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Alexander von Humboldt: „Versuch über die astronomische Strahlenbrechung in der heißen Zone für Höhenwinkel unter 10°, insofern sie von der Wärmeabnahme abhängt. (Vorgelesen in der ersten Klasse des Instituts am 29sten Februar 1808.) Frei übersetzt von Gilbert“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1808-Essai_sur_les-5> [abgerufen am 25.04.2024].

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Titel Versuch über die astronomische Strahlenbrechung in der heißen Zone für Höhenwinkel unter 10°, insofern sie von der Wärmeabnahme abhängt. (Vorgelesen in der ersten Klasse des Instituts am 29sten Februar 1808.) Frei übersetzt von Gilbert
Jahr 1809
Ort Leipzig
Nachweis
in: Annalen der Physik 31:4 (1809), S. 337–397.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Antiqua (mit lang-s); Auszeichnung: Kursivierung, Sperrung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen; Tabellensatz; Formelsatz; Besonderes: mathematische Sonderzeichen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: II.67
Dateiname: 1808-Essai_sur_les-5
Statistiken
Seitenanzahl: 61
Zeichenanzahl: 82513

Weitere Fassungen
Essai sur les réfractions astronomiques dans la zone torride, correspondantes à des angles de hauteurs plus petits que dix degrés, et considérées comme effet du décroissement du calorique. Extrait (Paris, 1808, Französisch)
Essai Sur les Réfractions astronomiques dans la zone torride, correspondantes à des angles de hauteurs plus petits que dix degrés, et considérées comme effet du décroissement du calorique (Paris, 1808, Französisch)
Mémoire Sur les Réfractions astronomiques dans la zone torride, correspondantes à des angles de hauteur plus petite que 10° (Paris, 1808, Französisch)
Mémoire sur les réfractions astronomiques dans la zône torride, correspondantes à des angles de hauteur plus petite que 10° (Paris, 1808, Französisch)
Versuch über die astronomische Strahlenbrechung in der heißen Zone für Höhenwinkel unter 10°, insofern sie von der Wärmeabnahme abhängt. (Vorgelesen in der ersten Klasse des Instituts am 29sten Februar 1808.) Frei übersetzt von Gilbert (Leipzig, 1809, Deutsch)
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VERSUCH über die aſtronomiſche Strahlenbre-chung in der heißen Zone für Höhen-winkel unter 10°, inſofern ſie von derWärmeabnahme abhängt; von dem Freyherrn Alexander von Humboldt. (Vorgeleſen in der erſten Klaſſe des Inſtituts am 29ſtenFebruar 1808.)Frei überſetzt von Gilbert.


Der Zweck der folgenden Unterſuchungen iſt, dieFrage zu beantworten, ob die aſtronomiſche Strahlen-brechung unter dem Aequator mit der einerlei iſt, welcheman in der gemäßigten Zone beobachtet hat? Der Ver-faſſer führt zuerſt die verſchiednen Meinungen an,welche man hierüber gehabt hat, und wendet ſichdann zu den Thatſachen, welche auf die Entſcheidungder Frage Einfluß haben. Schon von dem Araber Alhazen, der im 12ten Jahrhunderte lebte, wurde |338| gelehrt, die Strahlenbrechung ſey nicht überall aufder Erde dieſelbe. Rothmann und Tycho laſſenſie nach den Jahrszeiten und Klimaten ſich verändern,und nach Keppler muß ſie unter den Polen, wo dieLuft durch Kälte verdichtet iſt, außerordentlich ſtarkſeyn, muß ſich auch durch Dünſte und Nebel verän-dern. Richer fand aus ſeinen Beobachtungen zuCayenne die aſtronomiſche Strahlenbrechung in derNähe des Aequators viel kleiner als in Europa, eineBehauptung, worin ihm Bouguer beiſtimmt, und Caſſini und Picard folgerten aus Beobachtungen,die man in Schweden gemacht hatte, die Strahlen-brechung ſey unter dem Polarkreiſe doppelt ſo groß,als unter dem Parallelkreiſe von Paris. Dagegen ſchloß Maupertuis aus ſeinen Beobachtungen zu Torneo,daß, geſetzt auch, die Strahlenbrechung ſey unter dem Aequator wirklich kleiner als zu Paris, von Paris biszum Polarkreis doch kein merkbarer Unterſchied inihr Statt finde. Eben ſo ſagt Lord Mulgrave (Kapit. Phipps), die Strahlenbrechung, welche er auf Spitz-bergen beobachtet habe, ſey dieſelbe, als die, welcheman zu London und Paris finde. — Der Verfaſſerrede nun weiterhin ſelbſt.

Phyſikaliſcher Theil.

Die aſtronomiſche Strahlenbrechung entſteht durchdie Einwirkungen, welche die Schichten der Luftauf einen Lichtſtrahl ausüben, der durch ſie hin-durch geht. Dieſe Einwirkung hängt von denchemiſchen und von den phyſikaliſchen Eigenſchaf-ten des Gemenges elaſtiſcher Flüſſigkeiten ab, welchesunſere Atmoſphäre ausmacht; und dieſe einwir- |339| kenden Eigenſchaften müſſen ſich in eine Bedin-gungs-Gleichung zuſammenſtellen laſſen, in wel-cher jede durch eine variable Größe dargeſtelltwird, deren Einfluß auf die Ablenkung des Licht-ſtrahls einzeln aufzuſuchen iſt.

1) Sauerſtoffgas- und Stickgas-Gehalt.

Nach den Verſuchen der HH. Biot und Arago hat der Sauerſtoff unter allen Flüſſigkei-ten, und ſelbſt unter allen Körpern in der Natur,das kleinſte Brechungs-Vermögen, und es verhältſich das Brechungs-Vermögen deſſelben zu demdes Stickſtoffs, wie 86:103 *). Veränderte ſichfolglich die chemiſche Beſchaffenheit der Atmo-ſphäre mit den Jahrszeiten und mit dem Orte, wieman das ſonſt glaubte, ſo müßte die Strahlenbre-chung bei gleicher Temperatur und gleichem Ba-rometerſtande zu verſchiednen Zeiten und in ver-ſchiednen Zonen verſchieden ſeyn. Man hielt da-mals die Luft auf dem Meere und in der heißenZone für reicher an Sauerſtoff, dagegen die aufhohen Bergen für reicher an Stickgas und an Waſ-ſerſtoffgas. Dieſes hätte auf das Spiel der aſtro-nomiſchen Refraction einen merklichen Einflußhaben müſſen. Seitdem haben indeß genauereBeobachtungen es außer Streit geſetzt, daß dasVerhältniß der Beſtandtheile der Atmoſphäre un-veränderlich iſt. Winde und aufſteigende Strö-
*) Annalen 1807. St. 5. (B. XXVI. S. 38 f.) Gilb.
|340| mungen bewirken ein gleichförmiges Gemiſch derGasarten von der Oberfläche des Meeres an bisüber 6000 Mètres Höhe hinauf, und wenn auchvielleicht kleine Verſchiedenheiten im Sauerſtoff-Gehalte Statt finden, ſo können dieſe in keinemFall über 1 oder 2 Tauſendtheile hinaus gehn.
Mit dieſem wichtigen Reſultate ſtimmen auchdie Verſuche und die Berechnungen der HH. Biot und Arago überein. Prisma und Vervielfälti-gungs-Kreis haben dieſe Aſtronomen auf eineAnalyſe der Luft geführt, welche faſt eben ſo ge-nau iſt, als die Analyſe im Waſſerſtoffgas-Eudio-meter. Schon längſt hätte auf dieſe Art der Mathe-matiker durch das bloße Meſſen eines Brechungs-winkels dem Chemiker beweiſen können, daß dieatmoſphäriſche Luft nicht 0,27 oder 0,28 Sauer-ſtoffgas enthält; auf eine ſo bewundernswürdigeWeiſe ſind die Naturerſcheinungen mit einanderverkettet. Hat aber dieſe Identität in der chemiſchenBeſchaffenheit der Luft von je her Statt gefunden,und hat die Atmoſphäre nie mehr und nie wenigerSauerſtoffgas enthalten als jetzt? Oder ſollten ſichim Fortſchreiten der Jahrhunderte die chemiſcheBeſchaffenheit und der Sauerſtoffgehalt der Atmo-ſphäre verändern, und zugleich mit ihnen die In-tenſität der magnetiſchen Kräfte, der mittlere Ba-rometerſtand, dem die Höhe des Luftkreiſes ent-ſpricht, und die mittlere Temperatur der Oerter? |341| Die Naturwiſſenſchaft und die Kunſt, gut zubeobachten, ſind noch zu neu, als daß ſich aufdieſe Fragen ſchon jetzt antworten ließe. DasMeer, welches drei Fünftheile der Oberfläche un-ſers Planeten bedeckt, und voller Ueberreſte vonMollusken und andrer thieriſchen Theile iſt, dieſich zerſetzen; die feuchte Gartenerde; der mitEiſenoxyd und Kohlenſtoff-Hydrüre gemengteThonboden; vielleicht ſelbſt das Schiefer- undHornblend-Geſtein, das in Felſenſpitzen über dieWolkenregion hinausragt, wirken auf die Luft ein,welche ſie umgiebt, und ſcheinen mehr Sauerſtoffzu figiren, als ſie Kohlenſäure entbinden. Es iſtdas tägliche wohlthätige Geſchäft der Pflanzen,dieſe Säure zu zerſetzen; der Menſch aber, derKräuter und Getraidearten dahin pflanzt, wo ſonſtWälder ſtanden, ſtört allmählig das urſprünglicheGleichgewicht des Luftoceans. Es wäre möglich,daß die Rinde unſers Planeten, indem ſie älterwird, der Atmoſphäre durch langſame und kaumwahrzunehmende Proceſſe mehr Sauerſtoff ent-zöge, als ſie ihr jährlich zuführt; und daherkönnte es wohl ſeyn, daß zur Zeit Hipparchsdas Licht der Sterne von ſeiner Bahn anders abge-lenkt wurde, als das einige tauſend Jahr nach unsgeſchehn wird. Dann würde man finden, daß dieStrahlenbrechung nicht bloß eine Function vonder Dichtigkeit der atmoſphäriſchen Luftſchichteniſt. Doch wir wollen uns nicht in Hypotheſenverirren; es kömmt auf die gegenwärtige Ordnung |342| der Dinge und auf Thatſachen an, die fähig ſind,genau beobachtet zu werden.

2) Waſſerſtoffgas und kohlenſaures Gas.

Das Waſſerſtoffgas hat unter allen Gasartendas ſtärkſte Brechungsvermögen. Merkwürdig iſtes, daß es nach Hrn. Gay-Luſſac’s Entdeckungzugleich die ſtärkſte Capacität für den Wärmeſtoffhat *). Es bricht acht mahl ſtärker als Sauerſtoff-gas das Licht; das Brechungsvermögen des Waſ-ſerſtoffgas verhält ſich zu dem der atmoſphäriſchenLuft wie 661:100. In ihren ſpecifiſchen Gewich-ten ſind indeß beide elaſtiſche Flüſſigkeiten nochweit mehr verſchieden, und daher verliert dieatmoſphäriſche Luft durch Beimiſchung von Waſ-ſerſtoffgas an Brechungsvermögen. In den Unter-ſuchungen, welche ich gemeinſchaftlich mit Herrn Gay-Luſſac angeſtellt habe **), iſt von uns diekleinſte Menge von Waſſerſtoffgas beſtimmt wor-den, die man noch mit Sicherheit in einem Ge-menge von Sauerſtoffgas und Stickgas auffindenkann; und wir haben eine zuverläſſige Methodeangegeben, wie ſich in einem Gasgemenge dasWaſſerſtoffgas entdecken läßt, wenn es mehr als2 Tauſendtheile deſſelben ausmacht. Als ichmeine Reiſe nach den Tropenländern antrat, wardieſe Methode noch nicht bekannt, und auch ſeit-dem iſt die Luft der tropiſchen Länder in dieſer
*) Annalen 1808. St. XI. od. B. XXX. S. 249. Gilb. **) Annalen 1805. St. 5. od. B. XX. S. 38. Gilb.
|343| Hinſicht noch nicht unterſucht worden. Da esaber ausgemacht iſt, daß in Europa bei allen Win-den, ſelbſt bei den heftigſten, die Luft kein Waſ-ſerſtoffgas mit ſich führt, und daß weder Luft, diein 6000 Meter Höhe über Paris aufgefangen, nochLuft, die auf dem Mont Cenis mitten aus einerWolke genommen worden, von der Luft der Ebenemerklich verſchieden iſt; ſo läßt ſich annehmen,daß überhaupt in allen Zonen und in allen Höhendas Waſſerſtoffgas fehlt.
Zwar ſind einige Phyſiker durch das geringeſpecifiſche Gewicht des brennbaren Gas und durchmeteorologiſche Hypotheſen veranlaßt worden,anzunehmen, die höchſte Schicht des Luft-Oceansſey Waſſerſtoffgas; hier ſey der unzugängliche Sitzder leuchtenden Meteore, des Nordlichts, derSternſchnuppen, vielleicht ſelbſt der Feuerkugeln,und dieſe Schicht reiche bis zu den letzten Grän-zen der Atmoſphäre hinauf, wo die Schwungkraftder Schwere gleich iſt. Müßte dann aber nicht in6000 Meter Höhe die Menge des Waſſerſtoffgasſchon beträchtlicher ſeyn als an der Erde? undwie wäre dieſes Gas dazu gekommen, ſich in eineabgeſonderte Schicht zu vereinigen, oder darin zuerhalten? Die Einſichten, welche wir ſeit einigenJahren in die Art erhalten haben, wie zwei Gas-arten von verſchiednem ſpecifiſchen Gewichte inihrer Berührung ſich erhalten, machen es ſehr un-wahrſcheinlich, daß Waſſerſtoffgas, welches vonder Erde aufſteigt, ſich in eine abgeſonderte Schicht |344| an den obern Gränzen der Atmoſphäre vereinigenkönne. Die Erfahrung lehrt, daß die luftförmi-gen Flüſſigkeiten bei der geringſten Bewegung ein-ander durchdringen, und ſich durch einander ver-breiten, ohne ſich nach ihrem ſpecifiſchen Gewichtezu ſondern. Läßt man zu 21 Theilen Sauerſtoff-gas 79 Theile Waſſerſtoffgas ſteigen, ſo erhält manein ganz gleichförmiges Gemiſch, worin ſich dieGasarten nicht abſondern, ſo lange man es auchruhig ſtehn läßt; die chemiſche Analyſe dieſeratmoſphäriſchen Luft mit Waſſerſtoffgas-Baſis hatmir einerlei Reſultate gegeben, ich mochte die Luftaus dem obern oder aus dem untern Theile desGefäßes prüfen. Wir müſſen folglich nach der Analogie an-nehmen, daß das brennbare Gas, welches aus Mo-räſten, aus einigen Quellen, aus Bergwerken undaus den Vulkanen aufſteigt, ſich gleichförmig deratmoſphäriſchen Luft beimiſcht; und das geſchiehtum ſo eher, da in der Atmoſphäre durch kleineVeränderungen der Temperatur und des barome-triſchen Drucks beſtändige Bewegung herrſcht.Die Wirkung dieſer Bewegung iſt ſo ſchnell, daßungeachtet der Menge von Schwefel-Waſſerſtoff-Quellen, die man z. B. in dem Gebieth um Romfindet, der Chemiker doch dort in der Atmoſphärevon dieſer Luft keine Spur entdeckt. Den Aſtro-nomen muß dieſe Anſicht von der gleichförmigenZuſammenſetzung der Atmoſphäre beruhigen, wennihm Zweifel wegen der luftförmigen Flüſſigkeit |345| aufſteigen, durch welche das Licht der Sterne zuihm herab kömmt; den Phyſiologen dagegen, derjetzt umſonſt zur Eudiometrie ſeine Zufluchtnimmt, um die Ungeſundheit gewiſſer Klimate zu er-klären, ſetzt ſie in keine geringe Verlegenheit.Ihn belehrt der Chemiker, daß nach den intereſ-ſanten Verſuchen der HH. Thenard und Du-puytren, Mengen von Schwefel-Waſſerſtoff-Gas, die viel zu klein ſind, um durch unſere In-ſtrumente ſich meſſen zu laſſen und Veränderungenin der Strahlenbrechung zu bewirken, noch zer-ſtörend auf das thieriſche Leben einwirken. Aus dieſen phyſikaliſchen Betrachtungen folgt,daß wir keinen Grund haben anzunehmen, daß anden obern Gränzen der Atmoſphäre eine Schichtvon Waſſerſtoffgas beſtehe, oder daß ſie dort zuder Zeit beſtanden habe, als der Kern unſers Pla-neten gebildet wurde; denn auch ſchon damalshätte ſie ſich mit der übrigen Atmoſphäre, in wel-cher Strömungen Statt fanden, miſchen müſſen.Daß die mittlere Menge des in der Atmoſphäreverbreiteten Waſſerſtoffgas nur unendlich klein ſeynkann, folgt auch aus der überraſchenden Ueber-einſtimmung, welche die HH. Biot und Arago zwiſchen dem beobachteten und dem berechnetenBrechungsvermögen der atmoſphäriſchen Luft un-ter der Vorausſetzung gefunden haben, daß dieſeLuft eine bloße Mengung von Sauerſtoffgas undvon Stickgas iſt. Und ſelbſt jene geringe Mengeiſt wahrſcheinlich nicht reines Waſſerſtoffgas, ſon- |346| dern größtentheils eine Miſchung von Kohlen-Waſſerſtoff-Gas mit und ohne Sauerſtoffgehalt,von Schwefel-Waſſerſtoff-Gas und von Phosphor-Waſſerſtoff-Gas, wie ſich aus dem, was bei derFäulniß organiſcher Theile vorgeht, und aus derSeltenheit einer ganz einfachen Waſſerzerſetzungin der Natur, ſchließen läßt. Da, wie Pelletier und Prouſt gezeigt haben, der Phosphor ſich mitdem Schwefel und mit dem Kohlenſtoff verbindet,und da Schwefel-Waſſerſtoff willig Phosphor auf-löſt, wie die HH. Clemens und Desormes dar-gethan haben; ſo iſt es mehr als wahrſcheinlich,daß die der Atmoſphäre beigemengten Miasmenbeſondre Abarten des Waſſerſtoffgas enthalten, indenen zwei oder drei oxygenirbare Subſtanzen zu-gleich aufgelöſt ſind. In den tropiſchen Ländern,wo beſtändige Hitze und übermäßige Feuchtigkeitdie Zerſetzung der organiſchen Theile ſehr be-ſchleunigen, ſind dieſe gasartigen Ausflüſſe unſtrei-tig viel häufiger als in den gemäßigten Zonen.Man könnte befürchten, daß ſie ſich für einen Au-genblick anhäufen und große Anomalieen in derStrahlenbrechung bewirken könnten. Dieſe Furchtverſchwindet indeß, wenn man folgende Gründebedenkt: 1) die Umſtände, welche eine ſolche An-häufung in einer Region verhindern, wo das be-ſtändige Ueberſtrömen der Luft von dem Aequator nach den Polen den Paſſatwind erſcheinen macht;2) die ausnehmend geringe Menge jener Emana-tionen, welche ſich durch die genauſten eudiome- |347| triſchen Verſuche in der Luft nirgends auffindenlaſſen; und 3) das weit ſchwächere Brechungsver-mögen, welches der Waſſerſtoff äußert, wenn erandre oxygenirbare Stoffe aufgelöſt enthält, alswenn er rein iſt, und das in jenem Fall nicht einDrittheil ſo ſtark als in dieſem, und nicht völlignoch einmahl ſo ſtark als das Brechungsvermögender atmoſphäriſchen Luft iſt. Aus dieſen Bemerkungen folgt zugleich,daß diejenigen ſonderbaren Erſcheinungen durchStrahlenbrechung, und beſonders durch Zurück-werfung der Lichtſtrahlen in der Luft bewirkt,welche man nur an gewiſſen Oertern auf der Erde,z. B. zu Reggio und in dem ſüdlichen Theile von Calabrien wahrnimmt, ſich ſchwerlich aus einereigenthümlichen und örtlichen Beſchaffenheit derLuft erklären laſſen. Dieſe Erſcheinungen ſindbis jetzt nur ſehr unvollkommen beobachtet wor-den. Sie zeigen ſich in bedeutenden Höhen überdem Horizonte, und man muß ſie nicht mit denWirkungen der gewöhnlichen Hebung oder Kim-mung (mirage) verwechſeln. Die Fata Morgana ſcheint die katoptriſche Wirkung einer Zuſammen-häufung von Dunſtbläschen zu ſeyn *). Es iſt nichtmehr verſtattet, die Urſach derſelben in einemUeberfluß an Waſſerſtoffgas zu ſuchen, welchenvormahls reiſende Phyſiker in den Ländern annah-
*) Man vergleiche hiermit die in dieſen Annalen B. XXX.S. 100 mitgetheilte Beobachtung. Gilb.
|348| men, welche von vulkaniſchen Ausbrüchen undvon Erdbeben heimgeſucht werden.
Aehnliche Bemerkungen in Beziehung auf dieaſtronomiſche Strahlenbrechung, als wir hierüber die höchſt geringe Menge von Waſſerſtoffgasin der Atmoſphäre gemacht haben, gelten vondem in dem Luftkreiſe vorhandenen kohlenſaurenGas, deſſen Menge ſich nach meinen Beobachtun-gen unter dem Aequator auf 0,003 bis 0,008ſchätzen läßt. Obgleich es eine ſehr viel größereDichtigkeit, als das Waſſerſtoffgas, hat, ſo iſt esdoch noch weniger als dieſes geeignet, die aſtro-nomiſche Strahlenbrechung zu modificiren. Dennnach den HH. Biot und Arago hat es ungefährdaſſelbe Brechungsvermögen, als die atmoſphäri-ſche Luft; denn es übertrifft daſſelbe nemlich nurum 0,004. Die ſchönen Verſuche des Herrn Ma-lus über die Kohle ändern dieſes Reſultat nicht,obgleich ſie darauf deuten, daß der Kohlenſtoffein größeres Brechungsvermögen beſitzt, als Herr Biot feſtgeſetzt hatte, wodurch die Menge desWaſſerſtoffs, welche man in dem Diamanten an-nehmen zu müſſen glaubte, vermindert wird. MitUnrecht hat ein berühmter italieniſcher Aſtronomdie kleinen Variationen, welche man in der Strah-lenbrechung auf Malta und in Sicilien wahrnimmt,während der Sirocco weht, einer momentanenAnhäufung von kohlenſaurem Gas zugeſchrieben.Kein einziger directer Verſuch ſpricht für eineſolche Anhäufung des kohlenſauren Gas an den |349| Ufern des mittelländiſchen Meeres. Nach demVerhältniß zu urtheilen, worin das Brechungs-vermögen der atmoſphäriſchen Luft und des koh-lenſauren Gas zu einander ſtehn, müßte die At-moſphäre erſtaunlich mephitiſirt werden, wenndadurch die Strahlenbrechung auch nur um eineoder zwei Sekunden verändert werden ſollte.

3) Verdichtung.

Die chemiſche Beſchaffenheit der Luft iſtnicht das Einzige, wovon die Einwirkung der At-moſphäre auf die Strahlenbrechung abhängt. Auchder Zuſtand größerer oder geringerer Verdichtung,worin ſich ihre luftförmigen Elemente befinden,hat Einfluß auf ihr Brechungsvermögen. In einemStickſtoffoxyde könnte das Licht nicht eben ſo, alsin einer bloßen Mengung von Sauerſtoffgas undStickgas abgelenkt werden. Geſetzt daher, derSauerſtoff äußere zum Stickſtoff in einer höhernWärme eine größere oder eine geringere chemi-ſche Verwandtſchaft, als in einer niedrigeren Tem-peratur, ſo würde, ungeachtet der Identität in derZuſammenſetzung der Atmoſphäre, doch die Strah-lenbrechung in der heißen und in der gemäßigtenZone verſchieden ſeyn können. Die Verfaſſer einiger phyſiologiſchen Werkeſind der hier geäußerten Meinung. Wäre ſie rich-tig, ſo würde die Reſpiration, oder vielmehr dieZerſetzung der Luft in der Lunge, nicht bloß vonder Menge des eingeathmeten Sauerſtoffs, ſon- |350| dern auch von der Größe der Verwandtſchaft ab-hängen, welche den Sauerſtoff an den Stickſtoffder Atmoſphäre bände; eine Meinung, für welcheeinige noch nicht gehörig unterſuchte chemiſcheErfahrungen zu ſprechen ſcheinen, z. B. die Wahr-nehmung, daß ein Licht in einer Miſchung aus0,25 Sauerſtoffgas und 0,75 kohlenſaures Gas nichtbrennt. Dagegen laſſen ſich aber eine großeMenge von Verſuchen anführen, aus denen es ſehrwahrſcheinlich wird, daß Sauerſtoff und Stickſtoff,beide in Luftgeſtalt, keine, oder nur eine ſehrſchwache chemiſche Verwandtſchaft auf einanderäußern; und die Verdichtung wirkt nicht ehermerkbar auf das Brechungsvermögen ein, als wenndie gasförmigen Elemente in eine ſehr innige Ver-bindung treten. Davon zeigt uns das Ammonium-Gas ein auffallendes Beiſpiel. Die HH. Biot und Arago haben gefunden, daß dieſes Gas geradeſo auf das Licht wirkt, als ein bloßes Gemengevon 0,20 Waſſerſtoffgas und 0,80 Stickgas dem Ge-wichte nach, und dieſes ſind, nach Davy’s [älte-rer] Analyſe, genau die Beſtandtheile des Ammo-nium-Gas. Nach den ſehr genauen Verſuchen,welche Herr Berthollet der Jüngere ſo ebenangeſtellt hat *), um Davy’s ſpätere Ausſage,daß das Ammonium 0,20 Sauerſtoff enthalte **),
*) Vergl. dieſe Annalen 1808. St. 12. B. XXX. S. 378. Gilb. **) Nach Davy’s Vorleſung, wie ſie im Philoſ. Transact. abgedruckt worden, nur 7 bis 8 Procent. Vergl. obenS. 169. Gilb.
|351| zu prüfen, und die von einander nicht um einHundertel abweichen, verbinden ſich indeß miteinander dem Volumen nach 75,5 Theile Waſſer-ſtoffgas und 24,5 Theile Stickgas zu Ammonium.Nach Biot’s Tafel der ſpecifiſchen Gewichte derGasarten berechnet, giebt dieſes die Beſtandtheiledes Ammoniums, dem Gewichte nach gerechnet,in 100 Theilen 18,83 Theile Waſſerſtoff und 81,17Theile Stickſtoff *), und wenn man dieſem gemäßdas Brechungsvermögen des Ammonium-Gas be-rechnet, ſo findet es ſich 2,08471. Die Beobach-tung giebt es zu 2,168; nach dieſer Beſtimmungwürde alſo die Wirkung der Verdichtung bei die-ſer Gasart zwar wahrzunehmen, aber doch immernur ſehr gering ſeyn.
Wollte man annehmen, wie es einige Phyſikerſehr willkürlich gethan haben, daß zwiſchen denWendekreiſen die Luft mehr kohlenſaures Gas ent-halte, oder daß in ihr, bei gleicher Zuſammen-ſetzung, die Baſen ſtärker condenſirt ſind, ſo würdedas Brechungsvermögen der Atmoſphäre in dieſenLändern nicht kleiner, ſondern größer, als in den
*) Herr Berthollet, der Vater, fand bei der intereſſantenArbeit, die er in den Mémoires de l’Acad. A. 1785 bekanntgemacht hat, dem Volumen nach 72,50 Waſſerſtoffgas und27,50 Stickgas, welches, wenn man mit ihm das Verhält-niß der ſpecifiſchen Gewichte beider Gasarten 1:11 ſetzt,dem Gewichte nach 19,33 Theile Waſſerſtoff und 80,67Theile Stickſtoff giebt. Berechnet man dagegen ſeinenVerſuch nach Biots Tafel der ſpecifiſchen Gewichte derGasarten, ſo folgen daraus 16,6 Theile Waſſerſtoff und83,4 Theile Stickſtoff. v. H.
|352| gemäßigten Klimaten ſeyn müſſen. Wir finden inder Atmoſphäre unter dem Aequator nicht die ge-ringſte eigenthümliche Modification ihrer chemi-ſchen Beſchaffenheit, welche die Meinung begünſti-gen könnte, daß die Klimate einen andern Einfluß,als durch Temperatur und barometriſchen Druck,auf die Strahlenbrechung äußern.

4) Feuchtigkeit, Nebel, Wolken.

Mit der vierten Urſach, welche auf die Strah-lenbrechung der Luft Einfluß haben kann, nem-lich mit der Feuchtigkeit, hat es eine ähnliche Be-wandtniß als mit der Verdichtung; iſt die Einwir-kung derſelben wahrzunehmen, ſo muß auch ſiedie Ablenkung der Lichtſtrahlen unter dem Aequa-tor vergrößern, für jeden Höhenwinkel, unterdem man einen Gegenſtand ſieht. In den bren-nenden Klimaten zwiſchen den Wendekreiſen, wodie Temperatur beſtändig zwiſchen 22° und 36°bleibt, iſt der Boden mit dichten Wäldern bedeckt,und wird von einem faſt beſtändigen Regen durch-näßt; unermeßliche Maſſen von Waſſer müſſen da-her dort in den Dunſtkreis aufſteigen, und dieſehöchſte Feuchtigkeit der tropiſchen Gegendenſteht im geraden Widerſpiele mit der Trockniß, zuder die Atmoſphäre nahe an den Polen durch denewigen Froſt gebracht wird. Da bei gleicher elaſtiſchen Kraft die ſpecifi-ſchen Gewichte des Waſſerdampfs und der Luftin dem Verhältniſſe von 10:14 ſtehn, ſo wiegt |353|dieſer Dampf um ſo weniger, je näher er demäußerſten Grade der Sättigung kömmt. Nun aberiſt feuchte Luft nichts anders, als eine Mengungvon Luft und von Dampf; folglich muß ihre Dich-tigkeit geringer ſeyn, als die einer trocknerenLuft. Hieraus läßt ſich erklären, wie unter dem Aequator die nie verſiegende Quelle von Wärmeund von Feuchtigkeit eine Verminderung der mitt-lern Höhen des Barometers bewirken kann; diedilatirte Luft fließt von den höhern Luftſäulen un-aufhörlich zu den benachbarten hinüber, und laſtetminder, wegen ihrer Bewegung aufwärts. Es läßtſich hieraus gleichfalls ſchließen, daß, wenn derWaſſerdampf einerlei Brechungsvermögen mit derLuft hätte, die Strahlenbrechung in feuchter Luftkleiner als in trockner Luft ſeyn müßte. GenaueVerſuche, von den beiden ausgezeichneten Gelehr-ten, denen die Klaſſe ſie aufgetragen hatte, angeſtellt,haben indeß das völlig beſtätigt, was das Genieeines Mathematikers lange vorher geſagt hatte.Es war von Herrn Laplace dargethan worden,daß der Einfluß, den der hygroſkopiſche Zuſtandder Luft auf die Strahlenbrechung äußert, kaumkönne wahrzunehmen ſeyn, weil das größere Bre-chungsvermögen des Waſſerdampfs durch die ge-ringere Dichtigkeit, welche derſelbe im Vergleichmit der Luft hat, faſt ganz compenſirt wird; dieim zehnten Buche des vierten Bandes der Méca-nique céleſte entwickelten Formeln zeigen, daß, ge-ſetzt jenes ſey nicht ganz der Fall, doch der Waſ- |354| ſerdampf die Strahlenbrechung unter dem Aequa-tor eher vergrößern als vermindern muß. Auchhaben die HH. Delambre und Biot, bei einerReihe ſehr genauer Verſuche mit dem Vervielfäl-tigungskreiſe, die Strahlenbrechung nicht merk-lich ſich verändern ſehen, während das Hygrome-ter ſtarke Veränderungen in der Feuchtigkeit an-zeigte. Der bläschenartige Waſſerdunſt (vapeur véſi-culaire) ſcheint hierin ſich anders als der in derLuft unſichtbar vorhandene Waſſerdampf zu ver-halten. Es kömmt hier nicht darauf an, auszu-machen, ob der Nebel und die Wolken Maſſendichter und voller Kügelchen ſind, wie das Herr Monge in ſeiner Abhandlung über die Meteoro-logie darzuthun geſucht hat, oder ob ſie aus hoh-len Kügelchen mit einer bald dünnern, bald dich-tern Waſſerhaut beſtehn, welche höchſt feuchteLuft rings umſchließt, wie ich das geneigt bin mitſehr vielen andern Phyſikern anzunehmen. Wirbrauchen hier allein die Umſtände zu unterſuchen,von welchen die Verſchiedenheit der Strahlen-brechung, wie Wolken und Nebel ſie bewirken,abhängt. Die Nebel ſind Dunſtlagen, welche auf derErde aufliegen, und den Beobachter umgeben; die Wolken ſind leichtere Lagen von Dunſt, die in einervollkommen durchſichtigen Luft ſchweben. DieſeUmſtände müſſen das ihrige beitragen, die Strah-lenbrechung in dieſen Dunſtmaſſen zu modificiren. |355| Die Erfahrung giebt uns mehrere Beiſpiele vonſcheinbaren Widerſprüchen, die hierauf beruhen.Veranlaßt von Herrn Laplace hat Herr Arago einige Mittagshöhen der Sonne genommen, wäh-rend dieſe hinter Gewölk ſtand, das den Rand der-ſelben ſcharf ſehn ließ, und er fand nicht, daßder Durchzug der Strahlen durch die Dunſtmaſſedie Strahlenbrechung änderte. Während meinesAufenthalts im Königreiche Quito habe ich dieHöhenwinkel der Gipfel mehrerer Vulkane, be-ſonders des Iliniſſa und des Cotopaxi, in Augen-blicken beobachtet, als weiße und durchſichtigeWolken in Flockengeſtalt den Kamm der Cordil-lere bedeckten. Ich war gewiß, einen Unterſchiedin der Höhe von 5 bis 6 Sexageſimal-Sekunden ge-wahr zu werden; allein ich fand keine bemerkbareVerſchiedenheit in dem Höhenwinkel vor undnach der Bildung der Wolke. Der Nebel iſt dagegen nicht immer ohne Ein-wirkung auf die Strahlenbrechung. Bei einer Ma-terie, die noch ſo im Dunkel iſt, dürfte es wich-tig ſeyn, alle wohlbewährten Thatſachen zuſam-men zu ſtellen. Ich finde, beim Durchlaufen dergroßen Arbeit des Herrn Delambre über dieStrahlenbrechung in der Atmoſphäre, im zweitenBande der Baſe du Syſtème métrique ſehr merk-würdige Beobachtungen, welche von ihm zu Bois-commun, während einer Zeit, als dichter Nebelherrſchte, angeſtellt ſind. Der Waſſerdunſt ver-größerte dort die Strahlenbrechung irdiſcher Ge- |356| genſtände ſo außerordentlich, daß Herr Delam-bre den Factor n, der für heitere und völligdurchſichtige Luft nur 0,078 beträgt, bei 9 Beob-achtungen mehr als doppelt ſo groß, nemlich zwi-ſchen 0,146 und 0,175 gefunden hat. Dieſerſcheinbare Widerſpruch zwiſchen den Wirkungen,welche die Wolken, und denen, welche Nebel aufdie Lichtſtrahlen äußern, darf uns nicht befrem-den. Nach den Beobachtungen, welche ich aufdem Abhang der Cordillere der Andes unmittelbaranzuſtellen, mehrmals Gelegenheit gehabt habe,beträgt die Dicke der Wolken nach ſenkrechterRichtung häufig 1200 bis 1600 Meter. Es iſt be-greiflich, daß der Lichtſtrahl durch eine ſolcheungeheure Zuſammenhäufung von Waſſerdunſt, inWolkengeſtalt, eben ſo, wie durch ein vollkom-men ebnes Glas, hindurch gehn kann. Sind dieDunſtkügelchen voll, ſo ſieht der Beobachter dieSonnenſcheibe mittelſt Strahlen, welche durchihren Mittelpunkt, oder durch die feuchte Lufthindurch gehn, in der die Kügelchen ſchwimmen.Sind ſie dagegen hohl, ſo lenkt das feine Waſſer-häutchen den Lichtſtrahl beim Hineindringen indas Kügelchen eben ſo ſtark als beim Hinausgehnab, und iſt die Dicke des Häutchens geringer alsder Halbmeſſer der Sphäre wahrnehmbarer Wirk-ſamkeit jedes ihrer kleinſten Theilchen, ſo findethierbei faſt gar kein Verlöſchen von Licht Statt,wie das Herr Laplace in ſeinem Supplément à laThéorie de l’action capillaire wahrſcheinlich ge- |357| macht hat. Die Luft, in der ſich die Dunſtbläs-chen befinden, iſt mit Waſſer geſättigt, und dasaufgelöſte Waſſer verändert die Strahlenbrechungnicht, wie die Verſuche des Herrn Biot mit demPrisma bewieſen haben. Man ſieht hieraus, daß die Beobachtungendes Herrn Arago und die meinigen über dasBrechungsvermögen der Wolken mit der Theorie,wie es ſcheint, überein ſtimmen. Die außer-ordentlichen, von Herrn Delambre zu Boiscom-mun einen ganzen Monat lang beobachteten, Er-ſcheinungen haben ihren Grund vielleicht nichtin dem hygrometriſchen Zuſtande der Luft, ſon-dern in Anomalieen in Abſicht des Geſetzes, wo-nach die Wärme in den darüber liegenden Luft-ſchichten abnahm. Es waren Beobachtungen irdi-ſcher Strahlenbrechungen, und ſelbſt von Erniedri-gungs-Winkeln; die zu Boiscommun beobachteteStrahlenbrechung der Luft muß folglich durchden Unterſchied in der Dichtigkeit der Luftſchicht,welche den Nebel bildete, von der Dichtigkeit derLuftſchichten, die über dem Nebel lagen, modifi-cirt worden ſeyn. Der vom Nebel umhüllte Beob-achter befand ſich in der feuchten Luft, welchedie Zwiſchenräume zwiſchen den Dunſtbläschenausfüllt, und folglich von Luft umgeben, die durcheine plötzliche und locale Erkältung verdichtetworden war. In der That lehren andre Beobach-tungen, daß bei Höhenwinkeln, auf welche dieAbnahme des Wärmeſtoffs keinen merklichen Ein-fluß mehr hat, der Nebel keine Einwirkung auf |358| die Strahlenbrechung äußert. Bei der großenZahl von Beobachtungen des Antares, welche manmit der höchſten Sorgfalt auf der kaiſerlichenSternwarte angeſtellt hat, fanden die Beobachternach den gehörigen Correctionen für den Standdes Barometers und des Thermometers keine wahr-zunehmende Verſchiedenheit in den Meridianhö-hen des Sterns bei trockner Witterung und beiziemlich dichtem Nebel. Es verdient unterſuchtzu werden, ob dieſelben Nebel, welche die irdi-ſche Strahlenbrechung verändern, auch auf dieAblenkung der Lichtſtrahlen Einfluß äußern, dieunter Winkeln von mehr als 12 bis 14° zu unsherab kommen. Beobachtungen der Art müſſenentſcheiden, ob hierbei die Nebel auf eine andreArt wirken, als dadurch, daß ſie den Zuſtand derſtrahlenden Wärme an der Erdfläche verändern,und die Abnahme des Wärmeſtoffs verlangſamen. Es folgt aus dieſen Betrachtungen, die ich imzweiten Theile meiner Abhandlung weiter ausfüh-ren werde, daß ſich weder in der chemiſchen Be-ſchaffenheit, noch in dem hygrometriſchen Zu-ſtande der Atmoſphäre irgend ein Grund findet,aus dem ſich eine Verminderung der Strahlenbre-chung unter dem Aequator im Vergleich mit un-ſern Klimaten erklären ließe. Wenn ein Licht-ſtrahl aus einer Höhe herabkömmt, die mehr als10° beträgt, ſo iſt die Ablenkung deſſelben einzigund allein eine Funktion des Drucks und der Tem-peratur der untern Schicht der Luft, welche denBeobachter umgiebt. Einige Aſtronomen haben |359| über die thermometriſche Correction, ſo fern ſieauf Extreme von Hitze und von Kälte angewendetwird, Zweifel erregt; da indeß nach den Verſu-chen des Herrn Gay-Luſſac die Dilatation derGasarten ihrer Temperatur proportional iſt, undda zwiſchen dem Froſt- und dem Siedepunkt desWaſſers ein Luft- und ein Queckſilber-Thermo-meter in ihrem Gang übereinſtimmen; ſo mußman nothwendig zugeben, daß die thermometri-ſche Correction gleichförmig mit den Graden einesQueckſilber-Thermometers wächſt, das im Au-genblicke, wenn man den Höhenwinkel nimmt, infreier Luft beobachtet wird. Dieſe Gleichförmig-keit zeigt ſich ſehr auffallend in zwei Beobachtun-gen des Herrn Swanberg in Lappland, von wel-chen ich weiterhin handeln werde; ſie ſtimmen aufdas beſte überein, ob gleich die eine bei —29°,die andere bei —13° der Centeſimalſkale ange-ſtellt ſind, und der Barometerſtand ſich nur um0,12 Meter geändert hatte.

5) Abnahme des Wärmeſtoffs.

Es iſt uns noch übrig, die Beſchaffenheit derAtmoſphäre zwiſchen den Wendekreiſen in derje-nigen Beziehung zu unterſuchen, welche auf diehorizontale Strahlenbrechung, und auf die Strah-lenbrechungen, die faſt horizontal ſind, den größ-ten Einfluß äußert: nemlich, in Beziehung auf dasGeſetz, wonach der Wärmeſtoff in den übereinan-der liegenden Luftſchichten abnimmt. Sollte ſichfinden, daß dieſes Geſetz für verſchiedene Zonen |360| nicht daſſelbe iſt, ſo müßte in ihnen die Strahlen-brechung für Höhenwinkel über 10° verſchiedenſeyn, ungeachtet aller Identität der chemiſchenZuſammenſetzung der Luft, und ungeachtet desNichteinfluſſes der Feuchtigkeit auf die Ablenkungder Lichtſtrahlen. In der That hat ſich neuerlich ein ausgezeich-neter Aſtronom, bei Vergleichung der von Piazzi und der von Maskelyne beobachteten Refractio-nen verführen laſſen, a priori beweiſen zu wollen,daß in den heißen Klimaten der Wärmeſtoff mitden Höhen ſchneller abnehmen, und daß daherdie horizontale Strahlenbrechung im verkehrtenVerhältniſſe der mittlern Temperatur der Oerterzunehmen müſſe. Wenn dieſe Behauptung die imSommer angeſtellten Beobachtungen umfaſſen ſoll,ſo wird ſie durch eine große Zahl von Erfahrungenwiderlegt, die ich während meiner Expeditionnach dem Aequator anzuſtellen Gelegenheit ge-habt habe. Da ſich kein anderer Reiſender mitUnterſuchungen über die Wärmeabnahme in derAtmoſphäre der heißen Zone beſchäftigt hat, ſowill ich die Reſultate meiner in beiden Hemiſphä-ren angeſtellten Beobachtung hierher in eine Tafelſetzen. Das Detail der Localitäten, worauf ſichdie Auswahl der Beobachtungen und die Wahr-ſcheinlichkeit ihrer Reſultate gründet, habe ich ineiner Abhandlung angegeben, welche man unterdenen der Berliner Akademie auf das Jahr 1807finden wird *).
*) Der Leſer hat ſie in dieſen Annalen B. XXIV. S. 1. (Jahr-gang 1806 St. 9.) erhalten. Gilbert.
|361| Wäre unſere Erde ein bloß aus Gas beſtehen-des, durchſichtiges Sphäroid, nach Art der plane-tariſchen Nebelflecken Herſchels, das ſich um eineAchſe drehte und um die Sonne bewegte, ſo würdeſie nur in ſo weit von den Sonnenſtrahlen erwärmtwerden, als das Licht beim Uebergehn in dichtereoder dünnere Luftſchichten geſchwächt wird, unddie einzige Urſache der Erwärmung würde alſo dieExſtinction des Lichts ſeyn. Die Temperaturmüßte am Umfange kleiner als in den innernSchichten ſeyn, und in dieſen anfangs mit derDichtigkeit wachſen, doch würde wegen derSchwächung der Lichtſtrahlen das Maximum derTemperatur in einem vom Mittelpunkte und vonder Oberfläche entfernten Punkte liegen. Wenn ein ſolches Sphäroid einen feſten Kernhat, ſo treten zwei andre Urſachen der Erwärmungein, welche die ſchwache Wirkung der Exſtinctiondes Lichts ſehr überwiegen: die Strahlung derWärme, und aufſteigende Luftſtröme. Eine vierteUrſach, den unmittelbaren Uebergang der Wärmevon Theilchen zu Theilchen, laſſe ich hier uner-örtert; ein berühmter Phyſiker in dieſer Klaſſe,der Graf von Rumford, läugnet einen ſolchenUebergang, der uns hier nur intereſſiren würde,wenn es heiße Winde gäbe, die bloß in den hö-hern Regionen der Luft blieſen. Doch ſelbſt indieſem Fall würden ſehr bald die benachbartenLufttheilchen mit in Bewegung gerathen. DieWirkung der aufſteigenden Strömung und derſtrahlenden Wärme iſt übrigens ſchon von Ariſto- |362| teles und ſeinen Schülern bemerkt worden, wieich an einem andern Orte gezeigt habe. In der25ſten Abtheilung der Probleme in den Meteorolo-gicis Lib. 1., welche man dem Ariſtoteles bei-legt (Opera omnia edit. Caſaub. t. II. p. 458. 327.),werden Höhe und Dichtigkeit der Wolken als Er-ſcheinungen betrachtet, die von dem Aufſteigender Wärme abhängen, und dazu beitragen, dieWirkungen derſelben zu modificiren. Alles, was dazu beiträgt, die drei angegebe-nen Urſachen der Erwärmung der Atmoſphäre ab-zuändern, muß auch das Geſetz der Wärmeab-nahme modificiren. Die Wärme muß mit derHöhe langſamer abnehmen über der Meeresflächeund über einer mit Schnee bedeckten Ebene, alsüber pflanzenloſen Wüſten oder über einer horizon-talen Lage Glimmerſchiefer. Umgekehrt muß ſieüber dem Abhange eines kegelförmigen Bergsſchneller abnehmen, als über einer Cordillere mitgroßen terraſſenförmigen Plateaus eine über derandern. Bei Unterſuchungen über die mittlereStrahlenbrechung, in Höhen zwiſchen 6 bis 10 Gra-den, kömmt es indeß nur auf das Geſetz der mitt-lern Abnahme der Wärme an, und wir werdenbald ſehn, daß dieſes Geſetz beſtändiger iſt, alsman es erwarten ſollte, bei den beſtändigen Tem-peraturveränderungen, welche durch horizontaleund vertikale Luftſtröme hervorgebracht werden,und daß es nicht ſchwer iſt, dieſes Geſetz durcheine große Menge kleiner örtlicher Perturbationenhindurch zu erkennen. |363| Die Progreſſion, in welcher die höher liegen-den Luftſchichten mit ihrem Abſtande von derOberfläche der Erdkugel kälter werden, läßt ſichauf fünf verſchiednen Wegen erforſchen, von de-nen indeß nur zwei zu ſichern Reſultaten zu füh-ren ſcheinen: durch Aufflüge in Luftballons;durch Reiſen nach den Gipfeln iſolirt ſtehenderund ſteil anſteigender Berge; durch Vergleichungder mittlern Temperaturen nicht weit von einan-der entlegner Orte, die in ſehr verſchiednen Höhenliegen; und durch die Temperatur der Quellenund der Höhlen, welche einige Phyſiker die Tem-peratur des Innern der Erde zu nennen wagen.Noch ließe ſich ſechſtens die Beobachtung derhorizontalen Strahlenbrechung, und ſiebentens dieBeſtimmung der Gränze des ewigen Schnees in denverſchiednen Zonen der Erde hinzufügen, letztereals ein Mittel, das freilich nur ſehr wenig Genauig-keit geben kann. Reiſen in die Andes. Das Erſteigen eineshohen und ſehr ſteilen Pics gewährt für dieſe Ab-ſicht faſt gleichen Vortheil mit dem Aufflug ineinem Aeroſtate, da der Beobachter am Fuß desPics ſich beinahe in der Vertikallinie des Beobach-ters auf der Spitze befindet. Unter den hierhergehörigen Beobachtungen, welche wir, Herr Bon-pland und ich, bei unſeren Excurſionen nach denGipfeln ſolcher Pics gemacht haben, ſind die ge-nauſten die, welche wir angeſtellt haben: auf dem Naucampatepel, der jetzt Cofre de Peroté genannt |364| wird, und auf dem Nevado de Toluca; beide lie-gen in Mexiko: ferner am Ufer der Südſee auf derSpitze des Rucu Pichincha, an der Küſte von Ve-nezuela auf der Silla de Caraccas, und endlich zuTeneriffa auf der Spitze des Pic de Teyde. Ichnenne dieſen Vulkan zuletzt, weil er bei ſeinergeringen Entfernung von der afrikaniſchen Küſte manchmal den Nachtheil hat, in warme Luftſtrö-me aus Oſt und Südoſt getaucht zu ſeyn. Herr Labillardiere, der ihn acht Jahre vor mir er-ſtiegen hat, fand auf ihm, am 17. October 1791,in 3700 Meter Höhe, das Centeſimal-Thermome-ter auf 18°,7 ſtehn; der Wind kam, wie er an-giebt, aus SSO. Damals betrug alſo der Unter-ſchied der Temperatur an der Küſte und auf demGipfel nur 9°, indeß ich dieſen Temperatur-Un-terſchied bei einem weſtlichen Winde, der nach Afrika hin bläſt, 20° gefunden habe. Herr de La-manon fand bei der Expedition unter La Pérouſe denſelben Temperatur-Unterſchied 19°. DieſeUebereinſtimmung bei günſtigen Umſtänden iſt umſo auffallender, da das Thermometer zu der Zeit,als ich mich am Rande des Kraters befand, imSchatten, ſehr entfernt vom Boden, auf +2°,7,dagegen, als Herr de Lamanon ſich dort befand,auf +11°,6 ſtand. Die erſtere Beobachtung giebteine Wärmeabnahme von 1 Centimalgrad auf 184,die letztere auf 195 Meter; beide weichen alſonur um 11 Meter von einander ab. |365| Die Angabe der Breite der Bergſpitzen in derfolgenden Tafel gründet ſich auf meine eignenaſtronomiſchen Beobachtungen. Die Höhen derLuftſäulen, die ich durchſtiegen hatte, ſind nachder Formel für Barometermeſſungen des Herrn Laplace, mit dem neuen Ramond’ſchen Coeffi-cienten, berechnet worden; ſie betragen größten-theils zwiſchen 3000 und 5800 Meter. In dervierten Spalte findet man die Höhe für 1° Wärme-abnahme nach der Centeſimal-Skale in Meter, undin der fünften Spalte die Höhe für 1° Wärmeab-nahme nach der Reaum. Skale in Toiſen.
Ort und Zeit derBeobachtung. Unterſchied zwi-ſchen der unternund obern Luftſchicht Geſetz derWärme-abnahme:Höhe für 1°Wärme-Un-terſchied
in derHöhe in derTemper. nachderCente-ſimalSkale nachder Reau-mur. Skale
Meter Cent. Gr. Meter Toiſen
Coffre de Perotte19° 29′ n. Br. (Febr. 1804) 4047 22,1 183,1 117,3
Nevado de Toluca10° 6′ n. Br. (Sept. 1803) 4619 23,2 198,7 128,1
Silla de Caraccas10° 37′ n. Br. (Jan. 1800) 2603 13,7 189,8 121,4
Fuerte de la Cuchilla10° 33′ n. Br. (Dec. 1799) 1512 8,5 177,8 114,1
Guadalupe4° 36′ n. Br. (Juli 1801) 3287 16,9 194,4 124,3
Pichincha0° 14′ ſ. Br. (Mai 1802) 4679 23,7 197,8 126,3
Chimborazo1° 28′ ſ. Br. (Juni 1802) 5876 29,1 201,9 129,4
Pico de Teneriffa28° 17′ n. Br. (Juni 1799) 3704 (20,1(19,0 184,2194,9 118,3)125,3)
Das Mittel aus dieſen Reſultaten iſt 191,4 122,6
|366| Davon weicht das größte dieſer Reſultate nurum 10, und das kleinſte nur um 14 Meter ab;eine Uebereinſtimmung, welche vielleicht auf denGedanken führen könnte, daß die hier mitgetheil-ten Beobachtungen unter einer großen Menge an-drer, nicht ohne Parteilichkeit wären ausgewähltworden. Ich kann indeß verſichern, daß ſich inmeinem Reiſejournal nur noch zwei Beobachtun-gen dieſer Art finden; ſie wurden unter ungünſti-gen Umſtänden gemacht, ihre Reſultate weichenaber deſſen ungeachtet von dem Mittel nur um 21und 25 Meter ab, und nehme ich ſie mit, ſo er-halte ich 193 ſtatt 191 Meter Höhe für 1° Wär-meabnahme. Mittlere Temperaturen, und Einwirkung derPlateaus. Es könnte zu großen Aufſchlüſſen inder Phyſik der Erde und der ſie umgebenden At-moſphäre führen, wenn auf der Spitze des Aetna,des Pics von Teneriffa oder des Pichincha Obſer-vatorien ſtünden, in denen man die Temperatur,die Feuchtigkeit und die electriſche Spannung derLuft, die horizontalen Strahlenbrechungen, unddie ſtündliche magnetiſche Variation alle Tageregelmäßig beobachtete, und wenn man gleichzei-tige Beobachtungen mit dieſen in den benachbar-ten Ebenen anſtellte. Durch Vergleichung dermittlern Temperaturen eines ganzen Jahrs würdenſich dann aus dieſen Beobachtungen genauereReſultate über die Wärmeabnahme, als durch Auf-flüge in Luftballons und durch Reiſen nach den |367| höchſten Bergſpitzen ziehn laſſen. Allein die aufden höchſten Plateaus in Europa liegenden Städte(Madrit und Inſpruck) ſind nicht 600 Meter überder Meeresfläche erhoben, und die beiden höch-ſten Dörfer, Heas in den Pyrenäen und St. Remy in den Alpen, liegen erſteres nur 1400, letzteres1600 Meter über dem Meere. Das Kloſter aufdem St. Bernhards-Berge iſt der höchſte Ort inEuropa, der bleibend bewohnt wird; es hat 2000Meter Höhe über der Meeresfläche, die mittlereTemperatur daſelbſt iſt aber noch unbekannt. Inder heißen Zone kennen wir keine mittlere Tem-peratur von Luftſchichten, die höher ſind als die,in welcher das Hoſpiz auf dem St. Gotthard liegt;und doch giebt es hier eine Zahl anſehnlicherStädte, welche, gleich Huancavelica und Micui-pampa in Peru, auf dem Rücken der Andes, 3700Meter über dem Spiegel der Südſee liegen; eineaußerordentliche Lage, welche die Fortſchritteder Phyſik ſehr begünſtigen muß, wenn einſt dieKultur bei ihrer Wanderung von Oſten nachWeſten, von den Oſtküſten des atlantiſchen Meers zu den Ufern des Miſſouri und des Maranon hin-über gegangen ſeyn wird. Die wenigen Beobachtungen, welche wir bisjetzt von den mittlern Temperaturen der großenStädte Quito, Santa-fé-de-Bogota, Mexiko undPopayan haben, können zu keinem genauen Re-ſultate über das Geſetz der Wärmeabnahme füh-ren; dieſes verhindert ihre Lage. Sie ſtehn mit- |368| ten auf großen Ebenen, die 1800 bis 3000 Meterüber den benachbarten Küſten erhoben ſind. Siebilden einigermaßen Bänke oder Untiefen in demLuftocean, und indem ſie die Sonnenſtrahlenfixiren, erhöhen ſie die Temperatur der Strömekalter und verdünnter Luft, welche ihre Ober-fläche beſpülen. Auf dem Gipfel des Chimborazoiſt die Luft im Ganzen um 34° kälter, als die Luftan den Küſten, denn die Luftſchicht, welche denGipfel umgiebt, iſt 6550 Meter von der Oberflächeder Erdkugel, die die Sonnenſtrahlen verſchlucktund bindet, entfernt. Wenn die ganze Erdflächeſich um 6500 Meter erhöbe, ſo würde dieſe Luft-ſchicht ſich nahe bei der Oberfläche des Erdkör-pers befinden, und das Klima haben, das jetzt dortin den Ebnen herrſcht. Auf gleiche Art geben diegroßen Plateaus, auf welchen die Hauptſtädte des ſpaniſchen Amerika liegen, dieſen Städten eineviel größere mittlere Temperatur, als ſie nachihrer Höhe über dem Meere haben ſollten. Diefolgende Tafel enthält die Reſultate meiner hier-her gehörigen Beobachtungen, welche den Einflußder hoch gelegenen Plateaus auf die mittlere Tem-peratur der Luftſchichten ſehr deutlich vor Augenlegen. Auf dem langgeſtreckten Rücken der Cor-dillere findet man in den hohen Ebenen der Andes in 1600 Meter Höhe die mittlere Temperatur vonFlorenz und von Rom. Auf dem ſteilen Abhangedes Gebirgs, überall, wo es keine Plateaus giebt, |369| muß man aber weit tiefer herab ſteigen, um dasKlima Italiens und das der Nordküſte Afrika’s zufinden.
Ort und Zeit derBeobachtung. Unterſchied zwi-ſchen der unternund obern Luftſchicht Geſetz derWärme-abnahme:Höhe für 1°Wärme-Un-terſchied
in derHöhe in derTemper. nachderCente-ſimalSkale nachder Reau-mur. Skale
Meter Cent. Gr. Meter Toiſen
Quito ......0° 13′17″ ſ. Br. 2907 15,0 244,4 157
Popayan .....2° 26′ 17″ n. Br. 1769 20,6 283,1 181,6
S. Fé de Bogota ...4° 35′ n. Br. 2660 16,5 256,1 164,5
Mexiko ......19° 25′ 55″ n. Br. 2277 16,9 249,3 160,6
Das Mittel aus dieſen Reſultaten iſt 258,4 160,7
Ganz der eben vorgetragnen Theorie entſpre-chend, findet ſich alſo für die Plateaus, durch wel-che die Luft erwärmt wird, eine weit langſamereAbnahme der Wärme, als bei Aufflügen in Luft-ballons, und beim Erſteigen einzeln ſtehender Pics.Das Mittel iſt hier 258, ſtatt 191 Meter Höhe für1 Centeſimal-Grad Wärmeabnahme. Auch ver-dient die Gleichförmigkeit des Einfluſſes der Pla-teaus auf die Temperatur bemerkt zu werden;drei dieſer Beobachtungen geben Reſultate, die bisauf 12 Meter mit einander übereinſtimmen, undſelbſt die vierte Beobachtung, die auf einem weitweniger hohen, gegen die kalten Winde geſchütz- |370| ten Plateau gemacht iſt, weicht von dem Mittelaus den drei andern nur um 25 Meter ab. Temperatur der Quellen. Mehrere ausge-zeichnete Phyſiker, Sauſſure, Cavendiſh, undneuerlich der Mineraloge von Buch, den einedler Eifer für die Wiſſenſchaften nach dem Nord-kap geführt hat, um dort die Phänomene der Po-lar-Nacht zu ſtudiren, haben verſucht, das Geſetzder Wärmeabnahme aus dem Unterſchiede in derTemperatur von Quellen, die in verſchiedenenHöhen liegen, zu erforſchen. Die Quellen habennemlich mehrentheils die mittlere Temperatur desOrts. Sie würden dieſe Temperatur immer mitGenauigkeit geben, wenn die kleinen Waſſeradern,die ſich in ihnen in der Erde vereinigen, alle ausder nemlichen Höhe mit der Quelle herkämen,und ihr nicht die mittlern Temperaturen höherliegender Orte zuführten. Auf Einladung Caven-diſh’s hat Herr Hunter die Temperatur derQuellen am Abhange der blauen Berge auf Jamaikagemeſſen; er fand, daß ſie ſich vom Meere ab,bis auf 1272 Meter Höhe, allmählig von 26°,5 bis16°,5 der Centeſimal-Skale verminderte. DieſeWärmeabnahme iſt viel zu ſchnell, und zeigt deut-lich, daß die höchſte Quelle, die von Wallen-Houſe, ihr Waſſer von dem Gipfel der blauen Berge, der2218 Meter über dem Meere liegt, erhält. Ichhabe auf meinen Reiſen Gelegenheit gehabt, ſehrviele ähnliche Beobachtungen anzuſtellen. In derProvinz Caraccas habe ich die Temperatur der |371| Quellen immer um 4 bis 5 Grad unter der mittlerenWärme des Orts, wo ſie zu Tage kamen, gefun-den. Eben ſo haben die Quellen in der Ebenevon Rom eine Wärme von 11 bis 12°, indeß diemittlere Temperatur der Luft dort 16° iſt. Temperatur der Höhlen und in Bergwerken. Wäre es möglich, dieſe Temperatur unter Umſtän-den zu beobachten, welche den Einfluß einerMenge von lokalen Urſachen ausſchlöſſen, dieſelbſt in den zunächſt gelegnen Bergwerken ſehrverſchieden ſeyn können, ſo würden Beobachtun-gen über ſie uns gleichfalls das Geſetz der Wärme-abnahme kennen lehren. Ich zweifle nicht, daßſich nicht am Abhange der Cordillere der Andes intereſſante Reſultate über das ſollten erhalten laſ-ſen, was manche ſehr pomphaft die Temperaturdes Innern der Erde genannt haben, wenn man alletauſend Meter einen Stollen in das trockne Geſteinda, wo es weder Metall noch dem Luftzuge offeneSpalten enthält, vom Ufer der Südſee ab, bis 4800Meter Höhe hinauf könnte treiben laſſen. DieBeobachtungen, welche man ſeit ſo vielen Jahrenin den Kellern der kaiſerlichen Sternwarte und aneinigen andern Orten Europa’s angeſtellt hat, be-weiſen, daß die mittlere Temperatur in ihnen mitder übereinſtimmt, welche die Luftſchichten haben,die ſich mit ihren Mundlöchern in einerlei Höhebefinden. Der Reiſende aber, der nur offne vonder Natur oder durch Menſchenhand gebildeteHöhlungen vorfindet, mißt dieſe Temperatur unter |372| Umſtänden, wo ſie modificirt iſt, durch Zerſetzungmetalliſcher Subſtanzen, durch Bildung von Luft-arten, durch die verſchiedene Wärmeleitung derGebirgsarten, durch zurinnendes Waſſer unddurch Luftſtröme, deren Urſprung und Weg unbe-kannt iſt. Ich habe mich in Südamerika, in den Andes, in Bergwerken befunden, deren Tiefſtes3700 Meter über der Meeresfläche erhoben war;die Luft in ihnen hatte beſtändig eine Wärme von13°,7 bis 14°,2, während die Temperatur deräußern Luft zwiſchen —2\( \frac{1}{2} \) und +8° variirte.Volle 2700 Meter niedriger, als dieſes peruaniſche Bergwerk zu Micuipampa, in der Höhle von Gua-charo in der Provinz Cumana, ſtand das Centeſi-mal-Thermometer auf 18°,7. Die Kalkhöhlennahe bei der Havanna, an den Ufern der InſelKuba, haben eine Temperatur von 22\( \frac{1}{2} \)°. Alledieſe Reſultate ſind um ſo merkwürdiger, da ſieſich nur auf dem Abhang der koloſſalen Gruppeder Andes erhalten laſſen. Man verkennt in ihnennicht den Einfluß der Höhe des Orts auf die Tem-peratur der Höhlen und der Bergwerke; dieſeBeobachtungen aber, die ich, ſo oft es die Um-ſtände erlaubten, zu vermehren geſucht habe, ver-mögen zu keiner genauen Kenntniß des Geſetzeszu führen, welches wir ſuchen. Gränze des ewigen Schnees. Die immergrößern Höhen, in welchen der ewige Schnee be-ginnt, von den Polen an nach dem Aequator zu,ſcheinen als ein ſechſtes und letztes Mittel dienen |373| zu können, um das Geſetz der Wärmeabnahme zuerforſchen. Fände ſich, wie Bouguer annahm,die untere Schneegränze immer genau in der Höheder Luftſchicht, deren mittlere Temperatur nulliſt, ſo würde die bloße Beſtimmung dieſer Höhe,verglichen mit der mittlern Temperatur der be-nachbarten Ebene, hinreichen, die mittlere Wär-meabnahme in jeder Zone kennen zu lehren. Nunaber beginnt der ewige Schnee, den Beobachtun-gen zu Folge, welche von Sauſſüre, Ramond, Ohlſen, Buch und von mir in verſchiednenLändern gemacht ſind:
unter in m. Tp. d. B.
dem Aequator 4800 Met. Höhe; 27°
20° Breite 4600 — — 26
45 — 2550 — — 12,7
62 — 1750 — — 4
65 — 950 — — 0
Die Zahlen in der letzten Colonne, ſind die mitt-lern Temperaturen dieſer Breiten in Centeſimal-graden, nach den genaueſten Beobachtungen. Dieſe Zahlen geben indeß eine mittlere Wär-meabnahme, welche nicht mit den Reſultaten derdirectern Wege übereinſtimmt. Vom Aequator bis zu dem Parallelkreiſe von 45° iſt der Mangelan Harmonie noch nicht ſehr merklich; ſtatt 191Meter, erhält man hier 177, 175, 200 Meter Höhefür 1° Wärmeabnahme nach der Centeſimalſkale.Je näher man aber dem Pole kömmt, deſto fehler-hafter zeigt ſich dieſe Methode; für Norwegen |374| gäbe ſie 437, und für Island 950 Meter Höhe für1° Wärmeabnahme. Der Grund dieſer Unregelmäßigkeiten iſtleicht einzuſehen. Ich werde weiter unten darthun,daß die Wärmeabnahme in der Luft eine Functionder mittleren Temperatur der Ebenen iſt, und daßdaher in derſelben Zone die Wärme im Winterlangſamer als im Sommer abnimmt. Betrachtetman die mittlere Abnahme des ganzen Jahrs, ſofindet ſie ſich ebenfalls in der Gegend des Aequa-tors ſchneller als in den den Polen näheren Zonen.Beobachtungen, welche man neuerlich zu Torneoüber die horizontale Strahlenbrechung angeſtellthat, beſtimmen ſelbſt die Gränzen dieſer Variatio-nen, und beweiſen, daß unter 62° Breite die Wär-me keineswegs noch einmahl ſo langſam, ſondernnur um ein Fünftel langſamer, als unter dem Aequator, abnimmt. Die großen Höhen, in wel-chen über 58° hinaus die Schneegränze, nach denſehr genauen Beobachtungen des Herrn von Buch, Ohlſen und Vetlafſen, liegt, muß in Verwun-derung ſetzen. Während die mittlere Temperatur,von Paris bis in Norwegen in dem Verhältniſſe von3:1 [nach Thermometergraden über 0 gerechnet]abnimmt, ſteht die Höhe der Schneegränze an bei-den Orten in dem Verhältniſſe von 5:3. Hiervon liegt jedoch der Grund nicht in derlangſameren Abnahme des Wärmeſtoffs allein.Directe Beobachtungen beweiſen (und dieſes iſtein in der Phyſik noch unerörterter Punkt), daß |375| die Luftſchicht, durch welche die Curve der Schnee-gränze hindurchgeht, in den verſchiednen Zonender Erdkugel nicht dieſelbe mittlere Temperaturhat, ſondern daß unter dem Aequator ihre mitt-lere Temperatur über, und in den nördlichen Län-dern dagegen unter dem natürlichen Froſtpunkteliegt. Die mittlere Temperatur des Hoſpiz aufdem St. Gotthard iſt von Herrn Cotta ſorgfältignach den Beobachtungen berechnet worden, wel-che man dort auf Einladung der Mannheimer me-teorologiſchen Societät angeſtellt hatte; er findetſie — 1°. Warme Winde, welche aus den Ebnender Lombardei kommen, umgeben indeß häufigdas Hoſpiz, und die Gränze des ewigen Schneesliegt noch 600 Meter höher als der Paß über demSt. Gotthard. Zu Nain an der Oſtküſte von La-brador, unter 56° 55′ Breite, wo die Miſſionariender Brüdergemeinde das Thermometer unausgeſetztbeobachtet haben, finden ſie die mittlere Tempe-ratur — 3°, und doch iſt Nain noch 9° vom Polar-kreiſe, und vielleicht um mehr als 20° von demPunkte entfernt, wo die Curve des ewigen Schneesdie Oberfläche der Erde durchſchneidet. Herr Pictet, von dem wir intereſſante Beobachtungenüber die Gränze des Schnees am Abhange des Buethaben, iſt der Meinung, daß hier der ewige Schneein einer Luftſchicht anfängt, deren mittlere Tem-peratur ſich auf — 4\( \frac{1}{2} \)° ſchätzen läßt. Mehr nachNorden iſt die Luftſchicht, in welcher der ewigeSchnee beginnt, noch kälter; denn je tiefer der |376| Schnee herabkömmt, deſto mehr wirkt auf ihn dieWärme ein, welche die Oberfläche der Erde, denSommer über, den höhern Luftſchichten mittheilt.Dieſe Variationen der Temperatur, deren Einflußin umgekehrtem Verhältniſſe mit der Höhe ſteht,in welcher das Eis beginnt, äußern ſich auch indem Phänomen, welches man die Oscillation deruntern Schneegränze nennen kann. Dieſe Oscil-lation beträgt unter dem Aequator 50 Meter, unterdem Wendekreiſe des Krebſes 600 Meter, und un-ter 45° Breite über 2000 Meter. In der heißen Zone, wo der Einfluß der Jahrs-zeiten wegfällt, findet man die Gränze des ewigenSchnees in einer Höhe, deren mittlere Temperaturungefähr +10°,5 iſt. Nur höchſt ſelten ſieht manin der Cordillere der Andes, in Höhen zwiſchen4000 bis 5300 Meter das Thermometer bis auf 0°ſinken, beſonders von 7 Uhr Morgens bis 8 UhrAbends; gewöhnlich ſteht es während dieſer Tags-zeit zwiſchen +3° und +9°, machmahl ſteigt esſelbſt, und dieſes iſt ſehr merkwürdig, auf 15°bis 19°. Am Abhange des Chimborazo ſtand esin 5550 Meter Höhe, bei kalter und nebliger Wit-terung, während die Sonne 22 Stunden lang nichtzum Vorſchein kam, doch noch auf +2°,8. Diegrößte Kälte, welche die franzöſiſchen Akade-miſten im Jahre 1737 in ihrer Hütte auf demPichincha, die nahe an der Schneegränze ſtand,empfunden haben, war bei Aufgang der Sonne,und betrug —6°. Während Tags zeigte aber ihr |377| Thermometer 3° bis 9° Wärme; folglich mußteauch dort die mittlere Temperatur über dem Froſt-punkte liegen. Dieſes Reſultat iſt der Theorieganz gemäß. In dieſen Höhen ſchneit es faſt täg-lich, während das Thermometer auf +1° oder+2° ſteht; was von dieſem Schnee einige Stun-den über ſchmilzt, wird durch einen neuen Nie-derſchlag erſetzt; das Innere wird durch die äußereRinde geſchützt, und ſo erhält ſich das Gleichge-wicht in einer Luftſchicht, deren mittlere Tempe-ratur dieſelbe iſt, als die der Länder der gemäßig-ten Zone, wo das Schneien eine ganz gemeine Er-ſcheinung iſt. Aus dieſen Betrachtungen folgt, daß ſich ausder Höhe der Schneegränze keine genügende Fol-gen über das Geſetz der Wärmeabnahme ziehen laſ-ſen; ſie iſt nicht bloß eine Function der Wärme-abnahme, ſondern auch zugleich einer andernGröße, die nach den Breiten variirt, und die wirnur auf eine unvollkommene Art zu beſtimmenvermögen. Es erhellt aus dieſer Erörterung der ſechs Me-thoden, welche wir haben, um das Geſetz der Er-kältung der höhern Luftſchichten aufzufinden, daßallein Aufflüge in Luftballons und das Erſteigenjäher Berggipfel uns zu einer vollſtändigen Auflö-ſung dieſer Aufgabe führen können, von der dieKenntniß der Ablenkung eines Lichtſtrahls, deraus Höhen unter 10° herabkömmt, in der Atmo-ſphäre abhängt. Das Reſultat einer Reihe von |378| Beobachtungen, deren äußerſte Gränzen nur um14 Meter von einander abweichen, iſt: daß in dentropiſchen Gegenden, wo die mittlere Temperaturder Ebene 22° bis 26° iſt, die Wärme um 1° desCenteſimal-Thermometers für eine Höhe von 191Meter abnimmt. Es iſt uns nun noch übrig, dieſe Wärmeab-nahme mit der in der gemäßigten Zone beobach-teten zu vergleichen. Denn wären die horizontalenoder die faſt horizontalen Strahlenbrechungen un-ter dem Aequator wirklich ſo klein, als Bouguer ſie angiebt, ſo könnte, wie wir oben bemerkt ha-ben, dieſes allein darin gegründet ſeyn, daß zwi-ſchen den Wendekreiſen die Wärme in den Luft-ſchichten langſamer als in Europa abnähme. Wirwerden aber gleich ſehen, daß eine ſolche Ver-ſchiedenheit nicht Statt findet. Wärmeabnahme in Europa. Ich übergehe dieTäuſchung, in welche ein großer Mann gerathenwar, als er glaubte, die Temperatur der Luft könnezunehmen nach Maaßgabe, wie man ſich von derOberfläche der Erde entferne. Daniel Ber-noulli ſchreibt in ſeiner Hydrodynamik die Kälte,welche man auf den Bergen ſpürt, irgend einergeheimen Einwirkung des Bodens zu, und fügt,verleitet durch eine falſche Beobachtung des Hrn. Feuillée, hinzu: Ich glaube nicht, daß es etwasUngereimtes iſt, wenn ich ſage, die mittlere Wär-me der Luft ſey deſto größer, je höher ſie über derMeeresfläche erhoben iſt. Auch die Zahlen führe |379| ich nur an, bei welchen Lambert in ſeiner Pyro-metrie und in den Mémoires de Berlin A. 1772ſtehn bleibt. Theoretiſche Speculationen führtendieſen Geometer darauf, anzunehmen, daß vomMeere bis zu einer Höhe von 1000 Meter die Wär-me für jede 80 Meter Höhe um 1° abnehme, von1000 bis 3000 Meter Höhe dagegen für jede 100,und über den Gipfel des Aetna hinaus für jede129 Meter Höhe. Sauſſüre, durch directe Beob-achtungen geleitet, ſetzt 160 Meter im Sommer,und 130 Meter im Winter als die Höhen feſt, beiwelchen die Wärme um 1° abnimmt. Seine Reiſenach dem Gipfel des Aetna giebt ihm 177, undſeine Reiſe auf den Montblanc 142 Meter; dochſieht er ſelbſt dieſes letztere Reſultat, wegen derbeſondern Umſtände, unter denen die Beobach-tung gemacht wurde, als wenig zuverläſſig an. Das genaueſte Reſultat, welches wir bis jetztüber die Abnahme der Wärme in den höhern Luft-ſchichten haben, verdanken wir dem zweiten Auf-fluge in einem Aeroſtaten, welchen Hr. Gay-Luſ-ſac auf Einladung dieſer Klaſſe unternommen hat.Das Thermometer ſtand in Paris auf +27°,7, ineiner Höhe von 3700 Meter, über Paris auf +8°,5,und in einer Höhe von 6980 Meter auf —9°,5.Dieſes giebt für die erſte 1900 Toiſen hohe Luft-ſäule 193 Meter, für die zweite Luftſäule, die vonder Höhe des Pics auf Teneriffa bis über dieSpitze des Chimborazo hinaus reicht, 182, und fürdie ganze 7000 Meter hohe Luftſäule 187 Meter |380| Höhe, für 1° Wärmeabnahme. Nimmt man an,daß die kleine Veränderung in der Temperatur,welche während der Luftreiſe an dem Erdbodenvor ſich ging, von 3°, ſich augenblicklich bis zuder außerordentlichen Höhe hinauf mitgetheilthabe, in der der Beobachter ſich befand (eine An-nahme, die nicht ganz genau zu ſeyn ſcheint), ſoerhält man 173 ſtatt 193 Meter Höhe, für jedenGrad Wärmeabnahme. Es folgt aus dieſer ſchätz-baren Beobachtung, daß zu einer Zeit, wo unter49° Breite, die Temperatur der ebnen Erdflächeder mittlern Temperatur der tropiſchen Gegendengleich war, einerlei Geſetz der Wärmeabnahme indieſen beiden Zonen Statt fand. Denn das Reſul-tat, welches ich für den Aequator finde, weichtvon dem über Paris erhaltenen nur um 2 Meter,und wenn man eine minder wahrſcheinliche An-nahme vorziehn will, um 18 Meter auf 191 Meterab. Dieſe gleichförmige Vertheilung des Wärme-ſtoffs, dieſes Gleichgewicht der Temperatur, indas ſich horizontale Luftſchichten ſetzen, welcheum mehr als 2000 Lieues von einander entferntſind, verdient in der That Bewunderung. Ueberdie Höhe des Montblanc hinaus haben wir, Herr Gay-Luſſac unter 49° Breite, und ich auf demAbhange des Chimborazo, in gleichen Höhen die-ſelben Temperaturen, bis auf \( \frac{1}{2} \) Grad, gefunden. Einfluß der Erkältung der Ebene auf das Ge-ſetz der Wärmeabnahme. Ich könnte bei dieſemReſultate ſtehn bleiben, denn es bedarf nicht eines |381| mehreren, um uns zu überzeugen, daß das Geſetz,nach welchem die Wärme unter dem Aequator inder Luft abnimmt, dort in der horizontalen Strah-lenbrechung keine Verſchiedenheit von der her-vorbringen kann, die wir im nördlichen Europawährend des Sommers beobachten. Es iſt indeßfür die Vervollſtändigung dieſer Unterſuchungenüber die phyſikaliſche Beſchaffenheit der Atmo-ſphäre wichtig, noch einen Punkt zu erörtern,über den es uns an genauen Beobachtungen fehlt.Daraus, daß die Wärme für jede 191 Meter Höheum 1° abnimmt, wenn die Luft über einer Ebneeine Temperatur von 22° bis 30° hat, folgt nicht,daß das nemliche Geſetz auch für den Fall gilt,wenn die Temperatur der Luft nahe über der Ebnebedeutend von dieſer Normaltemperatur abweicht,bei welcher die Beobachtungen unter dem Aequa-tor und in Europa gemacht worden ſind. Es iſt eine den Gebirgsbewohnern bekannteSache, und die Theorie der Erwärmung der Erd-kugel durch die Sonnenſtrahlen giebt die Erklä-rung dafür ohne Schwierigkeit, daß es im Winterauf den großen Höhen weit weniger kalt iſt, alsman es nach dem Temperatur-Unterſchiede, derim Sommer zwiſchen den Bergen und den Ebenenherrſcht, erwarten ſollte. Auch glaubte Sauſ-ſüre, wie wir geſehn haben, daß, wenn die Wär-me im Sommer für 160 Meter Höhe um 1° ab-nimmt, dieſes im Winter in Europa nur für jede230 Meter der Fall iſt. Wir haben bis jetzt noch |382| keine einzige directe Beobachtung hierüber. DieHöhen, worin die drei Hoſpize auf dem St. Gott-hard, dem St. Bernhardsberge und dem Mont-Cenis liegen, ſind viel zu gering, um genaue Re-ſultate zu geben, und das Erſteigen hoher Berg-gipfel, ſo wie aeroſtatiſche Aufflüge zu außeror-dentlichen Höhen, ſind im Winter, bei einer ſtar-ken Kälte, gefährliche Unternehmungen. Ichhabe indeß verſucht, dieſe Aufgabe, die für dieTheorie der Strahlenbrechung und der Barometer-meſſungen von ſo vieler Wichtigkeit iſt, auf demindirecten Wege aufzulöſen, den Hr. Laplace indem vierten Bande ſeiner Mécanique céleſte ange-geben hat. Die aeroſtatiſche Reiſe des Hrn. Gay-Luſſac hat dieſen großen Geometer veranlaßt, Formelnzu entwickeln, mittelſt derer ſich das Geſetz derWärmeabnahme aus Beobachtungen über die hori-zontale Strahlenbrechung auffinden läßt. Nun hatuns Hr. Svanberg, einer der ſchwediſchen Ge-lehrten, welche vor einigen Jahren nach dem Po-larkreiſe geſchickt wurden, um die Gradmeſſung Maupertuis zu berichtigen, zwei Refractions-Beobachtungen geliefert, die während einer außer-ordentlichen Kälte, die eine bei —13°, die an-dere bei —29° des Centeſimal-Thermometers,faſt im Horizonte angeſtellt ſind. Ich habe Hrn. Mathieu, Secretair des Längen-Bureau, erſucht,dieſe Beobachtungen nach den Formeln der Mecha-nik des Himmels zu berechnen, und dieſer Aſtro- |383| nom, deſſen große Genauigkeit den Mathematikerndieſer Klaſſe bekannt iſt, hat ein außerordentlichintereſſantes Reſultat gefunden. Der eine der bei-den Winkel des Hrn. Svanberg giebt 243,8, derandere 243 Meter Höhe für 1 Centeſimalgrad(156,5 Toiſen für 1° R.) Wärmeabnahme. DieſeZahlen, die nur um 0,8 Meter von einander ab-weichen, beweiſen wieder die bewundernswür-dige Gleichförmigkeit, mit der die Wärme an zweiTagen, deren Temperatur um 16° verſchiedenwar, ſich durch die Atmoſphäre verbreitet hatte.Die eine der beiden Beobachtungen des Herrn Svanberg iſt in 0° 55′, die andre in 0° 16′ſcheinbarer Höhe gemacht worden. Um ſie aufden Horizont zu reduciren, hat ſich Hr. Mathieu der höchſt wahrſcheinlichen Annahme bedient,daß von 45° Breite bis zum Pole, für gleiche undſehr kleine Höhen, die Refractionen einander pro-portional ſind. Veränderlichkeit der horizontalen Strahlen-brechung. Die Größe der horizontalen Strahlen-brechung, im Mittel für das ganze Jahr in der ge-mäßigten Zone, iſt noch unbekannt. Um ſie zubeſtimmen, müßte man eine große Anzahl genauerBeobachtungen haben, die in verſchiednen Tem-peraturen angeſtellt wären, und ſie alle auf einer-lei barometriſchen Druck und auf gleiche Tempe-ratur reduciren. Die ſchöne Reihe von Beobach-tungen, welche Herr Delambre in 230 MeterHöhe über der Meeresfläche, zu Bourges, ange- |384| ſtellt hat, beweiſt, daß, wenn das Thermometerzwiſchen 12° und 25° ſteht, die horizontale Strah-lenbrechung zwiſchen 30′ 20″ und 35′ variirt.Das Mittel war bei dieſer Temperatur 32′ 24″,und dieſes giebt für den Froſtpunkt 34′ 14″. In Mayers Tafel iſt dieſe Horizontal-Refractionum 1′ kleiner, in der Tafel des Herrn Laplace um 1′ 22″ größer. Die von Herrn Delambre beobachtete Ver-änderlichkeit der Horizontal-Refraction von4′ 40″ ſcheint eine große Veränderlichkeit in derAbnahme des Wärmeſtoffs anzuzeigen. Es ſchienmir nothwendig zu ſeyn, die abſolute Größe der-ſelben zu beſtimmen. Die Berechnung giebt fol-gendes, wobei die Strahlenbrechung auf 0° Tem-peratur reducirt iſt: Es entſpricht
eine Horizontal-Refraction für eine Wärmeabnahme von
nach der altenTheilung nach d. neuenKreiseinth. Reaum. 1° der Centeſ.Skale
von von eine Höhe von eine Höhe von
40′ 15″ 7447″ 153 Toiſ. 244 Met.
37 48 7000 139 217
35 6 6500 110 172
32 24 6500 68 106
Man verwundert ſich vielleicht, daß nach dieſerTafel zu der Horizontal-Refraction von 34′ 14″,welche die mittlere für die Beſchaffenheit der At-moſphäre im Sommer iſt, nicht dieſelbe Wärme-abnahme gehört, welche die directen Beobachtun-gen uns gegeben haben. Die Rechnung giebt nur151, ſtatt 191 Meter Höhe. Man darf indeß nicht |385| überſehen, daß man die Horizontal-Refraction mit-telſt der Sonne findet, indem ſie aufgeht oder unter-geht, und daß gerade in dieſen Zeitpunkten Luft-ſchichten, die einander die nächſten ſind, höchſtwahrſcheinlich eine ſehr verſchiedene Dichtigkeithaben. Dieſe Unregelmäßigkeit, welche die er-ſten oder die letzten Strahlen der Sonne bewirken,muß zur Folge haben, daß, beſonders zwiſchenden Wendekreiſen, die Wärmeabnahme zu der Zeitviel ſchneller iſt. Die Horizontal-Refraction derSonnenſcheibe giebt nicht die mittlere Wärmeabnah-me des Tages rein, ſondern ſo, wie ſie durch das Auf-gehn oder das Untergehn dieſes Himmelskörpersmodificirt wird. Und doch entſpricht die Varia-tion von 4′ 40″ in der Horizontal-Refraction,wie ſie Hr. Delambre im Sommer an verſchiede-nen Tagen beobachtet hat, nur eine Veränderlich-keit von 48 Meter in der Höhe, für 1 Centeſimal-Grad in der Wärmeabnahme. Dieſes Maximum iſt ein in die Augen fallender Beweis von der Be-ſtändigkeit des Geſetzes, nach welchem die Wär-me mitten am Tage abnimmt, da dann die klei-nen Urſachen der Ungleichheit das Gleichgewichtder Atmoſphäre nicht ſtören. Alle dieſe Erörterungen haben uns zu folgen-den Schlußſätzen geführt. Erſtens, daß die Erkältung der höhernLuftſchichten zwiſchen den Wendekreiſen daſſelbeGeſetz, als den Sommer über in der gemäßigtenZone befolgt, und daß ungefähr für jede 200 Me- |386| ter Höhe die Temperatur um 1 Centeſimal-Gradabnimmt. Zweitens, daß die Wärmeabnahme mit derTemperatur der unterſten Luftſchicht variirt, dochſelbſt bei der ſtrengſten Kälte nur um ein Fünftellangſamer wird, indem bei —25° die Höhe nurbis auf 244 Meter für 1° Wärmeabnahme anzu-wachſen ſcheint. Drittens, daß die mittlere Wärmeabnahmedes ganzen Jahrs eine Function der mittlern Tem-peraturen der verſchiednen Zonen iſt, und ſichfolglich von dem Aequator nach den Polen zuverlangſamt. Eine Bemerkung über die Natur der Progreſ-ſion, nach der die Wärme in den höhern Luftſchich-ten abnimmt, mag den phyſikaliſchen Theil dieſesAufſatzes beſchließen. Der Ausdruck, deſſen manſich gewöhnlich bedient, „daß zu einer Wärme-abnahme von einer beſtimmten conſtanten Größe,eine Luftſäule von der und der Höhe gehöre,” iſtnicht in aller Strenge wahr; eben ſo wenig als diegewöhnliche Ausſage, daß 1 Linie, um welche,wenn man in die Höhe ſteigt, das Queckſilber imBarometer ſinkt, ſo und ſo viel Meter Höhe an-zeigt. Die Winter-Beobachtungen ſcheinen zubeweiſen, daß die Wärme nicht mehr in arithme-tiſcher Progreſſion abnimmt, wenn die Tempera-tur der unterſten Luftſchicht bedeutend von derNormal-Temperatur von 25° abweicht, bei wel-cher der größte Theil der Meſſungen angeſtellt iſt. |387| Es mögen T und T′ die Temperaturen zweier Luft-ſchichten bezeichnen, die um eine ſenkrechteHöhe h von einander abſtehen, und f ſey ein con-ſtanter Factor, ſo laſſen ſich die Beobachtungendarſtellen, entweder durch T — T′ = hf, oder in-dem man ein conſtantes Verhältniß zwiſchen T und T′ annimmt. Iſt ſo z. B. die Temperatur vonMailand im Sommer 15°, während ſie auf demSt. Gotthard nur 5° beträgt, ſo lehrt die Erfah-rung, daß, wenn die Wärme in Mailand geringeriſt, auch dieſer Unterſchied weniger beträgt; undwahrſcheinlich würde er größer ſeyn, wenn dieWärme der mailändiſchen Ebene von 15 auf 20°ſteigen könnte. Dieſer Zuſtand der Veränderlich-keit der Wärmeabnahme, wenn die Temperaturder Ebene über oder unter der Normal-Tempera-tur iſt, wird durch eine geometriſche Progreſſionſo ziemlich ausgedrückt; auch bleibt Euler beiihr ſtehen, in ſeiner berühmten Abhandlung vomJahre 1754 über die Ablenkung des Lichts, wäh-rend des Durchgangs deſſelben durch die Atmo-ſphäre. Er findet, daß, wenn in zwei Luftſchich-ten, deren Höhe um h verſchieden iſt, in der einendas Luftthermometer auf 1 + T, in der andernauf 1 + T′ ſteht, \( \frac{1}{f}=\frac{T-T'}{h(1+T)} \) ſeyn muß. Herr Oltmanns findet aus 6 meinerBeobachtungen (indem er das Luft-Thermometerauf das Queckſilber-Thermometer unter der Vor- |388| ausſetzung reducirt, daß Luft ſich vom Froſtpunktebis zum Siedepunkte des Waſſers um 0,375 aus-dehnt) folgende Werthe des Coefficienten \( \frac{1}{f} \).
Für die Beobachtung auf 1: f =
dem Pic von Teneriffa 0,000036563,
dem Nevado de Toluca 0,000039633,
der Silla de Caraccas 0,000035506,
dem Pichincha 0,000036579,
dem Fuerte de la Cuchilla 0,000038344,
dem Chimborazo 0,000035447.
Dieſe Zahlen ſind Reſultate von Beobachtun-gen, bei denen die Temperatur der unterſten Luft-ſchicht nur wenig verſchieden war, und ſie zeigeneine ſehr große Harmonie; die Abweichungenwerden aber bedeutender, ſo wie die Temperaturder unterſten Luftſchicht bedeutend niedriger iſt.Folglich beſtätigen dieſe Betrachtungen das, wasHr. Laplace in der Mécanique céleſte angenom-men hat, daß nemlich die Abnahme des Wärme-ſtoffs enthalten iſt zwiſchen den Gränzen einerDichtigkeit, die nach geometriſcher, und einerDichtigkeit, die nach arithmetiſcher Progreſſionabnimmt. Wir müſſen indeß erſt noch eine großeMenge genauer Beobachtungen in ſehr niedrigenTemperaturen erhalten, ehe wir zur vollſtändigenKenntniß eines ſo wichtigen Geſetzes gelangenwerden. Bis dahin iſt es rathſam, die erhaltenenReſultate als abhängig von den Normal-Tempera-turen der Ebenen zu betrachten, über welchen mandie Wärmeabnahme beobachtet.
|389|

Aſtronomiſcher Theil.

Nachdem ich in dem phyſikaliſchen Theiledieſer Abhandlung alles, was auf die Ablenkungdes Lichtſtrahls Einfluß haben kann, betrachtet,und die Reſultate meiner Beobachtungen über dieBeſchaffenheit der Atmoſphäre in den tropiſchenLändern zuſammen geſtellt habe, iſt mir weiternichts übrig, als in dieſem zweiten Theile denſcheinbaren Widerſpruch aufzulöſen, den man zwi-ſchen Bouguer’s Tafel der Strahlenbrechung inder heißen Zone, und dem Geſetze findet, nachwelchem die Wärme unter dem Aequator abnimmt. Man hatte bis zur Zeit Tycho’s geglaubt,das Licht der Sterne werde in der Atmoſphäre an-ders gebrochen, als das Licht der Sonne und derPlaneten, und als die Mitglieder der franzöſiſchenAkademie der Wiſſenſchaften ihre Reiſe nach Peruantraten, hielt man es für ausgemacht, daß dieStrahlenbrechung zunehme, wenn man ſich überder Meeresfläche immer mehr erhebt. Dieſesveranlaßte Bouguer, während ſeiner Reiſe nachdem Aequator Unterſuchungen über die Strahlen-brechung in dreierlei Hinſicht anzuſtellen: nem-lich 1) über den Einfluß der Höhe auf die Ablen-kung der Lichtſtrahlen; 2) über die Verſchieden-heit der Strahlenbrechung in der heißen und inder gemäßigten Zone; und 3) über die Verſchieden-heit der mittlern Refractionen am Tage und wäh-rend der Nacht. Hier intereſſiren uns zunächſtnur die beiden letzten Fragen. |390| Bouguer hat am Ufer des Meers auf derInſel St. Domingo (zu la Caye de St. Louis und zu Petit-Gonave), und an den Ufern der Südſee beider Mündung des Xama- und des Smaragd-Fluſ-ſes Beobachtungen in ſcheinbaren Höhen unter12° angeſtellt, deren Detail indeß nicht zu unsgekommen iſt. Auch ſcheinen es ihrer nur ſehrwenige geweſen zu ſeyn, und er hielt ſie nur fürgenau bis auf 15 bis 20 Sexageſimal-Sekunden.Einige dieſer Beobachtungen gaben dieſelben Re-fractionen als in Frankreich, ſie nahm aber Bou-guer für bloße Anomalieen. Die Hauptarbeitmachte er in Quito in 2907 Meter Höhe; und hiermußten die Reſultate auf die Meeresfläche reducirtwerden, wenn ſie die eigenthümliche Strahlen-brechung der heißen Zone geben ſollten. Die-ſes that er mittelſt der Hypotheſe, daß die zwei-ten Potenzen des Brechungsvermögens den Ent-fernungen vom Mittelpunkte der Erde verkehrtproportional ſind; und dabei erlaubte er ſich, dieReſultate ſeiner Beobachtungen zu vermindern,um, wie er ſagt, ein Geſetz in ſie zu bringen, undſie in beſſere Uebereinſtimmung zu ſetzen. Vonſeinen beiden Tafeln der Strahlenbrechung, dieman in den Mémoires de l’Acad. de Paris findet,hielt er die vom Jahre 1749 für die genauere. Erhat ihr in einer Spalte die Unterſchiede für jede1000 Meter, welche der Beobachter niedrigerſteht, beigefügt, die nach ihm aber erſt für Höhen, |391| die 1500 Meter unter Quito liegen, zuverläſſigſind. Daß die mittleren Temperaturen bis aufdieſe Höhe hinauf verſchieden ſind, und daß mandieſen thermometriſchen Einfluß nicht vernachläſ-ſigen darf, hat er überſehen. Doch liegt die we-nige Uebereinſtimmung ſeiner Tafel für Quito mitder für die Meeresküſte nicht bloß an der Ver-ſchiedenheit der mittlern Temperatur an beidenOrten. Reducirt man die Refractionen, welcheer für Quito giebt, auf das Ufer des Meers, ſo fin-den ſie ſich unterhalb 8° ſcheinbarer Höhe um 1Sexageſimal-Minute zu groß; der Temperatur-Unterſchied zwiſchen Quito und dem Meeresuferwürde ſie nur um 10″ bis 18″ verringern; auchdieſes muß alſo auf die Vermuthung führen, daß Bouguer’s Refractionen im Niveau des Meerszu klein ſind. In der That ſcheint ſeine Tafel fürQuito der tropiſchen Atmoſphäre beſſer zu ent-ſprechen. Einige Beobachtungen, von β im Cen-tauer, die ich in der Stadt Mexiko gemacht habe,wo dieſer Stern in einer ſcheinbaren Höhe von10° 12′ culminirt, geben wenigſtens eine kleinereVerſchiedenheit von dieſer Tafel, als ich finde,wenn ich meine Beobachtungen an den Küſten mitdenen Bouguer’s vergleiche. Dieſe Arbeiten Bouguer’s ſind von Herrn Le Gentil auf ſeiner oſtindiſchen Reiſe wiederaufgenommen worden. Eine große Menge vonBeobachtungen, welche er 1769 zu Pondichery |392| über die Strahlenbrechung angeſtellt hat, ſcheinenbis auf 10″ oder 12″ genau zu ſeyn. Er beobach-tete die Strahlenbrechung vom Horizonte ab bisauf 14° ſcheinbarer Höhe, von halbem zu halbemGrade. Seine Refractionstafel für die Küſte Coro-mandel iſt nach 12 Beobachtungen in 10° und 6Beobachtungen in 6° Höhe berechnet. Ungeach-tet die Hitze in Pondichery weit größer iſt, als ander Küſte von Quito, ſo fand doch Hr. Le Gentil die Strahlenbrechung dort weit größer, als ſie Bouguer für die heiße Zone beſtimmt, und we-nig verſchieden von der Tafel Bradley’s. Bei88°, bei 87° und bei 82° Zenith-Abſtand weichen Le Gentil und Bouguer von einander ab um166″, 103″, 32″ nach der Sexageſimaltheilung. Bei dieſer Lage der Sachen durfte ein geübterBeobachter ſich ſchmeicheln, dieſe Frage, welchefür die phyſikaliſche Theorie der Horizontal-Re-fraction von größerer Wichtigkeit als für diepraktiſche Aſtronomie iſt, auch mit Inſtrumentenvon einem kleinen Durchmeſſer zu entſcheiden.Ich habe mich während fünf Jahre emſig mit aſtro-nomiſchen Beobachtungen in den tropiſchen Län-dern der neuen Welt beſchäftigt; damahls dachteich indeß nichts weniger, als daß der Irrthum auf Bouguer’s Seite ſey, und ich war zu unbekanntmit der Theorie der Horizontal-Refraction undmit der Wärmeabnahme im nördlichen Europa, |393| um gewahr zu werden, daß meine Beobachtungenmit einer ſo kleinen Strahlenbrechung in derheißen Zone im Widerſpruch ſtanden. Mehr umdie Reſultate Bouguer’s zu beſtätigen, als um ſiezu beſtreiten, ſtellte ich einige Beobachtungen überdie Strahlenbrechung an, bei denen ich jedesmahlden Stand des Barometers, des Thermometers unddes Hygrometers, manchmahl ſelbſt den Stand desCyanometers, ſorgfältig bemerkt habe. Von derwahren Zeit war ich bis auf 1″ gewiß, mittelſt vie-ler correſpondirender Höhen oder mittelſt ein-facher Stundenwinkel, die ich an Orten nahm,deren Breite ich genau beſtimmt hatte. Da ichkeine vorgefaßte Meinung hatte, ſo darf ich mirſchmeicheln, daß meine Reſultate einiges Zutrauenfinden werden. Als ich nach meiner Rückkunft nach Europafand, daß die Strahlenbrechung der heißen Zonenoch zweifelhaft war, ſo erſuchte ich Hrn. Olt-manns, von dem ich der Klaſſe ſchon mehrereArbeiten vorgelegt habe, unter meinen aſtronomi-ſchen Beobachtungen die auszuſuchen, welche dazubeitragen könnten, die Frage zu entſcheiden. Erhat zu meinen Beobachtungen andre hinzugefügt,welche Borda und Pingré zu Fort-Royal, und Maskelyne zu Barbados angeſtellt, aber nichtberechnet haben. Alle dieſe Beobachtungen ge-ben eine ſehr viel größere Strahlenbrechung, alsdie Tafel Bouguer’s; die Unterſchiede von die- |394| ſer betragen 50″ bis 110″, und ſind wenigſtens6- bis 8mahl größer, als das Maximum der Beob-achtungsfehler, die man annehmen kann. DieWinkel ſind aus meinem aſtronomiſchen Tage-buche genommen, wie der Zufall ſie gegeben hat,und ſcheinen bis auf 6 oder 7″ Sekunden zuver-läſſig zu ſeyn: Ich habe ſie in beiden Hemiſphä-ren angeſtellt, während ich mich zu Cumana, zuCaraccas, im Dreyeinigkeits-Hafen auf Cuba, undzu Acapulco am Ufer der Südſee aufhielt, undzwar theils an der Sonne, theils an den ſchönenſüdlichen Sternen, α im ſüdlichen Kreuze und β imCentauer. Die Beobachtungen Pingré’s und Maskelyne’s ſind ohne Zweifel noch genauerals die meinigen; ſie ſtimmen mit ihnen überein,und beweiſen, daß über 88°, und beſonders über85° Zenith-Abſtand hinauf, die Strahlenbrechungſehr viel regelmäßiger iſt, als es die Aſtronomengewöhnlich glauben. Die folgende Tafel enthältmeine von Hrn. Oltmanns berechneten Beobach-tungen; die zu Caraccas angeſtellten hat er nacheiner ihm eigenen Methode berechnet, welche diegenaue Kenntniß der Länge des Orts vorausſetzt.Ich hatte zu Caraccas einige Abſtände des Mondsvon der Sonne gemeſſen, und da die letztere ſehrniedrig ſtand, ſo gewährt die Methode des Herrn Oltmann’s den Vortheil, daß ein kleiner Irrthumin der Zeit auf die Genauigkeit des Reſultats we-nig Einfluß hat. |395|
Ort und Zeit derBeobachtung. ScheinbareHöhe. BeobachteteRefraction. Unterſch.von der Tafel Bouguer’s.
Cumana Oct. 1799 5° 36′ 8′ 18″, 3 + 0′ 36″,6
6 22 6 40,8 0 0,2
6 39 7 32,7 1 8,7
7 54 5 46,6 0 24,0
Sept. 1800 1 49 46″ 17 56,4 1 20,4
1 24 51 19 53,5 1 26,5
Caraccas 460 t üb. dem Meere 7 2 6 53 1 4
6 12 7 40 1 11
Trinidad auf Cuba 8 53 6 28 2 0
Acapulco, 1803 11 13 5 42 1 53
13 48 4 46,4 1 43,4
Fort-Royal auf Martinique( Borda und Pingré ) 27 44 2 4,6 0 39,6
23 10 3 42,5 1 57,5
Barbados ( Maskelyne ) 0 3 27 49,3 0 49,3
Nachdem ich mich mit dieſen Unterſuchungenbeſchäftigt hatte, ſagte mir Herr Delambre, erhabe bei Gelegenheit der Tafel der Strahlenbre-chung, die auf ſeinen Beobachtungen zu Bourguesberuht, alle Beobachtungen Le Gentils noch ein-mahl ſorgfältig berechnet, und ſie nicht nur hin-länglich genau, ſondern auch der Theorie Brad-ley’s bis auf einige Sekunden *) entſprechend ge-funden, indeß die von Duvaucel nach Le Gen-tils Beobachtungen zu Pondichery berechnete Ta-fel, durch einen conſtanten Irrthum entſtellt iſt. Bei der Zuſammenſtimmung der hier darge-ſtellten Reſultate, ſcheint es außer Zweifel zu
*) So leſe ich ſtatt minutes, wie im Texte ſteht. Gilb.
|396| ſeyn, daß während des Sommers das Geſetz derWärmeabnahme und die Horizontal-Refraction inder gemäßigten Zone dieſelben als in der heißenZone ſind. Da aber die Wärme in den höhernLuftſchichten in der Nacht langſamer als am Tage,und des Winters langſamer als im Sommer ab-nimmt, ſo bleibt noch eine intereſſante Arbeit zuunternehmen übrig: nemlich die Beobachtung derStrahlenbrechung von einerlei Stern in 84° oder82° Zenith-Abſtand, während der größten Som-merhitze und während der größten Winterkälte,und eine genaue Vergleichung der Strahlenbre-chung während der Nacht, mit der während Tagsan der aufgehenden oder an der untergehendenSonne. Bouguer führt zwar in ſeiner zweitenAbhandlung an, er habe die Strahlenbrechungüber 7 bis 8° ſcheinbarer Höhe hinaus des Nachtsum \( \frac{1}{6} \) oder \( \frac{1}{7} \) ſtärker als am Tage gefunden, dieſeAusſage verdient aber wenig Zutrauen, da derBeobachter keine Correctionen wegen des Ther-mometerſtandes angebracht hat. Es iſt indeßſehr wahrſcheinlich, daß die faſt horizontalen Re-fractionen, wenn man ſie auf einerlei Stand desBarometers und des Thermometers reducirt, imWinter und die Nacht über etwas größer als imSommer und am Tage erſcheinen werden. Daich zwei Vervielfältigungs-Kreiſe beſitze (deneinen von 5 Decimeter, von Troughton vor-trefflich gearbeitet), ſo hatten wir uns, Herr Oltmanns und ich, zu Beobachtungen dieſer |397| Art angeſchickt, als andre Beſchäftigungen unsdavon abriefen. Wir geben ſie indeß nicht auf,ſondern verſchieben ſie nur bis zu einem günſti-gern Zeitpunkte. Ich ſchmeichle mir, mit voll-kommneren Inſtrumenten einſt in die heiße Zonezurück zu kehren, und dann hoffe ich dortdie kleinen Modificationen in der Ablenkung,welche der Lichtſtrahl bei ſeinem Durchgangdurch die atmoſphäriſche Luft erleidet, vollſtän-diger zu ſtudiren.