Zur geographischen Botanik. (A. v. Humboldt, Ideen zu einer Geographie der Pflanzen, 1807.) Die Geographie der Pflanzen untersucht, ob man unter den zahllosen Gewächsen der Erde gewisse Urformen entdecken, und ob man die specifische Verschiedenheit als Wirkung der Ausartung und als Abweichung von einem Prototypus betrachten kann. Sie löset das wichtige und oft bestrittene Problem, ob es Pflanzen gibt, die allen Klimaten, allen Höhen und allen Erdstrichen eigen sind. Wenn ich es wagen dürfte, allgemeine Folgerungen aus dem zu ziehen, was ich selbst in einem geringen Theile beider Hemisphären beobachtet; so sollte ich vermuthen, daß einige kryptogamische Pflanzen die einzigen sind, welche die Natur überall hervorbringt. Dicranum scoparium, Polytrichum commune, Verrucaria sanguinea und Verrucaria limitata Scopoli wachsen unter allen Breiten, in Europa wie unter dem Aequator, auf dem Rücken hoher Gebirge, wie an den Meeresküsten, überall, wo sie Schatten und Feuchtigkeit finden. Am Ufer des Madalenenflusses zwischen Honda und der Aegyptiaca, in einer Ebene, wo das Thermometer ununterbrochen 25 bis 28 Grade zeigt, am Fuße der Ochroma und des großblättrigen Macrocnemum, haben wir Moosdecken gefunden, so dicht gewebt und von so frischem Grün, als man sie nur in schwedischen oder norddeutschen Wäldern beobachtet. Wenn andere Reisende behaupten, daß Laubmoose und alle Kryptogamen überhaupt in der heißen Zone selten sind, so liegt der Grund dieser Behauptung darin, daß sie nicht tief genug ins Innere der Wälder eindrangen, sondern nur dürre Küsten oder cultivirte Inseln besuchten. Von den Flechten finden sich sogar viele derselben Art unter allen Graden der Breiten in der Nord- und Südzone. Sie scheinen fast unabhängig vom Einflusse des Klimas, wie die Gebirgsarten, auf denen sie wachsen, und von denen kaum eine irgend einem Theile der Erde ausschließlich zugehört. Unter den phanerogamischen Pflanzen kenne ich keine, deren Organe biegsam genug sind, um sich allen Zonen und allen Höhen des Standorts anzueignen. Mit Unrecht hat man drei Gewächsen, der Alsine media, der Fragaria vesca und dem Solanum nigrum, den Vorzug dieser Biegsamkeit zugeschrieben, dessen sich der Mensch allein und einige Hausthiere erfreuen, die ihn umgeben. Schon die pensylvanische und canadische Erdbeere ist von unserer europäischen verschieden. Von der letzteren glaubten wir zwar, Bonpland und ich, einige Pflanzen in Südamerika entdeckt zu haben, als wir zu Fuße über die Schneegebirge von Quindiu aus dem Madalenenthale in das Flußthal des Cauca kamen. Die wilde Natur dieses Theiles der Andeskette, die Einsamkeit jener Wälder von Wachspalmen, duftendem Styrax und baumartigen Parsifloren, die Uncultur der angrenzenden Gegenden, alle diese Umstände scheinen den Verdacht auszuschließen, als hätten Vögel oder gar die Hand des Menschen zufällig den Samen dieser Erdbeeren verstreut. Fanden wir aber wirklich Fragaria vesca? Würde die Blüthe, wenn wir sie gesehen hätten, uns nicht Verschiedenheiten zwischen der andesischen und europäischen Fragaria gezeigt haben, da so manche andere Arten dieses Geschlechts durch die feinen Nüancen von einander abweichen? Mehrere deutsche und schwedische Gewächse, welche man ehemals auf den Granitklippen des Feuerlandes, der Staateninsel, und an den Küsten der magellanischen Meerenge beobachtet zu haben glaubte, sind, bei näherer Untersuchung des Charakters, von Decandolle, Willdenow und Desfontaines als analoge, aber von den europäischen verschiedene Species erkannt worden. Ich darf mit Zuversicht behaupten, daß in den vier Jahren, die ich in Südamerika in beiden Hemisphären herborisirt, ich nie ein einziges wild wachsendes, dem neuen Continente vor seiner Entdeckung zugehöriges europäisches Gewächs beobachtet habe. Von vielen Pflanzen, z. B. Alsine media, Solanum nigrum, Sanchus oleraceus, Apium graveolens und Portulaca oleracea darf man bloß behaupten, daß sie, wie die Völker der kaukasischen Race, über einen beträchtlichen Theil der nördlichen Erdstriche verbreitet sind. Ob sie auch in den südlichern Ländern existiren, in welchen man sie bisher noch nicht entdeckt hat, ist eine unzubeantwortende Frage. Naturforscher sind bisher noch so wenig in das Innere des afrikanischen, südamerikanischen und neuholländischen Continents eingedrungen, wir dürfen uns so wenig schmeicheln, die Flora dieser Länder vollständig zu kennen, während daß man in Europa täglich unbeschriebene krautartige Gewächse, in dem viel besuchten Pensylvanien sogar unbeschriebene Bäume entdeckt, daß es vorsichtiger ist, sich über diesen Punct aller allgemeinen apodiktischen Aussprüche zu enthalten. Der Botaniker würde sonst leicht in den Fehler der Geognosten verfallen, von denen viele den ganzen Erdkörper nach dem Modelle der Hügel construiren, welche ihnen zunächst liegen. Um über das große Problem von der Wanderung der Vegetabilien zu entscheiden, steigt die Geographie der Pflanzung in das Innere der Erde hinab, um dort die Denkmäler der Vorzeit zu befragen, als versteintes Holz, Gewächsabdrücke, Torflagen, Steinkohlen, Flötze und Dammerde, welche die Grabstätte der ersten Vegetation unseres Planeten sind. Betroffen findet sie südindische Früchte, Palmenstämme, baumartige Farrenkräuter, Pisangblätter und den Bambus der Tropenländer in den Erdschichten des kalten Nordens vergraben. Sie untersucht, ob diese Pflanzen heißer Klimate, wie Elephantenzähne, Tapir-, Krokodil- und Didelphis-Gerippe, die man neuerdings in Europa entdeckt hat, zur Zeit allgemeiner Wasserbedeckungen, durch die Gewalt der Meeresströme vom Aequator her, in die gemäßigten Zonen angeschwemmt worden sind, oder ob nicht diese nördlichen Klimate selbst Pisanggebüsche und Elephanten, Krokodile und baumartiges Bambusschilf erzeugten. Die Pflanzen, welche den Thieren in Hinsicht auf Reizempfänglichkeit der Organe, und auf die Natur reizender Potenzen so nahe verwandt sind, unterscheiden sich von den Thieren wesentlich durch die Epoche ihrer Wanderungen. Diese, wenig beweglich in der früheren Kindheit, verlassen ihre Heimath erst, wenn sie herangewachsen sind; jene, an den Boden gewurzelt nach ihrer Entwickelung, stellen ihre Reisen noch im Samenkorne, gleichsam im Ei, an, welches durch Federkronen, Luftbälge, Flügelansätze und elastische Ketten (Elater oder Catenula der Morchantien) zu Luft- und Wasserreisen geschickt ist. Herbstwinde, Meeresstürme und Vögel begünstigen diese Wanderungen; aber ihr Einfluß, so groß er auch ist, verschwindet gegen den, welchen der Mensch auf die Verbreitung der Gewächse auf dem Erdboden ausübt. Einige Pflanzen, welche der Gegenstand des Garten- und Ackerbaues sind, haben seit den fernsten Jahrhunderten das wandernde Menschengeschlecht von einem Erdstriche zu dem andern begleitet. So folgte in Europa die Weinrebe den Griechen, das Korn den Römern, die Baumwolle den Arabern. Im neuen Continente haben die Tulteken, aus unbekannten nordischen Ländern über den Gilastrom einbrechend, den Mais über Mexico und die südlichen Gegenden verbreitet. Kartoffeln und Quinea findet man überall, wo die Gebirgsbewohner des alten Condinamarka (Neu-Granada) durchgezogen sind. Die Wanderungen dieser eßbaren Pflanzen sind gewiß; aber ihr erstes ursprüngliches Vaterland bleibt uns ein ebenso räthselhaftes Problem, als das Vaterland der verschiedenen Menschenracen, die wir schon in den frühesten Epochen, zu welchen Völkersagen aufsteigen, fast über den ganzen Erdboden verbreitet finden. Südlich und östlich vom caspischen Meere, am Ufer des Oxus, und in den Thälern von Kurdistan, dessen Berge mit ewigem Schnee bedeckt sind, findet man ganze Büsche von Citronen-, Granat-, Birnen- und Kirschbäumen. Alle Obstarten, welche unsere Gärten zieren, scheinen dort wild zu wachsen. Ich sage scheinen, denn ob dies ihr ursprüngliches Vaterland sei, oder ob sie dort einst gepflegt, nachmals verwildert sind, bleibt um so ungewisser, als uralt die Cultur des Menschengeschlechts, und daher auch der Gartenbau in diesen Gegenden ist. Doch lehrt die Geschichte wenigstens, daß jene fruchtbaren Gefilde zwischen dem Euphrat und Indus, zwischen dem caspischen See und dem persischen Meerbusen Europa die kostbarsten vegetabilischen Producte geliefert haben. Persien hat uns den Nußbaum und die Pfirsiche, Armenien (das heutige Haikia) die Aprikose, Klein- Asien den süßen Kirschbaum und die Kastanie; Syrien die Feige, die Granate, den Oel- und Maulbeerbaum geschenkt. Zu Cato's Zeiten kannten die Römer weder süße Kirschen, noch Pfirsiche, noch Maulbeerbäume. Hesiod und Homer erwähnen schon des Oelbaums, der in Griechenland und auf den Inseln des ägyptischen Meeres cultivirt wurde. Unter Tarquin dem Alten existirte kein Stamm desselben, weder in Italien, noch in Spanien, noch in Afrika. Unter dem Consulate des Appius Claudius war das Oel in Rom noch sehr theuer, aber zu Plinius Zeiten sehen wir den Oelbaum schon nach Frankreich und Spanien verpflanzt. Die Weinrebe, welche wir jetzt cultiviren, scheint Europa fremd zu sein. Sie wächst wild an den Küsten des caspischen Meeres, in Armenien und Caramanien. Von Asien wanderte sie nach Griechenland, von Griechenland nach Sicilien. Phocäer brachten den Weinstock nach dem südlichen Frankreich, Römer pflanzten ihn an die Ufer des Rheins und der Donau. Auch die Vitisarten, welche man wild in Neu-Mexico und Canada findet, und welche dem zuerst von Normännern entdeckten Theile von Amerika den Namen Wineland verschafften, sind von der jetzt über Pensylvanien, Mexico, Peru und Chili verbreiteten Vitis vinifera specifisch verschieden. Ein Kirschbaum mit reichen Früchten beladen schmückte den Triumph des Lucullus. Die Bewohner Italiens sahen damals zum ersten Male dieses asiatische Product, welches der Dictator nach seinem Siege über den Mithridates aus dem Pontus mitbrachte. Schon ein Jahrhundert später waren Kirschen gemein in Frankreich, in England und Deutschland . Einige Botaniker behaupten, daß die kleine Varietät von Prunus avium in Deutschland wild sei. Von Pflaumen und Birnen haben die Römer nur die größeren schöneren Abarten aus Syrien eingeführt. So verändert der Mensch nach Willkür die ursprüngliche Vertheilung der Gewächse, und versammelt um sich die Erzeugnisse der entlegensten Klimate. In Ost- und West-Indien, in den Pflanzungen der Europäer bietet ein enger Raum den Kaffee aus Jemen, das Zuckerrohr aus China, den Indigo aus Afrika, und viele andere Gewächse dar, welche beiden Hemisphären zugehören: ein Anblick, der um so interessanter ist, als er in der Phantasie des Beobachters das Andenken an eine wunderbare Verkettung von Begebenheiten hervorruft, welche das Menschengeschlecht über Meer und Land, durch alle Theile der Erde getrieben haben. Wenn aber auch der rastlose Fleiß ackerbauender Völker eine Zahl nutzbarer Pflanzen ihrem vaterländischen Boden entrissen, und sie gezwungen hat, alle Klimate und alle Berghöhen zu bewohnen: so ist durch diese lange Knechtschaft ihre ursprüngliche Gestalt doch nicht merklich verändert worden. Die Kartoffel, welche in Chili 3500 Meter (fast 11,000 Fuß) hoch über dem Meere cultivirt wird, trägt dieselbe Blüthe, als die, welche man in die Ebenen von Sibirien verpflanzt hat. Die Gerste, welche die Pferde des Atriden nährte, war unbezweifelt dieselbe, als die, welche wir heute noch einernten. Alle Pflanzen und Thiere, welche gegenwärtig den Erdboden bewohnen, scheinen seit vielen Jahrtausenden ihre charakteristische Form nicht verändert zu haben. Der Ibis, welchen man unter Schlangen- und Insectenmumien in den ägyptischen Katakomben findet, und dessen Alter vielleicht selbst über das der Pyramiden hinausreicht; dieser Ibis ist identisch mit dem, welcher gegenwärtig an dem sumpfigen Ufer des Nils fischt. Diese Uebereinstimmungen, diese Beständigkeit der Form beweisen, daß die kolossalischen Thiergerippe und die wunderbar gestalteten Pflanzen, welche das Innere der Erde einschließt, nicht einer Ausartung jetzt vorhandener Species zuzuschreiben sind, sondern daß sie vielmehr einen Zustand unseres Planeten ahnen lassen, welcher von der jetzigen Anordnung der Dinge verschieden und zu alt ist, als daß die Sagen des vielleicht später entstandenen Menschengeschlechtes bis zu ihm aufsteigen könnten. Indem der Ackerbau die Herrschaft fremder eingewanderter Pflanzen über die einheimischen begründet, werden diese nach und nach auf einen engen Raum zusammengedrängt. So macht die Cultur den Anblick des europäischen Bodens einförmig, und diese Einförmigkeit ist den Wünschen des Landschaftmalers, wie denen des im Freien forschenden Botanikers gleich entgegen. Zum Glücke für beide ist aber dies scheinbare Uebel nur auf einen kleinen Theil der gemäßigten Zone eingeschränkt, in welchem Volksmenge und moralische Bildung der Menschen am meisten zugenommen haben. In der Tropenwelt ist menschliche Kraft zu schwach, um eine Vegetation zu besiegen, welche den Boden unserm Auge entzieht, und nichts unbedeckt läßt, als den Ocean und die Flüsse. Die ursprüngliche Heimath derjenigen Gewächse, welche das Menschengeschlecht seit seiner frühesten Kindheit zu begleiten scheinen, ist in eben solches Dunkel vergraben, als das Vaterland der meisten Hausthiere. Wir wissen nicht, woher jene Grasarten kommen, auf deren mehlreichem Samen hauptsächlich die Nahrung aller kaukasischen und mongolischen Völker beruht. Wir kennen nicht die Heimath der Cerealien, des Waizens, der Gerste, des Hafers und des Roggens. Diese letztere Grasart scheint noch nicht einmal von den Römern cultivirt worden zu sein. Zwar suchen altgriechische Mythen den Ursprung des Waizens in den Fluren von Enna in Sicilien; zwar haben Reisende behauptet, die Gerste in Nord-Asien, am Ufer des Samara (im asiatischen Kaptschak, im Lande Orenburg), der in die Wolga fließt, den Spelz in Persien bei Hamadan, und den Roggen in Kreta wildwachsend entdeckt zu haben: aber diese Thatsachen bedürfen einer genaueren Untersuchung; es ist so leicht, einheimische Pflanzen mit fremden zu verwechseln, die, der Pflege und Herrschaft des Menschen entflohen, verwildernd ihre alte Freiheit in den Wäldern wiederfinden. Auch die Gewächse, auf welchen der Reichthum aller Bewohner der heißen Zone beruht, Pisang, Melonenbäume, Cocospalme, Jatropha und Mais, hat man noch nirgends ursprünglich wildwachsend beobachtet. Freilich habe ich mehrere Stämme der erstern, fern von menschlichen Wohnungen, mitten in den Wäldern am Cassiquiare und Tuamini gesehen: vielleicht aber hat sie doch die Hand des Menschen dahin versetzt; denn der Wilde dieser Regionen, düster, ernst und mißtrauischen Gemüths, wählt abgelegene Schluchten, um seine kleinen Pflanzungen anzulegen, Pflanzungen, die er, wechselliebend nach kindischer Art, bald wieder verläßt und mit andern umtauscht. Die verwilderten Pisangstämme und die Melonenbäume scheinen dann bald Erzeugnisse des Bodens, auf dem sie sich mit einheimischen Gewächsen zusammengesellen. Ebenso wenig habe ich je erfahren können, wo im neuen Continente die Kartoffel wild wachse: diese wohlthätige Pflanze, auf deren Cultur sich großentheils die Bevölkerung des unfruchtbaren nördlichen Europa gründet, hat man nirgends in uncultivirtem Zustande gefunden, weder in Nordamerika, noch in der Andeskette von Neu-Granada, Quito, Peru, Chili und Chiquitos; ungeachtet die Spanier mehreren Gebirgsebenen den täuschenden Namen Paramo de las Papas geben. Auf einem Berge, vier Tagereisen von Hamadan, fand Michaux wilden Spelz. Er vermuthete, daß Triticum hibernum und Triticum aestivum in Persien einst ebenfalls wildwachsend entdeckt werden würden. Ich meine Carica papaya; denn Carica posposa glaube ich oft ursprünglich wild gesehen zu haben.