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Alexander von Humboldt: „Fragmente aus dem neuesten Hefte des v. Humboldt’schen Werkes über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1809-Voyage_de_MM-03> [abgerufen am 24.04.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1809-Voyage_de_MM-03
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Titel Fragmente aus dem neuesten Hefte des v. Humboldt’schen Werkes über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien
Jahr 1809
Ort Stuttgart; Tübingen
Nachweis
in: Morgenblatt für gebildete Stände 3:186 (5. August 1809), S. 741–742; 3:187 (7. August 1809), S. 745–746; 3:192 (12. August 1809), S. 767–768; 3:193 (14. August 1809), S. 769–771; 3:194 (15. August 1809), S. 774–775; 3:195 (16. August 1809), S. 778–779.
Postumer Nachdruck
Alexander von Humboldt, Das große Lesebuch, herausgegeben von Oliver Lubrich, Frankfurt/M.: Fischer 2009, S. 73–92.

Alexander von Humboldt, Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika. Politische und historographische Schriften zur Neuen Welt, herausgegeben von Oliver Lubrich, Hannover: Wehrhahn 2010, S. 7–25.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: II.76
Dateiname: 1809-Voyage_de_MM-03
Statistiken
Seitenanzahl: 13
Spaltenanzahl: 25
Zeichenanzahl: 39295

Weitere Fassungen
Voyage de MM. Humboldt et Bonpland (Paris, 1809, Französisch)
Essai politique sur le royaume de la Nouvelle-Espagne (Paris, 1809, Französisch)
Fragmente aus dem neuesten Hefte des v. Humboldt’schen Werkes über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien (Stuttgart; Tübingen, 1809, Deutsch)
Berührungen der russischen Macht mit den spanischen Colonien in Amerika, nebst Nachrichten über die neueste Entdeckungs-Politik verschiedener europäischen Mächte im Nord-Westen dieses Welttheils, aus Hrn. v. Humbolds Werke über Mexiko (Tübingen, 1809, Deutsch)
Account of the Character and present Condition of the different Classes of Inhabitants in Mexico, or New Spain (Edinburgh, 1810, Englisch)
Humboldt’s History of New Spain (Boston, Massachusetts, 1811, Englisch)
Humboldt’s History of New Spain (Providence, Rhode Island, 1811, Englisch)
Humboldt’s History of New Spain (Philadelphia, Pennsylvania, 1811, Englisch)
Humboldt’s History of New-Spain (Washington, District of Columbia, 1811, Englisch)
Humboldt’s History of New Spain (Worcester, Massachusetts, 1811, Englisch)
Humboldt’s History of New Spain (Philadelphia, Pennsylvania, 1811, Englisch)
Humboldt’s History of New-Spain (Washington, District of Columbia, 1811, Englisch)
Humboldt’s History of New-Spain (Concord, Massachusetts, 1811, Englisch)
Humboldt’s History of New Spain (Charleston, South Carolina, 1811, Englisch)
[Voyage de MM. Humboldt et Bonpland] (Oxford, 1811, Englisch)
[Voyage de MM. Humboldt et Bonpland] (London, 1811, Englisch)
General Considerations on the Extent and Physical Aspect of the Kingdom of New Spain, from Baron de Humboldt’s Political Essay on the Kingdom of New Spain (Philadelphia, Pennsylvania, 1811, Englisch)
Present State of the Kingdom of Mexico (London, 1811, Englisch)
From the Baron Humboldt’s ‚Political essay on the kingdom of New-Spain‘ (St. Louis, Missouri, 1812, Englisch)
Political Essay in the Kingdom of New Spain, containing researches relative to the geography of Mexico, the extent of ist surface, and its political division into intendancies, &c. &c. With physical sections and maps, founded on astronomical observations, and trigonometrical and barometrical measurements. Translated from the original French, by John Black. Vols. I and II. New-York. Riley, 1811. 8vo. (New York City, New York, 1811, Englisch)
Mexico (Providence, Rhode Island, 1816, Englisch)
Brief Description of the City of Mexico (Washington, District of Columbia, 1817, Englisch)
Extract from Humboldt’s New Spain. Brief description of the City of Mexico (Alexandria, Virginia, 1817, Englisch)
Brief description of the city of Mexico (Trenton, New Jersey, 1817, Englisch)
Interesting Geographical Notice (Newburyport, Massachusetts, 1819, Englisch)
Idea of Mexican Wealth (New York City, New York, 1819, Englisch)
[Interesting Geographical Notice] (Boston, Massachusetts, 1819, Englisch)
Idea of Mexican Wealth (Pittsburgh, Pennsylvania, 1819, Englisch)
Interesting geographical notice (Gettysburg, Pennsylvania, 1819, Englisch)
Interesting geographical notice (Baltimore, Maryland, 1819, Englisch)
Translation from Humboldt’s Essai Politique, &c. Vol. 1, p. 8, &c. (Mount Pleasant, Ohio, 1819, Englisch)
Idea of Mexican Wealth (Philadelphia, Pennsylvania, 1819, Englisch)
Mexico (Providence, Rhode Island, 1820, Englisch)
Mexico (Danville, Kentucky, 1820, Englisch)
Mexico (Mobile, Alabama, 1820, Englisch)
[Voyage de MM. Humboldt et Bonpland] (Salem, Massachusetts, 1821, Englisch)
The City of Mexico (Annapolis, Maryland, 1821, Englisch)
Essay on the possibility of effecting a navigable communication between The Atlantic and the Pacific Ocean (London, 1830, Englisch)
[Voyage de MM. Humboldt et Bonpland] (Albany, New York, 1832, Englisch)
How they do in Mexico (Boston, Massachusetts, 1832, Englisch)
Mexican Wealth (Wilmington, North Carolina, 1847, Englisch)
Mexican Wealth (Hillsborough, North Carolina, 1847, Englisch)
Historical, Topographical, and Geographical Sketch of the Californias (New Orleans, Louisiana, 1849, Englisch)
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Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Hum-boldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchenZuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien.

1. Das alte und neue Mexiko.

Man iſt ſchon ſo lange her daran gewoͤhnt, von derHauptſtadt Mexiko’s als von einer mitten in einem Seegebauten Stadt zu hoͤren, welche nur durch Daͤmme mitdem feſten Lande zuſammenhaͤnge, und mag ſich daher ſehrwundern, den Mittelpunkt der heutigen Stadt in meinemmexikaniſchen Atlas um 4,500 Metern von dem See Tez-cuco und von dem von Chalco uͤber 9000 M. entfernt zufinden. Man wird deswegen entweder die Genauigkeit derin den Entdeckungsgeſchichten der neuen Welt gegebenenBeſchreibungen in Zweifel ziehen, oder ſich mit der Erklaͤ-rung helfen, daß die heutige Hauptſtadt von Mexiko nichtauf den naͤmlichen Grund gebaut ſey, auf welchem die alteReſidenz von Montezuma geſtanden habe. Allein es iſtvoͤllig zuverlaͤſſig, daß die Stadt ihre Stelle nicht veraͤnderthat. Die Domkirche von Mexiko ſteht genau auf demſelbenPlatze, wo ſich der Tempel des Huitzilopochtli befand; dieheutige Straße Tacuba iſt die alte Straße Tlacopan, durchwelche Cortez in der traurigen Nacht (zur Auszeichnung la noche triste genannt) vom 1 Juli 1520 den beruͤhmtenRuͤckzug gemacht hat, und die anſcheinende Verſchiedenheitder Lage, wie ſie auf den alten Karten und den meinigenangegeben iſt, kommt blos von der Verminderung desWaſſers im See von Tezcuco her. |Spaltenumbruch| Es wird nicht unnuͤtz ſeyn, hier eine Stelle aus einemunter dem 30 Okt. 1520 von Cortez an Kaiſer Karl V erlaſſenen Briefe anzufuͤhren, worin er ein Gemaͤhlde vondem Thale von Mexiko entwirft. Es iſt mit hoher Ein-fachheit verfaßt, und ſchildert zugleich die Polizey, welchein dem alten Tenochtitlan herrſchte. „Die Provinz, ſagt Cortez, in welcher die Reſidenz dieſes großen Fuͤrſten Muteczuma liegt, iſt rings von hohen und durch Abgruͤndedurchſchnittenen Gebirgen umgeben. Die Ebene hat beynaheſiebenzig Stunden im Umfange, und enthaͤlt zwey Seen,welche faſt das ganze Thal ausfuͤllen, ſo daß die Einwoh-ner von einem Umkreiſe von mehr als funfzig Stundenin Kaͤhnen fahren.” (Hiebey iſt zu bemerken, daß Cortez blos von zwey Seen ſpricht, weil er die von Zumpango undXaltocan, zwiſchen denen er auf ſeiner Flucht von Mexikonach Tlascallo vor der Schlacht von Otumba eiligſt durch-zog, nur unvollkommen kannte.) „Von dieſen beyden groſ-ſen Seen im Thale von Mexiko enthaͤlt der eine ſuͤßes,und der andere geſalzenes Waſſer. Sie ſind blos durcheinen kleinen Strich von Gebirgen (die koniſchen und frey-ſtehenden Huͤgel bey Iztapalapan) von einander getrennt.Dieſe Gebirge erheben ſich mitten in der Ebene, und dieWaſſer des Sees vermiſchen ſich nur in einer ſchmalenFuge, welche zwiſchen den Huͤgeln und der hohen Cordillera(wahrſcheinlich auf der oͤſtlichen Senkung von Cerros deSanta Fe) liegt. Die vielen Staͤdte und Doͤrfer, die aufbeyden Seen gebaut ſind, treiben ihren Handel auf Kaͤhnen,und nicht uͤber das feſte Land hin. Die große Stadt Te- |742| |Spaltenumbruch| mixtitan (Tenochtitlan) ſteht mitten in dem Salz-See, derſeine Ebben und Fluthen hat, gleich dem Meere. Vonwelcher Seite des Ufers man kommen mag, brauchtman immer zwey Stunden, um ſie zu erreichen. VierDaͤmme fuͤhren nach dieſer Stadt. Sie ſind das Werk derMenſchenhaͤnde, und immerhin zwey Lanzenlaͤngen breit.Die Stadt ſelbſt iſt ſo groß als Sevilla oder Cordoba.Die Straßen, das heißt die Hauptſtraßen, ſind zum Theilſehr enge, zum Theil ſehr weit; die einen halb trocken, dieandern zur Haͤlfte von ſchiffbaren Kanaͤlen durchſchnitten,welche mit huͤbſchgebauten hoͤlzernen und ſo geraͤumigenBruͤcken verſehen ſind, daß zehen Reiter zugleich daruͤberſetzen koͤnnen. Der Markt iſt doppelt ſo groß, als der vonSevilla, und mit einem ungeheuern Portikus umgeben,unter welchem alle Arten von Waaren, Lebensmitteln,Kleiderſchmuck von Gold, Silber, Bley, Kupfer, edelnSteinen, Knochen, Muſcheln und Federn, von Leder undBaumwollenſtoffen, zum Verkaufe ausgeſtellt ſind. Auchfindet man hier gehauene Steine, Ziegel und Zimmerholz.Einzelne Stellen ſind fuͤr den Verkauf von Wildbret, anderevon Gemuͤßen und Gartenkraͤutern eingerichtet. Hier be-finden ſich auch eigene Haͤuſer, wo die Barbiere (mit Scher-meſſern von Obſidian) die Kopfhaare raſiren, und andere,welche unſern Apothekerbuden gleichen, und wo ſchon voͤlligzubereitete Arzneimittel, Salben und Pflaſter verkauftwerden. In andern Haͤuſern gibt man um’s Geld zu eſſenund zu trinken, und man ſieht uͤberhaupt ſo vielerley Dingeauf dem Markte, daß ich nicht im Stande bin, ſie Ew.Hoheit alle aufzuzaͤhlen. Um Verwirrung zu vermeiden,werden alle Waaren an abgeſonderten Orten verkauft. Alleswird nach der Elle gemeſſen, und wir haben bis jetzt nochkein Gewicht brauchen ſehen. Mitten auf dem großen Platzeſteht ein Haus, welches ich die Audiencia nennen moͤchte,und wo immer zehn bis zwoͤlf Richter ſitzen, welche uͤberdie bey’m Handel entſtandenen Streitigkeiten entſcheiden.Eine andre Art oͤffentlicher Perſonen iſt unaufhoͤrlich imGedraͤnge verbreitet, fuͤhrt die Aufſicht daruͤber, daß umbillige Preiſe verkauft wird, und man hat bemerkt, wie ſiedie falſchen Maße, welche ſie bey den Kaufleuten fanden,zerbrachen.”

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Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Hum-boldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchenZuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien.

2. Das alte und neue Mexiko.

Mit einer Menge von Teocallis geziert, welche ſich,wie die Minarets, zum Himmel erhoben, umgeben vonWaſſer und Daͤmmen, auf Inſeln gebaut, die mit Vege-tation bedeckt waren, und bey der ewigen Bewegung meh-rerer tauſend Boͤte, durch die der See belebt wurde, mußdas alte Tenochtitlan, nach dem Berichte der erſten Erobe-rer, Aehnlichkeit mit einigen Staͤdten von Holland undChina, oder mit dem Delta von Nieder-Aegypten gehabthaben. Die Hauptſtadt, welche die Spanier auf demſelbenBoden wieder aufbauten, gewaͤhrt vielleicht keinen ſo la-chenden, aber einen deſto impoſantern, majeſtaͤtiſchern An-blick. Mexiko gehoͤrt zu den ſchoͤnſten Staͤdten, welche dieEuropaͤer in den beyden Hemiſphaͤren aufgefuͤhrt haben,und mit Ausnahme von Petersburg, Berlin, Philadelphiaund einigen Quartieren von Weſtminſter, gibt es vielleichtkeine Stadt von demſelben Umfange, deren Boden ſogleichfoͤrmig wagerecht, deren Straßen ſo breit und regel-maͤßig, und deren oͤffentliche Plaͤtze ſo groß waͤren, wie alldies bey der Hauptſtadt von Neu-Spanien der Fall iſt.Die Architektur iſt im Durchſchnitte von ziemlich reinemStil, und manche Gebaͤude nehmen ſich wirklich ſehr ſchoͤnaus. Das Aeußere der Haͤuſer iſt nicht mit Ornamenten |Spaltenumbruch|uͤberladen, und die beyden Arten von Quaderſteinen, derporoͤſe Mandelſtein, Tetzontli genannt, und beſonders einPorphyr mit glasartigem Feldſpath ohne Quartz, geben denmexikaniſchen Bauten ein gewiſſes Anſehen von Feſtigkeitund ſelbſt von Pracht. Von den Balkons und Galerien,durch welche alle europaͤiſche Staͤdte beyder Indien ſo ſehrentſtellt werden, weiß man hier nichts. Die Gelaͤnder undGitter ſind von biskayiſchem Eiſen mit Bronze-Verzierungen,und ſtatt der Daͤcher hat man, wie in Italien und allenſuͤdlichen Laͤndern, Terraſſen auf den Haͤuſern. Seit dem Aufenthalte des Abbé Chappe im J. 1769iſt Mexiko außerordentlich verſchoͤnert worden. Das fuͤr dieBergſchule beſtimmte Gebaͤude, zu welchem die reichſtenMaͤnner des Landes eine Summe von mehr als drey Mil-lionen Franken beygeſteuert haben, wuͤrde den erſten Plaͤtzenvon Paris und London Ehre machen. Einige mexikaniſcheArchitekten, welche in der Akademie der ſchoͤnen Kuͤnſte inder Hauptſtadt gebildet worden ſind, haben vor Kurzemzwey große Hotels gebaut, von denen das eine in demQuartier Traſpana gelegene in ſeinem Hofe ein ſehr ſchoͤnesPeriſtyl von ovaler Form enthaͤlt. Mit allem Rechte be-wundern die Reiſenden auf der Plaza major von Mexiko,der Domkirche und dem Pallaſte der Vice-Koͤnige gegenuͤber,eine große, mit viereckigen Platten von Porphyr gepfla-ſterte Einfaſſung, deren Gitter reich mit Bronze verziertſind, und auf deren Mitte die Statue Karl’s IV zu Pferdeauf einem Piedeſtal von mexikaniſchem Marmor ſteht. Beyallen Fortſchritten, welche die ſchoͤnen Kuͤnſte ſeit dreißig |746| |Spaltenumbruch| Jahren in dieſem Lande gemacht haben, iſt indeß unlaͤug-bar, daß die Hauptſtadt von Mexiko einem Europaͤer we-niger wegen der Groͤße und Schoͤnheit ihrer oͤffentlichenDenkmale, als wegen der Breite und Geradheit ihrerStraßen, weniger wegen ihrer einzelnen Gebaͤude, als we-gen ihrer uͤbereinſtimmenden Regelmaͤßigkeit, ihrer Ausdeh-nung und Lage auffallen wird. Durch ein Zuſammentreffenungewoͤhnlicher Umſtaͤnde ſah ich in ſehr kurzer Zeit hinterein-ander Lima, Mexiko, Philadelphia, Waſhington, Paris,Rom, Neapel und die groͤßten Staͤdte von Deutſchland.Vergleicht man ſchnell auf einander folgende Eindruͤcke miteinander, ſo iſt man oft im Stande, eine Meynung, derman ſich zu unbedachtſam uͤberlaſſen hatte, zu berichtigen.Allein trotz allen Vergleichungen, welche der Hauptſtadtvon Mexiko nicht durchgaͤngig guͤnſtig ſeyn koͤnnten, hat ſieeine Idee von Groͤße in meinem Gedaͤchtniſſe zuruͤckgelaſſen,welche ich beſonders dem impoſanten Karakter ihrer Lageund der ſie umgebenden Natur zuſchreiben muß. Wirklich iſt auch das Gemaͤhlde, welches das Thal aneinem ſchoͤnen Sommermorgen, und bey dem wolkenloſendunkelazurnen Himmel, welcher der trockenen und duͤnnen Lufthoher Gebirge eigen iſt, von einem der Thuͤrme des Domsvon Mexiko oder von dem Huͤgel von Chapoltepec herab be-trachtet, darſtellt, von wunderbarem Reichthum, und ſel-tener Mannigfaltigkeit. Eine ſchoͤne Vegetation umgibt die-ſen Huͤgel. Alte Cypreſſenſtaͤmme, von mehr als funfzehenbis ſechszehen Metern im Umfange, erheben ihre blaͤtterloſenScheitel uͤber die Spitzen der Schinus, deren Wuchs denorientaliſchen Thraͤnenweiden aͤhnlich iſt. Von dieſer einſa-men Stelle auf der Hoͤhe des Porphyrfelſen von Chapoltepec herab beherrſcht das Auge eine ungeheure Ebene, und dieherrlich angebauten Gefilde, welche ſich bis zu den koloſſa-len Gebirgen, auf welchen der ewige Schnee liegt, er-ſtrecken. Die Stadt ſcheint von dem See von Tezcuco ge-netzt, deſſen Umgebungen von Doͤrfern und Weilern an dieſchoͤnſten Partien der Art in der Schweiz erinnern. GroßeAlleen von Ulmen und Pappeln fuͤhren auf allen Seiten nachder Stadt. Zwey Waſſerleitungen durchſchneiden auf ſehrhohen Bogen die Ebene, und gewaͤhren einen eben ſo an-genehmen, als merkwuͤrdigen Anblick. Gegen Norden zeigtſich das praͤchtige Kloſter der lieben Frau von Guadelupe,wie es ſich an die Gebirge Tepeyacac lehnt, zwiſchen Schluch-ten, welche Dattelpalmen und baumaͤhnliche Yuccas be-herbergen. Gegen Suͤden iſt das ganze Land zwiſchenSant-Angelo, Tacubaya und Sant-Agoſtino de lasCuevas, einem ungeheuren Garten von Orangen, Pfir-ſichen, Aepfeln, Kirſchen und andern europaͤiſchen Obſtbaͤu-men aͤhnlich. Dieſe herrliche Kultur macht einen großenKontraſt mit den kahlen Gebirgen, welche das Thal ein-ſchließen, und unter denen ſich die beruͤhmten Vulkane vonPuebla, Popocatepetl und Iztaccihuatl auszeichnen. Dererſte unter dieſen Bergen bildet einen ungeheuern Kegel, |Spaltenumbruch|deſſen Krater unaufhoͤrlich in Flammen iſt, und aus derMitte des ewigen Schnees Rauch und Aſche auswirft. Auch die gute Polizey, welche in Mexiko herrſcht, zeich-net dieſe Stadt ruͤhmlich aus. Die meiſten Straßen ha-ben auf beyden Seiten ſehr breite Trottoirs, ſind ſehr rein-lich, und des Nachts durch Spiegellaternen mit plattenDochten in Baͤnderform erleuchtet. Dieſe Vortheile ver-dankt die Stadt der Thaͤtigkeit des Grafen von Revil-lagigedo, bey deſſen Ankunft noch die aͤußerſte Unrein-lichkeit geherrſcht hatte. In ſehr geringer Tiefe findet man uͤberall auf dem Bo-den von Mexiko Waſſer; es iſt aber ein wenig ſalzig, wiedas vom See von Tezcuco. Die beyden Waſſerleitungen,welche der Stadt ſuͤßes Waſſer zufuͤhren, ſind von neuerArchitektur, aber der Aufmerkſamkeit jedes Reiſenden wuͤr-dig. Die Quellen von trinkbarem Waſſer befinden ſich oͤſt-lich von der Stadt, die eine auf dem kleinen iſolirten Bergevon Chapoltepec, und die andre auf den Cerros de SantaFe, bey der Cordillera, welche das Thal von Tenochtitlanvon dem von Lerma und Toluca ſcheidet. Die Bogen derWaſſerleitung von Chapoltepec dehnen ſich in einer Laͤngevon 3300 Metern. Ihr Waſſer kommt auf der Suͤdſeiteder Stadt, bey dem Salto del Agua herein, iſt aber nichtſehr klar, und wird nur in den Vorſtaͤdten von Mexiko ge-trunken. Am wenigſten mit luftſaurer Kalkerde geſchwaͤn-gert iſt das Waſſer des Aquaͤdukt von Santa Fe, wel-cher ſich laͤngs der Alameda hinzieht, und uͤber der Traſpana,an der Bruͤcke vor Marescala endigt. Dieſe Waſſerleitunghat beynahe 10200 Meter Laͤnge; allein die Senkung desBodens machte nur fuͤr ein Drittheil ihrer Ausdehnung Bo-gen noͤthig. Eben ſo betraͤchtliche Waſſerleitungen hattedie alte Stadt Tenochtitlan. Bey’m Anfange der Belage-rung zerſtoͤrten die beyden Hauptleute Alvarado und Olid die von Chapoltepec. Cortez redet, in ſeinem er-ſten Brief an Karl V , auch von der Quelle von Amilco,bey Churubuſco, deren Waſſer in Roͤhren von gebrannterErde in die Stadt gefuͤhrt wurde. Dieſe Quelle befindetſich ganz nahe bey Santa Fe, und man erkennt die Reſtedieſer großen Waſſerleitung noch, welche doppelte Roͤhrenhatte, von denen die eine das Waſſer nach der Stadt fuͤhrte,waͤhrend die andre gereinigt wurde. Dieſes Waſſer wurdein den Kaͤhnen verkauft, die in den Straßen von Tenoch-titlan herumfuhren. Die Quellen von Sant-Augoſtino delas Cuevas ſind indeß die ſchoͤnſten und klarſten. Auchglaubte ich, auf dem Wege von dieſem ſchoͤnen Dorfe nachMexiko Spuren einer alten Waſſerleitung zu erkennen.
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Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Hum-boldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchenZuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien.

3. Die alt-mexikaniſchen Tempel,Teocalli genannt.

Der erſte Teocalli, um welchen die neue Stadt gebautwurde, war, wie der aͤlteſte griechiſche Tempel, der des Apollo zu Delphi, welchen Pauſanias beſchrieben hat, von |768| |Spaltenumbruch|Holz. Das ſteinerne Gebaͤude hingegen, deſſen Archi-tektur von Cortez und Bernal Diaz bewundert wurde,war von dem Koͤnige Ahuitzotl im Jahre 1486 auf dernaͤmlichen Stelle aufgefuͤhrt worden. Es beſtand in einerPyramidalform von 37 Metern Hoͤhe, und lag mitten aufeinem großen, mit Mauern eingeſchloſſenen Hofe. Manunterſchied daran fuͤnf Stockwerke, wie an verſchiedenenPyramiden von Sacara, und beſonders an der von Mehe-dun. Der Teocalli von Tenochtitlan ſtand, gleich allen egyp-tiſchen, aſiatiſchen und mexikaniſchen Pyramiden, in ge-nauer Richtung gegen die Himmelsgegenden, hatte eineBaſis von 97 Metern, und war oben abgeſtumpft, ſo daß erin der Entfernung einem ungeheuern Cubus aͤhnlich ſah,auf deſſen Spitze kleine, mit hoͤlzernen Kuppeln bedeckte,Altaͤre angebracht waren. Die Endſpitze dieſer Kuppeln er-hob ſich 54 Meter uͤber die Baſis des Gebaͤudes, oder uͤberdas Pflaſter ſeiner Einfaſſung. Dieſe Umſtaͤnde beweiſendie große Aehnlichkeit, welche der Teocalli mit jenem altenDenkmale von Babylon hatte, das von Strabo das Mau-ſoleum des Belus genannt wird, und nichts als eine demJupiter Belus geweihte Pyramide war. Weder derTeocalli, noch dieſes babyloniſche Gebaͤude waren Tempelin dem Sinne, welchen wir nach den Ueberlieferungen derGriechen und Roͤmer mit dieſem Ausdrucke verbinden.Alle den mexikaniſchen Gottheiten geheiligten Gebaͤude wa-ren abgeſtumpfte Pyramiden, wie das die großen bis aufden heutigen Tag erhaltenen Denkmale von Teotihuacan,Cholula und Papantla beweiſen, und aus welchen wir ſchlieſ-ſen koͤnnen, wie die kleinern Tempel in den Staͤdten Te-nochtitlan und Tecuco beſchaffen geweſen ſeyn moͤgen. Be-deckte Altaͤre ſtanden auf den Spitzen des Teocalli’s, undwir duͤrfen ſie daher wol in die Klaſſe der Pyramidal-Monumente von Aſien ſetzen, von denen man erſt kuͤrz-lich ſogar Spuren in Arkadien gefunden hat; denn das ko-niſche Mauſoleum des Calliſthus, ein wahrer Tumu-lus, der mit Fruchtbaͤumen beſetzt war, machte die Baſiseines kleinen der Diana geweihten Tempels. Wir kennen die Materialien nicht, aus welchen der Teo-calli von Tenochtitlan gebaut war; denn die Geſchichtſchrei-ber berichten blos, er ſey mit einem harten polirten Steineuͤberzogen geweſen. Die ungeheuern Fragmente, welche manindeß von Zeit zu Zeit in der Gegend der heutigen Dom-kirche entdeckt, ſind von Porphyr, mit einem Grunde vonGruͤnſtein, der voll Amphibolen und glasartigen Feldſpathsiſt. Als man vor Kurzem den Platz um die Domkirchepflaſterte, fand man in einer Tiefe von 10 bis 12 MeternStuͤcke Bildhauerarbeit. Wenige Nationen haben wolgroͤßere Maſſen in Bewegung geſetzt, als die Mexikaner.Der Kalender- und Opferſtein, welche auf dem großenPlatze ſtehen, haben 8 bis 10 Kubik-Meter. Die koloſſaleStatue des Teoyaomiqui, die mit Hieroglyphen bedeckt iſt,und auf einer Diele des Univerſitaͤtsgebaͤudes liegt, iſtzwey Meter lang, und drey breit. Auch hat mich derKanonikus Gamboa verſichert, man ſey bey einer Grabungin der Naͤhe der Kapelle des Sagrario, neben einer unge-heuern Menge von Idolen, welche zum Teocalli gehoͤrten,auch auf ein Stuͤck Felſen mit Bildhauerarbeit geſtoßen, dasſieben Meter Laͤnge, ſechs Breite, und drey Hoͤhe gehabt,und das man umſonſt herauszuſchaffen verſucht habe. |Spaltenumbruch| Einige Jahre nach der Belagerung von Tenochtitlan,welche ſich, wie die von Troja, mit einer allgemeinen Zerſtoͤ-rung der Stadt endigte, lag der Teocalli ſchon in Truͤm-mern. Ich moͤchte daher glauben, daß die Auſſenſeiteder abgeſtumpften Pyramide aus Thon beſtanden, welchermit dem poroͤſen Mandelſteine, Tetzontli genannt, uͤberzogenwar. Wirklich fing man auch kurz vor dem Baue dieſesTempels, unter der Regierung des Koͤniges Ahuitzotl, an,die Bruͤche dieſes zellenfoͤrmigen, poroͤſen Steins zu bear-beiten. Nichts war daher leichter, als Gebaͤude zu zer-ſtoͤren, welche aus ſo leichten, und ſo poroͤſen Materialien,als der Bimsſtein iſt, aufgefuͤhrt waren. Ueber die Di-menſionen dieſes Teocalli ſtimmen die meiſten Geſchicht-ſchreiber zwar miteinander uͤberein; indeß duͤrften ſie dochwol uͤbertrieben ſeyn. Allein die Pyramidalform dieſesmexikaniſchen Gebaͤudes, und ſeine große Aehnlichkeit mitden aͤlteſten, aſiatiſchen Denkmalen haben fuͤr uns weitmehr Merkwuͤrdigkeit, als ſeine Maſſe und Groͤße.
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Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Hum-boldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchenZuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien.

4. Andre mexikaniſche Alterthuͤmer u. dgI.

Die einzigen alten Denkmale im Thale von Mexiko,welche einem Europaͤer durch ihre Groͤße und Maſſe auffal-len koͤnnen, ſind die Reſte der beyden Pyramiden von SanJuan de Teotihuacan, nordoͤſtlich vom See von Tezcuco.Sie waren der Sonne und dem Monde geweiht, und wur-den von den Eingebornen Tonatiuh Ytzaqual, Haus derSonne, und Meztli Ytzaqual, Haus des Mondes, genannt.Nach den Meſſungen, welche im Jahre 1803 von einemjungen mexikaniſchen Gelehrten, dem Doktor Oteyza, angeſtellt worden ſind, hat die erſte Pyramide, die amſuͤdlichſten gelegene, in ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtande, eineBaſis von 208 Metern (645 Fuß) Laͤnge, und 55 Metern(66 mexikaniſche Varen oder 171 Fuß) perpendikulaͤrerHoͤhe. Die zweyte, die Mondpyramide, iſt um 11 Meter(30 Fuß) niedriger, und hat auch eine kleinere Baſis.Nach dem Berichte der fruͤhſten Reiſenden und nach ihrerheutigen Form ſelbſt zu urtheilen, haben dieſe Denkmaleden Aztekiſchen Teocallis zum Muſter gedient. Die Voͤlker,welche dieſes Land bey der Ankunft der Spanier bewohnten,ſchrieben die Pyramiden von Teotihuacan der TultekiſchenNation zu, und ihre Erbauung ſtiege demnach bis in’sachte oder neunte Jahrhundert hinauf, indem Tollan’s Reich |Spaltenumbruch|von 667 bis 1031 gedauert hat. Die Seiten dieſer Ge-baͤude ſtehen, auf etwa 52′, genau von Norden nach Suͤdenund von Oſten nach Weſten. Ihr Inneres beſteht aus Thonmit einer Miſchung von kleinen Steinen. Dieſer Kern iſtmit einer dicken Mauer von poroͤſem Mandelſtein bedeckt,und man erkennt noch die Spuren einer Kalklage, womitdie Steine (der Tetzontli) uͤberzogen waren. EinigeSchriftſteller des ſechzehnten Jahrhunderts behaupten, nacheiner indianiſchen Tradition, daß das Innere dieſer Pyra-miden hohl ſey. Indeß verſichert der Chevalier Boturini,daß der mexikaniſche Geometer, Siguenza, vergebens denVerſuch gemacht habe, dieſe Gebaͤude durch eine Galerie zudurchbrechen. Sie bildeten vier Terraſſen, von denen heut-zutage indeß nur noch drey ſich erkennen laſſen, indem dieZeit und die Vegetation der Cactus und Agaven ſehr zer-ſtoͤrend auf das Aeußere dieſer Denkmale gewirkt haben.Eine Treppe von großen Quadern fuͤhrte ehemals auf dieSpitze, wo nach dem Berichte der fruͤheſten Reiſenden Sta-tuen aufgeſtellt waren, deren Ueberzug aus ſehr duͤnnenGoldplatten beſtand. Jede der vier Hauptterraſſen war inkleine Stufen von etwa einem Meter Hoͤhe abgetheilt,deren Fugen man noch unterſcheiden kann. Dieſe Stufenſind mit Stuͤcken von Obſidian bedeckt, welche ohne ZweifelSchneideinſtrumente waren, womit die Tultekiſchen undAztekiſchen Prieſter (Papahua Tlemacazque oder Teopixqui)in ihrem grauſamen Goͤtterdienſte den menſchlichen Schlacht-opfern die Bruſt oͤffneten. Es iſt bekannt, daß der Obſi-dian (Itztli) in großer Menge gebrochen wurde, und manſieht die Spuren ſolcher Bruͤche noch in vielen Brunnen |770| |Spaltenumbruch|zwiſchen den Bergwerken von Moran und dem Dorfe Ato-tonilco el Grande, in den Porphyrgebirgen von Oyamel undJacal, einer Gegend, welche die Spanier das Meſſergebirge,el Cerro de las Navajas, nennen. Man wuͤnſchte wol die Frage aufgeloͤst, ob dieſe merk-wuͤrdigen Gebaͤude, von denen das eine (der Tonatiuh Yt-zaqual) nach den genauen Meſſungen meines Freundes, Hrn. Oteyza, eine Maſſe von 128,970 Kubiktoiſen enthaͤlt,ganz von Menſchenhaͤnden erbaut ſind, oder ob die Tultekenblos irgend einen natuͤrlichen Huͤgel benutzt, und mit Stei-nen und Kalk uͤberzogen haben. Dieſe Frage iſt neulichbey Gelegenheit mehrerer Pyramiden von Gize und Sacarain Anregung gekommen, und durch die fantaſtiſchen Hypo-theſen, welche Herr Witte uͤber den Urſprung der koloſ-ſalen Monumente von Egypten, Perſepolis und Palmyragewagt hat, doppelt merkwuͤrdig geworden. Da weder diePyramide von Cholula, von der wir in der Folge redenwerden, noch die von Teotihuacan durchbrochen worden ſind,ſo kann man unmoͤglich etwas Zuverlaͤſſiges von ihrem In-nern ſagen. Die indianiſchen Traditionen, denen zufolgeſie hohl ſeyn ſollen, ſind unbeſtimmt und widerſprechend.Durch ihre Lage in Ebenen, wo ſich ſonſt kein Huͤgel findet,wird es ſogar ſehr wahrſcheinlich, daß kein natuͤrlicher Felsden Kern dieſer Denkmale ausmacht. Was indeß noch ſehrbemerkenswerth iſt (beſonders wenn man ſich an Pococke’sBehauptungen uͤber die ſymmetriſche Stellung der egyptiſchenPyramiden erinnert), liegt in dem Umſtande, daß man ringsum die Haͤuſer der Sonne und des Mondes von Teotihuacaneine Gruppe, und ich moͤchte ſagen, ein Syſtem von Pyra-miden findet, welche kaum 9 bis 10 Meter Hoͤhe haben.Dieſe Denkmale, deren es mehrere hunderte ſind, ſtehen inſehr breiten Straßen, welche genau der Richtung der Pa-rallelen und Meridiane folgen, und ſich auf die vier Seitender zwey großen Pyramiden eroͤffnen. Auf der Suͤdſeitedes Mondstempels ſind dieſe kleinen Pyramiden haͤufiger,als auf der des Sonnentempels; auch waren ſie ja, nachder Tradition des Landes, den Sternen geweiht. Indeßſcheint es gewiß, daß ſie Graͤber der Stammhaͤupter geweſenſind. Dieſe ganze Ebene, welche die Spanier, nach einemWorte aus der Sprache der Inſel Cuba, Llano de losCues nennen, hatte einſt in den aztekiſchen und tultekiſchenSprachen den Namen Micaotl, Weg der Todten. WelcheAehnlichkeiten mit den Denkmalen des alten Kontinents!Woher hatte dieſes tultekiſche Volk, welches, nach ſeinerAnkunft auf dem Boden von Mexiko, im ſiebenten Jahr-hunderte, nach einem gleichfoͤrmigen Plane mehrere dieſerDenkmale von koloſſaler Form, dieſe abgeſtumpften und inverſchiedene Terraſſen, wie der Tempel des Belus in Ba-bylon, abgetheilten Pyramiden erbaute, woher hatte esdas Vorbild zu dieſen Gebaͤuden erhalten? War es vommongoliſchen Stamme? Und war es von demſelben Urſprungewie die Chineſen, die Hiongunu’s und die Japaner? |Spaltenumbruch| Ein anderes altes, der Aufmerkſamkeit des Reiſendenſehr wuͤrdiges Denkmal iſt die militaͤriſche Verſchanzungvon Xochicalco, welche ſuͤd-ſuͤd-weſtlich von der Stadt Cuer-navacas bey Tetlama liegt, und in’s Kirchſpiel von Xo-chitepeque gehoͤrt. Sie beſteht in einem iſolirten Huͤgelvon 117 Metern Hoͤhe, der mit Graͤben umgeben, und vonMenſchenhaͤnden in fuͤnf, mit Mauerwerk uͤberkleidete,Terraſſen abgetheilt iſt. Das Ganze bildet eine abge-ſtumpfte Pyramide, deren vier Seiten genau nach den vierHimmelsgegenden gerichtet ſind. Die Steine von Porphyr,mit einer Baſaltbaſis, ſind ſehr regelmaͤßig geſchnitten, undmit hieroglyphiſchen Figuren geziert, unter denen man Kro-kodile, welche Waſſer ausſpruͤtzen, und, was ſehr merkwuͤr-dig iſt, Menſchen, welche nach aſiatiſcher Weiſe auf denunterſchlagenen Beinen ſitzen, unterſcheidet. Die Platt-form dieſes außerordentlichen Denkmals hat etwa 9000Quadratmeter Inhalt, und enthaͤlt die Ruinen eines klei-nern Gebaͤudes, welches wahrſcheinlich zur letzten Zufluchtder Belagerten diente. Ich will dieſe fluͤchtige Ueberſicht der aztekiſchen Alter-thuͤmer mit der Bezeichnung einiger Orte ſchließen, welcheman, wegen des Intereſſe, das ſie fuͤr die Kenner derGeſchichte der Eroberung von Mexiko durch die Spanierhaben, klaſſiſch nennen kann. Der Pallaſt des Motezuma ſtand genau auf derſelbenStelle, wo ſich heutzutage das Hotel des Herzoges vonMonteleone, gewoͤhnlich Caſa del Eſtado genannt, befindet,naͤmlich auf der Plaza mayor, ſuͤdweſtlich von der Domkirche.Dieſer Pallaſt beſtand, gleich den Pallaͤſten der chineſiſchenKaiſer, von welchen uns Sir George Staunton und Hr. Barrow genaue Beſchreibungen geliefert haben, aus einer großen Reihegeraͤumiger, aber ſehr niedriger Haͤuſer. Sie nahmen denganzen Raum zwiſchen dem Empedradillo, der großen Straßevon Tamba und dem Kloſter de la Profeſſa ein. Nachdem Cortez die Stadt erobert hatte, nahm er ſeine Wohnungden Ruinen des Pallaſtes der Aztekiſchen Koͤnige gegenuͤber,wo heutzutage der Pallaſt der Vicekoͤnige ſteht. Indeß fandman bald, daß Cortez Haus ſich beſſer zu den Verſamm-lungen der Audienzia ſchicke, und die Regierung ließ ſichdaher die Caſa del Eſtado, oder das alte Hotel von Cortez Familie, welche den Titel vom Marquiſat des Valle deOaxaca fuͤhrt, abtreten. Zur Entſchaͤdigung gab man ihrdafuͤr den Platz des alten Pallaſtes von Motezuma, wo ſiedann das ſchoͤne Gebaͤude auffuͤhrte, in welchem ſich dieStaats-Archive befinden, und das, mit der ganzen Erb-ſchaft, an den neapolitaniſchen Herzog von Monteleone ge-kommen iſt. Als Cortez den 8 Nov. 1519 ſeinen erſten Einzug inTenochtitlan hielt, wurde ihm und ſeinem kleinen Armee-Korps nicht im Pallaſte des Motezuma, ſondern in einemGebaͤude, welches einſt der Koͤnig Axajacatl bewohnt hatte,Quartier angewieſen. In dieſem Gebaͤude hielten die Spa- |771| |Spaltenumbruch|nier und ihre Bundsgenoſſen, die Tlascalteken, den Sturmder Mexikaner aus; und hier ſtarb auch der unglücklicheKoͤnig Motezuma an den Folgen einer Wunde, die er, waͤh-rend er ſein Volk haranguirte, erhalten hatte. Noch ſiehtman unbedeutende Reſte dieſes Gebaͤudes in den Mauerwerkenhinter dem Kloſter von St. Thereſa, am Ende der Straßenvon Tacuba und Indio triſte. (Die Fortſetzung folgt.)
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Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Hum-boldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchenZuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien. 4.(Fortſetzung.)

Eine kleine Bruͤcke bey Bonaviſta hat ihren Namen,Sprung des Alvarado (Salto de Alvarado), zum Andenkenan den wunderaͤhnlichen Sprung, welchen der tapfere Petrode Alvarado machte, als ſich die Spanier in der trauri-gen Nacht, da die Mexikaner bereits den Damm vonTlacopan an mehrern Orten durchſchnitten hatten, aus derStadt nach den Gebirgen von Tepeyacac zuruͤckzogen. In-deß ſcheint es, daß man ſchon zu Cortez Zeit ſich uͤber diehiſtoriſche Wahrheit dieſes Ereigniſſes geſtritten habe, un-geachtet ſich die Volkstradition unter allen Klaſſen vonMexiko’s Bewohnern erhalten hat. Bernal Diaz betrachtetdie Geſchichte des Sprunges als eine bloße Aufſchneidereyſeines Waffenbruders, deſſen Muth und Geiſtesgegenwarter uͤbrigens mehrmals anruͤhmt, und verſichert, daß derGraben zu breit geweſen ſey, um daruͤber wegzuſpringen.Allein ich muß bemerken, daß dieſe Anekdote mit vieler Um-ſtaͤndlichkeit in der Handſchrift eines adeligen Metis ausder Republik von Tlascala, Diego Munoz Camargo, erzaͤhltwird. Ich habe dieſe Handſchrift, von welcher der Pater Torquemada auch Kenntniß gehabt zu haben ſcheint, imKloſter von San Felipe Neri nachgeſchlagen. Ihr Verfaſ-ſer war ein Zeitgenoſſe von Cortez, und er erzaͤhlt die Ge-ſchichte von Alvarado’s Sprunge mit vieler Einfachheit,ohne Anſchein von Uebertreibung, und ohne uͤber die Breitedes Grabens etwas Naͤheres zu ſagen. In ſeiner naivenDarſtellung glaubt man einen Helden des Alterthums zuerkennen, welcher, Arm und Schulter auf ſeine Lanze ge-ſtuͤtzt, einen ungeheuern Sprung macht, um ſich vor ſeinenFeinden zu retten. Camargo ſetzt ſogar noch hinzu, daßnoch andre Spanier Alvarado’s Beyſpiel nachahmen wollten,aber, in Ermangelung gleicher Behendigkeit, in den Graben(Azequia) gefallen ſind. Die Mexikaner, ſagt er, warenſo erſtaunt uͤber die Geſchicklichkeit dieſes Mannes, daß ſie,als ſie ihn gerettet ſahen, die Erde aßen, (eine figuͤrliche Re-densart, welche dieſer Tlascaliſche Schriftſteller aus ſeinerVaterſprache entlehnte, und die das Erſtaunen der Ver-wunderung ausdruͤckt). „Die Kinder Alvarado’s, welcher der Hauptmann vom Sprunge genannt wurde, be- |Spaltenumbruch|wieſen durch Zeugen und vor den Richtern von Tezcucodieſe Heldenthat ihres Vaters. Ein Prozeß zwang ſie hie-zu, in welchem ſie die Thaten von Alvarado de elSalto, ihres Vaters, bey der Eroberung von Mexikodarſtellten.“ Ferner zeigt man den Fremden die Bruͤcke von Clerigo,bey der Plaza major von Tlatelolco, als die denkwuͤrdigeStelle, wo der letzte aztekiſche Koͤnig, Quanhiemotzin,Neffe ſeines Vorgaͤngers, Koͤniges Cuitlahuatzin und Schwie-gerſohn des Motezuma II, gefangen genommen wurde. In-deß erhellt aus den ſorgfaͤltigen Nachforſchungen, welche ichmit dem Pater Pichardo angeſtellt habe, daß dieſer jungeKoͤnig in einem großen Waſſerbehaͤlter, der einſt zwiſchender Garita del Perſalvillo, dem Platze von Santiago deTlatelolco und der Bruͤcke von Amarac war, in die Haͤndedes Garci Holguin gefallen iſt. Cortez befand ſich auf derTerraſſe eines Hauſes von Tlatelolco, als man ihm denkoͤniglichen Gefangenen vorfuͤhrte. „Ich ließ ihn ſich ſetzen,ſagt der Sieger ſelbſt in ſeinem dritten Briefe an Kaiſer Karl V, und behandelte ihn mit Zutrauen. Allein derjunge Menſch legte die Hand an einen Dolch, den ich amGuͤrtel trug, und bat mich, ihn zu toͤdten, weil er, nach-dem, was er ſich ſelbſt und ſeinem Volke ſchuldig geweſen,keinen andern Wunſch mehr habe, als zu ſterben.“ Die-ſer Zug iſt der ſchoͤnſten Zeit von Rom und Griechenlandwerth; denn die Sprache ſtarker Seelen, die gegen dasUngluͤck kaͤmpfen, iſt unter allen Zonen, und welche Farbedie Menſchen tragen, dieſelbe. Wir haben oben das tra-giſche Ende dieſes ungluͤcklichen Quauhtemotzin geſehen! Nach der gaͤnzlichen Zerſtoͤrung des alten Tenochtitlanblieb Cortez noch vier oder fuͤnf Monate mit ſeinen Leutenzu Colohuacan, einem Orte, fuͤr den er immer eine großeVorliebe gezeigt hat. Er war im Anfange unentſchloſſen,ob er die Hauptſtadt nicht auf einer andern Stelle an demSee wieder aufbauen ſollte. Indeß entſchied er ſich endlichfuͤr die alte Lage, „weil die Stadt Temixtitan einmal be-ruͤhmt geworden war, weil ihre Lage wunderbarlich iſt, undman ſie von jeher als den Hauptort der mexikaniſchen Pro-vinzen angeſehen hatte (Como principal y sen-nora de todas estas provincias).“ Uebrigens waͤrees, wegen der haͤufigen Ueberſchwemmungen, welche das alteund das neue Mexiko erlitten, kluͤger geweſen, die Stadtoͤſtlich von Tezcuco, oder auf die Anhoͤhen zwiſchen Tacubaund Tacubaya zu ſtellen. Wirklich ſollte ſie auch zur Zeitder großen Ueberſchwemmung von 1607, nach einem foͤrm-lichen Befehle Philipp’s III, auf dieſe Anhoͤhen verpflanztwerden; allein der Ajuntamiento, oder der Stadtmagiſtratmachte dem Hofe die Vorſtellung, daß der Werth der Haͤu-ſer, welche auf dieſe Weiſe zu Grunde gehen muͤßten, 105Millionen Franken betrage. Man ſchien damals in Ma-drid nicht zu wiſſen, daß die Hauptſtadt eines ſchon achtund achtzigjaͤhrigen Koͤnigreiches kein fliegendes Lager iſt, |775| |Spaltenumbruch|welches man nach Gefallen von einem Orte zum andernruͤcken kann! Es iſt unmoͤglich, die Zahl der Bewohner des altenTenochtitlan mit einiger Gewißheit anzugeben. Nach demMauerwerke der zerſtoͤrten Haͤuſer, nach den Berichten dererſten Eroberer und beſonders nach der Zahl der Streiterzu urtheilen, welche die Koͤnige Cuitlahnatzin und Quauh-timotzin den Tlascalteken und Spaniern entgegenſtellten,ſcheint die Bevoͤlkerung von Tenochtitlan zum wenigſtendreymal groͤßer geweſen zu ſeyn, als die des heutigen Me-xiko iſt. Nach der Verſicherung des Cortez war das Zu-ſtroͤmen der mexikaniſchen Handwerksleute, welche nach derBelagerung fuͤr die Spanier als Zimmerleute, Maurer,Weber, Metallgießer u. dgl. arbeiteten, ſo groß, daß dieStadt Mexiko im Jahre 1524 bereits 30,000 Einwohnerzaͤhlte. Die neuern Schriftſteller haben aber die widerſpre-chendſten Ideen uͤber ihre Bevoͤlkerung aufgeſtellt, und derAbbé Clavigero beweist in ſeinem vortrefflichen Werke uͤberdie alte Geſchichte von Neu-Spanien, wie dieſe Angabenvon 60,000 bis auf anderthalb Millionen von einander ab-gehen. Dieſe Widerſpruͤche duͤrfen uns aber nicht in Er-ſtaunen ſetzen, wenn wir nur bedenken wollen, wie neu nochſtatiſtiſche Unterſuchungen ſelbſt in den kultivirteſten Thei-len von Europa ſind. Nach den neueſten und am wenigſten verdaͤchtigen An-gaben ſcheint die gegenwaͤrtige Bevoͤlkerung der Hauptſtadtvon Mexiko (die Truppen mitgerechnet), von 135 — 140,000 Seelen zu ſeyn. Die im Jahre 1790 auf Befehl des Gra-fen von Revillagigedo angeſtellte Zaͤhlung, gab fuͤr die Stadtnicht mehr als 112,926 Menſchen an; man weiß aber zu-verlaͤſſig, daß dieſes Reſultat um ein Sechstheil zu kleiniſt. Die regulirten Truppen und die in der Hauptſtadtgarniſonirenden Milizen beſtehen aus 5—6000 Mann un-ter den Waffen. Mit großer Wahrſcheinlichkeit kann mandie gegenwaͤrtige Bevoͤlkerung folgendermaßen beſtimmen:
  • 2,500 weiſſe Europaͤer.
  • 65,000 weiſſe Creolen.
  • 33,000 Eingeborne, (kupferfarbige Indianer).
  • 26,500 Metis, gemiſcht von Weiſſen und Indianern.
  • 10,000 Mulatten.
  • 137,000 Einwohner.
So ſind demnach in Mexiko 69,500 farbige Menſchen, und 67,500 Weiſſe. Allein ſehr viele Metis (Meſtizos)ſind beynahe eben ſo weiß, als die Europaͤer und die ſpa-niſchen Creolen. In den drey und zwanzig Kloͤſtern, welche die Haupt-ſtadt enthaͤlt, befinden ſich beynahe 1200 Individuen, vondenen 580 Prieſter und Choriſten ſind. Die funfzehn Frauen-Kloͤſter enthalten 2100 Nonnen, von denen etwa 900 Pro-feß gethan haben. |Spaltenumbruch| Der Clerus von Mexiko iſt ſehr zahlreich, wiewol er im-mer noch um ein Viertheil geringer iſt, als der von Ma-drid. Die Zaͤhlung von 1790 gab an:
  • In den Moͤnchskloͤſtern:
  • Prieſter und Choriſten ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 573.
  • Novizen ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 59.
  • Dienende Bruͤder ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 235.
  • In den Nonnenkloͤſtern:
  • Nonnen, die Profeß gethan ‒ ‒ ‒ ‒ 888.
  • Novizen ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 35.
  • Praͤbendirte ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 26.
  • Pfarrer ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 16.
  • Vikarien ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 43.
  • Weltgeiſtliche ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 517.
  • Summe der Individuen ‒ ‒ 2,392.
und, ohne die dienenden Bruͤder und Novizen, 2,063. DerClerus von Madrid beſteht, nach dem vortrefflichen Werkedes Hrn. von Laborde, aus 3,470 Perſonen, ſo daß ſichalſo in Mexiko der Clerus zur ganzen Bevoͤlkerung wie1 1∫2 zu 100, und in Madrid wie 2 zu 100 verhaͤlt.

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Fragmente aus dem neueſten Hefte des v. Hum-boldt’ſchen Werkes uͤber den politiſchenZuſtand des Koͤnigreichs Neu-Spanien.

5. Die ſchwimmenden Gaͤrten (Chinampas).

Die ſehr ſinnreiche Erfindung der Chinampas ſcheintbis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts aufzuſteigen.Sie iſt in der außerordentlichen Lage eines Volkes gegruͤn-det, das rings von Feinden umgeben, mitten auf eineman Fiſchen nicht ſehr reichen See zu leben genoͤthigt iſt,und natuͤrlich auf alle moͤgliche Mittel zu ſeinem Lebens-Unterhalte ſinnen muß. Wahrſcheinlich hat die Natur ſelbſtden Azteken die erſte Idee zu dieſen ſchwimmenden Gaͤr-ten gegeben. An den ſumpfigen Ufern der Seen von Xo-chimilco und Chalco reißt die ſtarke Bewegung des Waſſers,zur Zeit des hohen Standes deſſelben, Erdſchollen ab, diemit Kraͤutern bedeckt und mit Wurzeln durchflochten ſind.Dieſe Schollen treibt der Wind hin und her, bis ſie ſichzuweilen zu kleinen Floͤßen vereinigen. Ein Menſchen-ſtamm, welcher zu ſchwach war, um ſich auf dem feſtenLande zu halten, glaubte dieſe Stuͤcke Boden benutzen zumuͤſſen, den ihm der Zufall anbot, und deſſen Eigenthumihm von keinem Feinde ſtreitig gemacht wurde. Die aͤlte-ſten Chinampas waren daher nichts, als Stuͤcke Raſen, wel-che von den Azteken kuͤnſtlich waren zuſammengefuͤgt, alsdannaufgehackt und angeſaͤet worden. Dergleichen ſchwimmendeInſeln bilden ſich unter allen Zonen, und ich habe derenin dem Koͤnigreiche Quito, auf dem Fluſſe Guayaquil ge-ſehen, welche acht bis neun Meter lang waren, mittenauf dem Strome trieben, und junge Zweige von Bambusa,Pistia stratiotes, Pontederia und eine Menge anderer Ve-getabilien trugen, deren Wurzeln ſich leicht in einander ver-flochten. Auch ſah ich in Italien auf dem kleinen Lagodi aqua solfa, bey Tivoli, in der Naͤhe der Thermendes Agrippa, ſolche kleine Inſeln, welche aus Schwefel,luftſaurer Kalkerde und Blaͤttern des Ulva thermalis beſtan-den, und ſich durch das leiſeſte Wehen des Windes in Be-wegung ſetzten. Bloße Erdſchollen, welche ſich vom Ufer abriſſen, habenalſo Anlaß zur Erfindung der Chinampas gegeben; allein |779| |Spaltenumbruch|die Induſtrie der aztekiſchen Nation hat dieſes Syſtem vomGartenbaue nach und nach vervollkommnet. Die ſchwimmendenGaͤrten, welche die Spanier in großer Menge fanden, undvon denen noch mehrere auf dem See von Chalco uͤbrig ſind,waren Floͤße von Schilf, (Totora), Aeſten, Wurzeln undZweigen von Buſchwerk. Dieſe Beſtandtheile, welche ſehrleicht ſind, und ſich ganz in einander verwickeln, bedeckendie Indianer mit einer ſchwarzen Erde, welche von Naturmit Kochſalz geſchwaͤngert iſt. Durch das Waſſer, womitman die Erde aus dem See begießt, verfluͤchtigt ſich dieſesSalz nach und nach, und je oͤfter man dieſe Auslaugungvornimmt, deſto fruchtbarer wird der Boden. Man wen-det dieſes ſelbſt bey dem Salzwaſſer aus dem See vonTezcuco mit Vortheil an, indem dieſes Waſſer, dem nochviel zu ſeiner Saturation fehlt, wenn es durch den Bodenfiltrirt wird, das Salz vortrefflich aufloͤst. Oft enthaltendie Chinampas ſogar die Huͤtte des Indianers, welchereine ſolche Gruppe ſchwimmender Gaͤrten zu huͤten hat.Man ſtoͤßt ſie mit langen Stangen weiter, oder ruͤckt ſiedamit zuſammen, und treibt ſie ſo nach Gefallen von einemUfer zum andern.
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