Anſichten der Natur mit wiſſenſchaftlichen Erlaͤuterungen, von Alex. v. Humboldt. Erſter Band. 16. Tuͤbingen, in der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung. Der beruͤhmte Verfaſſer dieſer Anſichten druͤckt ſich in der Vorrede zu denſelben mit einer Beſcheidenheit aus, die um ſo groͤßer erſcheint, je gelungener dieſe aͤſthetiſche Behandlung naturhiſtoriſcher Gegenſtaͤnde iſt. Jeder Leſer, der einen empfaͤnglichen Sinn fuͤr die Schoͤnheiten und Groͤße der Natur hat, wird dieſe Reihe von Arbeiten mit dem innigſten Vergnuͤgen leſen und wiederleſen. Ueberall iſt auf den ewigen Einfluß hingewieſen, welchen die phyſiſche Natur auf die moraliſche Stimmung der Menſchheit und auf ihre Schickſale ausuͤbt. „Bedraͤngten Gemuͤthern ſind, nach der Erklaͤrung des Verfaſſers, dieſe Blaͤtter vorzugsweiſe gewidmet. Wer ſich herausgerettet aus der ſtuͤrmiſchen Lebenswelle, folgt mir gern in das Dickicht der Waͤlder, durch die unabſehbaren Steppen und auf den hohen Ruͤcken der Andeskette. Zu ihm ſpricht der weltrichtende Chor: „Auf den Bergen iſt Freyheit! Der Hauch der Gruͤfte Steigt nicht hinauf in die reinen Luͤfte. Die Welt iſt vollkommen uͤberall, Wo der Menſch nicht hinkommt mit ſeiner Qual.“ Wer wollte nicht gern zu ſeinen Leſern gehoͤren! Als Probe theilen wir hier den Schluß des Aufſatzes mit: Ueber die Waſſerfaͤlle des Orinoco bey Atures und Maypures. Von dem hohen Gebirgsſtock Cunavami aus, zwiſchen den Quellen der Fluͤſſe Sipapo und Ventuari, ſchiebt ſich ein Granitruͤcken weit gegen Weſten, nach dem Gebirge Uniama, vor. Von dieſem Ruͤcken flieſſen 4 Baͤche herab, welche die Katarakte von Maypures gleichſam begraͤnzen, an dem oͤſtlichen Ufer des Orinoco der Sipapo und Sanariapo, an dem weſtlichen Ufer der Cameji und der Toparo. Wo das Dorf Maypures liegt, bilden die Berge einen weiten, gegen Suͤdweſten geoͤffneten Buſen. Der Strom fließt jetzt ſchaͤumend an dem oͤſtlichen Berg- Gehaͤnge hin. Aber fern in Weſten erkennt man das alte verlaſſene Ufer. Eine weite Grasflur dehnt ſich zwiſchen beyden Huͤgelketten aus. In dieſer haben die Jeſuiten eine kleine Kirche von Palmenſtaͤmmen gebaut. Die Ebene iſt kaum 30 Fuß uͤber dem obern Waſſerſpiegel des Fluſſes erhaben. Der geognoſtiſche Anblick dieſer Gegend, die Inſelform der Felſen Keri und Oco, die Hoͤhlungen, welche die Fluth in dem erſtern dieſer Huͤgel ausgewaſchen, und welche mit den Loͤchern in der gegenuͤberliegenden Inſel Uivitari genau in gleicher Hoͤhe liegen — alle dieſe Erſcheinungen beweiſen, daß der Orinoco einſt dieſe ganze, jetzt trockene Bucht ausfuͤllte. Wahrſcheinlich bildeten die Waſſer einen weiten See, ſo lange der noͤrdliche Damm Widerſtand leiſtete. Als der Durchbruch erfolgte, trat zuerſt die Grasflur, welche die Guareken-Indianer bewohnen, als Inſel hervor. Vielleicht umgab der Fluß noch lange die Felſen Keri und Oco, die, wie Bergſchloͤſſer aus dem alten Strombette hervorragend, einen mahleriſchen Anblick gewaͤhren. Bey der allmaͤhligen Waſſerverminderung zogen die Waſſer ſich ganz an die oͤſtliche Bergkette zuruͤck. Dieſe Vermuthung wird durch mehrere Umſtaͤnde beſtaͤtigt. Der Orinoco hat naͤmlich, wie der Nil bey Philaͤ und Syene, die merkwuͤrdige Eigenſchaft, die roͤthlich-weiſſen Granit- Maſſen, die er Jahrtauſende lang benetzt, ſchwarz zu faͤrben. So weit die Waſſer reichen, bemerkt man am Felsufer einen bleyfarbenen, kohlenſtoffhaltigen Ueberzug, der kaum eine Zehntellinie tief in das Innere des Geſteins eindringt. Dieſe Schwaͤrzung und die Hoͤhlungen, deren wir oben erwaͤhnten, bezeichnen den alten Waſſerſtand des Orinoco. Im Felſen Keri, in den Inſeln der Katarakten, in der Huͤgelkette Cumadaminari, die oberhalb der Inſel Tomo fortlaͤuft, an der Muͤndung des Jao endlich, ſieht man jene ſchwarzen Hoͤhlungen 150 bis 180 Fuß uͤber dem heutigen Waſſerſpiegel erhaben. Ihre Exiſtenz lehrt (was uͤbrigens auch in Europa in allen Flußbetten zu bemerken iſt), daß die Stroͤme, deren Groͤße noch jetzt unſre Bewunderung erregt, nur ſchwache Ueberreſte von der ungeheuren Waſſer- Menge der Vorzeit ſind. Selbſt den rohen Eingebornen der Guayana ſind dieſe einfachen Bemerkungen nicht entgangen. Ueberall machten uns die Indianer auf die Spuren des alten Waſſerſtandes aufmerkſam. Ja in einer Grasflur bey Uruana liegt ein iſolirter Granitfels, in welchen (laut der Erzaͤhlung glaubwuͤrdiger Maͤnner) in 80 Fuß Hoͤhe Bilder der Sonne, des Mondes und mannichfaltiger Thiere, beſonders Bilder von Krokodilen und Boaſchlangen, faſt reihenweiſe eingegraben ſind. Ohne Geruͤſte kann gegenwaͤrtig niemand an jener ſenkrechten Wand hinaufſteigen, welche die aufmerkſamſte Unterſuchung kuͤnftiger Reiſenden verdient. In eben dieſer wunderbaren Lage befinden ſich die hieroglyphiſchen Steinzuͤge in den Gebirgen von Uruana und Encaramada. Fragt man die Eingebohrnen, wie jene Zuͤge eingegraben werden konnten, ſo antworten ſie: es ſey zur Zeit der hohen Waſſer geſchehen, weil ihre Vaͤter damals in dieſer Hoͤhe ſchifften. Ein ſolcher Waſſerſtand war alſo neuer, als die rohen Denkmaͤhler menſchlichen Kunſtfleiſſes. Er deutet auf einen Zuſtand der Erde, welcher mit demjenigen nicht verwechſelt werden muß, in dem der erſte Pflanzenſchmuck unſeres Planeten, in dem die rieſenmaͤßigen Koͤrper ausgeſtorbener Landthiere, und die pelagiſchen Geſchoͤpfe einer chaotiſchen Vorwelt, in der erhaͤrtenden Erdrinde ihr Grab fanden. Der noͤrdlichſte Ausgang der Katarakten iſt durch die natuͤrlichen Bilder der Sonne und des Mondes bekannt. Der Felſen Keri, deſſen ich mehrmals erwaͤhnt, hat naͤmlich ſeine Benennung von einem fernleuchtenden weiſſen Flecken, in welchem die Indianer eine auffallende Aehnlichkeit mit der vollen Mondsſcheibe zu erkennen glauben. Ich habe ſelbſt nicht dieſe ſteile Felswand erklimmen koͤnnen, aber wahrſcheinlich iſt der weiſſe Flecken ein maͤchtiger Quarzknoten, den zuſammenſcharrende Gaͤnge in dem graulichſchwarzen Granite bilden. Dem Keri gegenuͤber, auf dem baſaltaͤhnlichen Zwillingsberge der Inſel Ouivitari, zeigen die Indianer mit geheimnißvoller Bewunderung eine aͤhnliche Scheibe, die ſie als das Bild der Sonne, Camoſi, verehren. Vielleicht hat die geographiſche Lage beyder Felſen mit zu dieſer Benennung beygetragen, denn in der That fand ich Keri gegen Abend, und Camoſi gegen Morgen gerichtet. Sprachforſcher werden in dem amerikaniſchen Worte Camoſi die Aehnlichkeit mit Camosh, dem Sonnennamen in einem der phoͤniziſchen Dialekte, erkennen. Die Katarakten von Maypures beſtehen nicht, wie der 140 Fuß hohe Fall des Niagara, in dem einmaligen Herabſtuͤrzen einer großen Waſſermaſſe. Sie ſind auch nicht Fluß- Engen, Paͤſſe, durch welche ſich der Strom mit beſchleunigter Geſchwindigkeit durchdraͤngt, wie der Pongo von Manſeriche im Amazonenfluße. Sie erſcheinen als eine zahlloſe Menge kleiner Kaskaden, die wie Staffeln auf einander folgen. Der Raudal, ſo nennen die Spanier dieſe Art von Katarakten, wird durch einen Archipelagus von Inſeln und Klippen gebildet, welche das 8000 Fuß weite Flußbette dermaßen verengen, daß oft kaum ein 20 Fuß breites freyes Fahrwaſſer uͤbrig bleibt. Die oͤſtliche Seite iſt gegenwaͤrtig weit unzugaͤnglicher und gefahrvoller, als die weſtliche. An dem Ausfluß des Cameji ladet man die Guͤter aus, um das leere Kanoe, oder, wie man hier ſagt, die Piragua, durch die des Raudals kundigen Indianer bis zur Muͤndung des Toparo zu fuͤhren, wo man die Gefahr fuͤr uͤberwunden haͤlt. Sind die einzelnen Klippen oder Staffeln (jede derſelben wird mit einem eigenen Namen bezeichnet) nicht uͤber 2 bis 3 Fuß hoch, ſo wagen es die Eingebornen, ſich mit dem Kanoe herabzulaſſen. Geht aber die Fahrt ſtromaufwaͤrts, ſo ſchwimmen ſie voran, ſchlingen nach vieler vergeblicher Anſtrengung ein Seil um die Felsſpitzen, welche aus dem Strudel hervorragen, und ziehen, mittelſt dieſes Seils, das Fahrzeug aufwaͤrts. Bey dieſer muͤhevollen Arbeit wird das letztere oft gaͤnzlich mit Waſſer gefuͤllt oder umgeſtuͤrzt. Bisweilen, und dieſen Fall allein beſorgen die Eingebornen, zerſchellt das Kanoe auf der Klippe. Mit blutigem Koͤrper ſuchen ſich dann die Lootſen dem Strudel zu entwinden, und ſchwimmend das Ufer zu erreichen. Wo die Staffeln ſehr hoch ſind, wo der Felsdamm das ganze Bette durchſetzt, wird der leichte Kahn aus Land gebracht, und am nahen Ufer auf untergelegten Baumzweigen, wie auf Walzen, eine Strecke fortgezogen. Die berufenſten und ſchwierigſten Staffeln ſind Purimarimi und Manimi. Sie haben 9 Fuß Hoͤhe. Mit Erſtaunen habe ich durch Barometermeſſungen gefunden (ein geodetiſches Nivellement iſt wegen der Unzugaͤnglichkeit des Lokals, und bey der verpeſteten mit zahlloſen Mosquitos gefuͤllten Luft, nicht auszufuͤhren), daß das ganze Gefaͤlle des Raudals, von der Muͤndung des Cameji bis zu der des Toparo, kaum 28 bis 30 Fuß betraͤgt. Ich ſage: mit Erſtaunen; denn man erkennt daraus, daß das fuͤrchterliche Getoͤſe und das wilde Aufſchaͤumen des Flußes Folge der Verengung des Bettes durch zahlloſe Klippen und Inſeln, Folge des Gegenſtromes iſt, den die Form und Lage der Felsmaſſen erregt. Von der Wahrheit dieſer Behauptung, von der geringen Hoͤhe des ganzen Gefaͤlles, uͤberzeugt man ſich am beſten, wenn man aus dem Dorfe Maypures uͤber den Felſen Manimi zum Flußbette herabſteigt. Hier iſt der Punkt, wo man eines wundervollen Anblicks genießt. Eine meilenlange ſchaͤumende Flaͤche bietet ſich auf einmal dem Auge dar. Eiſenſchwarze Felsmaſſen ragen burgartig aus derſelben hervor. Jede Inſel, jeder Stein iſt mit uͤppiganſtrebenden Waldbaͤumen geſchmuͤckt. Dichter Nebel ſchwebt ewig uͤber dem Waſſerſpiegel. Durch die dampfende Schaumwolke dringt der Gipfel der hohen Palmen. Wenn ſich im feuchten Dufte der Strahl der gluͤhenden Abendſonne bricht, ſo beginnt ein optiſcher Zauber. Farbige Boͤgen verſchwinden und kehren wieder. Ein Spiel der Luͤfte, ſchwankt das aͤtheriſche Bild. Umher auf den nackten Felſen, haben die rieſelnden Waſſer in der langen Regenzeit Inſeln von Dammerde zuſammengehaͤuft. Mit Droſeren, mit ſilberblaͤttrigen Mimoſen und mannichfaltigen Kraͤutern geſchmuͤckt, bilden ſie Blumenbeete mitten auf dem oͤden Geſtein. Sie rufen bey dem Europaͤer das Andenken an jene Pflanzengruppen zuruͤck, welche die Alpenbewohner Courtils nennen; Granitbloͤcke mit Bluͤthen bedeckt, die einſam aus den Savoyiſchen Gletſchern hervorragen. In blauer Ferne ruht das Auge auf der Gebirgskette Cunavami, einem langgedehnten Bergruͤcken, der prallig in einem abgeſtumpften Kegel ſich endigt. Den letztern (Calitamini iſt ſein indiſcher Name) ſahen wir bey untergehender Sonne wie in roͤthlichem Feuer gluͤhen. Dieſe Erſcheinung kehrt taͤglich wieder. Niemand iſt je in der Naͤhe dieſer Berge geweſen. Vielleicht ruͤhrt der Glanz von einer ſpiegelnden Abloͤſung des Talk- oder Glimmerſchiefers her. (Der Beſchluß folgt.) Anſichten der Natur mit wiſſenſchaftlichen Erlaͤuterungen, von A. v. Humboldt. (Beſchluß.) Waͤhrend der 5 Tage, welche wir in der Naͤhe der Katarakten zubrachten, war es uns auffallend, wie man das Getoͤſe des tobenden Stroms dreymal ſtaͤrker bey Nacht als bey Tage vernimmt. Bey allen europaͤiſchen Waſſerfaͤllen bemerkt man die naͤmliche Erſcheinung. Was kann die Urſache derſelben in einer Einoͤde ſeyn, wo nichts die Ruhe der Natur unterbricht? Wahrſcheinlich der Strom aufſteigender warmer Luft, welcher der Fortpflanzung des Schalles hinderlich iſt, und welcher nach der naͤchtlichen Erkaͤltung der Erdrinde aufhoͤrt. Die Indianer zeigten uns Spuren von Wagengeleiſen. Sie reden mit Bewunderung von den gehoͤrnten Thieren, Ochſen, die zur Zeit, als hier die Jeſuiten ihr Bekehrungs- Geſchaͤft trieben, die Kanoes auf Wagen auf dem linken Orinoco-Ufer von der Muͤndung des Cameji zu der des Toparo zogen. Die Fahrzeuge blieben damals beladen, und wurden nicht wie jetzt durch das beſtaͤndige Stranden und Hinſchieben auf den rauhen Klippen abgenutzt. Der Situationsplan, welchen ich von der umliegenden Gegend entworfen habe, zeigt, daß ſelbſt ein Kanal von Cameji zum Toparo eroͤffnet werden kann. Das Thal, in welchem jene waſſerreichen Baͤche flieſſen, iſt ſanftverflaͤcht. Der Kanal, deſſen Ausfuͤhrung ich dem Generalgouverneur von Venezuela im Sommer 1800 vorgeſchlagen, wuͤrde, als ein ſchiffbarer Seitenarm des Fluſſes, das alte gefahrvolle Strombette entbehrlich machen. Der Raudal von Atures iſt ganz dem von Maypures aͤhnlich; wie dieſer eine Inſelwelt, zwiſchen welcher der Strom ſich in einer Laͤnge von 3—4000 Toiſen durchdraͤngt; ein Palmengebuͤſch, mitten aus dem ſchaͤumenden Waſſer- Spiegel hervortretend. Die berufenſten Staffeln der Katarakte liegen zwiſchen den Inſeln Avaguri und Javariveni, zwiſchen Suripamana und Uirapuri. Als wir, Hr. Bonpland und ich, von den Ufern des Rio Negro zuruͤckkehrten, wagten wir es, die letzte oder untere Haͤlfte des Raudals von Atures mit dem beladenen Kanoe zu paſſiren. Wir ſtiegen mehrmals auf den Klippen aus, die, als Daͤmme, Inſel mit Inſel verbinden. Bald ſtuͤrzen die Waſſer uͤber dieſe Daͤmme weg, bald fallen ſie mit dumpfem Getoͤſe in das Innere derſelben. Daher ſind oft ganze Strecken des Flußbettes trocken, weil der Strom ſich durch unterirdiſche Kanaͤle einen Weg bahnt. Hier niſten die goldgelben Klippenhuͤhner (Pipra rupicola), einer der ſchoͤnſten Voͤgel der Tropenwelt, mit doppelter beweglicher Federkrone, ſtreitbar wie der oſtindiſche Haushahn. Im Raudal von Canucari bilden aufgethuͤrmte Granit- Kugeln den Felsdamm. Wir krochen dort in das Innere einer Hoͤhle, deren feuchte Waͤnde mit Conſerven und leuchtendem Biſſus bedeckt waren. Mit fuͤrchterlichem Getoͤſe rauſchte der Fluß hoch uͤber uns weg. Wir fanden zufaͤllig Gelegenheit, dieſe große Naturſcene laͤnger, als wir wuͤnſchten, zu genieſſen. Die Indianer hatten uns naͤmlich mitten in der Katarakte verlaſſen. Das Kanoe ſollte eine ſchmale Inſel umſchiffen, um uns, nach einem langen Umwege, an der untern Spitze derſelben wiederum aufzunehmen. Anderthalb Stunden lang harrten wir, bey fuͤrchterlichem Gewitterregen. Die Nacht brach ein; wir ſuchten vergebens Schutz zwiſchen den kluͤftigen Granitmaſſen. Die kleinen Affen, welche wir Monate lang in geflochtenen Kaͤfigen mit uns fuͤhrten, lockten durch ihr klagendes Geſchrey Krokodile herbey, deren Groͤße und bleygraue Farbe ein hohes Alter andeuteten. Ich wuͤrde dieſer im Orinoco ſo gewoͤhnlichen Erſcheinung nicht erwaͤhnen, haͤtten uns nicht die Indianer verſichert, kein Krokodil ſey je in den Katarakten geſehen worden. Ja im Vertrauen auf ihre Behauptung hatten wir es mehrmals gewagt, uns in dieſem Theile des Fluſſes zu baden. Indeſſen nahm die Beſorgniß, daß wir durchnaͤßt, und von dem Donner des Waſſerſturzes betaͤubt, die lange Tropennacht mitten im Raudal durchwachen muͤßten, mit jedem Augenblicke zu, bis die Indianer mit unſerm Kanoe erſchienen. Sie hatten die Staffel, auf der ſie ſich herablaſſen wollten, bey allzuniedrigem Waſſerſtande unzugaͤnglich gefunden. Die Lootſen waren genoͤthigt geweſen, in dem Labyrinth von Kanaͤlen ein zugaͤnglicheres Fahrwaſſer zu ſuchen. Am ſuͤdlichen Eingange des Raudals von Atures, am rechten Ufer des Fluſſes, liegt die unter den Indianern weit berufene Hoͤhle von Ataruipe. Die Gegend umher hat einen großen und ernſten Natur-Charakter, der ſie gleichſam zu einem Nationalbegraͤbniſſe eignet. Man erklimmt muͤhſam, ſelbſt nicht ohne Gefahr herabzurollen, eine ſteile, voͤllig nackte Granitwand. Es wuͤrde kaum moͤglich ſeyn, auf der glatten Flaͤche feſten Fuß zu faſſen, traͤten nicht große Feldſpathkriſtalle, der Verwitterung trotzend, zolllang aus dem Geſteine hervor. Kaum iſt die Kuppe erreicht, ſo wird man durch eine weite Ausſicht uͤber die umliegende Gegend uͤberraſcht. Aus dem ſchaͤumenden Flußbette erheben ſich mit Wald geſchmuͤckte Huͤgel. Jenſeits des Stromes, uͤber das weſtliche Ufer hinweg, ruht der Blick auf der unermeßlichen Grasflur des Meta. Am Horizont erſcheint, wie drohend aufziehendes Gewoͤlk, das Gebirge Uniama. So die Ferne; aber nahe umher iſt alles oͤde und eng. Im tief gefurchten Thale ſchweben einſam der Geyer und die kraͤchzenden Caprimulge. An der nackten Felswand ſchleicht ihr ſchwindender Schatten hin. Dieſer Keſſel iſt von Bergen begraͤnzt, deren abgerundete Gipfel ungeheure Granitkugeln tragen. Der Durchmeſſer dieſer Kugeln betraͤgt 40 bis 50 Fuß. Sie ſcheinen die Unterlage nur in einem einzigen Punkte zu beruͤhren, eben als muͤßten ſie, bey dem ſchwaͤchſten Erdſtoße, herabrollen. Der hintere Theil des Felsthals iſt mit dichtem Laubholze bedeckt. An dieſem ſchattigen Orte oͤffnet ſich die Hoͤhle von Ataruipe; eigentlich nicht Hoͤhle, ſondern ein Gewoͤlbe, eine weit uͤberhaͤngende Klippe, eine Bucht, welche die Waſſer, als ſie einſt dieſe Hoͤhe erreichten, ausgewaſchen haben. Die Hoͤhle ſelbſt iſt die Gruft eines vertilgten Voͤlkerſtammes. Wir zaͤhlten ungefaͤhr 600 wohlerhaltene Skelette, in eben ſo vielen Koͤrben, welche von den Stielen des Palmenlaubes geflochten ſind. Dieſe Koͤrbe, die die Indianer Mapires nennen, bilden eine Art viereckiger Saͤcke, die nach dem Alter des Verſtorbenen von verſchiedener Groͤße ſind. Selbſt neugeborne Kinder haben ihre eigenen Mapire. Ihre Skelette ſind ſo vollſtaͤndig, daß keine Rippe, keine Phalange fehlt. Die Knochen ſind auf dreyerlei Weiſe zubereitet; theils gebleicht, theils mit Onoto, dem Pigment der Bixa orellana, rothgefaͤrbt, theils mumienartig zwiſchen wohlriechendem Harze in Piſangblaͤtter eingeknetet. Die Indianer verſichern, man grabe den friſchen Leichnam auf einige Monate in feuchte Erde, welche das Muskelfleiſch allmaͤhlig verzehre; dann ſcharre man ihn aus, und ſchabe mit ſcharfen Steinen den Reſt des Fleiſches von den Knochen ab. Dies ſey noch der Gebrauch mancher Horden der Guayana. Neben den Mapires oder Koͤrben findet man auch Urnen von halbgebranntem Thone, welche die Knochen von ganzen Familien zu enthalten ſcheinen. Die groͤßern dieſer Urnen ſind 3 Fuß hoch und 5 1∫2 Fuß lang, von angenehmer ovaler Form, gruͤnlich, mit Henkeln in Geſtalt von Krokodilen und Schlangen, an dem obern Rande mit Meandern und Labyrinthen geſchmuͤckt. Dieſe Verzierungen ſind ganz denen aͤhnlich, welche die Waͤnde des mexikaniſchen Pallaſtes bey Mitla bedecken. Man findet ſie unter allen Zonen, auf den verſchiedenſten Stufen menſchlicher Kultur; unter Griechen und Roͤmern, am ſogenannten Tempel des Deus rediculus bey Rom, wie auf den Schildern der Otaheiter; uͤberall, wo rhythmiſche Wiederholung regelmaͤßiger Formen dem Auge ſchmeichelte. Die Urſachen dieſer Aehnlichkeiten beruhen, wie ich an einem andern Orte entwickelt habe, mehr auf pſychiſchen Gruͤnden, auf der innern Natur unſerer Geiſtesanlagen, als ſie Gleichheit der Abſtammung und altes Verkehr der Voͤlker beweiſen. Unſere Dolmetſcher konnten keine ſichere Auskunft uͤber das Alter dieſer Gefaͤße geben. Die mehrſten Skelette ſchienen indeß nicht uͤber 100 Jahr alt zu ſeyn. Es geht die Sage unter den Guareken-Indianern, die tapferen Aturer haben ſich, von menſchenfreſſenden Kariben bedraͤngt, auf die Klippen der Katarakten gerettet; ein trauriger Wohnſitz, in welchem der bedraͤngte Voͤlkerſtamm und mit ihm ſeine Sprache unterging. In dem unzugaͤnglichſten Theile des Randals befinden ſich aͤhnliche Gruͤfte; ja es iſt wahrſcheinlich, daß die letzte Familie der Aturer erſt ſpaͤt ausgeſtorben ſey. Denn in Maypures (ein ſonderbares Faktum) lebt noch ein alter Papagei, von dem die Eingebornen behaupten, daß man ihn darum nicht verſtehe, weil er die Sprache der Aturer rede. Wir verließen die Hoͤhle bey einbrechender Nacht, nachdem wir mehrere Schaͤdel und das vollſtaͤndige Skelett eines bejahrten Mannes, zum groͤßten Aergerniß unſerer indianiſchen Fuͤhrer, geſammelt hatten. Einer dieſer Schaͤdel iſt von Herrn Blumenbach in ſeinem vortrefflichen kraniologiſchen Werke abgebildet worden. Das Skelett aber iſt, wie ein großer Theil unſerer Sammlungen, in einem Schiffbruch untergegangen, der an der afrikaniſchen Kuͤſte unſerm Freunde und ehemaligen Reiſegefaͤhrten, dem jungen Franziskanermoͤnch, Juan Gonzalez , das Leben koſtete. Wie im Vorgefuͤhl dieſes ſchmerzhaften Verluſtes, in ernſter Stimmung, entfernten wir uns von der Gruft eines untergegangenen Voͤlkerſtammes. Es war eine der heitern und kuͤhlen Naͤchte, die unter den Wendekreiſen ſo gewoͤhnlich ſind. Mit farbigen Ringen umgeben, ſtand die Mondſcheibe hoch im Zenith. Sie erleuchtete den Saum des Nebels, der in ſcharfen Umriſſen, wolkenartig, den ſchaͤumenden Fluß bedeckte. Zahlloſe Inſekten goſſen ihr roͤthliches Phosphorlicht uͤber die krautbedeckte Erde. Von lebendigem Feuer gluͤhte der Boden, als habe die ſternvolle Himmelsdecke ſich auf die Grasflur niedergeſenkt. Rankende Bignonien, duftende Vanille, und gelbbluͤhende Baniſterien ſchmuͤcken den Eingang der Hoͤhle. Ueber dem Grabe rauſchen die Gipfel der Palmen. So ſterben dahin die Geſchlechter der Menſchen. Es verhallt die ruͤhmliche Kunde der Voͤlker. Doch wenn jede Bluͤthe des Geiſtes welkt, wenn im Sturm der Zeiten die Werke ſchaffender Kunſt zerſtieben, ſo entſprießt ewig neues Leben aus dem Schooße der Erde. Raſtlos entfaltet ihre Knospen die zeugende Natur — unbekuͤmmert, ob der frevelnde Menſch (ein nie verſoͤhntes Geſchlecht) die reifende Frucht zertritt.