Gummi und Erde genießende Völker. Schon mehrere Reisebeschreiber haben uns von Völkern erzählt, welche Erde als Nahrung zu sich nehmen, noch hat sich aber keiner so ausführlich darüber erklärt, wie der berühmte Reisende Alexander von Humbold in einer der wichtigen Anmerkungen zum ersten Bande seiner trefflichen Ansichten der Natur, woraus ich Nachstehendes entlehne. An den Küsten von Cumana, Neu-Barcellona und Caraccas, welche die Franziscaner-Mönche der Guayana auf ihrer Rückkehr aus den Missionen besuchen, ist die Sage von erdefressenden Menschen am Orinoco verbreitet. Wir haben am 6ten Junius 1800 auf unsrer Rückreise vom Rio Negro, als wir in 36 Tagen den Orinoco herabschifften, einen Tag in der Mission zugebracht, die von den erdfressenden Otomaken bewohnt wird. Das Dörfchen heißt la Concepcion di Uruana, und ist sehr malerisch an einem Granitfelsen angelehnt. Seine geographische Lage fand ich unter 7° 8' 3" Breite und 4° 38' 38" westlicher Länge von Paris. Die Erde, welche die Otomaken verzehren, ist ein fetter milder Letten, wahrer Töpferthon von gelblichtgrauer Farbe, mit etwas Eisenoxyd gefärbt. Sie wählen ihn sorgfältig aus, und suchen ihn in eignen Bänken am Ufer des Orinoco und Meta. Sie unterscheiden im Geschmack eine Erdart von der andern, den aller Letten ist ihnen nicht gleich angenehm. Sie kneten diese Erde in Kugeln von 4 bis 6 Zoll Durchmesser zusammen, und brennen sie äußerlich bei schwachem Feuer, bis die Rinde röthlicht wird. Beim Essen wird die Kugel wieder befeuchtet. Diese Indianer sind größtentheils wilde, Pflanzenbau verabscheuende Menschen. Es ist ein Sprichwort unter den entferntesten Nationen am Orinoco von etwas recht unreinlichem zu sagen: "so schmutzig, daß es der Otomake frißt." So lange der Orinoco und der Meta niedriges Wasser haben, leben diese Menschen von Fischen und Schildkröten. Erstere werden durch Pfeile erlegt, wenn sie auf die Oberfläche des Wassers kommen, eine Jagd, bei der wir oft die große Geschicklichkeit der Indianer bewundert haben. Schwellen die Ströme periodisch an, so hört der Fischfang auf, denn im tiefen Flußwasser ist so schwer als im tiefen Ocean zu fischen. In dieser Zwischenzeit, die zwei bis drei Monate dauert, sieht man die Otomaken ungeheure Quantitäten Erde verschlingen. Wir haben in ihren Hütten große Vorräthe davon gefunden, piramidale Haufen, in denen die Lettenkugeln zusamen gehäuft waren. Ein Indianer verzehrt, wie uns der verständige Mönch Fray Ramon Bueno, aus Madrid gebürtig (der 12 Jahre lang unter diesen Indianern lebt) versichert) an einem Tage 3/4 bis 5/4 Lb. Nach der Aussage der Otomaken selbst ist diese Erde, in der Epoche der Regenzeit, ihre Hauptnahrung. Sie essen indeß dabei hier und da (wenn sie es sich verschaffen können) eine Eidexe, einen kleinen Fisch und eine Farrenkrautwurzel. Ja sie sind nach dem Letten so lüstern, daß sie selbst in der trocknen Jahreszeit, wenn sie Fischnahrung genug haben, doch als Leckerbißen täglich nach der Mahlzeit etwas Erde verzehren. Diese Menschen haben eine dunkel kupferbraune Farbe. Sie sind von unangenehmen tartarischen Gesichtszügen, feist, aber nicht dickbäuchig. Der Franziscaner-Mönch, welcher als Missionär unter ihnen lebt, versichert, daß er in dem Befinden der Otomaken, während des Erdverschlingens, keine Veränderung bemerkte. Dieß sind einfache Thatsachen. Die Indianer verzehren große Quantitäten Letten, ohne ihrer Gesundheit zu schaden, sie halten diese Erde für Nahrungsmittel, d. h. sie fühlen sich durch ihren Genuß auf lange Zeit gesättigt. Sie schreiben diese Sättigung dem Letten, nicht der anderweitigen sparsamen Nahrung zu, welche sie sich neben der Erde hier und da zu verschaffen wißen. Befragt man den Otomaken nach seinem Wintervorrath (Winter heißt im heißen Süd-America die Regenzeit), so zeigt er auf die Erdhaufen in seiner Hütte. Aber eben diese einfachen Thatsachen entscheiden gar noch nicht die Fragen, kann der Letten wirklich Nahrungsstoff sein? können Erden sich assimiliren? Oder dienen sie nur als Ballast im Magen. Dehnen sie blos die Wände desselben aus und verscheuchen sie auf diese Weise den Hunger? Ueber alle diese Fragen kann ich nicht entscheiden. Auffallend ist es, daß der sonst so überaus leichtgläubige und uncritische Pater Gumilla das Erdfreßen als solches gerade zu leugnet. Er behauptet, die Lettenkugeln seien mit Maismehl und Krokodillfett innigst gemengt. Aber der Missionair Fray Ramon Bueno und unser Freund und Reisegefährte, der Laienbruder, Fray Juan Gonzalez, den das Meer an den africanischen Küsten mit einem Theile unserer Sammlungen verschlang, haben uns beide versichert, daß die Otomaken den Letten nie mit Krokodillfett bestreichen. Von beigemachtem Mehl haben wir vollends in Uruana gar nichts gehört. Die Erde, welche wir mitgebracht und welche Herr Vauquelin chemisch untersucht hat, ist ganz rein und ungemengt. Sollte Gumilla, aus Verwechselung heterogener Thatsachen, auf die Brodbereitung aus der langen Schote einer Juga-Art anspielen wollen? Diese Frucht wird allerdings in die Erde vergraben, damit sie früher zu rotten beginne. Daß übrigens die Otomaken durch den Genuß so vieler Erde nicht erkranken, scheint mir besonders auffallend. Ist dieses Volk seit vielen Generationen an diesen Reiz gewöhnt? In allen Tropenländern haben die Menschen eine wunderbare, fast unwiderstehliche Begier Erde zu verschlingen, und zwar nicht sogenannte alkalische (Kalkerde) um etwa Säuren zu neutralisiren, sondern fetten, starkriechenden Letten. Kinder muß man oft einsperren, damit sie nach frischgefallenem Regen nicht ins Freie laufen und Erde essen. Die indianischen Weiber, die am Magdalenen-Fluße im Dörfchen Banco Töpfe drehen, fahren; wie ich mit Verwunderung gesehen, während der Arbeit mit großen Portionen Letten nach dem Munde. Außer den Otomaken erkranken die Individuen aller andern Völkerstämme, wenn sie dieser sonderbaren Neigung nach dem Genuß des Lettens nachgeben. In der Mission San Borja fanden wir das Kind einer Indianerin, das, nach Aussage der Mutter, fast nichts als Erde genießen wollte, dabei aber auch schon skelettartig abgezehrt war. Warum ist in den gemässigten und kalten Zonen diese krankhafte Begierde nach Erde um so viel seltner und fast nur auf Kinder und schwangere Frauen eingeschränkt? Ja man darf behaupten, daß in den Tropenländern aller Welttheile das Erdessen einheimisch sei. In Guinea essen die Negern eine gelblichte Erde, welche sie Caouac nennen. Werden sie als Sklaven nach Westindien gebracht, so suchen sie sich dort eine ähnliche zu verschaffen. Sie versichern dabei, das Erdessen sei in ihrem africanischen Vaterlande ganz unschädlich. Aber der Caouac der americanischen Inseln macht die Sklaven krank. Daher war das Erdessen dort verboten, ob man gleichwohl 1751 in Martinique heimlich Erde auf den Märkten verkaufte. Thiebault de Chanvalon erzählt: die Neger von Guinea sagen, daß sie in ihrer Heimath gewöhnlich eine gewisse Erde essen, von welcher der Geschmack ihnen gefällt, und die ihnen keine Beschwerde verursacht. Diejenigen, welche den Gebrauch haben Caouac zu essen, sind so begierig darauf, daß keine Züchtigung sie zu verhindern vermag, sich solche Erde zu verschaffen. Auf der Insel Java zwischen Soutabaya und Samarang sah Labillardiere in den Dörfern kleine viereckichte röthlichte Kuchen verkaufen. Die Eingeborenen nennen sie Tanaampo. Als er sie näher untersuchte, fand er, daß es Kuchen von röthlichtem Letten waren, welche gegessen werden. Die Einwohner von Neu-Caledonien essen, um ihren Hunger zu stillen, faustgroße Stücken von zerreiblichem Speckstein, in dem Vauquelin einen nicht unbeträchtlichen Kupfergehalt gefunden. In Popayan und in mehreren Theilen von Peru wird Kalkerde, als Eßwaare für die Indianer auf dem Markte verkauft. Dieser Kalk wird mit der Cocca (den Blättern des Erythroxylon peruvianum) genoßen. So finden wir das Erdeessen, welches die Natur eher den Bewohnern des dürren Nordens bestimmt zu haben schien, in der ganzen heißen Zone unter den trägen Menschenracen verbreitet, welche die herrlichsten und fruchtbarsten Theile der Welt inne haben.