Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen, von Alex. v. Humboldt. Erster Band. 16. Tübingen, in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. Der berühmte Verfasser dieser Ansichten drückt sich in der Vorrede zu denselben mit einer Bescheidenheit aus, die um so größer erscheint, je gelungener diese ästhetische Behandlung naturhistorischer Gegenstände ist. Jeder Leser, der einen empfänglichen Sinn für die Schönheiten und Größe der Natur hat, wird diese Reihe von Arbeiten mit dem innigsten Vergnügen lesen und wiederlesen. Ueberall ist auf den ewigen Einfluß hingewiesen, welchen die physische Natur auf die moralische Stimmung der Menschheit und auf ihre Schicksale ausübt. "Bedrängten Gemüthern sind, nach der Erklärung des Verfassers, diese Blätter vorzugsweise gewidmet. Wer sich herausgerettet aus der stürmischen Lebenswelle, folgt mir gern in das Dickicht der Wälder, durch die unabsehbaren Steppen und auf den hohen Rücken der Andeskette. Zu ihm spricht der weltrichtende Chor: "Auf den Bergen ist Freyheit! Der Hauch der Grüfte Steigt nicht hinauf in die reinen Lüfte. Die Welt ist vollkommen überall, Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual." Wer wollte nicht gern zu seinen Lesern gehören! Als Probe theilen wir hier den Schluß des Aufsatzes mit: Ueber die Wasserfälle des Orinoco bey Atures und Maypures. Von dem hohen Gebirgsstock Cunavami aus, zwischen den Quellen der Flüsse Sipapo und Ventuari, schiebt sich ein Granitrücken weit gegen Westen, nach dem Gebirge Uniama, vor. Von diesem Rücken fliessen 4 Bäche herab, welche die Katarakte von Maypures gleichsam begränzen, an dem östlichen Ufer des Orinoco der Sipapo und Sanariapo, an dem westlichen Ufer der Cameji und der Toparo. Wo das Dorf Maypures liegt, bilden die Berge einen weiten, gegen Südwesten geöffneten Busen. Der Strom fließt jetzt schäumend an dem östlichen Berg- Gehänge hin. Aber fern in Westen erkennt man das alte verlassene Ufer. Eine weite Grasflur dehnt sich zwischen beyden Hügelketten aus. In dieser haben die Jesuiten eine kleine Kirche von Palmenstämmen gebaut. Die Ebene ist kaum 30 Fuß über dem obern Wasserspiegel des Flusses erhaben. Der geognostische Anblick dieser Gegend, die Inselform der Felsen Keri und Oco, die Höhlungen, welche die Fluth in dem erstern dieser Hügel ausgewaschen, und welche mit den Löchern in der gegenüberliegenden Insel Uivitari genau in gleicher Höhe liegen -- alle diese Erscheinungen beweisen, daß der Orinoco einst diese ganze, jetzt trockene Bucht ausfüllte. Wahrscheinlich bildeten die Wasser einen weiten See, so lange der nördliche Damm Widerstand leistete. Als der Durchbruch erfolgte, trat zuerst die Grasflur, welche die Guareken-Indianer bewohnen, als Insel hervor. Vielleicht umgab der Fluß noch lange die Felsen Keri und Oco, die, wie Bergschlösser aus dem alten Strombette hervorragend, einen mahlerischen Anblick gewähren. Bey der allmähligen Wasserverminderung zogen die Wasser sich ganz an die östliche Bergkette zurück. Diese Vermuthung wird durch mehrere Umstände bestätigt. Der Orinoco hat nämlich, wie der Nil bey Philä und Syene, die merkwürdige Eigenschaft, die röthlich-weissen Granit- Massen, die er Jahrtausende lang benetzt, schwarz zu färben. So weit die Wasser reichen, bemerkt man am Felsufer einen bleyfarbenen, kohlenstoffhaltigen Ueberzug, der kaum eine Zehntellinie tief in das Innere des Gesteins eindringt. Diese Schwärzung und die Höhlungen, deren wir oben erwähnten, bezeichnen den alten Wasserstand des Orinoco. Im Felsen Keri, in den Inseln der Katarakten, in der Hügelkette Cumadaminari, die oberhalb der Insel Tomo fortläuft, an der Mündung des Jao endlich, sieht man jene schwarzen Höhlungen 150 bis 180 Fuß über dem heutigen Wasserspiegel erhaben. Ihre Existenz lehrt (was übrigens auch in Europa in allen Flußbetten zu bemerken ist), daß die Ströme, deren Größe noch jetzt unsre Bewunderung erregt, nur schwache Ueberreste von der ungeheuren Wasser- Menge der Vorzeit sind. Selbst den rohen Eingebornen der Guayana sind diese einfachen Bemerkungen nicht entgangen. Ueberall machten uns die Indianer auf die Spuren des alten Wasserstandes aufmerksam. Ja in einer Grasflur bey Uruana liegt ein isolirter Granitfels, in welchen (laut der Erzählung glaubwürdiger Männer) in 80 Fuß Höhe Bilder der Sonne, des Mondes und mannichfaltiger Thiere, besonders Bilder von Krokodilen und Boaschlangen, fast reihenweise eingegraben sind. Ohne Gerüste kann gegenwärtig niemand an jener senkrechten Wand hinaufsteigen, welche die aufmerksamste Untersuchung künftiger Reisenden verdient. In eben dieser wunderbaren Lage befinden sich die hieroglyphischen Steinzüge in den Gebirgen von Uruana und Encaramada. Fragt man die Eingebohrnen, wie jene Züge eingegraben werden konnten, so antworten sie: es sey zur Zeit der hohen Wasser geschehen, weil ihre Väter damals in dieser Höhe schifften. Ein solcher Wasserstand war also neuer, als die rohen Denkmähler menschlichen Kunstfleisses. Er deutet auf einen Zustand der Erde, welcher mit demjenigen nicht verwechselt werden muß, in dem der erste Pflanzenschmuck unseres Planeten, in dem die riesenmäßigen Körper ausgestorbener Landthiere, und die pelagischen Geschöpfe einer chaotischen Vorwelt, in der erhärtenden Erdrinde ihr Grab fanden. Der nördlichste Ausgang der Katarakten ist durch die natürlichen Bilder der Sonne und des Mondes bekannt. Der Felsen Keri, dessen ich mehrmals erwähnt, hat nämlich seine Benennung von einem fernleuchtenden weissen Flecken, in welchem die Indianer eine auffallende Aehnlichkeit mit der vollen Mondsscheibe zu erkennen glauben. Ich habe selbst nicht diese steile Felswand erklimmen können, aber wahrscheinlich ist der weisse Flecken ein mächtiger Quarzknoten, den zusammenscharrende Gänge in dem graulichschwarzen Granite bilden. Dem Keri gegenüber, auf dem basaltähnlichen Zwillingsberge der Insel Ouivitari, zeigen die Indianer mit geheimnißvoller Bewunderung eine ähnliche Scheibe, die sie als das Bild der Sonne, Camosi, verehren. Vielleicht hat die geographische Lage beyder Felsen mit zu dieser Benennung beygetragen, denn in der That fand ich Keri gegen Abend, und Camosi gegen Morgen gerichtet. Sprachforscher werden in dem amerikanischen Worte Camosi die Aehnlichkeit mit Camosh, dem Sonnennamen in einem der phönizischen Dialekte, erkennen. Die Katarakten von Maypures bestehen nicht, wie der 140 Fuß hohe Fall des Niagara, in dem einmaligen Herabstürzen einer großen Wassermasse. Sie sind auch nicht Fluß- Engen, Pässe, durch welche sich der Strom mit beschleunigter Geschwindigkeit durchdrängt, wie der Pongo von Manseriche im Amazonenfluße. Sie erscheinen als eine zahllose Menge kleiner Kaskaden, die wie Staffeln auf einander folgen. Der Raudal, so nennen die Spanier diese Art von Katarakten, wird durch einen Archipelagus von Inseln und Klippen gebildet, welche das 8000 Fuß weite Flußbette dermaßen verengen, daß oft kaum ein 20 Fuß breites freyes Fahrwasser übrig bleibt. Die östliche Seite ist gegenwärtig weit unzugänglicher und gefahrvoller, als die westliche. An dem Ausfluß des Cameji ladet man die Güter aus, um das leere Kanoe, oder, wie man hier sagt, die Piragua, durch die des Raudals kundigen Indianer bis zur Mündung des Toparo zu führen, wo man die Gefahr für überwunden hält. Sind die einzelnen Klippen oder Staffeln (jede derselben wird mit einem eigenen Namen bezeichnet) nicht über 2 bis 3 Fuß hoch, so wagen es die Eingebornen, sich mit dem Kanoe herabzulassen. Geht aber die Fahrt stromaufwärts, so schwimmen sie voran, schlingen nach vieler vergeblicher Anstrengung ein Seil um die Felsspitzen, welche aus dem Strudel hervorragen, und ziehen, mittelst dieses Seils, das Fahrzeug aufwärts. Bey dieser mühevollen Arbeit wird das letztere oft gänzlich mit Wasser gefüllt oder umgestürzt. Bisweilen, und diesen Fall allein besorgen die Eingebornen, zerschellt das Kanoe auf der Klippe. Mit blutigem Körper suchen sich dann die Lootsen dem Strudel zu entwinden, und schwimmend das Ufer zu erreichen. Wo die Staffeln sehr hoch sind, wo der Felsdamm das ganze Bette durchsetzt, wird der leichte Kahn aus Land gebracht, und am nahen Ufer auf untergelegten Baumzweigen, wie auf Walzen, eine Strecke fortgezogen. Die berufensten und schwierigsten Staffeln sind Purimarimi und Manimi. Sie haben 9 Fuß Höhe. Mit Erstaunen habe ich durch Barometermessungen gefunden (ein geodetisches Nivellement ist wegen der Unzugänglichkeit des Lokals, und bey der verpesteten mit zahllosen Mosquitos gefüllten Luft, nicht auszuführen), daß das ganze Gefälle des Raudals, von der Mündung des Cameji bis zu der des Toparo, kaum 28 bis 30 Fuß beträgt. Ich sage: mit Erstaunen; denn man erkennt daraus, daß das fürchterliche Getöse und das wilde Aufschäumen des Flußes Folge der Verengung des Bettes durch zahllose Klippen und Inseln, Folge des Gegenstromes ist, den die Form und Lage der Felsmassen erregt. Von der Wahrheit dieser Behauptung, von der geringen Höhe des ganzen Gefälles, überzeugt man sich am besten, wenn man aus dem Dorfe Maypures über den Felsen Manimi zum Flußbette herabsteigt. Hier ist der Punkt, wo man eines wundervollen Anblicks genießt. Eine meilenlange schäumende Fläche bietet sich auf einmal dem Auge dar. Eisenschwarze Felsmassen ragen burgartig aus derselben hervor. Jede Insel, jeder Stein ist mit üppiganstrebenden Waldbäumen geschmückt. Dichter Nebel schwebt ewig über dem Wasserspiegel. Durch die dampfende Schaumwolke dringt der Gipfel der hohen Palmen. Wenn sich im feuchten Dufte der Strahl der glühenden Abendsonne bricht, so beginnt ein optischer Zauber. Farbige Bögen verschwinden und kehren wieder. Ein Spiel der Lüfte, schwankt das ätherische Bild. Umher auf den nackten Felsen, haben die rieselnden Wasser in der langen Regenzeit Inseln von Dammerde zusammengehäuft. Mit Droseren, mit silberblättrigen Mimosen und mannichfaltigen Kräutern geschmückt, bilden sie Blumenbeete mitten auf dem öden Gestein. Sie rufen bey dem Europäer das Andenken an jene Pflanzengruppen zurück, welche die Alpenbewohner Courtils nennen; Granitblöcke mit Blüthen bedeckt, die einsam aus den Savoyischen Gletschern hervorragen. In blauer Ferne ruht das Auge auf der Gebirgskette Cunavami, einem langgedehnten Bergrücken, der prallig in einem abgestumpften Kegel sich endigt. Den letztern (Calitamini ist sein indischer Name) sahen wir bey untergehender Sonne wie in röthlichem Feuer glühen. Diese Erscheinung kehrt täglich wieder. Niemand ist je in der Nähe dieser Berge gewesen. Vielleicht rührt der Glanz von einer spiegelnden Ablösung des Talk- oder Glimmerschiefers her. (Der Beschluß folgt.) Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen, von A. v. Humboldt. (Beschluß.) Während der 5 Tage, welche wir in der Nähe der Katarakten zubrachten, war es uns auffallend, wie man das Getöse des tobenden Stroms dreymal stärker bey Nacht als bey Tage vernimmt. Bey allen europäischen Wasserfällen bemerkt man die nämliche Erscheinung. Was kann die Ursache derselben in einer Einöde seyn, wo nichts die Ruhe der Natur unterbricht? Wahrscheinlich der Strom aufsteigender warmer Luft, welcher der Fortpflanzung des Schalles hinderlich ist, und welcher nach der nächtlichen Erkältung der Erdrinde aufhört. Die Indianer zeigten uns Spuren von Wagengeleisen. Sie reden mit Bewunderung von den gehörnten Thieren, Ochsen, die zur Zeit, als hier die Jesuiten ihr Bekehrungs- Geschäft trieben, die Kanoes auf Wagen auf dem linken Orinoco-Ufer von der Mündung des Cameji zu der des Toparo zogen. Die Fahrzeuge blieben damals beladen, und wurden nicht wie jetzt durch das beständige Stranden und Hinschieben auf den rauhen Klippen abgenutzt. Der Situationsplan, welchen ich von der umliegenden Gegend entworfen habe, zeigt, daß selbst ein Kanal von Cameji zum Toparo eröffnet werden kann. Das Thal, in welchem jene wasserreichen Bäche fliessen, ist sanftverflächt. Der Kanal, dessen Ausführung ich dem Generalgouverneur von Venezuela im Sommer 1800 vorgeschlagen, würde, als ein schiffbarer Seitenarm des Flusses, das alte gefahrvolle Strombette entbehrlich machen. Der Raudal von Atures ist ganz dem von Maypures ähnlich; wie dieser eine Inselwelt, zwischen welcher der Strom sich in einer Länge von 3--4000 Toisen durchdrängt; ein Palmengebüsch, mitten aus dem schäumenden Wasser- Spiegel hervortretend. Die berufensten Staffeln der Katarakte liegen zwischen den Inseln Avaguri und Javariveni, zwischen Suripamana und Uirapuri. Als wir, Hr. Bonpland und ich, von den Ufern des Rio Negro zurückkehrten, wagten wir es, die letzte oder untere Hälfte des Raudals von Atures mit dem beladenen Kanoe zu passiren. Wir stiegen mehrmals auf den Klippen aus, die, als Dämme, Insel mit Insel verbinden. Bald stürzen die Wasser über diese Dämme weg, bald fallen sie mit dumpfem Getöse in das Innere derselben. Daher sind oft ganze Strecken des Flußbettes trocken, weil der Strom sich durch unterirdische Kanäle einen Weg bahnt. Hier nisten die goldgelben Klippenhühner (Pipra rupicola), einer der schönsten Vögel der Tropenwelt, mit doppelter beweglicher Federkrone, streitbar wie der ostindische Haushahn. Im Raudal von Canucari bilden aufgethürmte Granit- Kugeln den Felsdamm. Wir krochen dort in das Innere einer Höhle, deren feuchte Wände mit Conserven und leuchtendem Bissus bedeckt waren. Mit fürchterlichem Getöse rauschte der Fluß hoch über uns weg. Wir fanden zufällig Gelegenheit, diese große Naturscene länger, als wir wünschten, zu geniessen. Die Indianer hatten uns nämlich mitten in der Katarakte verlassen. Das Kanoe sollte eine schmale Insel umschiffen, um uns, nach einem langen Umwege, an der untern Spitze derselben wiederum aufzunehmen. Anderthalb Stunden lang harrten wir, bey fürchterlichem Gewitterregen. Die Nacht brach ein; wir suchten vergebens Schutz zwischen den klüftigen Granitmassen. Die kleinen Affen, welche wir Monate lang in geflochtenen Käfigen mit uns führten, lockten durch ihr klagendes Geschrey Krokodile herbey, deren Größe und bleygraue Farbe ein hohes Alter andeuteten. Ich würde dieser im Orinoco so gewöhnlichen Erscheinung nicht erwähnen, hätten uns nicht die Indianer versichert, kein Krokodil sey je in den Katarakten gesehen worden. Ja im Vertrauen auf ihre Behauptung hatten wir es mehrmals gewagt, uns in diesem Theile des Flusses zu baden. Indessen nahm die Besorgniß, daß wir durchnäßt, und von dem Donner des Wassersturzes betäubt, die lange Tropennacht mitten im Raudal durchwachen müßten, mit jedem Augenblicke zu, bis die Indianer mit unserm Kanoe erschienen. Sie hatten die Staffel, auf der sie sich herablassen wollten, bey allzuniedrigem Wasserstande unzugänglich gefunden. Die Lootsen waren genöthigt gewesen, in dem Labyrinth von Kanälen ein zugänglicheres Fahrwasser zu suchen. Am südlichen Eingange des Raudals von Atures, am rechten Ufer des Flusses, liegt die unter den Indianern weit berufene Höhle von Ataruipe. Die Gegend umher hat einen großen und ernsten Natur-Charakter, der sie gleichsam zu einem Nationalbegräbnisse eignet. Man erklimmt mühsam, selbst nicht ohne Gefahr herabzurollen, eine steile, völlig nackte Granitwand. Es würde kaum möglich seyn, auf der glatten Fläche festen Fuß zu fassen, träten nicht große Feldspathkristalle, der Verwitterung trotzend, zolllang aus dem Gesteine hervor. Kaum ist die Kuppe erreicht, so wird man durch eine weite Aussicht über die umliegende Gegend überrascht. Aus dem schäumenden Flußbette erheben sich mit Wald geschmückte Hügel. Jenseits des Stromes, über das westliche Ufer hinweg, ruht der Blick auf der unermeßlichen Grasflur des Meta. Am Horizont erscheint, wie drohend aufziehendes Gewölk, das Gebirge Uniama. So die Ferne; aber nahe umher ist alles öde und eng. Im tief gefurchten Thale schweben einsam der Geyer und die krächzenden Caprimulge. An der nackten Felswand schleicht ihr schwindender Schatten hin. Dieser Kessel ist von Bergen begränzt, deren abgerundete Gipfel ungeheure Granitkugeln tragen. Der Durchmesser dieser Kugeln beträgt 40 bis 50 Fuß. Sie scheinen die Unterlage nur in einem einzigen Punkte zu berühren, eben als müßten sie, bey dem schwächsten Erdstoße, herabrollen. Der hintere Theil des Felsthals ist mit dichtem Laubholze bedeckt. An diesem schattigen Orte öffnet sich die Höhle von Ataruipe; eigentlich nicht Höhle, sondern ein Gewölbe, eine weit überhängende Klippe, eine Bucht, welche die Wasser, als sie einst diese Höhe erreichten, ausgewaschen haben. Die Höhle selbst ist die Gruft eines vertilgten Völkerstammes. Wir zählten ungefähr 600 wohlerhaltene Skelette, in eben so vielen Körben, welche von den Stielen des Palmenlaubes geflochten sind. Diese Körbe, die die Indianer Mapires nennen, bilden eine Art viereckiger Säcke, die nach dem Alter des Verstorbenen von verschiedener Größe sind. Selbst neugeborne Kinder haben ihre eigenen Mapire. Ihre Skelette sind so vollständig, daß keine Rippe, keine Phalange fehlt. Die Knochen sind auf dreyerlei Weise zubereitet; theils gebleicht, theils mit Onoto, dem Pigment der Bixa orellana, rothgefärbt, theils mumienartig zwischen wohlriechendem Harze in Pisangblätter eingeknetet. Die Indianer versichern, man grabe den frischen Leichnam auf einige Monate in feuchte Erde, welche das Muskelfleisch allmählig verzehre; dann scharre man ihn aus, und schabe mit scharfen Steinen den Rest des Fleisches von den Knochen ab. Dies sey noch der Gebrauch mancher Horden der Guayana. Neben den Mapires oder Körben findet man auch Urnen von halbgebranntem Thone, welche die Knochen von ganzen Familien zu enthalten scheinen. Die größern dieser Urnen sind 3 Fuß hoch und 5 1integral2 Fuß lang, von angenehmer ovaler Form, grünlich, mit Henkeln in Gestalt von Krokodilen und Schlangen, an dem obern Rande mit Meandern und Labyrinthen geschmückt. Diese Verzierungen sind ganz denen ähnlich, welche die Wände des mexikanischen Pallastes bey Mitla bedecken. Man findet sie unter allen Zonen, auf den verschiedensten Stufen menschlicher Kultur; unter Griechen und Römern, am sogenannten Tempel des Deus rediculus bey Rom, wie auf den Schildern der Otaheiter; überall, wo rhythmische Wiederholung regelmäßiger Formen dem Auge schmeichelte. Die Ursachen dieser Aehnlichkeiten beruhen, wie ich an einem andern Orte entwickelt habe, mehr auf psychischen Gründen, auf der innern Natur unserer Geistesanlagen, als sie Gleichheit der Abstammung und altes Verkehr der Völker beweisen. Unsere Dolmetscher konnten keine sichere Auskunft über das Alter dieser Gefäße geben. Die mehrsten Skelette schienen indeß nicht über 100 Jahr alt zu seyn. Es geht die Sage unter den Guareken-Indianern, die tapferen Aturer haben sich, von menschenfressenden Kariben bedrängt, auf die Klippen der Katarakten gerettet; ein trauriger Wohnsitz, in welchem der bedrängte Völkerstamm und mit ihm seine Sprache unterging. In dem unzugänglichsten Theile des Randals befinden sich ähnliche Grüfte; ja es ist wahrscheinlich, daß die letzte Familie der Aturer erst spät ausgestorben sey. Denn in Maypures (ein sonderbares Faktum) lebt noch ein alter Papagei, von dem die Eingebornen behaupten, daß man ihn darum nicht verstehe, weil er die Sprache der Aturer rede. Wir verließen die Höhle bey einbrechender Nacht, nachdem wir mehrere Schädel und das vollständige Skelett eines bejahrten Mannes, zum größten Aergerniß unserer indianischen Führer, gesammelt hatten. Einer dieser Schädel ist von Herrn Blumenbach in seinem vortrefflichen kraniologischen Werke abgebildet worden. Das Skelett aber ist, wie ein großer Theil unserer Sammlungen, in einem Schiffbruch untergegangen, der an der afrikanischen Küste unserm Freunde und ehemaligen Reisegefährten, dem jungen Franziskanermönch, Juan Gonzalez , das Leben kostete. Wie im Vorgefühl dieses schmerzhaften Verlustes, in ernster Stimmung, entfernten wir uns von der Gruft eines untergegangenen Völkerstammes. Es war eine der heitern und kühlen Nächte, die unter den Wendekreisen so gewöhnlich sind. Mit farbigen Ringen umgeben, stand die Mondscheibe hoch im Zenith. Sie erleuchtete den Saum des Nebels, der in scharfen Umrissen, wolkenartig, den schäumenden Fluß bedeckte. Zahllose Insekten gossen ihr röthliches Phosphorlicht über die krautbedeckte Erde. Von lebendigem Feuer glühte der Boden, als habe die sternvolle Himmelsdecke sich auf die Grasflur niedergesenkt. Rankende Bignonien, duftende Vanille, und gelbblühende Banisterien schmücken den Eingang der Höhle. Ueber dem Grabe rauschen die Gipfel der Palmen. So sterben dahin die Geschlechter der Menschen. Es verhallt die rühmliche Kunde der Völker. Doch wenn jede Blüthe des Geistes welkt, wenn im Sturm der Zeiten die Werke schaffender Kunst zerstieben, so entsprießt ewig neues Leben aus dem Schooße der Erde. Rastlos entfaltet ihre Knospen die zeugende Natur -- unbekümmert, ob der frevelnde Mensch (ein nie versöhntes Geschlecht) die reifende Frucht zertritt.