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Alexander von Humboldt: „Das Erdessen der Indianer“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1807-Ueber_die_erdefressenden-23-neu> [abgerufen am 29.03.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1807-Ueber_die_erdefressenden-23-neu
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Titel Das Erdessen der Indianer
Jahr 1852
Ort Stuttgart
Nachweis
in: Friedrich Gruner, Wilhelm Friedrich Eisenmann und Johann David Wildermuth (Hrsg.), Deutsche Musterstücke aus dem Gebiete der Natur und des Menschenlebens, als Grundlage eines allseitig bildenden Unterrichts in der Muttersprache sowie insbesondere zur stufenmäßigen Uebung in der französischen und englischen Composition, 2. Auflage, 3 Bände, Stuttgart: Ebner & Seubert 1852, Band 1, S. 140–142.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: II.58
Dateiname: 1807-Ueber_die_erdefressenden-23-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 3
Zeichenanzahl: 3714

Weitere Fassungen
Ueber die erdefressenden Otomaken (Stuttgart; Tübingen, 1807, Deutsch)
Ueber die erdefressenden Otomaken (München, 1807, Deutsch)
Sur les peuples qui mangent de la terre (Paris, 1808, Französisch)
Dei Popoli che mangiano terra (Mailand, 1808, Italienisch)
Berigt Aangaande Zekere Volken, die Aarde Eten (Haarlem, 1808, Niederländisch)
Sur les Peuples qui mangent de la Terre (London, 1808, Französisch)
Sur les peuples qui mangent de la terre (Brüssel, 1808, Französisch)
Die Gewohnheit der Indianer Erde zu essen (Hamburg, 1808, Deutsch)
Die Gewohnheit der Indianer, Erde zu essen (Berlin, 1808, Deutsch)
Gummi und Erde genießende Völker (Basel, 1809, Deutsch)
Sur les peuples qui mangent de la terre (Paris, 1809, Französisch)
Account of the Ottomacs, a People who eat Clay (Edinburgh, 1810, Englisch)
Sur les peuples qui mangent de la terre (Köln, 1810, Französisch)
An Account of The Ottomans, who eat clay (Lancaster, 1810, Englisch)
An Account of the Ottomacs, who eat clay (London, 1810, Englisch)
Отрывокъ изъ Обозрѣнiя степей, соч. славнаго Путешественника Гумбольдта [Otryvok iz Obozrěnija stepej, soč. slavnago Putešestvennika Gumbolʹdta] (Moskau, 1818, Russisch)
Die Otomaken oder Erde fressenden Menschen in Cumana und Caraccas (Brünn, 1818, Deutsch)
Die Otomaken oder erdefressenden Menschen in Cumana und Caraccas (Wien, 1818, Deutsch)
M. de Humboldt (Paris, 1823, Französisch)
Отомаки, питающiеся землею и камедью [Otomaki, pitajuščiesja zemleju i kamedʹju] (Sankt Petersburg, 1834, Russisch)
Feeding upon Earth (Manchester, 1849, Englisch)
Aard-Eters (Amsterdam, 1849, Niederländisch)
Das Erdessen der Indianer (Stuttgart, 1852, Deutsch)
Aard-eters (Zierikzee, 1850, Niederländisch)
Earth-eating Indians (Ennis, 1850, Englisch)
Earth-eating Indians (Hereford, 1850, Englisch)
Des populations se nourrissant de terre glaise (Paris, 1851, Französisch)
Clay-Eaters of South America (Boston, Massachusetts, 1851, Englisch)
Delle genti che si nutriscono d’argilla (Mailand, 1851, Italienisch)
Erdeessende Menschen (Hildburghausen; New York City, New York, 1853, Deutsch)
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Das Erdeſſen der Indianer.

An den Küſten von Cumana, Neu-Barcelona und Caracas, welchedie Franciskanermönche der Guyana auf ihrer Rückkehr aus den Miſ-ſionen beſuchen, iſt die Sage von erdeſſenden Menſchen am Orinokoverbreitet. Wir haben am 6 Junius 1800 auf unſerer Rückreiſevon Rio Negro, als wir in 36 Tagen den Orinoko herabſchifften,einen Tag in der Miſſion zugebracht, die von den erdfreſſenden Oto-maken bewohnt wird. Das Dörfchen heißt la Conception di Uruana,und iſt ſehr maleriſch an einen Granitfelſen angelehnt. |141| Die Erde, welche die Otomaken verzehren, iſt ein fetter, milderLetten, wahrer Töpferthon von gelblich grauer Farbe mit etwasEiſenoxyd gefärbt. Sie wählen ihn ſorgfältig aus und ſuchen ihn ineigenen Bänken am Ufer des Orinoko und Meta. Sie unterſcheidenim Geſchmack eine Erdart von der andern, denn aller Letten iſt ihnennicht gleich angenehm. Sie kneten dieſe Erde in Kugeln von 4 bis5 Zoll Durchmeſſer zuſammen, und röſten ſie äußerlich bei ſchwachemFeuer, bis die Rinde röthlich wird. Beim Eſſen wird die Kugelwieder befeuchtet. Dieſe Indianer ſind größtentheils wilde, den Pflanzenbau ver-achtende Menſchen. Es iſt ein Sprichwort unter den entfernteſtenNationen am Orinoko, von etwas recht Unreinlichem zu ſagen: „ſoſchmutzig, daß es der Otomake frißt.“ So lange der Orinoko und derMeta niedriges Waſſer haben, leben dieſe Menſchen von Fiſchen undSchildkröten; ſchwellen die Ströme periodiſch an, ſo hört der Fiſch-fang auf, denn im tiefen Flußwaſſer iſt es ſo ſchwer als im tiefenOcean zu fiſchen. In dieſer Zwiſchenzeit, die drei Monate dauert,ſieht man die Otomaken ungeheure Quantitäten Erde verſchlingen. Wirhaben in ihren Hütten große Vorräthe davon gefunden, pyramidaleHaufen, in denen die Lettenkugeln zuſammengehäuft waren. Ein In-dianer verzehrt an einem Tage ¾ bis ⅘ Pfund. Nach der Ausſageder Otomaken ſelbſt iſt dieſe Erde in der Regenzeit ihre Hauptnahrung.Sie eſſen indeß dabei hie und da, wenn ſie es ſich verſchaffen können,eine Eidechſe, einen kleinen Fiſch und eine Farrenkrautwurzel. Sieſind nach den Letten ſo lüſtern, daß ſie ſelbſt in der trockenen Jah-reszeit, wenn ſie Fiſchnahrung genug haben, doch als Leckerbiſſen täglichnach der Mahlzeit etwas Erde verzehren. Dieſe Menſchen haben einedunkel kupferbraune Farbe. Sie ſind von unangenehm tartariſchenGeſichtszügen, feiſt, aber nicht dickbäuchig. Auffallend iſt es, daß die Otomaken durch den Genuß ſo vielerErde nicht erkranken. Obgleich in allen Tropenländern die Menſcheneine wunderbare, unwiderſtehliche Begierde haben, Erde zu verſchlin-gen, ſo erkranken doch, außer den Otomaken, die Individuen allerandern Völkerſtämme, wenn ſie dieſer ſonderbaren Neigung nach demGenuß des Lettens nachgeben. In der Miſſion San Borja fandenwir das Kind einer Indianerin, das nach Ausſage ſeiner Mutter faſtnichts als Erde genießen wollte, dabei aber auch ſchon ſkelettartigabgezehrt war. In Guinea eſſen die Neger eine gelbliche Erde, welche ſie Caouacnennen. Werden ſie als Sklaven nach Weſtindien gebracht, ſo ſuchenſie ſich dort eine ähnliche zu verſchaffen; aber der Caouac der ame-rikaniſchen Inſeln macht die Sklaven krank. Die Einwohner von Neu-Caledonien eſſen, um ihren Hunger zu ſtillen, fauſtgroße Stücke vonzerreiblichem Speckſtein, in dem ſich ein ziemlicher Kupfergehalt findet.In Popayan und in mehreren Theilen von Peru wird Kalkerde als |142| Eßwaare für die Indianer auf dem Markte verkauft. So finden wirdas Erdeſſen, welches die Natur eher den Bewohnern des dürrenNordens beſtimmt zu haben ſchien, in der ganzen heißen Zone unterden trägen Menſchenraſſen verbreitet, welche die herrlichſten und frucht-barſten Theile der Erde bewohnen. Nach Humboldt.