cordillerenvor, die, ſo wie ſie ſich dem Aequator nähern, höher wer-den; ſie fanden auf dieſen Höhen eine ihrem Mutterlandähnliche Temperatur und gleichartige Gewächſe. Ueberall, wo der Menſch auf minder fruchtbarem Erd-reich Hinderniſſe der Natur bekämpfen muß, ohne demallzuermüdenden Kampfe gänzlich zu unterliegen, da ent-wickeln ſich hinwieder auch ſeine Fähigkeiten am leichte-ſten. Auf dem Caucaſus und im Mittelpunkte von Aſien,bieten die unfruchtbaren Berge für freye und wilde Völkereine Zuflucht dar. In den Aequinoctialländern von Ame-rika, wo ſich über der Wolkenregion jene immergrünenSavannen (Grasplätze) befinden, ſind einzig die Cordil-leren von polizirten Völkern bewohnt; die erſten Kunſt-fortſchritte hatten daſelbſt mit den ſeltſamen, der indivi-duellen Freyheit keineswegs günſtigen, Verfaſſungen glei-ches Alter. |Spaltenumbruch| Wie in Aſien und Afrika, ſo nimmt man auch in derneuen Welt verſchiedne Mittelpunkte wahr, von deneneine urſprüngliche Civiliſation ausging, deren gegenſeiti-ge Verhältniſſe wir aber eben ſo wenig näher zu beſtim-men im Stande ſind, als jene von Méroé, Tibet undChina. Mexiko empfängt ſeine Kultur aus einem nörd-lich gelegenen Lande. Im ſüdlichen Amerika waren es diegroßen Gebäude von Tiahuanako, welche jenen Denkmalenzum Muſter dienten, die von den Inkas zu Coutzko er-richtet wurden. Dämme von anſehnlicher Länge, bronzeneWaffen und Steine mit eingegrabenen Bildern, welchemitten in den weiten Flächen von Ober-Canada, in Floridaund in der vom Orenoko, Caſſiquiaré und Guainia be-gränzten Wüſte gefunden werden, bezeugen, daß in die-ſen, jetzt nur von wilden Jägerhorden durchſtreiften, Ge-genden einſt Kunſtfleißübende Völker wohnten. (Der Beſchluß folgt.) |121| |Spaltenumbruch|

Alexander von Humboldts Anſichten überAmerika, und deſſen eingeborne Völkerſtämme. (Beſchluß.)

Die ungleichartige Vertheilung der Thiergattungenüber den Erdball hatte großen Einfluß auf das Schickſalder Nationen, und auf das mehr oder minder ſchnelle Vor-rücken ihrer Ausbildung. In der alten Welt war es dasHirtenleben, welches den Uebergang vom Jäger zum Land-bauer bildete. Die unter allen Erdſtrichen ſo leicht zu ac-climatiſirenden wiederkäuenden Thiere wurden die Be-gleiter des afrikaniſchen Negers, wie der Mongolen, Ma-layen, und der Menſchen von kaukaſiſchem Stamme.Obgleich nun zwar mehrere vierfüßige Thiere, und ſehrviele Pflanzenarten den nördlichſten Theilen beyden Wel-ten gemein ſind, ſo beſitzt jedoch Amerika vom Rindvieh-geſchlechte nur den Buckel- und den Biſam-Ochs, zweyſchwer zu zähmende Arten, deren weibliche Thiere, derreichen Weide ungeachtet, nur wenig Milch geben. Deramerikaniſche Jäger war demnach durch keine Pflege derHerden, und durch keine Gewöhnungen des Hirtenlebenszum Landbaue vorbereitet. Nie verſuchte der Bewohnerder Cordilleren, das Lama, Alpaca oder Guanaco zu mel-ken, und Milchſpeiſen waren vormals den Amerikanerneben ſo unbekannt, wie ſie es für viele Völker des öſtlichenAſiens ſind. Nirgends hat der freye, in den Wäldern des gemäßig-ten Erdgürtels lebende, Wilde die Jagd gegen den Acker-bau freywillig vertauſcht. Dieſer Uebergang, der wichtig- |Spaltenumbruch|ſte und ſchwierigſte in der Geſchichte des geſelligen Le-bens der Menſchen, kann nur durch Zwang-Verhältniſſeherbeygeführt werden. Wenn auf ihren großen Wande-rungen Jägerſchaaren, durch andre Kriegerſchwärme ver-folgt, in die Ebenen der Aequinoktialzone hingelangen, ſobringen die undurchdringliche Dichtheit der Wälder, unddas üppige Wachsthum der Pflanzen in ihrem Charakterund Lebensart weſentliche Aenderung hervor. Zwiſchendem Orenoko, Ukajalé und dem Amazonenfluß ſind Gegen-den gelegen, worin der Menſch ſo zu ſagen außer Bächenund Seen keinen freyen Raum findet. An die Ufer derFlüſſe gebannt, umgeben hier auch die wildeſten Einwoh-ner ihre Hütten mit der Paradiesfeige, dem Jatropha-Baum, und mit einigen andern Nahrungpflanzen.

5.

Weder durch hiſtoriſche Thatſachen, noch durch Völker-ſagen, wird ein zwiſchen den ſüd-amerikaniſchen und dennördlich der Landenge von Panama wohnenden Völkernbeſtehender Zuſammenhang beurkundet. Die Jahrbücherdes mexikaniſchen Reiches ſcheinen bis in’s ſechste Jahr-hundert unſrer Zeitrechnung hinaufzureichen. Sie ver-zeichnen die Zeitpunkte ſtatt gefundener Wanderungen,ihre veranlaſſenden Urſachen, die Namen der dem erlauch-ten Familienſtamme der Citins angehörenden Heerführer,welche aus den unbekannten Landſchaften Aztlan und Téo-colhuacan nördliche Völker in die Ebenen von Anahuacgeleiteten. Die Gründung von Ténochtilan fällt gleichjener von Rom in das heroiſche Zeitalter, und nur erſt |122| |Spaltenumbruch| vom zwölften Jahrhundert an enthalten aztekiſche Jahr-bücher, gleich denen der Chineſer und Tibetaner, diebeynahe ununterbrochnen Angaben der Sekularfeſte, dieGeſchlechtsregiſter der Könige, die den Beſiegten aufge-legten Tribute, die Gründungen der Städte, die Erſchei-nungen am Himmel, und mancherley oft kleinliche Um-ſtände, welche auf die noch jugendlichen Staatengeſellſchaf-ten Einfluß hatten. Ob nun aber gleich keinerley Ueberlieferungen eine un-mittelbare Verbindung zwiſchen den Völkern beyder Hälf-ten Amerika’s bezeichnen, ſo bietet hingegen ihre Ge-ſchichte auffallende Aehnlichkeiten in den politiſchen und religiöſen Umwälzungen dar, von denen die Civiliſationder Azteken, Muyscas und Peruaner ausgeht. BärtigeMänner, von minder dunkler Hautfarbe als die Einge-bornen von Anahuac, Cundinamarca und der Ebene vonCouzco, treten auf, ohne daß man ihren Geburtsort an-zugeben weiß. Als Oberprieſter, Geſetzgeber, Freundedes Friedens, und der von ihm begünſtigten Künſte, wan-deln ſie einmals die Verhältniſſe der Völker um, bey de-nen ſie ehrfurchtsvolle Aufnahme fanden. Quetzalcoatl,Bochica und Mungo-Capac ſind die heiligen Namen die-ſer geheimnißvollen Weſen. Quetzalcoatl kommt in ſchwar-zem Prieſterkleide von Panuco und den Ufern des mexika-niſchen Meerbuſens her; Bochica, der Boudha der Muys-cas, erſcheint in den hochgelegenen Ebenen Bogota’s, vonden auf der Oſtſeite der Cordilleren liegenden Savannenher. Die Geſchichte dieſer Geſetzgeber iſt voll wunderba-rer Erzählungen, religiöſer Dichtungen, und ſolcher Zü-ge, die eine allegoriſche Deutung verrathen. Von eini-gen Gelehrten ward zwar die Vermuthung geäußert, esmöchten jene Ausländer durch Schiffbruch verſchlagene Eu-ropäer, oder Abkömmlinge der Scandinavier ſeyn, dieſeit dem eilften Jahrhundert Grönland, Neufundland,und vielleicht ſogar Neuſchottland beſuchten; aber ein auchnur geringes Nachdenken über den Zeitpunkt der erſtentoltekiſchen Wanderungen, über die mönchiſchen Einrich-tungen, die religiöſen Symbole, den Kalender und dieFormen der Denkmale von Cholula, Sogamozo und Couz-co wird zu der Ueberzeugung führen, daß die Geſetzbü-cher der Quetzalcoatl, Bochica und Mungo-Capac unmög-lich aus dem Norden von Europa herſtammen konnten.Dagegen ſcheint Alles nach dem öſtlichen Aſien und nachVölkern hinzudeuten, die mit den Tibetanern, den Sha-maniſten, Tartaren, und mit den bärtigen Ainos der In-ſeln von Jeſſo und Sachalin in Verbindung ſtunden. Wenn ich mich der Worte Denkmale der neuenWelt, Fortſchritte in den zeichnenden Kün-ſten, Verſtandeskultur in meinen hiſtoriſchen For-ſchungen über Amerika bediene, ſo wollte ich damit keines-wegs eine Lage der Dinge bezeichnen, die dasjenige an-deuten ſollte, was man zwar etwas unbeſtimmt unter |Spaltenumbruch| einem höhern Kultur- und Civiliſations-Grade verſteht.Nichts iſt ſchwieriger als eine Vergleichung zwiſchen Völ-kern anzuſtellen, die auf verſchiednen Bahnen ſich geſelligausbildeten. Die Mexikaner und Peruaner dürfen durch-aus nicht nach ſolchen Grundſätzen beurtheilt werden, wel-che man aus der Geſchichte von Völkern entlehnt, an dieunſre Studien uns ſtets erinnern. Es entfernen ſich die-ſelben von den Griechen und Römern in gleichem Maße,wie ſie ſich den Hetruskern und Tibetanern nähern. Dietheokratiſche Regierung der Peruaner begünſtigte auf dereinen Seite die Fortſchritte des Kunſtfleißes, öffentlicheArbeiten, und Alles, was, wenn ich mich des Ausdrucksbedienen darf, die Civiliſation überhaupt und in Maſſebegreift; dagegen hemmte ſie die Entwicklung der indivi-duellen Geiſteskräfte. Bey den Griechen verhielt ſich’s um-gekehrt, und bis zu den Zeiten des Perikles ſtund die freyeund ſchnelle Geiſtesentwicklung der Einzelnen außer Ver-hältniß mit den langſamen Fortſchritten der Nationalbil-dung. Das Reich der Incas könnte einer großen klöſter-lichen Anſtalt verglichen werden, worin jedem Ordensgliede,was es für das gemeine Beſte thun ſollte, vorgeſchriebenwar. Wer auf Ort und Stelle die Bekanntſchaft jenerPeruaner machte, welche Jahrhunderte hindurch ihre Na-tional-Phyſiognomie unverändert beybehielten, der wirddas Geſetzbuch Mungo-Capacs und deſſen Einfluß auf Sitt-lichkeit und Gemeinwohl ſattſam zu würdigen im Standeſeyn. Man traf allgemeinen Wohlſtand an, aber keinPrivatglück; Hingebung in den Willen des Herrſchersnahm die Stelle der Liebe des Vaterlands ein; für kühneUnternehmungen war leidender Gehorſam, aber kein äch-ter Muth vorhanden; ein Geiſt der Ordnung, der durchkleinliche Vorſchriften auch die gleichgültigſten Verrich-tungen regelte, erdrückte gleichſam jedes freie Denken,und jede Größe des Charakters. Die verwickeltſten allerStaatsverfaſſungen, deren die Geſchichte Meldung thut,hatten die Keime der individuellen Freyheit erſtickt; undder Stifter des Reiches von Couzco, der ſich ſchmeichelte,die Menſchen durch Zwang glücklich machen zu können,hatte ſie in der That nur in Maſchinen verwandelt. Dieperuaniſche Theocratie war zwar allerdings minder drü-kend, als die Regierung des Königs von Mexiko; aberbeyde trugen weſentlich dazu bey, den Denkmalen, demCultus und der Mythologie beyder Bergvölker jenes fin-ſtere und traurige Ausſehen zu ertheilen, das mit denKünſten und den milden Dichtungen der Völker Griechen-lands in ſo ſchneidendem Kontraſte ſteht. Paris, im April 1813.