Über die Verbindung zwischen dem Orinoco und Amazonenfluß. Von Alexander v. Humboldt. (Aus dem Französischen.) Zu den außerordentlichsten und seltensten Erscheinungen, welche der Lauf der Ströme darbietet, gehört die Spaltung in zwey Theile nahe bey ihrem Ursprung, und die natürliche Verbindung zwischen zweyen Flußbetten, deren Abhang nach entgegengesetzter Richtung geht. Prony beschreibt in dem vorhergehenden Artikel die Voltata des Arno und den Arm, welchen er ehedem in die Tiber geschickt zu haben scheint. Eine Zeichnung, die nach der großen, im Jahr 1806 erschienenen Carte militaire von dem Königreich Hetrurien gemacht ist, stellt diese Verbindung zwischen zweyen Flüssen, von welchen der eine gegen Süden, der andere gegen Westen geht, deutlich vor Augen. Dieselbe Erscheinung, die hier durch die Untersuchungen von Fossombroni wahrscheinlich gemacht ist, findet auf eine nicht zu bezweifelnde Weise, im südlichen Amerika statt. Ich habe sie durch meine Fahrt auf dem Orinoco, Cassiquiari, und Rio Negro in den Monaten März, April, Mai und Jun. 1800 außer Zweifel gesetzt. Die beygefügte Skizze von dem Laufe des Orinoco, die nach meiner großen Karte, welche ich an Ort und Stelle aufgenommen habe, gemacht ist, kann als Seitenstück zu der Karte von Prony dienen. Für den Hydrographen ist es von Wichtigkeit, den Einfluß, welchen die Ungleichheiten des Bodens und die besondere Gestalt eines Erdstrichs auf die Richtung und Verzweigung der Flüsse, in den verschiedensten Theilen der Erdkugel, haben, kennen zu lernen. Eine etwas verkleinerte Copie dieser Zeichnung ist diesem Hefte beygefügt. Auch von dieser erhalten unsere Leser auf demselben Blatte, auf welchem die Karte von Prony befindlich ist, eine Copie in gleicher Größe mit dem Original. Seit einem Jahrhundert hat man darüber gestritten, ob zwischen zweyen der größten Flüsse der Welt, dem Orinoco und Amazonenfluß, eine Verbindung statt finde oder nicht. Der P. Gumilla hatte in seiner Geschichte des Orinoco eine solche Verbindung geläugnet; Condamine hingegen, der den Ausfluß des Rio negro in den Amazonenfluß gesehen hatte, sammelte während seines Aufenthaltes in Para unwiderlegbare Beweise von der Verbindung des Orinoco mit dem Rio negro. D'Anville, der das seltne Talent hatte, die Wahrheit aus einfachen Angaben zu treffen, stellte auf seiner schönen Karte von Südamerika, den Cassiquiari ziemlich richtig als einen Arm des Orinoco dar. Bey der militärischen Expedition, welche die spanische Regierung im Jahr 1755 zur Berichtigung der Gränzen zwischen ihren und den portugiesischen Besitzungen unternahm, wurde der Cassiquiari untersucht, nicht von den Anführern der Expedition, den Herren Hurriaga und Solano, sondern von einigen Unterofficieren ihres Corps. Der P. Caulin, ein Franziskaner , welcher den Solano bis zu den Wasserfällen des Orinoco begleitet hatte, gab in seiner chorographischen Geschichte von Neu-Andalusien, eine Karte des spanischen Guiana's heraus. In dieser findet man außer der wirklich vorhandenen Verbindung zwischen den mehrgedachten Flüssen, noch mehrere Verzweigungen derselben, deren Kenntniß sich aber nur auf unbestimmte und ungenaue Aussagen gründet. Die Karte des P. Caulin, die außerhalb Spanien sehr wenig bekannt ist, und ungeheure Fehler in den Breiten enthält, wurde von la Cruz in seiner großen Karte von Süd-Amerika, welche 1775 in Madrid herauskam, copirt. Ein französischer Geograph, dessen Arbeiten viel zum Fortgang der Wissenschaften beygetragen haben, gab im Jahr 1798 eine neue Karte von Guiana heraus, worinn er, nach seinen theoretischen Ansichten, das Bette des Orinoco zwischen dem Rio Jao und dem Cunucunumo durch eine Kette sehr hoher Berge durchschneiden läßt. Er fügt in einer besondern Anmerkung hinzu: "Daß die vermeintliche Verbindung zwischen dem Orinoco und Amazonenfluß eine geographische Ungereimtheit wäre, und daß man, um die Ideen darüber zu berichtigen, die Richtung der Cordilleren, durch welche die Gewässer getheilt würden, gehörig untersuchen müßte." Ich habe Gelegenheit gehabt, diese Untersuchung der Richtung der Berge an Ort und Stelle vorzunehmen; ich habe den Lauf der Flüsse durch eine beträchtliche Anzahl astronomischer Beobachtungen bestimmt; ich bin mit Hrn. Bonpland den Atabapo, den Tuamini und den Terni hinaufgegangen; ich habe mein Canot von Javita über den Schlangenwald bis zum Canno Pimichin tragen lassen; ich bin auf diesem Fluß in den Guainia eingelaufen, welchen die Europäer Rio negro nennen; auf dem Guainia bin ich abwärts gefahren bis zu dem kleinen Fort San Carlos; alsdann bin ich den Cassiquiari aufwärts gegangen bis zu der Stelle, wo er sich vom Orinoco trennt; und auf diesem wieder herunter bis nach San Thomas de Guiana, und habe auf diese Weise die Gebirgskette, von welcher man wähnte, daß sie die Gewässer des Orinoco und Cassiquiari von einander trennte, im Canot durchschnitten. Diese Fahrt, die bey niedrigem Wasserstande gemacht, und durch nichts als durch die Stelle bey Javita unterbrochen worden war, hat nicht den geringsten Zweifel über die Spaltung des Orinoco ganz nahe bey seinem Ursprung übrig gelassen. Die ungeheuere Ebene, die sich zwischen den Missionen von San Fernando de Atabapo, Esmeralda, Maroa und San Carlos del Rio negro ausbreitet, zeigt uns die außerordentliche Erscheinung von vier Flüssen, von denen zwey und zwey einander beynahe parallel, obwohl nach entgegengesetzten Seiten hin, laufen. Der Orinoco fließt gegen N. W., der Guainia gegen S. O., der Cassiquiari gegen S. und der Atabapo gegen N. Die culminirenden Puncte auf dieser Ebene finden sich in einer Linie, die von N. O. gegen S. W. geht. Ein großer Theil von Guiana ist eine Insel, die durch das Meer und durch die strömenden Gewässer des Amazonenflusses, des Guainia, des Cassiquiari und des Orinoco gebildet wird. Untersucht man den Boden eines Flusses, nach einem in die Queere laufenden Durchschnitt, mit dem Senkbley, so findet man beständig, daß er, weit entfernt eine horizontale Ebene zu bilden, aus einer Reihe von Furchen von ungleicher Tiefe besteht. Je breiter der Fluß ist, desto größer ist die Anzahl der Furchen; und oft behaupten sie auf große Strecken einen vollkommenen Parallelismus. Jeder Fluß kann angesehen werden, als bestände er aus mehrern Canälen; und es findet bey ihm eine Spaltung in zwey Theile statt, wenn ein Theil des Erdreichs, welches an das Ufer stößt, niedriger ist, als der Boden einer ihm zur Seite liegenden Furche. Diese Spaltungen sind in der Nähe der Mündungen der Flüsse, wo das Erdreich wenig Ungleichheiten hat, ziemlich gemein. Das Delta des Nils und das des Orinoco geben uns Beyspiele dieser Erscheinung. In diesen Fällen gibt es sogar bisweilen Verbindungen zwischen zweyen Flüssen, wenn die Arme derselben einander nahe laufen. Die Spaltungen im Innern des Landes in der Nähe der Quellen sind desto seltener, da die meisten großen Flüsse in bergigten Gegenden entspringen und in Thälern fortfließen, die durch mehr oder minder beträchtliche Erhöhungen von einander abgesondert sind. Ein Arm der Loire könnte sich unmöglich einen Weg zum Bette der Seine bahnen. Das Innere von Guiana, derjenige Theil des Landes, welcher sich von den Granitbergen des Duida und Parima bis über den Aequator hinaus erstreckt, ist so eben, daß die kleinsten Ungleichheiten des Bodens den Lauf der Flüsse daselbst bestimmen. Wir haben oben gesehen, daß der Cassiquiari, dessen mittlere Breite vier- bis fünfhundert Metres beträgt, nur ein Arm des Orinoco ist; und eben dieser Arm zeigt oberhalb des Orts, wo sonst der indianische Flecken Capivary gelegen hat, eine neue Spaltung. Er schickt einen Arm gegen Westen, den Canno Conorichiti, der sich zehn Meilen oberhalb der Mündung des Cassiquiari, in den Rio negro ergießt. Diese letzte Spaltung hat große Aehnlichkeit mit der sonderbaren Verzweigung, welche die Sorque, die Louvere und Nesque, zwischen Avignon und Monteuk in dem Departement von Vaucluse zeigen. Der Arm der Aigues, der sich bey Travaillans absondert, um sich in der Nähe der Meierey Lampourde mit der Rhone zu vereinigen, gibt ein Beyspiel von Spaltung, das dem des Conorichiti ganz ähnlich ist. Ueberall bestimmt die Gestaltung des Bodens die Richtung der Flüsse, nach beständigen und gleichförmigen Gesetzen. Abbildungen