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Alexander von Humboldt: „Über die Verbindung zwischen dem Orinoco und Amazonenfluß. (Aus dem Französischen)“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1810-Note_sur_la-2> [abgerufen am 20.04.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1810-Note_sur_la-2
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Titel Über die Verbindung zwischen dem Orinoco und Amazonenfluß. (Aus dem Französischen)
Jahr 1812
Ort Gotha
Nachweis
in: Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmels-Kunde 26:3 (September 1812), S. 230–235, 2 Karten.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua (mit lang-s); Auszeichnung: Kursivierung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: III.2
Dateiname: 1810-Note_sur_la-2
Statistiken
Seitenanzahl: 6
Zeichenanzahl: 8389
Bilddigitalisate

Weitere Fassungen
Note Sur la communication qui existe entre l’Orénoque et la rivière des Amazones (Paris, 1810, Französisch)
Über die Verbindung zwischen dem Orinoco und Amazonenfluß. (Aus dem Französischen) (Gotha, 1812, Deutsch)
Nota sulla comunicazione che esiste fra l’Orenoco e il fiume delle Amazoni. Contenuta nel giornale della scuola politecnica di Parigi quaderno X. pag. 65. e seg. Tradotta dal francese (Bologna, 1845, Italienisch)
|230|

Über die Verbindung zwiſchen dem Orinocound Amazonenfluß. Von Alexander v. Humboldt.


(Aus dem Franzöſiſchen.)

Zu den außerordentlichſten und ſeltenſten Erſchei-nungen, welche der Lauf der Ströme darbietet, ge-hört die Spaltung in zwey Theile nahe bey ihremUrſprung, und die natürliche Verbindung zwiſchenzweyen Flußbetten, deren Abhang nach entgegen-geſetzter Richtung geht. Prony beſchreibt in demvorhergehenden Artikel die Voltata des Arno undden Arm, welchen er ehedem in die Tiber geſchicktzu haben ſcheint. Eine Zeichnung, die nach dergroßen, im Jahr 1806 erſchienenen Carte militairevon dem Königreich Hetrurien gemacht iſt, ſtelltdieſe Verbindung zwiſchen zweyen Flüſſen, vonwelchen der eine gegen Süden, der andere gegenWeſten geht, deutlich vor Augen. *) Dieſelbe Er-ſcheinung, die hier durch die Unterſuchungen von Foſſombroni wahrſcheinlich gemacht iſt, findet aufeine nicht zu bezweifelnde Weiſe, im ſüdlichen Ame-rika ſtatt. Ich habe ſie durch meine Fahrt auf dem
*) Eine etwas verkleinerte Copie dieſer Zeichnung iſtdieſem Hefte beygefügt.
|231| Orinoco, Caſſiquiari, und Rio Negro in den Mona-ten März, April, Mai und Jun. 1800 außer Zweifelgeſetzt. Die beygefügte Skizze von dem Laufe desOrinoco, die nach meiner großen Karte, welcheich an Ort und Stelle aufgenommen habe, gemachtiſt, kann als Seitenſtück zu der Karte von Prony dienen.*) Für den Hydrographen iſt es von Wich-tigkeit, den Einfluß, welchen die Ungleichheitendes Bodens und die beſondere Geſtalt eines Erdſtrichsauf die Richtung und Verzweigung der Flüſſe, in denverſchiedenſten Theilen der Erdkugel, haben, kennenzu lernen.
Seit einem Jahrhundert hat man darüber geſtrit-ten, ob zwiſchen zweyen der größten Flüſſe derWelt, dem Orinoco und Amazonenfluß, eine Ver-bindung ſtatt finde oder nicht. Der P. Gumilla hattein ſeiner Geſchichte des Orinoco eine ſolche Verbin-dung geläugnet; Condamine hingegen, der den Aus-fluß des Rio negro in den Amazonenfluß geſehenhatte, ſammelte während ſeines Aufenthaltes inPara unwiderlegbare Beweiſe von der Verbindungdes Orinoco mit dem Rio negro. D’Anville,der das ſeltne Talent hatte, die Wahrheit aus einfa-chen Angaben zu treffen, ſtellte auf ſeiner ſchö-nen Karte von Südamerika, den Caſſiquiari ziemlichrichtig als einen Arm des Orinoco dar. Bey der mi-litäriſchen Expedition, welche die ſpaniſche Regie-rung im Jahr 1755 zur Berichtigung der Gränzen
*) Auch von dieſer erhalten unſere Leſer auf demſelbenBlatte, auf welchem die Karte von Prony befindlich iſt,eine Copie in gleicher Größe mit dem Original.
|232| zwiſchen ihren und den portugieſiſchen Beſitzungenunternahm, wurde der Caſſiquiari unterſucht, nichtvon den Anführern der Expedition, den Herren Hur-riaga und Solano, ſondern von einigen Unteroffi-cieren ihres Corps. Der P. Caulin, ein Franziskaner,welcher den Solano bis zu den Waſſerfällen des Ori-noco begleitet hatte, gab in ſeiner chorographi-ſchen Geſchichte von Neu-Andaluſien, eine Kartedes ſpaniſchen Guiana’s heraus. In dieſer findet manaußer der wirklich vorhandenen Verbindung zwi-ſchen den mehrgedachten Flüſſen, noch mehrereVerzweigungen derſelben, deren Kenntniß ſich abernur auf unbeſtimmte und ungenaue Ausſagen grün-det. Die Karte des P. Caulin, die außerhalb Spa-nien ſehr wenig bekannt iſt, und ungeheure Fehlerin den Breiten enthält, wurde von la Cruz in ſeinergroßen Karte von Süd-Amerika, welche 1775 inMadrid herauskam, copirt. Ein franzöſiſcher Geo-graph, deſſen Arbeiten viel zum Fortgang der Wiſ-ſenſchaften beygetragen haben, gab im Jahr 1798eine neue Karte von Guiana heraus, worinn er,nach ſeinen theoretiſchen Anſichten, das Bette desOrinoco zwiſchen dem Rio Jao und dem Cunucu-numo durch eine Kette ſehr hoher Berge durchſchnei-den läßt. Er fügt in einer beſondern Anmerkunghinzu: ”Daß die vermeintliche Verbindung zwi-ſchen dem Orinoco und Amazonenfluß eine geogra-phiſche Ungereimtheit wäre, und daß man, umdie Ideen darüber zu berichtigen, die Richtung derCordilleren, durch welche die Gewäſſer getheiltwürden, gehörig unterſuchen müßte.”
|233| Ich habe Gelegenheit gehabt, dieſe Unterſuchungder Richtung der Berge an Ort und Stelle vorzuneh-men; ich habe den Lauf der Flüſſe durch eine be-trächtliche Anzahl aſtronomiſcher Beobachtungenbeſtimmt; ich bin mit Hrn. Bonpland den Atabapo,den Tuamini und den Terni hinaufgegangen; ichhabe mein Canot von Javita über den Schlangenwald bis zum Canno Pimichin tragen laſſen; ich bin aufdieſem Fluß in den Guainia eingelaufen, welchendie Europäer Rio negro nennen; auf dem Guainiabin ich abwärts gefahren bis zu dem kleinen FortSan Carlos; alsdann bin ich den Caſſiquiari aufwärtsgegangen bis zu der Stelle, wo er ſich vom Orinocotrennt; und auf dieſem wieder herunter bis nachSan Thomas de Guiana, und habe auf dieſe Weiſedie Gebirgskette, von welcher man wähnte, daßſie die Gewäſſer des Orinoco und Caſſiquiari voneinander trennte, im Canot durchſchnitten. DieſeFahrt, die bey niedrigem Waſſerſtande gemacht, unddurch nichts als durch die Stelle bey Javita unterbro-chen worden war, hat nicht den geringſten Zweifelüber die Spaltung des Orinoco ganz nahe bey ſeinemUrſprung übrig gelaſſen. Die ungeheuere Ebene,die ſich zwiſchen den Miſſionen von San Fernandode Atabapo, Esmeralda, Maroa und San Carlos delRio negro ausbreitet, zeigt uns die außerordentlicheErſcheinung von vier Flüſſen, von denen zwey undzwey einander beynahe parallel, obwohl nach ent-gegengeſetzten Seiten hin, laufen. Der Orinoco fließtgegen N. W., der Guainia gegen S. O., der Caſſi-quiari gegen S. und der Atabapo gegen N. Die cul-minirenden Puncte auf dieſer Ebene finden ſich in |234| einer Linie, die von N. O. gegen S. W. geht. Eingroßer Theil von Guiana iſt eine Inſel, die durchdas Meer und durch die ſtrömenden Gewäſſer desAmazonenfluſſes, des Guainia, des Caſſiquiari unddes Orinoco gebildet wird. Unterſucht man den Boden eines Fluſſes, nacheinem in die Queere laufenden Durchſchnitt, mit demSenkbley, ſo findet man beſtändig, daß er, weitentfernt eine horizontale Ebene zu bilden, aus einerReihe von Furchen von ungleicher Tiefe beſteht.Je breiter der Fluß iſt, deſto größer iſt die Anzahlder Furchen; und oft behaupten ſie auf große Stre-cken einen vollkommenen Parallelismus. Jeder Flußkann angeſehen werden, als beſtände er aus meh-rern Canälen; und es findet bey ihm eine Spaltungin zwey Theile ſtatt, wenn ein Theil des Erdreichs,welches an das Ufer ſtößt, niedriger iſt, als der Bo-den einer ihm zur Seite liegenden Furche. DieſeSpaltungen ſind in der Nähe der Mündungen derFlüſſe, wo das Erdreich wenig Ungleichheiten hat,ziemlich gemein. Das Delta des Nils und das desOrinoco geben uns Beyſpiele dieſer Erſcheinung. Indieſen Fällen gibt es ſogar bisweilen Verbindungenzwiſchen zweyen Flüſſen, wenn die Arme derſel-ben einander nahe laufen. Die Spaltungen im In-nern des Landes in der Nähe der Quellen ſind deſtoſeltener, da die meiſten großen Flüſſe in bergigten Ge-genden entſpringen und in Thälern fortfließen, diedurch mehr oder minder beträchtliche Erhöhungenvon einander abgeſondert ſind. Ein Arm der Loirekönnte ſich unmöglich einen Weg zum Bette derSeine bahnen. Das Innere von Guiana, derjenige |235| Theil des Landes, welcher ſich von den Granitber-gen des Duida und Parima bis über den Aequatorhinaus erſtreckt, iſt ſo eben, daß die kleinſten Un-gleichheiten des Bodens den Lauf der Flüſſe daſelbſtbeſtimmen. Wir haben oben geſehen, daß der Caſ-ſiquiari, deſſen mittlere Breite vier- bis fünfhundertMètres beträgt, nur ein Arm des Orinoco iſt; undeben dieſer Arm zeigt oberhalb des Orts, wo ſonſtder indianiſche Flecken Capivary gelegen hat, eineneue Spaltung. Er ſchickt einen Arm gegen We-ſten, den Canno Conorichiti, der ſich zehn Meilenoberhalb der Mündung des Caſſiquiari, in den Rionegro ergießt. Dieſe letzte Spaltung hat große Aehnlichkeitmit der ſonderbaren Verzweigung, welche die Sor-que, die Louvere und Nesque, zwiſchen Avignonund Monteuk in dem Departement von Vaucluſe zei-gen. Der Arm der Aigues, der ſich bey Travaillansabſondert, um ſich in der Nähe der Meierey Lam-pourde mit der Rhone zu vereinigen, gibt ein Bey-ſpiel von Spaltung, das dem des Conorichiti ganzähnlich iſt. Ueberall beſtimmt die Geſtaltung desBodens die Richtung der Flüſſe, nach beſtändigenund gleichförmigen Geſetzen.

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