Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Humboldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchen Zuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien. 1. Das alte und neue Mexiko. Man iſt ſchon ſo lange her daran gewoͤhnt, von der Hauptſtadt Mexiko’s als von einer mitten in einem See gebauten Stadt zu hoͤren, welche nur durch Daͤmme mit dem feſten Lande zuſammenhaͤnge, und mag ſich daher ſehr wundern, den Mittelpunkt der heutigen Stadt in meinem mexikaniſchen Atlas um 4,500 Metern von dem See Tezcuco und von dem von Chalco uͤber 9000 M. entfernt zu finden. Man wird deswegen entweder die Genauigkeit der in den Entdeckungsgeſchichten der neuen Welt gegebenen Beſchreibungen in Zweifel ziehen, oder ſich mit der Erklaͤrung helfen, daß die heutige Hauptſtadt von Mexiko nicht auf den naͤmlichen Grund gebaut ſey, auf welchem die alte Reſidenz von Montezuma geſtanden habe. Allein es iſt voͤllig zuverlaͤſſig, daß die Stadt ihre Stelle nicht veraͤndert hat. Die Domkirche von Mexiko ſteht genau auf demſelben Platze, wo ſich der Tempel des Huitzilopochtli befand; die heutige Straße Tacuba iſt die alte Straße Tlacopan, durch welche Cortez in der traurigen Nacht (zur Auszeichnung la noche triste genannt) vom 1 Juli 1520 den beruͤhmten Ruͤckzug gemacht hat, und die anſcheinende Verſchiedenheit der Lage, wie ſie auf den alten Karten und den meinigen angegeben iſt, kommt blos von der Verminderung des Waſſers im See von Tezcuco her. Es wird nicht unnuͤtz ſeyn, hier eine Stelle aus einem unter dem 30 Okt. 1520 von Cortez an Kaiſer Karl V erlaſſenen Briefe anzufuͤhren, worin er ein Gemaͤhlde von dem Thale von Mexiko entwirft. Es iſt mit hoher Einfachheit verfaßt, und ſchildert zugleich die Polizey, welche in dem alten Tenochtitlan herrſchte. „Die Provinz, ſagt Cortez, in welcher die Reſidenz dieſes großen Fuͤrſten Muteczuma liegt, iſt rings von hohen und durch Abgruͤnde durchſchnittenen Gebirgen umgeben. Die Ebene hat beynahe ſiebenzig Stunden im Umfange, und enthaͤlt zwey Seen, welche faſt das ganze Thal ausfuͤllen, ſo daß die Einwohner von einem Umkreiſe von mehr als funfzig Stunden in Kaͤhnen fahren.” (Hiebey iſt zu bemerken, daß Cortez blos von zwey Seen ſpricht, weil er die von Zumpango und Xaltocan, zwiſchen denen er auf ſeiner Flucht von Mexiko nach Tlascallo vor der Schlacht von Otumba eiligſt durchzog, nur unvollkommen kannte.) „Von dieſen beyden groſſen Seen im Thale von Mexiko enthaͤlt der eine ſuͤßes, und der andere geſalzenes Waſſer. Sie ſind blos durch einen kleinen Strich von Gebirgen (die koniſchen und freyſtehenden Huͤgel bey Iztapalapan) von einander getrennt. Dieſe Gebirge erheben ſich mitten in der Ebene, und die Waſſer des Sees vermiſchen ſich nur in einer ſchmalen Fuge, welche zwiſchen den Huͤgeln und der hohen Cordillera (wahrſcheinlich auf der oͤſtlichen Senkung von Cerros de Santa Fe) liegt. Die vielen Staͤdte und Doͤrfer, die auf beyden Seen gebaut ſind, treiben ihren Handel auf Kaͤhnen, und nicht uͤber das feſte Land hin. Die große Stadt Temixtitan (Tenochtitlan) ſteht mitten in dem Salz-See, der ſeine Ebben und Fluthen hat, gleich dem Meere. Von welcher Seite des Ufers man kommen mag, braucht man immer zwey Stunden, um ſie zu erreichen. Vier Daͤmme fuͤhren nach dieſer Stadt. Sie ſind das Werk der Menſchenhaͤnde, und immerhin zwey Lanzenlaͤngen breit. Die Stadt ſelbſt iſt ſo groß als Sevilla oder Cordoba. Die Straßen, das heißt die Hauptſtraßen, ſind zum Theil ſehr enge, zum Theil ſehr weit; die einen halb trocken, die andern zur Haͤlfte von ſchiffbaren Kanaͤlen durchſchnitten, welche mit huͤbſchgebauten hoͤlzernen und ſo geraͤumigen Bruͤcken verſehen ſind, daß zehen Reiter zugleich daruͤber ſetzen koͤnnen. Der Markt iſt doppelt ſo groß, als der von Sevilla, und mit einem ungeheuern Portikus umgeben, unter welchem alle Arten von Waaren, Lebensmitteln, Kleiderſchmuck von Gold, Silber, Bley, Kupfer, edeln Steinen, Knochen, Muſcheln und Federn, von Leder und Baumwollenſtoffen, zum Verkaufe ausgeſtellt ſind. Auch findet man hier gehauene Steine, Ziegel und Zimmerholz. Einzelne Stellen ſind fuͤr den Verkauf von Wildbret, andere von Gemuͤßen und Gartenkraͤutern eingerichtet. Hier befinden ſich auch eigene Haͤuſer, wo die Barbiere (mit Schermeſſern von Obſidian) die Kopfhaare raſiren, und andere, welche unſern Apothekerbuden gleichen, und wo ſchon voͤllig zubereitete Arzneimittel, Salben und Pflaſter verkauft werden. In andern Haͤuſern gibt man um’s Geld zu eſſen und zu trinken, und man ſieht uͤberhaupt ſo vielerley Dinge auf dem Markte, daß ich nicht im Stande bin, ſie Ew. Hoheit alle aufzuzaͤhlen. Um Verwirrung zu vermeiden, werden alle Waaren an abgeſonderten Orten verkauft. Alles wird nach der Elle gemeſſen, und wir haben bis jetzt noch kein Gewicht brauchen ſehen. Mitten auf dem großen Platze ſteht ein Haus, welches ich die Audiencia nennen moͤchte, und wo immer zehn bis zwoͤlf Richter ſitzen, welche uͤber die bey’m Handel entſtandenen Streitigkeiten entſcheiden. Eine andre Art oͤffentlicher Perſonen iſt unaufhoͤrlich im Gedraͤnge verbreitet, fuͤhrt die Aufſicht daruͤber, daß um billige Preiſe verkauft wird, und man hat bemerkt, wie ſie die falſchen Maße, welche ſie bey den Kaufleuten fanden, zerbrachen.” Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Humboldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchen Zuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien. 2. Das alte und neue Mexiko. Mit einer Menge von Teocallis geziert, welche ſich, wie die Minarets, zum Himmel erhoben, umgeben von Waſſer und Daͤmmen, auf Inſeln gebaut, die mit Vegetation bedeckt waren, und bey der ewigen Bewegung mehrerer tauſend Boͤte, durch die der See belebt wurde, muß das alte Tenochtitlan, nach dem Berichte der erſten Eroberer, Aehnlichkeit mit einigen Staͤdten von Holland und China, oder mit dem Delta von Nieder-Aegypten gehabt haben. Die Hauptſtadt, welche die Spanier auf demſelben Boden wieder aufbauten, gewaͤhrt vielleicht keinen ſo lachenden, aber einen deſto impoſantern, majeſtaͤtiſchern Anblick. Mexiko gehoͤrt zu den ſchoͤnſten Staͤdten, welche die Europaͤer in den beyden Hemiſphaͤren aufgefuͤhrt haben, und mit Ausnahme von Petersburg, Berlin, Philadelphia und einigen Quartieren von Weſtminſter, gibt es vielleicht keine Stadt von demſelben Umfange, deren Boden ſo gleichfoͤrmig wagerecht, deren Straßen ſo breit und regelmaͤßig, und deren oͤffentliche Plaͤtze ſo groß waͤren, wie all dies bey der Hauptſtadt von Neu-Spanien der Fall iſt. Die Architektur iſt im Durchſchnitte von ziemlich reinem Stil, und manche Gebaͤude nehmen ſich wirklich ſehr ſchoͤn aus. Das Aeußere der Haͤuſer iſt nicht mit Ornamenten uͤberladen, und die beyden Arten von Quaderſteinen, der poroͤſe Mandelſtein, Tetzontli genannt, und beſonders ein Porphyr mit glasartigem Feldſpath ohne Quartz, geben den mexikaniſchen Bauten ein gewiſſes Anſehen von Feſtigkeit und ſelbſt von Pracht. Von den Balkons und Galerien, durch welche alle europaͤiſche Staͤdte beyder Indien ſo ſehr entſtellt werden, weiß man hier nichts. Die Gelaͤnder und Gitter ſind von biskayiſchem Eiſen mit Bronze-Verzierungen, und ſtatt der Daͤcher hat man, wie in Italien und allen ſuͤdlichen Laͤndern, Terraſſen auf den Haͤuſern. Seit dem Aufenthalte des Abbé Chappe im J. 1769 iſt Mexiko außerordentlich verſchoͤnert worden. Das fuͤr die Bergſchule beſtimmte Gebaͤude, zu welchem die reichſten Maͤnner des Landes eine Summe von mehr als drey Millionen Franken beygeſteuert haben, wuͤrde den erſten Plaͤtzen von Paris und London Ehre machen. Einige mexikaniſche Architekten, welche in der Akademie der ſchoͤnen Kuͤnſte in der Hauptſtadt gebildet worden ſind, haben vor Kurzem zwey große Hotels gebaut, von denen das eine in dem Quartier Traſpana gelegene in ſeinem Hofe ein ſehr ſchoͤnes Periſtyl von ovaler Form enthaͤlt. Mit allem Rechte bewundern die Reiſenden auf der Plaza major von Mexiko, der Domkirche und dem Pallaſte der Vice-Koͤnige gegenuͤber, eine große, mit viereckigen Platten von Porphyr gepflaſterte Einfaſſung, deren Gitter reich mit Bronze verziert ſind, und auf deren Mitte die Statue Karl’s IV zu Pferde auf einem Piedeſtal von mexikaniſchem Marmor ſteht. Bey allen Fortſchritten, welche die ſchoͤnen Kuͤnſte ſeit dreißig Jahren in dieſem Lande gemacht haben, iſt indeß unlaͤugbar, daß die Hauptſtadt von Mexiko einem Europaͤer weniger wegen der Groͤße und Schoͤnheit ihrer oͤffentlichen Denkmale, als wegen der Breite und Geradheit ihrer Straßen, weniger wegen ihrer einzelnen Gebaͤude, als wegen ihrer uͤbereinſtimmenden Regelmaͤßigkeit, ihrer Ausdehnung und Lage auffallen wird. Durch ein Zuſammentreffen ungewoͤhnlicher Umſtaͤnde ſah ich in ſehr kurzer Zeit hintereinander Lima, Mexiko, Philadelphia, Waſhington, Paris, Rom, Neapel und die groͤßten Staͤdte von Deutſchland. Vergleicht man ſchnell auf einander folgende Eindruͤcke mit einander, ſo iſt man oft im Stande, eine Meynung, der man ſich zu unbedachtſam uͤberlaſſen hatte, zu berichtigen. Allein trotz allen Vergleichungen, welche der Hauptſtadt von Mexiko nicht durchgaͤngig guͤnſtig ſeyn koͤnnten, hat ſie eine Idee von Groͤße in meinem Gedaͤchtniſſe zuruͤckgelaſſen, welche ich beſonders dem impoſanten Karakter ihrer Lage und der ſie umgebenden Natur zuſchreiben muß. Wirklich iſt auch das Gemaͤhlde, welches das Thal an einem ſchoͤnen Sommermorgen, und bey dem wolkenloſen dunkelazurnen Himmel, welcher der trockenen und duͤnnen Luft hoher Gebirge eigen iſt, von einem der Thuͤrme des Doms von Mexiko oder von dem Huͤgel von Chapoltepec herab betrachtet, darſtellt, von wunderbarem Reichthum, und ſeltener Mannigfaltigkeit. Eine ſchoͤne Vegetation umgibt dieſen Huͤgel. Alte Cypreſſenſtaͤmme, von mehr als funfzehen bis ſechszehen Metern im Umfange, erheben ihre blaͤtterloſen Scheitel uͤber die Spitzen der Schinus, deren Wuchs den orientaliſchen Thraͤnenweiden aͤhnlich iſt. Von dieſer einſamen Stelle auf der Hoͤhe des Porphyrfelſen von Chapoltepec herab beherrſcht das Auge eine ungeheure Ebene, und die herrlich angebauten Gefilde, welche ſich bis zu den koloſſalen Gebirgen, auf welchen der ewige Schnee liegt, erſtrecken. Die Stadt ſcheint von dem See von Tezcuco genetzt, deſſen Umgebungen von Doͤrfern und Weilern an die ſchoͤnſten Partien der Art in der Schweiz erinnern. Große Alleen von Ulmen und Pappeln fuͤhren auf allen Seiten nach der Stadt. Zwey Waſſerleitungen durchſchneiden auf ſehr hohen Bogen die Ebene, und gewaͤhren einen eben ſo angenehmen, als merkwuͤrdigen Anblick. Gegen Norden zeigt ſich das praͤchtige Kloſter der lieben Frau von Guadelupe, wie es ſich an die Gebirge Tepeyacac lehnt, zwiſchen Schluchten, welche Dattelpalmen und baumaͤhnliche Yuccas beherbergen. Gegen Suͤden iſt das ganze Land zwiſchen Sant-Angelo, Tacubaya und Sant-Agoſtino de las Cuevas, einem ungeheuren Garten von Orangen, Pfirſichen, Aepfeln, Kirſchen und andern europaͤiſchen Obſtbaͤumen aͤhnlich. Dieſe herrliche Kultur macht einen großen Kontraſt mit den kahlen Gebirgen, welche das Thal einſchließen, und unter denen ſich die beruͤhmten Vulkane von Puebla, Popocatepetl und Iztaccihuatl auszeichnen. Der erſte unter dieſen Bergen bildet einen ungeheuern Kegel, deſſen Krater unaufhoͤrlich in Flammen iſt, und aus der Mitte des ewigen Schnees Rauch und Aſche auswirft. Auch die gute Polizey, welche in Mexiko herrſcht, zeichnet dieſe Stadt ruͤhmlich aus. Die meiſten Straßen haben auf beyden Seiten ſehr breite Trottoirs, ſind ſehr reinlich, und des Nachts durch Spiegellaternen mit platten Dochten in Baͤnderform erleuchtet. Dieſe Vortheile verdankt die Stadt der Thaͤtigkeit des Grafen von Revillagigedo, bey deſſen Ankunft noch die aͤußerſte Unreinlichkeit geherrſcht hatte. In ſehr geringer Tiefe findet man uͤberall auf dem Boden von Mexiko Waſſer; es iſt aber ein wenig ſalzig, wie das vom See von Tezcuco. Die beyden Waſſerleitungen, welche der Stadt ſuͤßes Waſſer zufuͤhren, ſind von neuer Architektur, aber der Aufmerkſamkeit jedes Reiſenden wuͤrdig. Die Quellen von trinkbarem Waſſer befinden ſich oͤſtlich von der Stadt, die eine auf dem kleinen iſolirten Berge von Chapoltepec, und die andre auf den Cerros de Santa Fe, bey der Cordillera, welche das Thal von Tenochtitlan von dem von Lerma und Toluca ſcheidet. Die Bogen der Waſſerleitung von Chapoltepec dehnen ſich in einer Laͤnge von 3300 Metern. Ihr Waſſer kommt auf der Suͤdſeite der Stadt, bey dem Salto del Agua herein, iſt aber nicht ſehr klar, und wird nur in den Vorſtaͤdten von Mexiko getrunken. Am wenigſten mit luftſaurer Kalkerde geſchwaͤngert iſt das Waſſer des Aquaͤdukt von Santa Fe, welcher ſich laͤngs der Alameda hinzieht, und uͤber der Traſpana, an der Bruͤcke vor Marescala endigt. Dieſe Waſſerleitung hat beynahe 10200 Meter Laͤnge; allein die Senkung des Bodens machte nur fuͤr ein Drittheil ihrer Ausdehnung Bogen noͤthig. Eben ſo betraͤchtliche Waſſerleitungen hatte die alte Stadt Tenochtitlan. Bey’m Anfange der Belagerung zerſtoͤrten die beyden Hauptleute Alvarado und Olid die von Chapoltepec. Cortez redet, in ſeinem erſten Brief an Karl V , auch von der Quelle von Amilco, bey Churubuſco, deren Waſſer in Roͤhren von gebrannter Erde in die Stadt gefuͤhrt wurde. Dieſe Quelle befindet ſich ganz nahe bey Santa Fe, und man erkennt die Reſte dieſer großen Waſſerleitung noch, welche doppelte Roͤhren hatte, von denen die eine das Waſſer nach der Stadt fuͤhrte, waͤhrend die andre gereinigt wurde. Dieſes Waſſer wurde in den Kaͤhnen verkauft, die in den Straßen von Tenochtitlan herumfuhren. Die Quellen von Sant-Augoſtino de las Cuevas ſind indeß die ſchoͤnſten und klarſten. Auch glaubte ich, auf dem Wege von dieſem ſchoͤnen Dorfe nach Mexiko Spuren einer alten Waſſerleitung zu erkennen. Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Humboldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchen Zuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien. 3. Die alt-mexikaniſchen Tempel, Teocalli genannt. Der erſte Teocalli, um welchen die neue Stadt gebaut wurde, war, wie der aͤlteſte griechiſche Tempel, der des Apollo zu Delphi, welchen Pauſanias beſchrieben hat, von Holz. Das ſteinerne Gebaͤude hingegen, deſſen Architektur von Cortez und Bernal Diaz bewundert wurde, war von dem Koͤnige Ahuitzotl im Jahre 1486 auf der naͤmlichen Stelle aufgefuͤhrt worden. Es beſtand in einer Pyramidalform von 37 Metern Hoͤhe, und lag mitten auf einem großen, mit Mauern eingeſchloſſenen Hofe. Man unterſchied daran fuͤnf Stockwerke, wie an verſchiedenen Pyramiden von Sacara, und beſonders an der von Mehedun. Der Teocalli von Tenochtitlan ſtand, gleich allen egyptiſchen, aſiatiſchen und mexikaniſchen Pyramiden, in genauer Richtung gegen die Himmelsgegenden, hatte eine Baſis von 97 Metern, und war oben abgeſtumpft, ſo daß er in der Entfernung einem ungeheuern Cubus aͤhnlich ſah, auf deſſen Spitze kleine, mit hoͤlzernen Kuppeln bedeckte, Altaͤre angebracht waren. Die Endſpitze dieſer Kuppeln erhob ſich 54 Meter uͤber die Baſis des Gebaͤudes, oder uͤber das Pflaſter ſeiner Einfaſſung. Dieſe Umſtaͤnde beweiſen die große Aehnlichkeit, welche der Teocalli mit jenem alten Denkmale von Babylon hatte, das von Strabo das Mauſoleum des Belus genannt wird, und nichts als eine dem Jupiter Belus geweihte Pyramide war. Weder der Teocalli, noch dieſes babyloniſche Gebaͤude waren Tempel in dem Sinne, welchen wir nach den Ueberlieferungen der Griechen und Roͤmer mit dieſem Ausdrucke verbinden. Alle den mexikaniſchen Gottheiten geheiligten Gebaͤude waren abgeſtumpfte Pyramiden, wie das die großen bis auf den heutigen Tag erhaltenen Denkmale von Teotihuacan, Cholula und Papantla beweiſen, und aus welchen wir ſchlieſſen koͤnnen, wie die kleinern Tempel in den Staͤdten Tenochtitlan und Tecuco beſchaffen geweſen ſeyn moͤgen. Bedeckte Altaͤre ſtanden auf den Spitzen des Teocalli’s, und wir duͤrfen ſie daher wol in die Klaſſe der Pyramidal- Monumente von Aſien ſetzen, von denen man erſt kuͤrzlich ſogar Spuren in Arkadien gefunden hat; denn das koniſche Mauſoleum des Calliſthus, ein wahrer Tumulus, der mit Fruchtbaͤumen beſetzt war, machte die Baſis eines kleinen der Diana geweihten Tempels. Wir kennen die Materialien nicht, aus welchen der Teocalli von Tenochtitlan gebaut war; denn die Geſchichtſchreiber berichten blos, er ſey mit einem harten polirten Steine uͤberzogen geweſen. Die ungeheuern Fragmente, welche man indeß von Zeit zu Zeit in der Gegend der heutigen Domkirche entdeckt, ſind von Porphyr, mit einem Grunde von Gruͤnſtein, der voll Amphibolen und glasartigen Feldſpaths iſt. Als man vor Kurzem den Platz um die Domkirche pflaſterte, fand man in einer Tiefe von 10 bis 12 Metern Stuͤcke Bildhauerarbeit. Wenige Nationen haben wol groͤßere Maſſen in Bewegung geſetzt, als die Mexikaner. Der Kalender- und Opferſtein, welche auf dem großen Platze ſtehen, haben 8 bis 10 Kubik-Meter. Die koloſſale Statue des Teoyaomiqui, die mit Hieroglyphen bedeckt iſt, und auf einer Diele des Univerſitaͤtsgebaͤudes liegt, iſt zwey Meter lang, und drey breit. Auch hat mich der Kanonikus Gamboa verſichert, man ſey bey einer Grabung in der Naͤhe der Kapelle des Sagrario, neben einer ungeheuern Menge von Idolen, welche zum Teocalli gehoͤrten, auch auf ein Stuͤck Felſen mit Bildhauerarbeit geſtoßen, das ſieben Meter Laͤnge, ſechs Breite, und drey Hoͤhe gehabt, und das man umſonſt herauszuſchaffen verſucht habe. Einige Jahre nach der Belagerung von Tenochtitlan, welche ſich, wie die von Troja, mit einer allgemeinen Zerſtoͤrung der Stadt endigte, lag der Teocalli ſchon in Truͤmmern. Ich moͤchte daher glauben, daß die Auſſenſeite der abgeſtumpften Pyramide aus Thon beſtanden, welcher mit dem poroͤſen Mandelſteine, Tetzontli genannt, uͤberzogen war. Wirklich fing man auch kurz vor dem Baue dieſes Tempels, unter der Regierung des Koͤniges Ahuitzotl, an, die Bruͤche dieſes zellenfoͤrmigen, poroͤſen Steins zu bearbeiten. Nichts war daher leichter, als Gebaͤude zu zerſtoͤren, welche aus ſo leichten, und ſo poroͤſen Materialien, als der Bimsſtein iſt, aufgefuͤhrt waren. Ueber die Dimenſionen dieſes Teocalli ſtimmen die meiſten Geſchichtſchreiber zwar miteinander uͤberein; indeß duͤrften ſie doch wol uͤbertrieben ſeyn. Allein die Pyramidalform dieſes mexikaniſchen Gebaͤudes, und ſeine große Aehnlichkeit mit den aͤlteſten, aſiatiſchen Denkmalen haben fuͤr uns weit mehr Merkwuͤrdigkeit, als ſeine Maſſe und Groͤße. Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Humboldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchen Zuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien. 4. Andre mexikaniſche Alterthuͤmer u. dgI. Die einzigen alten Denkmale im Thale von Mexiko, welche einem Europaͤer durch ihre Groͤße und Maſſe auffallen koͤnnen, ſind die Reſte der beyden Pyramiden von San Juan de Teotihuacan, nordoͤſtlich vom See von Tezcuco. Sie waren der Sonne und dem Monde geweiht, und wurden von den Eingebornen Tonatiuh Ytzaqual, Haus der Sonne, und Meztli Ytzaqual, Haus des Mondes, genannt. Nach den Meſſungen, welche im Jahre 1803 von einem jungen mexikaniſchen Gelehrten, dem Doktor Oteyza, angeſtellt worden ſind, hat die erſte Pyramide, die am ſuͤdlichſten gelegene, in ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtande, eine Baſis von 208 Metern (645 Fuß) Laͤnge, und 55 Metern (66 mexikaniſche Varen oder 171 Fuß) perpendikulaͤrer Hoͤhe. Die zweyte, die Mondpyramide, iſt um 11 Meter (30 Fuß) niedriger, und hat auch eine kleinere Baſis. Nach dem Berichte der fruͤhſten Reiſenden und nach ihrer heutigen Form ſelbſt zu urtheilen, haben dieſe Denkmale den Aztekiſchen Teocallis zum Muſter gedient. Die Voͤlker, welche dieſes Land bey der Ankunft der Spanier bewohnten, ſchrieben die Pyramiden von Teotihuacan der Tultekiſchen Nation zu, und ihre Erbauung ſtiege demnach bis in’s achte oder neunte Jahrhundert hinauf, indem Tollan’s Reich von 667 bis 1031 gedauert hat. Die Seiten dieſer Gebaͤude ſtehen, auf etwa 52′, genau von Norden nach Suͤden und von Oſten nach Weſten. Ihr Inneres beſteht aus Thon mit einer Miſchung von kleinen Steinen. Dieſer Kern iſt mit einer dicken Mauer von poroͤſem Mandelſtein bedeckt, und man erkennt noch die Spuren einer Kalklage, womit die Steine (der Tetzontli) uͤberzogen waren. Einige Schriftſteller des ſechzehnten Jahrhunderts behaupten, nach einer indianiſchen Tradition, daß das Innere dieſer Pyramiden hohl ſey. Indeß verſichert der Chevalier Boturini, daß der mexikaniſche Geometer, Siguenza, vergebens den Verſuch gemacht habe, dieſe Gebaͤude durch eine Galerie zu durchbrechen. Sie bildeten vier Terraſſen, von denen heutzutage indeß nur noch drey ſich erkennen laſſen, indem die Zeit und die Vegetation der Cactus und Agaven ſehr zerſtoͤrend auf das Aeußere dieſer Denkmale gewirkt haben. Eine Treppe von großen Quadern fuͤhrte ehemals auf die Spitze, wo nach dem Berichte der fruͤheſten Reiſenden Statuen aufgeſtellt waren, deren Ueberzug aus ſehr duͤnnen Goldplatten beſtand. Jede der vier Hauptterraſſen war in kleine Stufen von etwa einem Meter Hoͤhe abgetheilt, deren Fugen man noch unterſcheiden kann. Dieſe Stufen ſind mit Stuͤcken von Obſidian bedeckt, welche ohne Zweifel Schneideinſtrumente waren, womit die Tultekiſchen und Aztekiſchen Prieſter (Papahua Tlemacazque oder Teopixqui) in ihrem grauſamen Goͤtterdienſte den menſchlichen Schlachtopfern die Bruſt oͤffneten. Es iſt bekannt, daß der Obſidian (Itztli) in großer Menge gebrochen wurde, und man ſieht die Spuren ſolcher Bruͤche noch in vielen Brunnen zwiſchen den Bergwerken von Moran und dem Dorfe Atotonilco el Grande, in den Porphyrgebirgen von Oyamel und Jacal, einer Gegend, welche die Spanier das Meſſergebirge, el Cerro de las Navajas, nennen. Man wuͤnſchte wol die Frage aufgeloͤst, ob dieſe merkwuͤrdigen Gebaͤude, von denen das eine (der Tonatiuh Ytzaqual) nach den genauen Meſſungen meines Freundes, Hrn. Oteyza, eine Maſſe von 128,970 Kubiktoiſen enthaͤlt, ganz von Menſchenhaͤnden erbaut ſind, oder ob die Tulteken blos irgend einen natuͤrlichen Huͤgel benutzt, und mit Steinen und Kalk uͤberzogen haben. Dieſe Frage iſt neulich bey Gelegenheit mehrerer Pyramiden von Gize und Sacara in Anregung gekommen, und durch die fantaſtiſchen Hypotheſen, welche Herr Witte uͤber den Urſprung der koloſſalen Monumente von Egypten, Perſepolis und Palmyra gewagt hat, doppelt merkwuͤrdig geworden. Da weder die Pyramide von Cholula, von der wir in der Folge reden werden, noch die von Teotihuacan durchbrochen worden ſind, ſo kann man unmoͤglich etwas Zuverlaͤſſiges von ihrem Innern ſagen. Die indianiſchen Traditionen, denen zufolge ſie hohl ſeyn ſollen, ſind unbeſtimmt und widerſprechend. Durch ihre Lage in Ebenen, wo ſich ſonſt kein Huͤgel findet, wird es ſogar ſehr wahrſcheinlich, daß kein natuͤrlicher Fels den Kern dieſer Denkmale ausmacht. Was indeß noch ſehr bemerkenswerth iſt (beſonders wenn man ſich an Pococke’s Behauptungen uͤber die ſymmetriſche Stellung der egyptiſchen Pyramiden erinnert), liegt in dem Umſtande, daß man rings um die Haͤuſer der Sonne und des Mondes von Teotihuacan eine Gruppe, und ich moͤchte ſagen, ein Syſtem von Pyramiden findet, welche kaum 9 bis 10 Meter Hoͤhe haben. Dieſe Denkmale, deren es mehrere hunderte ſind, ſtehen in ſehr breiten Straßen, welche genau der Richtung der Parallelen und Meridiane folgen, und ſich auf die vier Seiten der zwey großen Pyramiden eroͤffnen. Auf der Suͤdſeite des Mondstempels ſind dieſe kleinen Pyramiden haͤufiger, als auf der des Sonnentempels; auch waren ſie ja, nach der Tradition des Landes, den Sternen geweiht. Indeß ſcheint es gewiß, daß ſie Graͤber der Stammhaͤupter geweſen ſind. Dieſe ganze Ebene, welche die Spanier, nach einem Worte aus der Sprache der Inſel Cuba, Llano de los Cues nennen, hatte einſt in den aztekiſchen und tultekiſchen Sprachen den Namen Micaotl, Weg der Todten. Welche Aehnlichkeiten mit den Denkmalen des alten Kontinents! Woher hatte dieſes tultekiſche Volk, welches, nach ſeiner Ankunft auf dem Boden von Mexiko, im ſiebenten Jahrhunderte, nach einem gleichfoͤrmigen Plane mehrere dieſer Denkmale von koloſſaler Form, dieſe abgeſtumpften und in verſchiedene Terraſſen, wie der Tempel des Belus in Babylon, abgetheilten Pyramiden erbaute, woher hatte es das Vorbild zu dieſen Gebaͤuden erhalten? War es vom mongoliſchen Stamme? Und war es von demſelben Urſprunge wie die Chineſen, die Hiongunu’s und die Japaner? Ein anderes altes, der Aufmerkſamkeit des Reiſenden ſehr wuͤrdiges Denkmal iſt die militaͤriſche Verſchanzung von Xochicalco, welche ſuͤd-ſuͤd-weſtlich von der Stadt Cuernavacas bey Tetlama liegt, und in’s Kirchſpiel von Xochitepeque gehoͤrt. Sie beſteht in einem iſolirten Huͤgel von 117 Metern Hoͤhe, der mit Graͤben umgeben, und von Menſchenhaͤnden in fuͤnf, mit Mauerwerk uͤberkleidete, Terraſſen abgetheilt iſt. Das Ganze bildet eine abgeſtumpfte Pyramide, deren vier Seiten genau nach den vier Himmelsgegenden gerichtet ſind. Die Steine von Porphyr, mit einer Baſaltbaſis, ſind ſehr regelmaͤßig geſchnitten, und mit hieroglyphiſchen Figuren geziert, unter denen man Krokodile, welche Waſſer ausſpruͤtzen, und, was ſehr merkwuͤrdig iſt, Menſchen, welche nach aſiatiſcher Weiſe auf den unterſchlagenen Beinen ſitzen, unterſcheidet. Die Plattform dieſes außerordentlichen Denkmals hat etwa 9000 Quadratmeter Inhalt, und enthaͤlt die Ruinen eines kleinern Gebaͤudes, welches wahrſcheinlich zur letzten Zuflucht der Belagerten diente. Ich will dieſe fluͤchtige Ueberſicht der aztekiſchen Alterthuͤmer mit der Bezeichnung einiger Orte ſchließen, welche man, wegen des Intereſſe, das ſie fuͤr die Kenner der Geſchichte der Eroberung von Mexiko durch die Spanier haben, klaſſiſch nennen kann. Der Pallaſt des Motezuma ſtand genau auf derſelben Stelle, wo ſich heutzutage das Hotel des Herzoges von Monteleone, gewoͤhnlich Caſa del Eſtado genannt, befindet, naͤmlich auf der Plaza mayor, ſuͤdweſtlich von der Domkirche. Dieſer Pallaſt beſtand, gleich den Pallaͤſten der chineſiſchen Kaiſer, von welchen uns Sir George Staunton und Hr. Barrow genaue Beſchreibungen geliefert haben, aus einer großen Reihe geraͤumiger, aber ſehr niedriger Haͤuſer. Sie nahmen den ganzen Raum zwiſchen dem Empedradillo, der großen Straße von Tamba und dem Kloſter de la Profeſſa ein. Nachdem Cortez die Stadt erobert hatte, nahm er ſeine Wohnung den Ruinen des Pallaſtes der Aztekiſchen Koͤnige gegenuͤber, wo heutzutage der Pallaſt der Vicekoͤnige ſteht. Indeß fand man bald, daß Cortez Haus ſich beſſer zu den Verſammlungen der Audienzia ſchicke, und die Regierung ließ ſich daher die Caſa del Eſtado, oder das alte Hotel von Cortez Familie, welche den Titel vom Marquiſat des Valle de Oaxaca fuͤhrt, abtreten. Zur Entſchaͤdigung gab man ihr dafuͤr den Platz des alten Pallaſtes von Motezuma, wo ſie dann das ſchoͤne Gebaͤude auffuͤhrte, in welchem ſich die Staats-Archive befinden, und das, mit der ganzen Erbſchaft, an den neapolitaniſchen Herzog von Monteleone gekommen iſt. Als Cortez den 8 Nov. 1519 ſeinen erſten Einzug in Tenochtitlan hielt, wurde ihm und ſeinem kleinen Armee- Korps nicht im Pallaſte des Motezuma, ſondern in einem Gebaͤude, welches einſt der Koͤnig Axajacatl bewohnt hatte, Quartier angewieſen. In dieſem Gebaͤude hielten die Spanier und ihre Bundsgenoſſen, die Tlascalteken, den Sturm der Mexikaner aus; und hier ſtarb auch der unglückliche Koͤnig Motezuma an den Folgen einer Wunde, die er, waͤhrend er ſein Volk haranguirte, erhalten hatte. Noch ſieht man unbedeutende Reſte dieſes Gebaͤudes in den Mauerwerken hinter dem Kloſter von St. Thereſa, am Ende der Straßen von Tacuba und Indio triſte. (Die Fortſetzung folgt.) Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Humboldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchen Zuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien. 4. (Fortſetzung.) Eine kleine Bruͤcke bey Bonaviſta hat ihren Namen, Sprung des Alvarado (Salto de Alvarado), zum Andenken an den wunderaͤhnlichen Sprung, welchen der tapfere Petro de Alvarado machte, als ſich die Spanier in der traurigen Nacht, da die Mexikaner bereits den Damm von Tlacopan an mehrern Orten durchſchnitten hatten, aus der Stadt nach den Gebirgen von Tepeyacac zuruͤckzogen. Indeß ſcheint es, daß man ſchon zu Cortez Zeit ſich uͤber die hiſtoriſche Wahrheit dieſes Ereigniſſes geſtritten habe, ungeachtet ſich die Volkstradition unter allen Klaſſen von Mexiko’s Bewohnern erhalten hat. Bernal Diaz betrachtet die Geſchichte des Sprunges als eine bloße Aufſchneiderey ſeines Waffenbruders, deſſen Muth und Geiſtesgegenwart er uͤbrigens mehrmals anruͤhmt, und verſichert, daß der Graben zu breit geweſen ſey, um daruͤber wegzuſpringen. Allein ich muß bemerken, daß dieſe Anekdote mit vieler Umſtaͤndlichkeit in der Handſchrift eines adeligen Metis aus der Republik von Tlascala, Diego Munoz Camargo, erzaͤhlt wird. Ich habe dieſe Handſchrift, von welcher der Pater Torquemada auch Kenntniß gehabt zu haben ſcheint, im Kloſter von San Felipe Neri nachgeſchlagen. Ihr Verfaſſer war ein Zeitgenoſſe von Cortez, und er erzaͤhlt die Geſchichte von Alvarado’s Sprunge mit vieler Einfachheit, ohne Anſchein von Uebertreibung, und ohne uͤber die Breite des Grabens etwas Naͤheres zu ſagen. In ſeiner naiven Darſtellung glaubt man einen Helden des Alterthums zu erkennen, welcher, Arm und Schulter auf ſeine Lanze geſtuͤtzt, einen ungeheuern Sprung macht, um ſich vor ſeinen Feinden zu retten. Camargo ſetzt ſogar noch hinzu, daß noch andre Spanier Alvarado’s Beyſpiel nachahmen wollten, aber, in Ermangelung gleicher Behendigkeit, in den Graben (Azequia) gefallen ſind. Die Mexikaner, ſagt er, waren ſo erſtaunt uͤber die Geſchicklichkeit dieſes Mannes, daß ſie, als ſie ihn gerettet ſahen, die Erde aßen, (eine figuͤrliche Redensart, welche dieſer Tlascaliſche Schriftſteller aus ſeiner Vaterſprache entlehnte, und die das Erſtaunen der Verwunderung ausdruͤckt). „Die Kinder Alvarado’s, welcher der Hauptmann vom Sprunge genannt wurde, bewieſen durch Zeugen und vor den Richtern von Tezcuco dieſe Heldenthat ihres Vaters. Ein Prozeß zwang ſie hiezu, in welchem ſie die Thaten von Alvarado de el Salto, ihres Vaters, bey der Eroberung von Mexiko darſtellten.“ Ferner zeigt man den Fremden die Bruͤcke von Clerigo, bey der Plaza major von Tlatelolco, als die denkwuͤrdige Stelle, wo der letzte aztekiſche Koͤnig, Quanhiemotzin, Neffe ſeines Vorgaͤngers, Koͤniges Cuitlahuatzin und Schwiegerſohn des Motezuma II, gefangen genommen wurde. Indeß erhellt aus den ſorgfaͤltigen Nachforſchungen, welche ich mit dem Pater Pichardo angeſtellt habe, daß dieſer junge Koͤnig in einem großen Waſſerbehaͤlter, der einſt zwiſchen der Garita del Perſalvillo, dem Platze von Santiago de Tlatelolco und der Bruͤcke von Amarac war, in die Haͤnde des Garci Holguin gefallen iſt. Cortez befand ſich auf der Terraſſe eines Hauſes von Tlatelolco, als man ihm den koͤniglichen Gefangenen vorfuͤhrte. „Ich ließ ihn ſich ſetzen, ſagt der Sieger ſelbſt in ſeinem dritten Briefe an Kaiſer Karl V, und behandelte ihn mit Zutrauen. Allein der junge Menſch legte die Hand an einen Dolch, den ich am Guͤrtel trug, und bat mich, ihn zu toͤdten, weil er, nachdem, was er ſich ſelbſt und ſeinem Volke ſchuldig geweſen, keinen andern Wunſch mehr habe, als zu ſterben.“ Dieſer Zug iſt der ſchoͤnſten Zeit von Rom und Griechenland werth; denn die Sprache ſtarker Seelen, die gegen das Ungluͤck kaͤmpfen, iſt unter allen Zonen, und welche Farbe die Menſchen tragen, dieſelbe. Wir haben oben das tragiſche Ende dieſes ungluͤcklichen Quauhtemotzin geſehen! Nach der gaͤnzlichen Zerſtoͤrung des alten Tenochtitlan blieb Cortez noch vier oder fuͤnf Monate mit ſeinen Leuten zu Colohuacan, einem Orte, fuͤr den er immer eine große Vorliebe gezeigt hat. Er war im Anfange unentſchloſſen, ob er die Hauptſtadt nicht auf einer andern Stelle an dem See wieder aufbauen ſollte. Indeß entſchied er ſich endlich fuͤr die alte Lage, „weil die Stadt Temixtitan einmal beruͤhmt geworden war, weil ihre Lage wunderbarlich iſt, und man ſie von jeher als den Hauptort der mexikaniſchen Provinzen angeſehen hatte (Como principal y sennora de todas estas provincias).“ Uebrigens waͤre es, wegen der haͤufigen Ueberſchwemmungen, welche das alte und das neue Mexiko erlitten, kluͤger geweſen, die Stadt oͤſtlich von Tezcuco, oder auf die Anhoͤhen zwiſchen Tacuba und Tacubaya zu ſtellen. Wirklich ſollte ſie auch zur Zeit der großen Ueberſchwemmung von 1607, nach einem foͤrmlichen Befehle Philipp’s III, auf dieſe Anhoͤhen verpflanzt werden; allein der Ajuntamiento, oder der Stadtmagiſtrat machte dem Hofe die Vorſtellung, daß der Werth der Haͤuſer, welche auf dieſe Weiſe zu Grunde gehen muͤßten, 105 Millionen Franken betrage. Man ſchien damals in Madrid nicht zu wiſſen, daß die Hauptſtadt eines ſchon acht und achtzigjaͤhrigen Koͤnigreiches kein fliegendes Lager iſt, welches man nach Gefallen von einem Orte zum andern ruͤcken kann! Es iſt unmoͤglich, die Zahl der Bewohner des alten Tenochtitlan mit einiger Gewißheit anzugeben. Nach dem Mauerwerke der zerſtoͤrten Haͤuſer, nach den Berichten der erſten Eroberer und beſonders nach der Zahl der Streiter zu urtheilen, welche die Koͤnige Cuitlahnatzin und Quauhtimotzin den Tlascalteken und Spaniern entgegenſtellten, ſcheint die Bevoͤlkerung von Tenochtitlan zum wenigſten dreymal groͤßer geweſen zu ſeyn, als die des heutigen Mexiko iſt. Nach der Verſicherung des Cortez war das Zuſtroͤmen der mexikaniſchen Handwerksleute, welche nach der Belagerung fuͤr die Spanier als Zimmerleute, Maurer, Weber, Metallgießer u. dgl. arbeiteten, ſo groß, daß die Stadt Mexiko im Jahre 1524 bereits 30,000 Einwohner zaͤhlte. Die neuern Schriftſteller haben aber die widerſprechendſten Ideen uͤber ihre Bevoͤlkerung aufgeſtellt, und der Abbé Clavigero beweist in ſeinem vortrefflichen Werke uͤber die alte Geſchichte von Neu-Spanien, wie dieſe Angaben von 60,000 bis auf anderthalb Millionen von einander abgehen. Dieſe Widerſpruͤche duͤrfen uns aber nicht in Erſtaunen ſetzen, wenn wir nur bedenken wollen, wie neu noch ſtatiſtiſche Unterſuchungen ſelbſt in den kultivirteſten Theilen von Europa ſind. Nach den neueſten und am wenigſten verdaͤchtigen Angaben ſcheint die gegenwaͤrtige Bevoͤlkerung der Hauptſtadt von Mexiko (die Truppen mitgerechnet), von 135 — 140,000 Seelen zu ſeyn. Die im Jahre 1790 auf Befehl des Grafen von Revillagigedo angeſtellte Zaͤhlung, gab fuͤr die Stadt nicht mehr als 112,926 Menſchen an; man weiß aber zuverlaͤſſig, daß dieſes Reſultat um ein Sechstheil zu klein iſt. Die regulirten Truppen und die in der Hauptſtadt garniſonirenden Milizen beſtehen aus 5—6000 Mann unter den Waffen. Mit großer Wahrſcheinlichkeit kann man die gegenwaͤrtige Bevoͤlkerung folgendermaßen beſtimmen: 2,500 weiſſe Europaͤer. 65,000 weiſſe Creolen. 33,000 Eingeborne, (kupferfarbige Indianer). 26,500 Metis, gemiſcht von Weiſſen und Indianern. 10,000 Mulatten. 137,000 Einwohner. So ſind demnach in Mexiko 69,500 farbige Menſchen, und 67,500 Weiſſe. Allein ſehr viele Metis (Meſtizos) ſind beynahe eben ſo weiß, als die Europaͤer und die ſpaniſchen Creolen. In den drey und zwanzig Kloͤſtern, welche die Hauptſtadt enthaͤlt, befinden ſich beynahe 1200 Individuen, von denen 580 Prieſter und Choriſten ſind. Die funfzehn Frauen- Kloͤſter enthalten 2100 Nonnen, von denen etwa 900 Profeß gethan haben. Der Clerus von Mexiko iſt ſehr zahlreich, wiewol er immer noch um ein Viertheil geringer iſt, als der von Madrid. Die Zaͤhlung von 1790 gab an: In den Moͤnchskloͤſtern: Prieſter und Choriſten ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 573. Novizen ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 59. Dienende Bruͤder ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 235. In den Nonnenkloͤſtern: Nonnen, die Profeß gethan ‒ ‒ ‒ ‒ 888. Novizen ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 35. Praͤbendirte ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 26. Pfarrer ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 16. Vikarien ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 43. Weltgeiſtliche ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 517. Summe der Individuen ‒ ‒ 2,392. und, ohne die dienenden Bruͤder und Novizen, 2,063. Der Clerus von Madrid beſteht, nach dem vortrefflichen Werke des Hrn. von Laborde, aus 3,470 Perſonen, ſo daß ſich alſo in Mexiko der Clerus zur ganzen Bevoͤlkerung wie 1 1∫2 zu 100, und in Madrid wie 2 zu 100 verhaͤlt. Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Humboldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchen Zuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien. 5. Die ſchwimmenden Gaͤrten (Chinampas). Die ſehr ſinnreiche Erfindung der Chinampas ſcheint bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts aufzuſteigen. Sie iſt in der außerordentlichen Lage eines Volkes gegruͤndet, das rings von Feinden umgeben, mitten auf einem an Fiſchen nicht ſehr reichen See zu leben genoͤthigt iſt, und natuͤrlich auf alle moͤgliche Mittel zu ſeinem Lebens- Unterhalte ſinnen muß. Wahrſcheinlich hat die Natur ſelbſt den Azteken die erſte Idee zu dieſen ſchwimmenden Gaͤrten gegeben. An den ſumpfigen Ufern der Seen von Xochimilco und Chalco reißt die ſtarke Bewegung des Waſſers, zur Zeit des hohen Standes deſſelben, Erdſchollen ab, die mit Kraͤutern bedeckt und mit Wurzeln durchflochten ſind. Dieſe Schollen treibt der Wind hin und her, bis ſie ſich zuweilen zu kleinen Floͤßen vereinigen. Ein Menſchenſtamm, welcher zu ſchwach war, um ſich auf dem feſten Lande zu halten, glaubte dieſe Stuͤcke Boden benutzen zu muͤſſen, den ihm der Zufall anbot, und deſſen Eigenthum ihm von keinem Feinde ſtreitig gemacht wurde. Die aͤlteſten Chinampas waren daher nichts, als Stuͤcke Raſen, welche von den Azteken kuͤnſtlich waren zuſammengefuͤgt, alsdann aufgehackt und angeſaͤet worden. Dergleichen ſchwimmende Inſeln bilden ſich unter allen Zonen, und ich habe deren in dem Koͤnigreiche Quito, auf dem Fluſſe Guayaquil geſehen, welche acht bis neun Meter lang waren, mitten auf dem Strome trieben, und junge Zweige von Bambusa, Pistia stratiotes, Pontederia und eine Menge anderer Vegetabilien trugen, deren Wurzeln ſich leicht in einander verflochten. Auch ſah ich in Italien auf dem kleinen Lago di aqua solfa, bey Tivoli, in der Naͤhe der Thermen des Agrippa, ſolche kleine Inſeln, welche aus Schwefel, luftſaurer Kalkerde und Blaͤttern des Ulva thermalis beſtanden, und ſich durch das leiſeſte Wehen des Windes in Bewegung ſetzten. Bloße Erdſchollen, welche ſich vom Ufer abriſſen, haben alſo Anlaß zur Erfindung der Chinampas gegeben; allein die Induſtrie der aztekiſchen Nation hat dieſes Syſtem vom Gartenbaue nach und nach vervollkommnet. Die ſchwimmenden Gaͤrten, welche die Spanier in großer Menge fanden, und von denen noch mehrere auf dem See von Chalco uͤbrig ſind, waren Floͤße von Schilf, (Totora), Aeſten, Wurzeln und Zweigen von Buſchwerk. Dieſe Beſtandtheile, welche ſehr leicht ſind, und ſich ganz in einander verwickeln, bedecken die Indianer mit einer ſchwarzen Erde, welche von Natur mit Kochſalz geſchwaͤngert iſt. Durch das Waſſer, womit man die Erde aus dem See begießt, verfluͤchtigt ſich dieſes Salz nach und nach, und je oͤfter man dieſe Auslaugung vornimmt, deſto fruchtbarer wird der Boden. Man wendet dieſes ſelbſt bey dem Salzwaſſer aus dem See von Tezcuco mit Vortheil an, indem dieſes Waſſer, dem noch viel zu ſeiner Saturation fehlt, wenn es durch den Boden filtrirt wird, das Salz vortrefflich aufloͤst. Oft enthalten die Chinampas ſogar die Huͤtte des Indianers, welcher eine ſolche Gruppe ſchwimmender Gaͤrten zu huͤten hat. Man ſtoͤßt ſie mit langen Stangen weiter, oder ruͤckt ſie damit zuſammen, und treibt ſie ſo nach Gefallen von einem Ufer zum andern.